Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands

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Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands

Das niedersächsische Institut für Wirtschaftsforschung (NIW), Hannover, hat zusammen mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin, dem Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe und dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim, im Dezember 1995 einen Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands für das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) erstellt, der im Dezember 1995 vorgelegt wurde.

Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers hat dazu in einer Pressemitteilung des BMBF vom 10.01.1996 u.a. folgendes erklärt:

"Wir sind nach wie vor ein starkes Technologieland. Unsere Stärken liegen im Bereich höherwertiger Technologien, vor allem in der Chemie und im Maschinen- und Fahrzeugbau, wo zwischen 3,5 und 8,5 % des Umsatzes für Forschung und Entwicklung (FuE) aufgebracht werden müssen. Wir sind weniger stark im Bereich der Spitzentechnik, etwa bei Mikrölektronikprodukten und Gentechnik, wo für FuE mehr als 8,5 % des Umsatzes eingesetzt werden müssen. Wir sind auf den Weltmärkten mit ausgereiften Technologieprodukten präsent, aber wir setzen zu wenig auf die Spitzentechnik, mit der die Produkte von morgen gemacht werden.

_Prinzipiell können wir in etlichen Bereichen noch einige Zeit so weitermachen. Aber wir leben zunehmend von der Substanz. Und wir werden in unseren alten Domänen immer stärker herausgefordert von neuen Konkurrenten - vor allem Südkorea, Taiwan, Singapur und Israel -, die auf den dabei entstehenden Mengen- und Preiswettbewerb viel besser eingestellt sind als wir."

In dem Bericht werden die Ergebnisse dieser Studie "in Stichworten" wie folgt dargestellt.

Das aktuelle Bild

- Deutschlands technologische Leistungsfähigkeit hat beachtliche Substanz: Sie ist gekennzeichnet durch ein sehr breites Güterangebot mit besonderen Stärken in Maschinenbau, Fertigungstechnik, Elektrotechnik und Chemie, eine tiefgestaffelte Produktion mit hohem Anteil kleiner und mittlerer Unternehmen sowie einem hohen Stand von Ausbildung und Know-how. Gemeinsame Anstrengungen von Wirtschaft und Staat in Forschung und Entwicklung (2,34 vH des Bruttoinlandsproduktes) haben zu einem vorderen Rang unter den Industrieländern geführt. Der Anteil der FuE-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt wie auch der Anteil der FuE-Aufwendungen an der Wertschöpfung der Unternehmen, sind jedoch seit Beginn der 90er Jahre rückläufig.

- Das Güterangebot der westdeutschen Industrie ist sehr stark auf den forschungsintensiven Sektor konzentriert (45_ vH der Industrieproduktion, 43 vH der Industriebeschäftigung, 49 vH der Industriegüterausfuhr, 38 vH der Industriegütereinfuhr). Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung forschungsintensiver Sektoren für Produktion und Beschäftigung ist für die deutsche Volkswirtschaft größer als in den USA und vergleichbar der in Japan.

- Die Industrie hat in geschickter Ausnutzung der internationalen Arbeitsteilung in der Forschung die traditionellen Stärken in den Bereichen höherwertige Investitionsgüter (Maschinen, Automobile, Elektrotechnik) und der Chemie gestützt. In diesen Branchen hat sie sich durch vergleichsweise hohe eigene FuE-Aktivitäten und durch Integration von Schlüsseltechnologien Wettbewerbsvorteile geschaffen und erhalten. Von diesen Bereichen geht erhebliche Breitenwirkung für die industrielle Produktion aus. Führungsvorteile binden auch eine Reihe von weniger forschungsintensiven Industrien an den Standort Deutschland.

- Diese Arbeitsteilung implizierte auch Verzicht u.a. auf neuen wissenschaftsbasierenden Feldern: Extrem aufwendige Spitzentechnologien, z.B. Halbleiterbauelemente, Computer oder Nachrichtentechnik werden in Deutschland zwar intensiv eingesetzt, in hohem Maße jedoch aus dem Ausland bezogen.

- Die aktuell starke Position auf den Technologiegütermärkten wird insbesondere durch die technologische Vorreiterposition Deutschlands in Europa stabilisiert. In den bilateralen Handelsbeziehungen mit den USA und Japan zeigt Deutschland hingegen Schwächen in der technologischen Wettbewerbsfähigkeit.

- Weltweit nimmt die Internationalisierung in Forschung und Entwicklung zu. In Deutschland haben differenzierte, anspruchsvolle Märkte, das anerkannte Ausbildungssystem und zunehmend beachtete Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung dazu geführt, daß viele ausländische Unternehmen (vor allem aus den USA) hier Industrieforschung betreiben. Gut 15 vH der deutschen FuE-Kapazitäten gehören zu Unternehmen mit ausländischem Mehrheitsbesitz.

- Aber auch Deutschlands Industrieforschung wird immer stärker "internationalisiert". Denn umgekehrt nutzen mehr und mehr deutsche Unternehmen die FuE-Potentiale, Marktchancen und Produktionsbedingungen im Ausland. Insbesondere in den USA halten Töchter deutscher Industrieunternehmen etwa ein Sechstel aller FuE-Kapazitäten ausländischer Unternehmen. Das allein entspricht 9 vH der inländischen FuE-Ausgaben; die langfristige Wachstumsrate beläuft sich auf 16 vH pro Jahr.

Der eingeschlagene Weg

- Im Bereich von Forschung und Technologie zeichnen sich bei multinationalen Unternehmen grundlegend neue Strategien ab. Zunehmend werden von der Auslandsforschung nicht nur die angestammten Felder, sondern auch "sensible" und strategische Bereiche (z.B. in der Mikrölektronik und in der Biotechnologie) bearbeitet. Häufig sind es die spezifischen Markt- und Produktionsbedingungen, aber auch das Forschungsumfeld, die diese FuE-Standortentscheidungen prägen. Insgesamt ist davon auszugehen, daß das FuE-Engagement deutscher Unternehmen im Ausland schneller steigen wird als umgekehrt. Deutschland hat in vielen Technologiefeldern noch gute Chancen, aber andere Standorte (z.B. Japan) haben an Attraktivität gewonnen.

- In den letzten Jahren fallen Schatten auf das bislang positive Bild von der deutschen technologischen Leistungsfähigkeit. Die hohe Substanz wächst und erneuert sich nicht mehr so schnell, wie noch in den 80er Jahren und im Vergleich mit anderen Ländern. Bereits seit Ende der 80er Jahre hat die Industrieforschung nachgelassen - also der Sektor, auf den es ankommt, der bis dato die treibende Kraft des Aufholprozesses war und dessen Anteil an den FuE-Ausgaben im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hoch ist. Deshalb wiegt die nachlassende Dynamik in den 90er Jahren doppelt schwer.

- Strukturprobleme zeigen sich zunächst nicht an den Markterfolgen, sondern bei den Investitionen (in Bildung, Wissenschaft und Forschung, Sachanlagen). Deutschlands derzeit starke Position ist weitgehend den Investitionen in der Vergangenheit zu verdanken. Die Langfristwirkungen der langjährigen Zurückhaltung bei FuE stehen noch aus - in einigen Ansätzen sind sie bereits an der Beteiligung an internationalen Patenten abzulesen. Dies sind Warnzeichen.

- Die Spitze bröckelt in den traditionellen Bereichen der Höherwertigen Technologien ab; gleichzeitig entsteht noch zu wenig Neues in anderen zukünftigen Wachstumsfeldern (Informationstechnik, Biotechnologie). Andererseits: In Bereichen, die nicht so sehr Schlüsselcharakter haben, sondern das Ergebnis einer kontinuierlichen Umsetzung und Kombination von Wissen sind, hält Deutschland immer noch eine herausragende Stellung (z.B. bei Umweltschutztechnologien mit ihren guten Wachstumsaussichten). Das gilt sowohl in technologischer Sicht (Patente) als auch für die Marktstellung (mit einem Welthandelsanteil von 18_ vH).

- Insbesondere den kleineren und mittleren Unternehmen fehlt es weniger an Innovationsmöglichkeiten und am Zugang zu neuen Technologien und Wissen, sondern oft an den günstigen Bedingungen, sie zu nutzen (motivationshemmende Markt-, Kosten- und Rentabilitätsrisiken, Gesetzes- und Verwaltungsvorschriften).

Wie geht es weiter?

- Der Strukturwandel begünstigt seit langem den Dienstleistungssektor. Die Beiträge verschieben sich innerhalb der Wertschöpfungsketten von der Hardwareproduktion auf Software und Dienstleistung. Hochwertige Dienstleistungen verstärken einerseits Impulse aus dem innovativen Bereich der Industrie. Andererseits sind sie auf hochwertige technische Lösungen angewiesen. Insofern kommt der Anwendung neuer Technologien in diesen Bereichen heutzutage eine ähnlich hohe Bedeutung zu wie in der klassischen Produktion. Neueste Technologien werden insbesondere in forschungsreichen Ländern intensiv und gezielt genutzt.

- Die ostdeutsche Industrie ist bislang nicht ausreichend in den weltweiten Technologiewettbewerb integriert. Immerhin ist - mit vielfältiger staatlicher Unterstützung - der Abbau von industriellen FuE-Kapazitäten zum Stillstand gekommen. Auch Industrieinvestitionen werden subventioniert. Dort, wo investiert wird, entstehen modernste Anlagen. Dies sollte auch den Innovationsprozeß in Ostdeutschland beflügeln.

- Auch in Japan und in den USA - mit denen Deutschland im Technologiewettbewerb lange Zeit mit an der Spitze stand - lassen die FuE-Aktivitäten nach. Gleichzeitig verteilt sich das weltweit stagnierende Innovationspotential auf neue Konkurrenten, vor allem aus Asien. Korea, Taiwan und Singapur sind technologisch bereits in Sichtweite der Spitzengruppe.

- Mit der schnellen weltweiten Verbreitung technischen Wissens schwinden traditionelle Vorteile im Technologiewettbewerb. Zudem: Je mehr sich die Güter dem Ende ihres Produktlebenszyklus nähern, desto schärfer greift der preisliche Wettbewerb aufgrund von Kostengefälle und Mengenproduktivität.

- Deutschland hat nach wie vor ein hohes Niveau bei FuE und vor den meisten Ländern einen Vorsprung. Dieser hat sich jedoch verringert. Wenn nichts geschieht, könnte dies bedeuten, daß die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsspielräume künftig enger werden. Die im derzeitigen Zyklus schwache Investitionstätigkeit deutet dies an.

- In einer sich rapide verändernden Welt kommt es darauf an, das Wissenspotential aufbauend auf den am Standort Deutschland vorhandenen Stärken noch besser zu nutzen. Zu beachten ist aber auch, daß der Anschluß an neue Technologien wie etwa der Biotechnologie, nicht verlorengeht. Voraussetzungen hierfür sind: Ein besseres Zusammenspiel von Wissenschaft und Wirtschaft in dynamischen Kooperationsnetzwerken; die Bereitstellung von mehr Innovationskapital, Unternehmensgründungen in technologie- und wissensbasierten Bereichen und eine konsequente Verbesserung der Entfaltungsmöglichkeiten für neue Technologieanwendungen."

(Quelle: Projektbericht)

Bibliographische Angaben

Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung et al. (Hrsg.): Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands. Bericht an das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Mannheim, Dezember 1995, 74 Seiten.

Der Bericht kann über das Pressereferat des BMBF angefordert werden:

Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF)
- Pressereferat -
Heinemannstr. 2
D-53175 Bonn
Tel.: 0228/57-2040, -3037
Fax: 0228/57-2548

Kontakt

Dr. Harald Legler
Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung
Schiffgraben 33, D-30175 Hannover
Tel.: +49 511 341392