Multimedia Teletraining in europäischen Unternehmen

Ergebnisse von TA-Projekten - Neue TA-Projekte

Multimedia Teletraining in europäischen Unternehmen

Ergebnisse einer von der EU geförderten Pilotstudie zum Einsatz von Telekommunikation in der betrieblichen Weiterbildung

von Cornelia Fries, WIK

Aufgrund steigenden Kostendrucks und begrenzter Trainerkapazitäten in der betrieblichen Weiterbildung setzen bereits viele Unternehmen computergestützte Lernprogramme zur Schulung ihrer Mitarbeiter ein. Vielversprechend erscheinen in Zukunft auch netzbasierte Lösungen, die es erlauben, das isolierte Lernen am Arbeitsplatz mit der Fernbetreuung durch Tutoren und dem Lernen in Gruppen zu verbinden. Bislang liegen jedoch noch keine ausreichenden Erfahrungen darüber vor, ob und unter welchen Bedingungen dies zu Kosteneinsparungen oder Effizienzsteigerungen führt. Das Interesse der Firmen an telematikgestütztem Fernlernen hält sich deshalb noch in Grenzen. Darüber hinaus wird die Diffusion und Akzeptanz multimedialer telematikgestützter Trainingskonzepte davon abhängen, ob sie spezifische Vorteile auch für die Mitarbeiter aufweisen und davon, ob es gelingt, die Teletraining-Maßnahmen an die Bedürfnisse und Anforderungen der Lernenden anzupassen. Neben Implementations- und Kostenaspekten stand daher die Frage nach der Nutzer-Akzeptanz von Teletraining im Mittelpunkt einer vom Wissenschaftlichen Institut für Kommunikationsdienste (WIK) durchgeführten Evaluationsstudie.

Die Forschungsgruppe Technikfolgenabschätzung des WIK führte 1992 bis Ende 1994 die Begleitforschung für das von der Europäischen Union mit 4 Mio. ECU geförderte Projekt "Multimedia Teleschool" (MTS) durch, in dem erstmals eine marktnahe und umfassende Anwendungserprobung von telematikgestütztem, grenzüberschreitendem Fernunterricht in der betrieblichen Weiterbildung realisiert wurde. Das Konzept der "Multimedia Teleschool" basiert auf der Idee der "virtuellen Schule". Grundlage der Kurse war das individuelle Selbststudium mit Büchern, Audiocassetten oder CBT-Programmen, das durch Lernaktivitäten in einem Computer-Conferencing System ergänzt wurde. Die dritte Komponente der Schulungen bestand aus über Satellit ausgestrahlten Lehrsendungen, an denen die Kursteilnehmer selbst aktiv teilnahmen. Als Rückkanal standen Telefon, Fax und E-mail sowie Bildtelefon oder eine Videokonferenzschaltung über ISDN zur Verfügung.

Insgesamt wurden ca. 1.000 Mitarbeiter europäischer Firmen in unterschiedlichen Fachgebieten (z.B. Fremdsprachen, Umweltrisiken) geschult. Während der Phase der Datenerhebung, die sich über die gesamte Projektlaufzeit erstreckte, führte das WIK schriftliche Befragungen aller Teilnehmer sowie Leitfaden-Interviews und Gruppendiskussionen durch. Außerdem wurden fortlaufend Daten über die Lernaktivitäten (Bearbeitung von Studienbriefen, Conferencing-Aktivitäten und Teilnahme an den interaktiven Fernsehsendungen) erfaßt. Die Repräsentativität der Ergebnisse ist insofern eingeschränkt, als es sich bei den Teilnehmern vorwiegend um Mitarbeiter von Telekommunikationsunternehmen handelte.

Evaluations-Ergebnisse

Wie sich zeigte, verfügen selbst große Firmen gegenwärtig oft noch nicht über die notwendige technische Plattform, um telematikgestütztes Fernlernen am Arbeitsplatz ohne zusätzliche technische Anschaffungen zu implementieren. Die begrenzte Investitionsbereitschaft der Unternehmen führte in manchen Fällen dazu, daß die erforderlichen Endgeräte und Netzzugänge nicht direkt am Arbeitsplatz, sondern in lokalen Lernzentren zur Verfügung gestellt wurden. Dies sollte sich später als hinderlich für eine erfolgreiche Kursteilnahme erweisen.

Ferner zeigte sich, daß die Implementation von Teletraining Maßnahmen dezentral organisiert und unterstützt werden muß, was der derzeitigen Organisationsstruktur des Fortbildungsbereichs in vielen Unternehmen widerspricht. Die Rekrutierung der Teilnehmer, die Vernetzung der Lerner-PCs am Arbeitsplatz und vor allem die technische Schulung und Betreuung während der Anfangsphase erfordern eine enge Kooperation zwischen externem Schulungsanbieter und dem jeweiligen Personal der örtlichen Niederlassungen.
Die Schulungsteilnehmer zeigten großes Interesse an den neuen Lerntechnologien und waren bereit, trotz vorhandener Computererfahrung, zusätzliche Zeit und Energie in das Erlernen der Bedienungsabläufe zu investieren. Sie forderten jedoch, daß zukünftig bereits vor Beginn der Kurse eine ausreichende Schulung und die Möglichkeit zum praktischen Üben der telematikgestützten Kommunikation angeboten werden, um einen verspäteten Start der Lernaktivitäten zu vermeiden und die Konzentration auf die Lerninhalte von Beginn an zu ermöglichen. Eine intensive technische und organisatorische Unterstützung erscheint vor allem während der Startphase angezeigt, da die rasche Bewältigung von anfänglichen technischen oder koordinatorischen Problemen über die Motivation der Teilnehmer zur weiteren Teilnahme entscheidet.

Verlagerung der Lernzeit in die private Freizeit

Kosteneinsparungen werden bei Teletraining-Maßnahmen hauptsächlich durch die Verlagerung der Lernzeit in die private Freizeit der Mitarbeiter erzielt. Die im Rahmen einer Kostenanalyse von uns durchgeführten Beispielrechnungen für verschiedene Trainingsszenarien zeigen, daß sich die finanziellen Aufwendungen für Präsenzschulungen und Teletraining nicht gravierend unterscheiden, wenn die Teilnehmer ausschließlich während der Arbeitszeit lernen. Einsparungen im Bereich der Transport- und Unterbringungskosten werden im Teletraining durch die Technik- und Kommunikationskosten wieder aufgewogen, wobei einmalige Anschaffungskosten noch nicht berücksichtigt sind. Der Vorteil von Teletraining besteht daher in der Möglichkeit zur flexiblen Verlagerung der Lernzeit in Phasen mit geringerer Arbeitsbelastung oder in die Freizeit der Mitarbeiter.

Tatsächlich gingen die Anwenderfirmen im MTS-Projekt meist davon aus, daß die Mitarbeiter ihre Lernaktivitäten in den täglichen Arbeitsablauf einbinden, ohne ihre beruflichen Aufgaben zu vernachlässigen. Aufgrund von Zeitdruck und Störungen am Arbeitsplatz empfanden es viele Teilnehmer jedoch als schwierig, sich während der Arbeitszeit auf komplexere Lernaufgaben zu konzentrieren. Die Mehrheit entschied sich deshalb dafür, den Kurs hauptsächlich in ihrer Freizeit, d.h. am Abend oder am Wochenende, zu absolvieren. Die parallelen Arbeits- und Lernaktivitäten führten bei den meisten Teilnehmern zu Zeit- und Koordinationsproblemen, die nur durch größtmögliche Flexibilität bewältigt werden können.

Teilnehmer profitieren von Flexibilität und individueller Betreuung

Die Akzeptanz des Lernens in der Freizeit war bei den MTS-Lernern überraschend hoch, was hauptsächlich auf die Vorteile des flexiblen Lernens zurückzuführen war. Für die Möglichkeit der individuellen Steuerung des Lernprozesses, etwa den Zeitpunkt und Dauer der Lernaktivitäten selbst zu bestimmen, waren die meisten Teilnehmer bereit, auch ihre private Freizeit zu investieren.

Flexibles Lernen erfordert jedoch die Bereitstellung der eingesetzten Lerntechnologien direkt am Arbeitsplatz. Der Zugang sollte auch außerhalb der offiziellen Bürozeiten, z.B. am Wochenende, möglich sein. Bereits der für die Nutzung eines PCs im Nachbarbüro erforderliche Koordinationsaufwand schränkte die Flexibilität der Lernenden ein und führte zu einer deutlich geringeren Teilnahme an Computer-Conferencing Aktivitäten.

Denkbar wäre in Zukunft auch die Nutzung von bereits im Haushalt der Lerner vorhandenen Technologien, vor allem angesichts der zunehmenden Verbreitung von PCs und Nutzung von Online-Diensten in Privathaushalten. Wie in den Diskussionen mit den Schulungsteilnehmern deutlich wurde, wäre die Bereitstellung eines PCs mit Netzanschluß oder die Übernahme von Kommunikationsgebühren für die Zeit der Kursteilnahme ein großer Anreiz für die Teilnahme an einem Teletraining-Kurs. Darüber hinaus wäre die teilweise Freistellung für Lernaktivitäten bzw. eine Reduktion der Arbeitsbelastung wünschenswert, da dadurch extreme Zeitbelastungen, etwa aufgrund zusätzlicher familiärer Verpflichtungen, vermieden werden können.

Neben flexiblem und selbstgesteuertem Lernen stellte die individuelle Betreuung durch Ferntutoren für die meisten Teilnehmer den entscheidenden Vorteil von Teletraining dar. Die Möglichkeit, über E-mail praktisch jederzeit direkt mit dem Tutor kommunizieren zu können, wurde von den Lernern nicht nur als sehr effizient, sondern auch als sehr motivierend empfunden und daher intensiv genutzt. Außerdem ermöglichte es die Anpassung der Lernaktivitäten an persönliche Voraussetzungen und Interessen, die bei den international zusammengesetzten Teilnehmergruppen der "Multimedia Teleschool" zum Teil stark differierten. Die Teilnehmer entwickelten meist sehr individuelle, an ihren persönlichen Interessen ausgerichtete Lernstrategien. Dies aus pädagogischen Gründen zulassen zu können, ist ein großer Vorteil des telematikgestützten Fernlernens.

Interaktion zwischen den Lernern

Die vergleichsweise geringe Beteiligung an privater E-mail Kommunikation und Gruppenlernaktivitäten im Konferenzsystem machte deutlich, daß die Bereitstellung einer technischen Infrastruktur noch keine ausreichende Voraussetzung für soziale Interaktion und erfolgreiches Gruppenlernen ist, sondern durch einen angemessenen Zeitrahmen, attraktive und geeignete Inhalte sowie sorgfältige Koordination durch einen Tutor ergänzt werden muß.

Als stärkstes Nutzungshemmnis erwies sich der notwendige, relative hohe Zeitaufwand für die textbasierte und zeitversetzte Kommunikation im elektronischen Konferenzsystem, die außerdem von vielen als anonym und unpersönlich empfunden wurde. Vor allem die Sprachkursteilnehmer vermißten die Spontanität der direkten Kommunikation. Eine Gruppe von hochmotivierten Lernern nutzte jedoch die Interaktionsmöglichkeiten im Konferenzsystem häufig und regelmäßig und entwickelte bald geeignete Formen der elektronischen Kommunikation, wie z.B. die Verabredung zu spontanen Online-Treffen im System. Die Mehrheit neigte dagegen zu passivem Verhalten und konnte nur durch die gezielte Ansprache und Aufforderung durch die Tutoren zu einer aktiveren Mitarbeit motiviert werden, die für effektives Gruppenlernen unverzichtbar ist.

Auch hinsichtlich der aktiven Beteiligung an den interaktiven TV-Sendungen zeigte sich, daß die Lernenden zur Mitwirkung aufgefordert und motiviert werden müssen. Vertraute und klar strukturierte Kommunikationsszenarien führten zu einer höheren Beteiligung, wurden aber als weniger interessant empfunden als komplexere Formate, wie z.B. Rollenspiele über Videokonferenzverbindungen. Letztere erforderten allerdings die Unterstützung und Anleitung durch einen Tutor sowie die Anwesenheit eines Moderators am Empfangsort, der die Lernergruppe in der Nutzung der technischen Geräte (Kameras, Mikrofone) unterstützte.

Im Vergleich wurden die interaktiven Fernsehsendungen von den Kursteilnehmern positiver beurteilt als das Lernen im Computer-Conferencing System, obwohl sie weniger Interaktionsmöglichkeiten boten und die Flexibilität eingeschränkt war. Die Lerner beurteilten den pädagogischen Effekt der TV-Sendungen als sehr hoch, was mit der hohen Produktionsqualität und der Mitwirkung der Tutoren zusammenhing. Vor allem hatten die Sendungen jedoch, aufgrund der sichtbaren Präsenz anderer Teilnehmer, einen stärker motivierenden Effekt.

Teletraining-Urteil der Teilnehmer

Die Teilnehmer beurteilten die "Multimedia Teleschool" Kurse überwiegend positiv, bevorzugten jedoch bei der vergleichenden Bewertung der Kurselemente die traditionellen Lernmedien, d.h. Bücher oder Studienbriefe. Dies lag unter anderem daran, daß die bei der Nutzung von Telekommunikation im Unterricht ermöglichte - aber auch geforderte - Eigenaktivität viele Lerner (noch) überfordert. Entsprechende Kommunikations- und Lernstrategien müssen von den Teilnehmern, die aufgrund ihrer bisherigen Lerngewohnheiten eher zu einem passiven Rezeptionsverhalten neigen, erst noch erworben werden. Der erzielte Lernerfolg wurde vor allem von jenen Teilnehmern als positiv beurteilt, die nicht mit Zeitproblemen konfrontiert waren bzw. diese durch eine erfolgreiche Koordination des flexiblen Lernens vermeiden konnten. Für zukünftige Teletraining-Kurse, an denen durchaus Interesse bestand, wurde von den Lernern neben einer größeren Bedienerfreundlichkeit der Konferenzsoftware, vor allem ein adäquaterer Zeitrahmen sowie die Einbindung von Technologien, die Ton- und Bewegtbildkommunikation ermöglichen (Voicemail, Videokonferenzen) und/oder gelegentlichem Präsenzunterricht gefordert.

Fazit

Zusammenfassend zeigen unsere Untersuchungen, daß Teletraining eine völlig neue Lernkultur erfordert und daher eine große Herausforderung nicht nur für die Lernenden, sondern auch für die Schulungsanbieter und Anwenderunternehmen darstellt. Teletraining ist kein Ersatz, sondern eine Alternative zu Präsenzunterricht und kann diesen auch miteinbinden oder ergänzen.

Von den Teilnehmern erfordert telematikgestütztes Lernen ausreichende Selbstlernkompetenz und aktives Lernverhalten. Außerdem müssen geeignete Inhalte und Lernmaterialien entwickelt werden, die den Lernenden größere Freiräume für individuelle Lernstrategien bieten. Das Lehrpersonal muß im Umgang mit neuen multimedialen Lerntechnologien geschult und mit der neuen Rolle als Moderator oder "Coach", der die individuellen Lernaktivitäten steuert und unterstützt, vertraut gemacht werden. Die Unternehmen sind zunächst gefordert, das flexible Lernen durch geeignete Lernumgebungen zu unterstützen. Eine besondere Herausforderung besteht darin, für unterschiedliche Trainingsbedarfe das jeweils geeignete Kursdesign und flexible Curricula zu entwickeln. In der Möglichkeit des Training-on-demand, d.h. der zeitlichen und inhaltlichen Anpassung der Lernaktivitäten an spezifische Bedürfnisse - von Unternehmen und Lernenden - besteht der große Vorteil von Teletraining.

Literatur

F. Sippel (ed.): Implementation and Management of Teletraining, WIK-Diskussionsbeitrag Nr. 123, Februar 1994, Bad Honnef.

C. Fries: Learner Needs and Demands in Multimedia Teletraining, WIK-Diskussionsbeitrag Nr. 155, Dezember 1995, Bad Honnef.

L. Reif / F. Sippel (eds.): European Teletraining at Work, WIK-Diskussionsbeitrag Nr. 152, September 1995, Bad Honnef.

Kontakt

Cornelia Fries
Wissenschaftliches Institut für
Kommunikationsdienste GmbH
Postfach 2000, D-53588 Bad Honnef
Tel.: +49 2224 9225-55