"Umwelt global. Veränderungen, Probleme, Lösungsansätze"

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"Umwelt global. Veränderungen, Probleme, Lösungsansätze"

Rezension von Jürgen Kopfmüller, ITAS

Durch Menschen verursachte Umweltveränderungen treten in regionaler und zunehmend auch globaler Ausbreitung auf. Insbesondere Letztere stehen seit einiger Zeit im Mittelpunkt der umweltpolitischen Diskussion wie auch des Forschungsinteresses. Die gerade hier häufig sehr langfristigen Wirkungsketten und komplexen Zusammenhänge - sowohl was die physikalisch-chemisch-biologischen Prozesse, die sozioökonomischen Faktoren wie auch deren Wechselwirkungen untereinander anbelangt - haben zur Folge, daß wissenschaftliche Aussagen und Empfehlungen für die Politik oft unter dem Vorbehalt der Unsicherheit stehen.

Mit dem vorliegenden Buch, das sich laut Umschlagstext vor allem an Wissenschaftler und fortgeschrittene Studenten wendet, wollen die Herausgeber Bedeutung und Problemdimensionen langfristiger (globaler) Umweltveränderungen deutlich machen sowie exemplarische Lösungsansätze skizzieren. Dafür konnten sie verschiedene mit dem Bereich Umweltforschung befaßte Wissenschaftler der Freien Universität Berlin gewinnen, aus Sicht ihrer jeweiligen Fachdisziplin bestimmte Themenbereiche zu behandeln. Ursprünglicher Anlaß für die vorgelegten Beiträge war eine Vorlesungsreihe 1993/94 zur Vorstellung der umweltbezogenen Forschung und ihrer Ergebnise an der FU gewesen.

Im ersten Teil des Bandes werden aus naturwissenschaftlicher Sicht ausgewählte Problembereiche und dort vorhandene methodologische Schwierigkeiten behandelt. Zunächst betrachtet J. Bolle die globalen Süßwasserkreisläufe, die regionale Wasserverteilung sowie die Möglichkeiten und Probleme bei der Analyse natürlicher und anthropogener Einflüsse hierauf bzw. deren Unterscheidung. K. Labitzke befaßt sich in ihrem Beitrag mit den meteorologischen Aspekten des Ozonproblems, den komplexen chemischen Prozessen des Abbaus der Ozonschicht über der Antarktis und den Maßnahmen zur Reduktion der verursachenden Substanzen. R. Furrer berichtet über Zweck, Methoden und gewinnbare Informationen von Erdfernerkundungssystemen für globale Bestandsaufnahmen. In zwei weiteren Beiträgen von H. Malberg und G. Weigmann geht es um stadtökologische Aspekte: Der erste behandelt die Besonderheiten und anthropogenen Einflußfaktoren des modernen Großstadtklimas; der zweite setzt den Schwerpunkt auf einer Betrachtung der Unterschiede des "Ökosystems Stadt" als Konzentrationspunkt anthropogener Stoff- und Energieströme im Vergleich zu natürlichen Ökosystemen sowie den vor diesem Hintergrund denkbaren Möglichkeiten einer ökologischen Stadtentwicklung im Sinne einer Abkehr von Stoffdurchflußsystemen hin zu Kreislaufsystemen.

Die sozialwissenschaftliche Sichtweise wird dann im zweiten Teil mit zwei juristisch orientierten Beiträgen eingeleitet. Zunächst befaßt sich P. Kunig mit den schon existierenden sowie künftig erforderlichen rechtlichen Ansätzen einer Stoffstrompolitik u.a. für den Abfallbereich. Im Mittelpunkt steht hier die Frage, an welchem Punkt der produktiven Wertschöpfungskette zwischen Materialgewinnung und Produktlebensende welche Regelungen mit welchen Folgen ansetzen können. F.-J. Peine konzentriert sich dann in seinem Beitrag auf die Altlastenproblematik, ihre Besonderheiten aufgrund des per se nachsorgenden Regelungscharakters sowie die bisherige Entwicklung des Altlastenrechts in den verschiedenen Gebietskörperschaften und im Hinblick auf die Entwürfe des geplanten Bodenschutzgesetzes sowie des Umweltgesetzbuches.

M. Jänicke nimmt dann eine wesentlich breitere Perspektive ein, indem er Betrachtungen zu Begriff, Indikatoren, Erfordernissen, Ansätzen und Maßnahmen einer ökologischen Ressourcenpolitik anstellt. Vor dem Hintergrund der aktuellen Sustainability-Debatte hebt er vor allem die Bedeutung geeigneter Indikatoren hervor, weist aber zugleich auf die an einigen Länderbeispielen aufgezeigten Datenlücken sowie Stoffakkumulations- und -wechselwirkungsproblematiken hin, die die Suche nach solchen Indikatoren sowie ihren Einsatz erschweren. Mit Blick auf konkrete Maßnahmen betont er schließlich die Notwendigkeit einer Modernisierung der Politik im Sinne des Einsatzes neuer Steuerungsmechanismen zur Realisierung einer ökologischen Modernisierung der Gesellschaft. Vor dem Hintergrund der internationalen Klimaschutzdiskussion vergleicht dann L. Mez das dänische mit dem aktuell diskutierten deutschen klimapolitischen Instrumentarium. Dabei geht er auf die generellen Erfordernisse ("Effizienzrevolution") und zugleich die wesentlichen strukturellen Hindernisse ihrer Umsetzung wie gewachsene Machtlagen und institutionelle Gegebenheiten ein. Auf der Akteursebene der Unternehmen befaßt sich im Anschluß daran M. Stitzel mit deren Möglichkeiten und Grenzen, Initiator einer ökologischen Umorientierung sein zu können. Ausgangspunkt ist dabei die These, daß Unternehmen generell gute Voraussetzungen für aktiv umweltverträgliches Handeln besitzen und daß sich Staat und Unternehmen für eine Politik zur ökologischen Umorientierung ergänzen müssen. Er untersucht das diesbezügliche unternehmerische Potential anhand der drei Ebenen der kurzfristigen Ertrags- und Kostenorientierung, der strategischen Orientierung sowie der Unternehmensethik mit dem Ergebnis, daß eine solche Umorientierung des synergetischen Zusammenwirkens aller drei Ebenen bedarf, da jede für sich isoliert zu kurz greift und an den Realitäten scheitert.

Vor allem die globalen Wirtschaftsverflechtungen und die Verteilung von ökologischen und finanziellen Ressourcen stehen im Mittelpunkt des Beitrags von E. Altvater. Angesichts der Entwicklung dieser Verflechtungen gerade zwischen "Rohstoffländern" und "Industrieländern" sieht er die zentralen Punkte künftiger internationaler Umweltregime in der Frage, welche Rolle Preise und Weltmärkte spielen bzw. welche Entscheidungssouveränitäten den Nationalstaaten innerhalb solcher Regime verbleiben. Eine ebenfalls globale Fragestellung behandelt M. Nitsch - allerdings auf der regionalen Ebene - mit der instrumentellen Debatte um die Tropenwaldproblematik, indem er die jüngste Praxis der sogenannten "Zonierung" in einer brasilianischen Region, d.h. der Einteilung eines bestimmten Gebietes in Zonen unterschiedlicher Nutzungsintensität (von Siedlungsgebieten bis zum geschützten Primärwald) analysiert. Er kommt allerdings zu dem Ergebnis, daß der erste Anschein eines erfolgversprechenden Wegs zu einer nachhaltigen Regenwaldnutzung bei genauerem Hinsehen verblaßt und sogar intensiver werdende Nutzung oder weniger Naturschutz nicht auszuschließen sind.

In zwei weiteren Beiträgen steht das Thema Umweltbewußtsein im Zentrum. Zunächst erläutert G. de Haan anhand empirischer Studien, daß sich ein linearer Zusammenhang zwischen den drei Komponenten Umweltwissen, Umweltbewußtsein und Umweltverhalten nicht nachweisen läßt und skizziert einige sich daraus ergebende Konsequenzen für Politik und Bildung. E. Hoff und T. Lecher stellen im Anschluß daran die Frage nach der Relevanz von Umweltbewußtsein in der Arbeitspsychologie bzw. generell im Arbeits- und Berufsleben, benennen einige wesentliche Defizite der bisherigen Umweltbewußtseinsforschung und stellen verschiedene Kategorien einer Systematisierung in bezug auf qualitativ unterschiedliche ökologische Bewußtseinsstrukturen vor, auf deren Basis nicht zuletzt Handlungsanleitungen für die Politik gegeben werden können.

Die beiden letzten Beiträge kreisen schließlich um das Thema Risiko und Unsicherheit. J. Conrad beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Unsicherheit, Risikopolitik und Technikentwicklung bzw. -politik und seiner Bedeutung für die Umweltpolitik. Er zeigt die politischen Optionen und Relevanzen auf, die infolge der modernen Gesellschaften inhärenten wachsenden Entscheidungsunsicherheit gerade bei Umweltfragen sowie infolge differenzierterer und größerer Risiken durch die Zunahme technologischer Optionen zu beachten sind. Den Abschluß dieses Bandes bildet der Beitrag von D. Böhler, der sich mit der Frage befaßt, welche Hilfestellungen Philosophie und Ethik für umweltpoltiche Handlungsorientierungen bieten können. Ebenfalls ausgehend von den Unsicherheitsbedingungen des Umwelthandelns, den sehr begrenzten Prognosemöglichkeiten und den modernen Risikopotentialen schlägt er für eine durch Technikfolgenabschätzung, Gesetze und Diskursprozesse unterstützte Institutionalisierung von Zukunftsverantwortung letztlich das zentrale Kriterium "in dubio contra projectum" vor.

Mit der Vielzahl der zusammengetragenen Beiträge vermittelt der vorliegende Band ohne Zweifel einen recht guten Eindruck von einigen Ursachen und Folgen verschiedener Umweltproblembereiche, von den unterschiedlichen Ansätzen und Problemen des wissenschaftlichen Umgangs mit ihnen sowie von den Konsequenzen daraus für Entscheidungen in bzw. Handlungsempfehlungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Der Leser erhält einen Eindruck von theoretischen und praktischen Untersuchungsansätzen in verschiedenen Fachrichtungen. Im Hinblick auf den Anwendungsbezug der Umweltforschung stellen die drei Herausgeber in ihren einleitenden Bemerkungen - zu recht - vor allem drei Punkte in den Mittelpunkt: Erstens die Dilemmata der Wissenschaft zum einen zwischen unsicheren Aussagen und den Erwartungen der Öffentlichkeit in Richtung rascher und verläßlicher Entscheidungshilfen, zum anderen zwischen der "klassischen" Wertabstinenz der Wissenschaft und dem gesellschaftlichen Beratungs- und damit auch Bewertungsbedarf. Zweitens die in allen Disziplinen begrenzten Möglichkeiten, mit notwendigerweise komplexitätsreduzierenden, aber dennoch häufig verwendeten, modell-analytischen Methoden die Realität und ihre Entwicklung abbilden und untersuchen zu können. Drittens die Notwendigkeit, die einzelnen disziplinären wissenschaftlichen "Teilwelten" für sich genommen und vor allem in ihren Beziehungen zueinander zu verstehen und zu nutzen. Daher wird heute umfassende Interdisziplinarität zunehmend als wesentlicher Eckpfeiler wissenschaftlicher Handlungsempfehlungen unter Unsicherheitsbedingungen eingeschätzt.

Leider finden sich jedoch diese drei Aspekte in den Beiträgen dieses Bandes nicht mehr in entsprechender Weise wieder. Auf der einen Seite sind sicherlich manche Ausführungen gemessen an ihrem Thema ziemlich komprimiert bzw. knapp ausgefallen, mit der Folge, daß bestimmte Aspekte nicht oder nur andeutungsweise behandelt werden und der Blick über den eigenen thematischen und vor allem den disziplinären Tellerrand selten stattfindet. So spielt beispielsweise bei den Betrachtungen über Unternehmen als mögliche Initiatoren ökologischer Umorientierung ausschließlich die Perspektive der Unternehmen selbst und ihrer verschiedenen internen Entscheidungskriterien eine Rolle, ohne etwa die dafür wichtigen Wechselwirkungen mit und Abhängigkeiten von politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Präferenzen zu thematisieren. Ähnliches gilt für die Ausführungen zu den rechtlichen Ansätzen der Regulierung von Stoffströmen, in denen der Konnex zu naturwissenschaftlichen Aspekten (z.B. das Problem unterschiedlicher Stoffeigenschaften und deren Bewertung) oder ökonomisch-politischen Fragestellungen - beides erfahrungsgemäß im Gesetzgebungsprozeß von erheblicher Bedeutung - zu undeutlich bleibt. Schließlich wird in dem Beitrag zur Klimaschutzpolitik in dem zentralen Punkt der Maßnahmen und Instrumente zu wenig sowohl auf die Möglichkeiten und Probleme der einzelnen Instrumente als auch auf andere, die potentielle Wirksamkeit klimapolitischer Strategien beeinflussende Faktoren wie bestimmte Konflikte zwischen Akteuren und Themen oder die Wahrnehmung und Verarbeitung der Klimathematik in der Gesellschaft eingegangen. All diese Reduzierungen mögen der Zielsetzung der Herausgeber, ein möglichst breites (universitäres) Publikum ansprechen zu können und ihrem Wunsch, den Umfang des Bandes in Grenzen zu halten, zuzuschreiben sein. Potentielle Nutzanwender, die die vorgelegten einzelwissenschaftlichen Bausteine zu einem integrierten interdisziplinären Ansatz zusammenfügen wollten, bleiben jedoch in diesem Bemühen ziemlich alleingelassen, zumal die Beiträge auch bis in die Sprache hinein der jeweiligen Disziplin weitgehend verhaftet bleiben, wie die Herausgeber auch selbst einräumen.

Auf der anderen Seite ist es aber auch leider versäumt worden, diesen zunächst weitgehend unverbundenen einzelnen Beiträgen quasi einen übergeordneten Beitrag hinzuzufügen, in dem versucht wird, sowohl die Essenzialität fach- und themenübergreifenden Denkens in der Umweltforschung zu vermitteln als auch die Möglicheiten und Schwierigkeiten seiner Realisierung zumindest anzudeuten und zu thematisieren. Anhand etwa der Klimaproblematik könnte dies sehr schön gezeigt werden. Sie ist ein herausragendes Beispiel für einen weit in sämtliche gesellschaftliche Bereiche hineinragenden Problembereich und für die Notwendigkeit gemeinsamer natur- und sozialwissenschaftlicher Untersuchungen. Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen kann hier einiges gesagt werden zu den Grenzen klima- bzw. naturwissenschaftlicher Modellrechnungen, zur Rolle der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Klima, seiner Änderung und den Folgen, zu adäquateren Methoden des Umgangs mit natur- und sozialwissenschaftlichen Unsicherheiten und schließlich auch dazu, wie all dies in Wechselwirkung zu Möglichkeiten und Hemmnissen konkreter Handlungsstrategien steht. Genau diese Wechselwirkungen und Zusammenhänge sind es, die den entscheidenden Kern der Klimaproblematik ausmachen und angemessenes Handeln in Forschung und Politik erfordern.

Prinzipiell ähnliche Zusammenhänge - wenn auch in durchaus unterschiedlicher Gewichtung und Intensität - gelten für viele andere Umweltproblembereiche. Als Fazit ist daher festzuhalten: Gemessen an der Themenstellung - "Umwelt global - Veränderungen, Probleme, Lösungsansätze" - sowie an den heute schon bekannten und diskutierten Erfordernissen wurde in dem hier vorliegenden Band ein wichtiger Schritt bei der Behandlung des Themas nicht gemacht. Er verbleibt häufig auf der Ebene partialanalytischer Betrachtungen. Die einzelnen Puzzlestücke sind zwar jeweils geformt, aber nicht zu einem Gesamtbild zusammengesetzt worden. Damit wird sein zweifellos potentiell vorhandener Nutzanwendungswert gerade im Hinblick auf "Lösungsansätze" entsprechend reduziert.

Bibliographische Angaben

M. Jänicke; H.-J. Bolle; A. Carius (Hrsg.): "Umwelt global. Veränderungen, Probleme, Lösungsansätze". Berlin: Springer Verlag, 1995. ISBN 3-540-58018-2.