Probleme der Interessenberücksichtigung diskursorientierter TA-Verfahren

Diskussionsforum

Probleme der Interessenberücksichtigung diskursorientierter TA-Verfahren

Zur Sondierung eines argumentativen Terrains - vorgenommen am Beispiel eines TA-Projektes zu gentechnologisch veränderten, herbizidresistenten Kulturpflanzen

von Wolfgang Bernschneider

Von 1991 bis 1993 ist am WZB ein Projekt zur partizipatorischen/diskursiven Technikfolgenabschätzung für das Beispiel herbizidresistenter Nutzpflanzen durchgeführt worden (Van den Daele 1994). Dieses Projekt hat deutliche Aufmerksamkeit gefunden und zum weiteren Nachdenken geführt (vgl. etwa Gloede 1994, Hennen 1994). Am Beispiel dieses experimentellen Testfalls werden - gewissermaßen maßstabsvergrößert - in verdichteter Form und besonders gut einige essentielle Probleme des Verhältnisses von demokratischer Willensbildung und "technischem Fortschritt" (und entsprechender Demokratisierungsversuche) deutlich. Im folgenden sollen einige dieser Probleme zusammenfassend herausgearbeitet werden:

1) Das TA-Beispiel zeigt die prägende Bedeutung von Vorentscheidungen des organisierenden "neutralen Dritten" (Van den Daele): bis zu Beginn des Verfahrens sind verfahrensprägende oder -leitende Bedingungen abgesteckt, die mehr oder weniger zu einer diskursiven Engführung beitragen können. Gemeint ist die (schließlich umstrittene) Vorentscheidung für den Ausgangspunkt einer sog. "technikinduzierten" TA und - aufgrund der Finanzierungssituation - für eine Untersuchung (nur) der HR-Technik, was weitere thematische Einschränkungen (z.B. bei Gutachtenvergaben) nach sich zog (vgl. Van den Daele 1994, 113, 119). An diesem Punkt wird deutlich, daß diskursive TA nicht ohne (vorgängige) Ressourcenkontrolle gedacht werden kann bzw. daß es zumindest der Eigendynamik des Diskurses auch in dieser Hinsicht überlassen bleiben muß, welchen Gebrauch er davon macht. - Anders gewendet: Im Rahmen der Grenzen einer extern ausgehandelten, projektförmigen Forschungs- bzw. TA-Finanzierung (vgl. z.B. Stichweh 1994) werden jene Grenzen in (wenn auch mittelbar wirksame) Verfahrens-Inklusionen/Exklusionen transformiert. Darauf kann man sich dann einlassen - oder auch nicht. Die sog. "Umweltgruppen" haben diese Implikationen und die Gefahr einer (delegitimatorischen) Verstrickung in diesen (hier: experimentellen) Diskurs von Anfang an (und auch anderweitig "erfahrungsgesättigt") gesehen. Es spricht für die Konsequenz jenes Interesses, die negativ(st)en Folgen jener Selbst-Verstrickung durch Austritt aus dem TA-Verfahren vor seinem Abschluß vermieden zu haben. Daß man dennoch exemplarisch und als "Testfall" durch eine Beteiligung "auf Probe" (oder "auf Widerspruch") lernen (und dies auch so kalkulieren) kann, ist eine andere Frage, die nicht gegen das politische Geschick (die aus der Sicht der "Umweltgruppen" richtige Mischung von "listen", "voice" und "exit") und die Glaubwürdigkeit des Akteurs spricht. Doch stellt sich dann auch die Frage nach der Aussagekraft der so erzielten Verfahrensergebnisse im Detail auch für den "neutralen Dritten". Ebenso stellt sich die Frage, welchen Nutzen die "Anwenderseite" dadurch hat, daß sie im konkreten und noch unverbindlichen Fall die Argumentationen und das Verhalten des Gegenübers detaillierter einschätzen lernte.

Die organisatorisch-strategischen Vorentscheidungen vor Verfahrensbeginn tragen jedoch erheblich zur "Formierung" (Erdmenger/Fach 1992) von Diskursen bei, die durch weitere Festlegungen, die nolens volens in der Folge vielleicht geschehen, weiter verdichtet werden können (Gutachterthemen, Ressourcenverteilung, Verfahrensmodi wie "Schweigen = Zustimmung", inhaltliche Prämissen usw.).

2) Wie berichtet wird (Van den Daele 1994, 127), akzeptierte die TA "implizit den Selbstlauf des technischen Wandels als Ausgangspunkt", was freilich nicht allein eine spezielle Steuerungs- und Entscheidungsferne des (experimentellen) TA-Projektes bedeutet, sondern tendenziell eine allseits festgestellte (oder "implizit" eingestandene) besondere Entscheidungs-Schwierigkeit. Anders gewendet: Wer sich gegen jene Entwicklungsdynamik stemmt, kann gleichwohl kaum verbindlich dagegen entscheiden, vielleicht kaum dagegen diskutieren, sondern sich allenfalls anpassen. Diese spezielle "Abschließung" (Erdmenger/Fach) des Assessment-Raumes garantiert in der Tendenz, daß jener Raum dann im folgenden "diszipliniert" und "richtig" genutzt wird/werden kann. Denn Gestaltung und Steuerung einer (soweit entstanden) "gesellschaftlichen Maschine" (Mittelstraß 1992) setzt nach diesem Verständnis eine Grundsatzentscheidung und eine positive Einstellung für den sog. "technischen Fortschritt" zunehmend voraus - wie weit diese im einzelnen auch reichen mag. - Diese Situation wird unterstrichen durch den Eindruck, man betreibe (fast) bloß eine Art "vorgezogener Zulassungsprüfung" für die Zulassungsbehörden (Van den Daele 1994, 127), was Probleme des "Selbst"-Verständnisses des Verfahrens und seines Sinns und Zwecks aufwarf. Sie wird ebenfalls (und vor allem) durch die Problematik eines "Technikmoratoriums" während einer TA unterstrichen, was offenbar gefordert, jedenfalls thematisiert worden war. Van den Daele faßt hier die Gegenposition zusammen: "Kein Unternehmen könne an einem solchen Verfahren teilnehmen, wenn die Bedingung wäre, daß es jahrelang auf die Weiterentwicklung der Technik verzichtet, die Gegenstand der TA ist. Das ist zweifellos richtig." (1994, 125) Auch wenn es hier noch nicht um die breite kommerzielle Anwendung, sondern lediglich um die "Weiterentwicklung" der Technik geht, so zeigt dieser Punkt doch deutlich das Problem der Schaffung vollendeter Tatsachen ("graduell" verstanden). Während die einen handeln, diskutieren die anderen (noch) über vormals festgelegte Themen, die womöglich nicht mehr (ganz) dem aktuellen Stand entsprechen.

3) Der Selbst-Verstrickung der Protestpotentiale durch Inklusion in das TA-Verfahren folgt eine spezifische und asymmetrische Beruhigung und Intimisierung (vgl. auch Erdmenger/Fach 1992) im Umgang mit der Technik und dem Interessen-Terrain: während die "Umweltgruppen" veranlaßt wurden, ihre Einwände Stück für Stück offenzulegen, was sie berechenbar (und bis zu einem gewissen Grad "steuerbar") macht, geschah dies hier für die Technikbefürworter offenbar nicht im gleichen Maße. Denn es fand eine spezielle "Virtualisierung des Politischen" statt (Van den Daele 1994, 116): Politische Fragen, "etwa Machtverhältnisse und Handlungsoptionen im Konfliktfeld oder die Interessen und Strategien der beteiligten Akteure zum Gegenstand von Gutachten zu machen" - das wurde nicht aufgegriffen (ebd., 119). Wie freilich letztlich eine gesellschaftliche Risikoanalyse ganz ohne Untersuchung von Anwendungs- und Verbreitungskalkuelen und -strategien auch der einschlägigen "Branche(n)" stattfinden kann, erscheint unklar. Van den Daele schreibt hierzu: "Da diese Fragen durchweg normativ (?, WB) sind, können sie nur bedingt empirisch behandelt werden. Aus Proporzgründen wären jeweils Gegengutachten der 'anderen Seite' notwendig gewesen, was den gegebenen Ressourcenrahmen gesprengt hätte." (ebd., 119) Während somit die (potentielle) Technik-Opposition ihr argumentatives und damit weitgehend auch Handlungs-Arsenal offenlegt, können die Technik-Befürworter und -Anwender nicht allein weiterhin "vollendete Tatsachen" schaffen, es bleibt (in diesem Rahmen) auch unklar, nach welchem allgemeinen und speziellen "Muster" sie das jeweils gerade tun.

4) Hierzu paßt ein auf den ersten Blick unproblematisches Symmetrieverständnis: "Im Rahmen freiwilliger TA-Verfahren müssen die Partizipationsbedingungen symmetrisch sein; sie können nicht allein an den Ansprüchen der Technikkritiker ausgerichtet sein. Strukturelle Benachteiligungen der Opposition in der Gesellschaft dürfen auf die Position im Verfahren nicht durchschlagen. Aber sie können nicht durch Bevorzugung im Verfahren kompensiert werden" (Van den Daele 1994a, 116). Warum eigentlich nicht? - Das Hauptproblem scheint auf der Ebene des "freiwilligen" Zustandekommens jenes TA-Diskurses zu liegen, denn es waren mannigfache "Berührungsängste" abzubauen: während die Industrie argwöhnte, "daß sie öffentlich 'vorgeführt' werden sollte" (ebd., 120), befürchteten die Umweltgruppen eine Absorption ihres Protestpotentials. - Der entscheidende Punkt scheint aber doch zu sein, daß im Gewande (und aufgrund!) nur formaler Verfahrens- (Ressourcen-) Symmetrie (vgl. auch ebd., 122) bereits faktische Unterlegenheit der Opposition in diesem Verfahren akzeptiert werden mußte - sonst wäre dem Anschein nach nicht einmal jenes TA-Arrangement zustandegekommen (vgl. hierzu auch Gloede 1994, 175). Pointiert: Bereits das Zustandekommen dieser Art von Verfahrens-Symmetrie setzt offenbar einen spezifischen "Unterwerfungs-" (weniger dramatisch: thematisch-strategischen Unterlassungs-) Akt der Opposition voraus, während die "handelnde" Seite auch ohne Verfahren weiter handeln könnte (und dies in diesem Fall auch getan hat). - Zumindest auf der programmatischen Ebene (und in einer weiteren Hinsicht) erweist sich hier ein anderes Beispiel als konzeptionell weitergehender: Denn das Ziel des in Nordrhein-Westfalen durchgeführten Landesprogramms zur "Sozialverträglichen Technikgestaltung" sollte gerade darin bestehen, "die Durchsetzungschancen derjenigen gesellschaftlichen Bedürfnisse und Interessen zu stärken, die von der technischen Entwicklung besonders betroffen und strukturell benachteiligt sind ..." (Heinemann 1988, 98; vgl. auch v. Alemann/Schatz 1987, 34) - was natürlich noch nichts über Einzelheiten und Effekte in jenem Kontext aussagt.

5) Es ist schließlich das Verdienst des WZB-Projektes, auf ein anderes Problem der Technologie- und TA-Debatte aufmerksam gemacht zu haben: das der häufig unscharfen/unklaren Begrifflichkeit auf jenem TA-Felde. Daß letzten Endes eine "technikinduzierte" TA auf einen "probleminduzierten" Ansatz verweist (und vice versa), daß in Wahrheit eine "Kumulation und Kooperation aller verschiedenen Ansätze" angestrebt werden müsse, stellt Van den Daele fest (1994, 114). Darüber hinaus sind mehr oder weniger ungenaue Unterscheidungen in der allgemeinen Debatte nicht unüblich (vgl. etwa Gloede 1994, 150) und vor allem in neuerer Zeit eine fast inflationäre Verwendung des Diskursbegriffes für unterschiedliche Phänomene (vgl. hierzu auch Hennen 1994, 454). "Monolog" / Analyse, Dialoge und eben - Diskurse in einem etwas engeren Sinne: all dies scheint mit dem Diskursbegriff inzwischen abgedeckt und "verwaschen" zu werden (präziser hierzu: Erdmenger/Fach 1992, 252). Darüber hinaus wird ebenso deutlich, wie wenig Risiko- und Nutzen- (Bedarfs-) Orientierung der TA-Fragestellungen letztlich (und inzwischen) auseinanderzuhalten sind: der entgangene ökonomische Nutzen als Risiko (anderer Art), das technische Risiko als potentieller (eben auch volks-wirtschaftlicher) Schaden. Auch in dem fraglichen TA-Verfahren konnten beide Aspekte letztlich nicht getrennt werden (Van den Daele 1994, 128 f). Auf dem Felde des (inter- und intranationalen) Modernisierungs- und Technologiewettlaufs liegen solche Aspekte oft eng beieinander: etwa nach dem Muster der Exterritorialisierung/Externalisierung der Risiken (z.B. Giftmüllexporte) und Nationalisierung/Internalisierung des (ökonomischen) Nutzens. Es steigt generell, wie es scheint, die "Risiko"-Bereitschaft: Weil jene (auch) das technologische/technische Risiko um des ökonomischen Vorteils willen eingehen, glauben diese, es grundsätzlich auch zu müssen (allgemeines Beispiel: Gentechnologie als angebliche "Schlüsseltechnologie").

6) Van den Daele schreibt an anderer Stelle: "Wir wissen aus Erfahrung, daß Eingriffe in die Umwelt weitverzweigte Folgen haben und kleine Ursachen große Wirkungen auslösen können. Aber wir sind kaum in der Lage, diese Erfahrung zu antizipieren" (1993, 224). Das gilt erst recht für lange Zeiträume, wobei die Gentechnologie allgemein als prominenter Fall einer mit womöglich sehr langfristigen und wohl auch ungewissen Wirkungen verbundenen Technologie gelten kann (vgl. hierzu etwa auch Bonß u.a. 1992). Hier wird eine zeitliche Asymmetrie deutlich, die darauf hinausläuft, etwaige Risiken in die Zukunft zu vertagen (um des gegenwärtigen, besser abschätzbaren Nutzens willen). Es werden "Asymmetrien" des TA-Verfahrens sichtbar: Im Zentrum stand hauptsächlich die Risikoproblematik, während Nutzenüberlegungen einen deutlich geringeren Raum einnahmen und die Alternativen zur HR-Technik nur eine begrenzte Rolle spielten (Van den Daele 1994, 126). In diesem Zusammenhang muß auch das große Problem der Beweislastverteilung gesehen werden: Während sie bei Fragen der Risiken der Einführung neuer Technologien zunächst bei den Kritikern lag, traf sie bei Fragen des Nutzens die Befürworter der neuen Technik (vgl. Van den Daele 1994, 128). "Dadurch wird aber keine Symmetrie hergestellt zur Beweislast, die die Kritiker für die Risiken der Technik tragen. Wenn der Nachweis relevanter Risiken mißlingt, kann die Technik nicht verboten werden. Mißlingt der Nachweis eines relevanten Nutzens, kann die Technik ebenfalls nicht verboten werden. Allenfalls kann die öffentliche Förderung eingestellt werden" (ebd.). Selbst dies wäre jedoch nicht unbedingt wahrscheinlich, weil für öffentliche Förderung häufig bereits die "lockere" Plausibilität eines möglichen/erwartbaren Nutzens evtl. auch zusammen mit der Abwendung eines kurzfristigen ökonomischen Nachteils des Empfängers auszureichen scheint.
Im Kern läuft diese Situation auf eine systematische Unterrepräsentation der Interessen künftiger Generationen hinaus, die jetzt noch keine Auskunft darüber geben können, welche Risiken sich ggf. aktualisiert haben werden und welche sie hinzunehmen bereit sind. - Die Bedeutung des Problems wird nicht unbedingt dadurch abgeschwächt, daß der Nachweis der Besonderheit einer gentechnischen Veränderung (im Vergleich zu sonstigen umweltrelevanten Eingriffen) in diesem Fall schwer fällt oder nicht gelingt: Es geht bei diesem TA-Verfahren auch um den Effekt eines (schrittweisen) Distanzabbaus (Erdmenger/Fach 1992) gegenüber der neuen Technologie und ihren Zusammenhängen. Das soll heißen: Sich in diesem womöglich noch relativ "harmlosen" Fall einer gentechnischen Entwicklung auf das Verfahren eingelassen zu haben, kann in folgenden, weniger "harmlosen" Fällen die Distanzierung erschweren.

7) Es stellt sich die Frage nach wissenschaftlich eruierten/fundierten oder politisch festgestellten Bewertungskriterien, nach denen man Techniken und deren Wirkungen beurteilen kann: Partizipationen/Diskurse haben ein "Telos" (oder mehrere), auf das sie ausgerichtet sind, eine "Matrix", die dem argumentativen Auftreten unterliegt, was sich in der Interaktion mit dem "Gegenüber" verändern kann (und hier auch können darf). Van den Daele hat an anderer Stelle (1993) herausgearbeitet, daß einerseits die Möglichkeit entfalle, "Umweltverträglichkeit an einem Minimalstandard zu messen, der nicht politisch, sondern wissenschaftlich operationalisiert wird" (225). Andererseits habe der Konflikt eine durch die Natur selbst vorgezeichnete sachliche Ausrichtung: "Im Zweifel ist die sichere Strategie die möglichst weitgehende Annäherung an den Zustand der intakten, unberührten Natur" (1993, 229). Er behauptet, daß die Existenz einer solchen "regulativen Idee" die Prüfung von Umweltverträglichkeit und (in seinem Sinne) Sozialverträglichkeit unterscheide: "Weder für das Grundproblem der ökologischen Stabilität oder der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts noch für die Annäherung an die Unberührtheit der Natur als Strategie der ökologischen Sicherheit gibt es bei der Gesellschaft eine Entsprechung. Bei der Sozialverträglichkeit geht es nicht um die Erhaltung der Funktionsfähigkeit oder des Gleichgewichts der Gesellschaft. Und es läßt sich kein 'unberührter Gesellschaftszustand' definieren, der jenseits allen politischen Meinungsstreits so etwas wie das Ideal der 'verträglichen' sozialen Gestaltung repräsentiert" (ebd.). - Eine solche Perspektive läßt außer acht, daß Sozialverträglichkeit etwa in Kategorien der "Besitzstandswahrung" definiert werden und der ökonomisch-technische Modernisierungsprozeß "Modernisierungsgewinner" und "-verlierer" schaffen kann. (Mindest-) "Verträglich" für alle wäre demnach beispielsweise ein Modernisierungsprozeß, der jedenfalls niemandem etwas nimmt, bei dem aber hinzugewonnen werden kann, und der diesen Zugewinn "verträglich" verteilt. Die Ausprägung der leitenden Gemeinwohl-Definition wäre hier die Fragestellung.
Der (weiter gefaßte) Begriff der "Sozialverträglichkeit", wie er im Rahmen des NRW-Programms zur "Sozialverträglichen Technikgestaltung" wirksam wurde/werden sollte, meinte freilich nicht nur diese Dimension des Modernisierungsprozesses, sondern ebenso den Aspekt der Umweltverträglichkeit und jenen der "Demokratie-/Verfassungs-/Diskurs-Verträglichkeit" (ein Bereich, den Van den Daele an dieser Stelle unter der Überschrift "Verträglichkeitsrhetorik" darstellt: 1993, 219 ff, und der "immerhin" die Frage individueller und kollektiver Handlungsfähigkeit von Gesellschaften auch im Bereich der technischen Entwicklung aufwirft). Eine Strategie der Optionenerweiterung zur Sicherung von Handlungsfähigkeiten (Van den Daele im Tagungsvortrag) läßt dies dann als Dimension eines differenzierten Optionen- und Entscheidungs-"Managements" erscheinen, um "Sachzwänge" zu minimieren und (mindestens) die gegenwärtige Reichweite demokratischer Willensbildung zu sichern. Da die drei Dimensionen (Sozial-, Umwelt- und Demokratieverträglichkeit) funktional aufeinander verweisen, wären (jedenfalls öffentliche) TA-Verfahren, die sich von vorneherein "nur" mit technischen Risikofragen und Folgeabschätzungen befassen, legitimatorisch stets defizitär und kritisierbar.

8) Die angesprochene Problematik läßt sich auch als Balance zwischen "Prozeß-" und "Ergebniskontrolle" thematisieren (Van den Daele 1994, 141). "Partizipative TA", so Van den Daele, "legt die Parteien des technikpolitischen Konflikts auf eine begrenzte Kooperation fest in einem Verfahren mit (teilweise, WB) ungewissem Ausgang. Aus der Sicht der beobachtenden Öffentlichkeit ... ist genau dies ein Vorzug. Aus der Sicht der Konfliktparteien liegt darin ein politisches Risiko. Sie legitimieren durch ihre Beteiligung einen Prozeß, bei dem sie nur die Randbedingungen, nicht aber das Ergebnis steuern können" (1994, 143). Dabei sei "Verfahrensgerechtigkeit" der Dreh- und Angelpunkt partizipativer TA-Verfahren. "Wird sie verletzt, ist Rückzug aus dem Verfahren zu erwarten und legitim. Aus einem fairen Verfahren kann man sich dagegen legitimerweise nicht deshalb zurückziehen, weil die sich abzeichnenden Ergebnisse den eigenen strategischen Intentionen zuwiderlaufen" (ebd., 143 f). Ein Rückzug aus einem derartigen Verfahren mit Rücksicht auf die "Realpolitik" werde man dennoch nicht als grundsätzliche Absage an den Diskurs als Form politischer Auseinandersetzung werten dürfen (ebd., 144). - Die Verfahrensgerechtigkeit innerhalb des TA-Verfahrens und der externe Kontext verweisen jedoch aufeinander; insoweit hängt die "Fairneß" der Verfahrenskonzeption und eben die "Offenheit" des Ausgangs davon ab, daß alle tangierten Interessen möglichst "symmetrisch" berücksichtigt und gewichtet werden können. Dort, wo das aus praktischen oder prinzipiellen Gründen in der gesellschaftlichen Realität nicht gelingt oder gelingen kann, können gerade auch diskursorientierte und auf "Symmetrie" angelegte Verfahrensmodelle tendenziell ideologische statt emanzipatorische Funktionen haben.

Literatur

Alemann, U. von; Schatz, H.: Mensch und Technik. Grundlagen und Perspektiven einer sozialverträglichen Technikgestaltung, 2. Aufl., Opladen 1987.

Bonß, W.; Hohlfeld, R.; Kollek, R.: Risiko und Kontext. Zur Unsicherheit in der Gentechnologie, in: Bechmann, G.; Rammert, W. (Hrsg.), Technik und Gesellschaft. Jahrbuch 6: Großtechnische Systeme und Risiko. Frankfurt/New York 1992, 141 ff.

Daele, W. van den: Sozialverträglichkeit und Umweltverträglichkeit. Inhaltliche Mindeststandards und Verfahren bei der Beurteilung neuer Technik, in: Politische Vierteljahresschrift, 2/1993, 219 ff.

Daele, W. van den: Technikfolgenabschätzung als politisches Experiment. Diskursives Verfahren zur Technikfolgenabschätzung des Anbaus von Kulturpflanzen mit gentechnisch erzeugter Herbizidresistenz, in: Bechmann, G.; Petermann, Th. (Hrsg.), Interdisziplinäre Technikforschung: Genese, Folgen, Diskurs. Frankfurt/New York 1994, 111 ff.

Erdmenger, K.; Fach, W.: Kritik der "Sozialverträglichkeit". Am Beispiel des NRW-Programms "Sozialverträgliche Technikgestaltung", in: Grimmer, K.; Häusler, J.; Kuhlmann, S.; Simonis, G. (Hrsg.), Politische Techniksteuerung. Opladen 1992, 251 ff.

Gloede, F.: Technikpolitik, Technikfolgen-Abschätzung und Partizipation, in: Bechmann, G.; Petermann, Th. (Hrsg.), Interdisziplinäre Technikforschung: Genese, Folgen, Diskurs. Frankfurt/New York 1994, 147 ff.

Heinemann, H.: Technikentwicklung und Sozialverträglichkeit, in: Zöpel, Ch. (Hrsg.), Technikgestaltung durch den Staat. Bonn 1988, 91 ff.

Hennen, L.: Technikkontroversen. Technikfolgenabschätzung als öffentlicher Diskurs, in: Soziale Welt, 4/1994, 454 ff.

Mittelstraß, J.: Leonardo-Welt. Über Wissenschaft, Forschung und Verantwortung. Frankfurt/M. 1992.

Stichweh, R.: Wissenschaft. Universität. Professionen. Soziologische Analysen. Frankfurt/M. 1994.

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