The Multimedia Yearbook 1995

Schwerpunktthema: Multimedia

The Multimedia Yearbook 1995

AYRE, JIM; CALLAGHAN, JANE; HOFFOS, SIGNE (eds.): The Multimedia Yearbook 1995. Interactive Media Publications: London 1995 (Druckausgabe / CD-ROM-Ausgabe), 956 S., 295.-- DM. ISBN 1-897603-06-1

Rezension von Knud Böhle (ITAS)

Das Multimedia Yearbook erscheint kontinuierlich seit 1992, wurde immer umfangreicher und umfaßt inzwischen fast 1000 Druckseiten (ca. 2 kg ). Eine CD-ROM-Ausgabe mit zusätzlichen Angeboten - über den gedruckten Text hinaus - ist im Lieferumfang enthalten. Die Konzeption des Jahrbuchs in beiden Varianten wird vorgestellt und nach ihrem möglichen Nutzen gefragt.

Das Druckwerk

Das Jahrbuch ist zum einen ein Nachschlagewerk zu Firmen- und Produktinformationen: mehr als 2000 Firmen und über 1000 Produkte, aufgeteilt in 39 Kategorien (von Acorn Computers über CD-i, Photo CD, Touchscreens bis Workstations) werden charakterisiert. Zum anderen bietet es eine Aufsatzsammlung von 39 durchschnittlich drei bis vier Seiten langen Artikeln zu einschlägigen Stichworten - verfaßt von Fachjournalisten, Beratern oder Firmenrepräsentanten. Den Artikeln sind fünf Rubriken zugeordnet:

1) Marktaspekte, z.B. "Television and Computers", "Multimedia in the Home", "Interactive TV", "Superhighways", "Interactive Advertising",

2) technische Entwicklungen, z.B. "Digital Video", "CSCW", "Multimedia on the Internet", "Consumer Formats",

3) Verlagsthemen, z.B. "Distribution Strategies", "Sex, Lies & CD-ROM", "Exploiting Content",

4) Länderprofile, wobei auêr den meisten west- und nordeuropäischen Staaten Japan, Australien und die USA behandelt werden; ein Beitrag gilt den Multimedia-Förderaktivitäten der Europäischen Kommission,

5) Special Report, genau genommen ein Artikel, der sich im Umfang nicht von den anderen Beiträgen abhebt, zum "Information Highway".

Den Artikeln sind noch zwölf Interviews mit Firmensprechern (von Apple, IBM, Microsoft, Nintendo, Sega u.a.) beigesellt. Abgeschlossen wird der Band mit einer Bibliographie, einem Konferenzkalender, einem recht umfassenden Glossar und verschiedenen Indizes. Werbung und Cartoons (z.B.: Mann mit vorgehaltener Pistole im Videoladen; Unterschrift: Video on Demand), lockern das Druckbild auf.

Die CD-ROM

Um mit der Benutzungsoberfläche der CD-ROM zu beginnen: sie läßt auch, so darf vermutet werden, den wenig geübten Benutzer die richtigen Tasten finden, um die verschiedenen Abteilungen und Funktionen aufzurufen. Über die Ästhetik der modisch "marmorisierten" Tasten ist hier kein Wort zu verlieren.

Die CD-ROM enthält zunächst alle bereits genannten Informationen des gedruckten Bandes, dazu noch zwei Artikel (zur Digital Video Disc und zum Urheberrecht) unter dem Menüpunkt "Stop Press" - soll wohl bedeuten nach Drucklegung, "brandaktuell". Weiterhin werden auch die Beiträge des 94er Bandes noch vorgehalten.

Aus dem Nachschlageteil zu Firmen- und Produkten sind auf der CD-ROM konsequenterweise Datenbanken geworden, deren Abfrage über das Ausfüllen von Formularmasken vergleichsweise einfach erfolgen kann. Recht schnell kann man z.B. aus den fast 4.000 Firmeneinträgen 252 deutsche Firmen, vier Karlsruher Multimediafirmen (ADI Software, ASTARTE, Cinetic, Kodiak Multimedia) herausfiltern oder Produkte und Dienstleistungen rund um die CD-ROM-Technik identifizieren. Die elektronische Ausgabe des Jahrbuchs, und damit ist der Überblick komplett, enthält "extra" noch eine Reihe von "Softwaredemos" und Multimedia-Anwendungsbeispielen; darauf wird weiter unten noch eingegangen.

Der Nutzen

Was hat der an TA interessierte Leser von solch einer Publikation? Gewiß, es handelt sich nicht um TA-Fachbeiträge, aber ebenso gewiß wird jeder, der sich näher mit Multimedia befaßt, etwas in diesem Band finden, was er noch nicht weiß. Wer hat schon einen genaueren Überblick über die Multimedia Entwicklung in den verschiedensten Ländern? Wer könnte auf Anhieb 250 Firmen in Deutschland benennen, die auf dem Multimediamarkt antreten (potentielle Ansprechpartner für Expertengespräche) oder an die 70 PC-Autorensysteme (70 Arten, das Schreiben und herkömmliche Verfahren der Informationsdarstellung zu verändern)?

Interessenhalber wurden einmal die Einträge zu CD-ROM-Recordern mit einer Marktübersicht in einer Fachzeitschrift (Screen Multimedia 6/1995) verglichen. Neun Geräte werden im Jahrbuch angeführt, 14 in der Zeitschrift. Da aber nur drei Geräte in beiden Quellen vorkommen, sind auch die Hinweise im Jahrbuch nützlich; kritischer ist schon die mangelnde Aktualität - eine Kritik, die noch mehrfach anzubringen sein wird -, die sich hier an den ausgewiesenen Preisen festmacht, die bei identischen Geräten bis zu 100% höher liegen als in der aktuellen Marktübersicht.

Gehen wir näher auf die Artikel ein, so fällt zunächst die Vollmundigkeit mancher Überschriften auf, denen die Ausführungen nicht nachkommen. Wenn etwa die "Economics of Multimedia Publishing" auf das CD-ROM-Geschäft geschrumpft werden, dann bleibt auch ein durchaus materialhaltiger, datenreicher Artikel enttäuschend. Eine Stärke des Jahrbuchs liegt tatsächlich in der Fülle von Daten und Einzelbeobachtungen, die insgesamt, artikelübergreifend zusammengetragen werden können. Der Länderbericht zur Bundesrepublik von M. Lorenz (Futuretainment) trägt u.a. folgende interessante Zahlen bei: 700.000 CompuServe Nutzer, 700.000 Premiere Abonnements, 1,2 Millionen ISDN Anschlüsse, 30.000 verkaufte Peter Gabriel Xplora CD-ROMs, 700.000 installierte CD-ROM-Laufwerke und 497.000 Btx Nutzer. Zwar dürften solche Angaben vor allem wegen der Gröênordnung interessieren, aber die sollte dann wenigstens stimmen. Einmal anhand der BTX-Statistik der Telekom vom 22.7.1995 überprüft, die 829.128 Btx-Anschlüsse aufführt, muß selbst das Vertrauen in die richtige Gröênordnung mancher Zahlen ins Wanken geraten.

Auch andere Artikel leiden deutlich unter mangelnder Aktualität, so der Überblick über die Multimedia-Aktivitäten der Europäischen Kommission, der zwar schon in groên Zügen die multimedia-relevanten Programme im Vierten Rahmenprogramm benennen kann, aber von keiner einzigen Ausschreibung weiß (der frühe Redaktionsschluß November 1994 mag das erklären). Dessen ungeachtet bestätigt sich auch hier, daß der Leser immer wieder auf interessante Einzelheiten stößt; so weiß vielleicht doch nicht jeder, daß die DG X (Information, Kommunikation und Kultur) einen "Media Investment Club" unterhält, der unter dem MEDIA-Programm (Measures for Encouraging the Development of the Audio-Visual Production Industry) ins Leben gerufen wurde, Projekte ausschreibt und Erhebungen durchführt.

Wenngleich viele Artikel hauptsächlich wegen der Fakten von Interesse sind, gibt es doch einige, die die Brisanz des gesellschaftlichen Wandels spürbar werden lassen. Beispielsweise macht der Artikel "Hollywood Goes Online" mit einer Tour durch die Firmenzusammenschlüsse von Filmindustrie (namentlich MCA, MGM, Sonys Pictures Entertainment, Twentieth Century Fox, Paramount Disney und Warner bros.) und Computerfirmen (i.w.S.) die aufkommende wechselweise Verdoppelung von Film und Computerspiel, vielleicht sogar ihre Konvergenz, sehr nachdrücklich klar. Ein anderes gutes Beispiel liefert der Artikel zum "Information Highway", der den "coming communication war" in den USA (S. 201) skizziert, an dessen Ende vielleicht nicht nur ein Breitbandkabel, sondern zwei in jeden Haushalt führen, und nicht eine integrierte Informationsinfrastruktur stehen wird, "but rather a network of networks or system of systems that can exchange information and services in a cohesive manner" (ebd.). Beide Entwicklungen sind ohne Zweifel TA-relevant.

Die Multimediabeispiele auf der CD-ROM sollten zum Schluß noch positiv herausgehoben werden, da sie eine Anschauung vom state of the art vermitteln. Sehr ansprechend sind die "Living Books", Kinderbücher von Brôderbund, die man sich am besten als eine Mischung aus Bilderbuch und Zeichentrickfilm vorstellt. Zwei Nutzungsarten sind vorgesehen: einmal wird der Text der Geschichte, der auch auf den Bildseiten erscheint, wahlweise von einer englischen oder spanischen, professionellen Sprecherstimme vorgelesen (Großmutterersatz?), wobei das Kind nur die Seiten "umzublättern" braucht; im Spielmodus kann das Kind darüber hinaus Tiere, Blumen und alle möglichen Gegenstände auf dem Schirm "anklicken" und diese damit für kleine Sequenzen animieren, d.h. zum Sprechen und Bewegen bringen. Die Anmutung dieser "elektronischen Bücher" steht auf dem Niveau guter Zeichentrickfilme.

Beachtenswert sind auch die Anwendungen von Dorling Kindersley, die durch gute Typografie, interessante Inhalte und Spielideen - vor allem für Jugendliche - auffallen. Das Buch "The way things work" von David Maccauly, in dem alle möglichen Werkzeuge, Geräte, Maschinen und Naturgesetze mit Ton, Animation und Humor erklärt werden, ist vielleicht das gelungenste der fünf gezeigten Beispiele. Die Firma Microsoft ist mit einer breiten Palette von etwa 50 kleinen Demos vertreten, die von der Multimedia-Enzyklopaedie über die Musikerserie (Schubert, Mozart, Beethoven, Strawinski, Strauß) bis zu Computerspielen reicht - übrigens wird auch gleich eine Reihe von Microsoft Spielen fertig zum Kopieren auf die Festplatte mitgeliefert (Golf, Schach u.a.).

Fazit: Obwohl das Jahrbuch analytisch kaum in die Tiefe geht und viele Daten nun gerade nicht á jour sind, ist es als Fundgrube und Einstieg recht nützlich. Das umfangreiche Werk ist mit einem Preis von 295,-- DM nicht einmal überteuert. Aber als must kann es wegen der angesprochenen Defizite (trotz aller Demos, Spiele und Shareware) nicht eingestuft werden.