Aneignungs- und Nutzungsweisen Neuer Medien – Intuition, Kreativität, Kompetenz

Tagungsberichte

Aneignungs- und Nutzungsweisen Neuer Medien – Intuition, Kreativität, Kompetenz

Bericht von der CultMedia-Jahrestagung 2014

Karlsruhe, 2.–4. November 2014

von Björn Egbert und Antje Zapf, Universität Potsdam

Angesichts des wachsenden Einflusses der sog. Neuen Medien, v. a. des Internets inklusive der sozialen Netzwerke, in allen Bereichen des privaten, beruflichen und gesellschaftliche Lebens sind auf nationaler und internationaler Ebene Forschungen zur Aneignung und Nutzung dieser Medien zunehmend wichtig. Die Auswirkungen von Globalisierungsprozessen auf die Mediennutzung und umgekehrt machen international vergleichende Betrachtungen dieser Wechselwirkung unverzichtbar. Analysen zu Veränderungen kultureller Praxen etwa bei Nutzungsmustern, -motivationen und -situationen, die im Zusammenhang mit der Anwendung der Neuen Medien stehen, sollen helfen, Chancen und Gefahren zu erkennen und zu beurteilen. Insofern stellt sich die Frage neu, wie die sich ständig verändernden Möglichkeiten und Auswirkungen des Internets hinsichtlich neuer Formen der Information, Kommunikation und Kooperation im Bereich der Kultur des Alltäglichen einzuschätzen sind. In diesem Zusammenhang stehen die diskutierten praktischen Aspekte, ob die Gefahren durch gezielte Vorbereitung der Nutzer kontrolliert werden können und/oder ob eine vernünftige Medienentwicklung möglich ist. Sind die globalisierten Neuen Medien überhaupt noch steuerbar?

Die Jahrestagung des International Network on Cultural Diversity and New Media (CultMedia-Netzwerk) widmete sich dem wissenschaftliche Ziel, Einflüsse technisch geprägter Medien auf der Grundlage unterschiedlicher disziplinärtheoretischer Zugänge in multidisziplinärer Perspektive zu erfassen. Sie wurde, mit beachtenswerter Resonanz, im Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse des Karlsruher Instituts für Technologie veranstaltet.[1]

1     Im Fokus: technisch vermittelte Kulturen

Dass Diversität innerhalb des Netzwerks nicht nur in thematischer Hinsicht im Fokus steht, verdeutlichte die Jahrestagung sowohl durch die Nationen, die von den fast 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmern vertreten wurden (Deutschland, Polen, Tschechische Republik, Spanien), als auch hinsichtlich der von ihnen ausgeübten Fachdisziplinen (Philosophie, Soziologie, Ethik, Erziehungs-, Medien-, Kultur-, Verwaltungs-, Rechts- und Betriebswirtschaft sowie Informationstechnik, Romanistik und Sprachwissenschaft). Deren spezifische Sichtweisen bereicherten die Diskussionen der Tagung maßgeblich, wovon letztendlich alle vertretenen Fachgebiete profitierten. Die Verzahnung unterschiedlicher Fachperspektiven erfordert aber auch vergleichende Theoriediskussionen und einen interdisziplinär nachvollziehbaren Umgang mit den grundlegenden Kategorien zum Forschungsgegenstand. Beispielsweise hatte Hans-Joachim Petsche 2014 das Internet aus technikphilosophischer Perspektive als Mittel, Medium und als Milieu gefasst. Jedoch arbeiten etwa Techniksoziologen mit anderen Milieubegriffen. Entsprechend folgte daraus eine Diskussion darüber, ob das Internet ein neues Milieu sei, ob es Milieus modifiziere und ob der Milieubegriff überhaupt noch zeitgemäß sei, wenn die Wirkungen der Neuen Medien interdisziplinär zu diskutieren sind. Wäre nicht die Betrachtung von internetbasierten neuen Lebensstilen zielführender? Umfangreiche Diskussionen gab es auch zur Kategorie Raum/sozialer Raum/Lebensraum. Ist der Cyberspace ein neuer Raum, in dem Menschen durch Herauslösen aus realen Räumen leben können? Ist deshalb ein zunehmender Realitätsverlust bei den Nutzern der Neuen Medien zu befürchten? Gepaart mit Beiträgen von Praxisvertretern ausWirtschaft und Öffentlichkeit ergaben sich auch zu dieser Kategorie interessante Diskussionen.

Dass nicht zuletzt die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ausgesprochenes Ziel des CultMedia-Netzwerks war und ist, zeigte sich auch auf dieser Konferenz darin, dass jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Prä- und der Postphase der Promotion die Möglichkeit gegeben wurde, ihreÜberlegungen in einer internationalen Konferenzsituation darzustellen.

Im Rahmen der Tagung wurde die bereits etablierte Diskussion zum Fragenkomplex des Themenfelds technisch vermittelte Kulturen fortgesetzt. Dabei standen die Nutzerinnen und Nutzer und deren Aneignungs- und Nutzungsweisen sowie damit verbundene Nutzungsbedingungen Neuer Medien im Fokus, wobei die drei Gesichtspunkte Intuition, Kreativität und Kompetenz, die einzeln oder in Kombination als antreibende Kräfte für den kulturellen Wandel sorgen, den diesjährigen Diskurs mit seinen 20 Präsentationen leiteten. Dies erfolgte vor dem übergreifenden Anliegen des CultMedia-Netzwerks, die bei nationalen Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse in einer international vergleichenden Perspektive anzugehen.

Die Tagung war eine der vortragsreichsten in der Geschichte des Netzwerks. Das Spektrum reichte von Beiträgen, die kulturelle, soziale und ökonomische Voraussetzungen sowie Folgen der Mediatisierung und Virtualisierung vielfältiger Bereiche der Lebenswelt analysierten, über Vorträge, die den Stand bestimmter informationsgesellschaftlicher Entwicklungen sowie die Verfügbarkeit und Nutzung der Neuen Medien in verschiedenen Ländern der EU verglichen, bis hin zu Vorträgen, die kognitive, ethische und institutionelle Faktoren bzw. Bedingungen, die für die weitere Ausprägung der Informations- und Wissensgesellschaft relevant sind, herausarbeiteten.

In drei thematisch abgegrenzten Sessions wurden die zahlreichen Beiträge vorgestellt und diskutiert. Der Einstieg in den fachwissenschaftlichen Diskurs erfolgte in der Session „Gemeinschaftsbildung/Soziale Netzwerke“, welche thematisch auf die Modifizierung (z. B. Ausweitung, Ersetzung, Verödung, …) bestehender kultureller Räume durch die sich intensivierende Verschränkung von realer und virtueller Welt fokussierte. Zentrale Vortrags- und Diskussionsgegenstände der Session „Kompetenzausbildung und Bildung“ bestanden einerseits in der Diskussion der Frage, welche Auswirkungen Neue Medien auf die Kompetenzen der User haben (können) und andererseits, welche ggf. neuen Kompetenzanforderungen aus den Neuen Medien an die Nutzer resultieren. Dabei stand die Rolle des handlungsfähigen Menschen im Sinne der Allgemeinbildung in einer Welt des medial getragenen Virtuellen im Fokus. In der dritten Session „(Nutzungs-)Kulturen in Neuen Medien“ wurden gesellschaftlich relevante Umgangsweisen von Individuen untereinander und mit verschiedenen Realitäten erörtert. Die vielfältigen Beziehungen und gegenseitigen Einflussnahmen von Neuen Medien auf User (und umgekehrt) sowie deren Habitus in Form von sich umgestaltenden Nutzungskulturen wurden in diesem Rahmen dargelegt und beurteilt.

Die Quantität und ebenso die Qualität der Vorträge belegten eindrucksvoll, dass das CultMedia-Netzwerk eine wichtige Rolle in der Beurteilung kultureller Praxen, die mit den Neuen Medien in Verbindung stehen, in Deutschland und Europa einnimmt. Schon angesichts der Zahl der Beiträge können sie nachfolgend nur in Ansätzen gewürdigt werden.

2    Neue Medien in der Kultur des Alltäglichen

In ihren Begrüßungsansprachen erinnerten die beiden Vorsitzenden des Netzwerks Andrzej Kiepas und Gerhard Banse sowie Bettina-Johanna Krings vom ITAS an die bereits 13-jährige Tradition der konstruktiven länder- und kulturübergreifenden Zusammenarbeit zwischen Theorie und Praxis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des CultMedia-Netzwerks. Weiterhin verdeutlichten sie, dass die Frage, wie die Möglichkeiten und Auswirkungen Neuer Medien bezüglich zugehöriger Formen des Umgangs mit Wissen und insbesondere Nichtwissen sowie der Kommunikation und Kooperation in der Kultur des Alltäglichen zu beurteilen sind, auch in Gegenwart und Zukunft zentrales Anliegen des Netzwerks seien werden.

Der Auftaktvortrag der Session „Gemeinschaftsbildung/Soziale Netzwerke“ von Julius Erdmann (Universität Potsdam) widmete sich dem Thema „Kulturelle Aneignungspraktiken in Social Networks. Technik- und Zeichenaneignung“. In seiner Erläuterung des Begriffs der Medienaneignung hielt er fest, dass der Begriff seit den 1980er-Jahren ein prominentes Konzept der Medienpädagogik und der kommunikationswissenschaftlich ausgerichteten Forschungen der Cultural Studies darstelle, jedoch hier insbesondere auf die Medienrezeption als aktiven Anschluss an individuelle Lebenswelten fokussiere. Julius Erdmann fragte in diesem Zusammenhang, ob und wie dieser subjektzentrierte Ansatz der Medienaneignung bei der Nutzung von „social networks“ noch tragfähig sein könne.

Auch Petr Machleidt und Karel Mráček (Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, Prag) setzten sich im Rahmen des zweiten Beitrags „New Communication Cultures and Innovation Dynamics: Czech Experiences“ mit Fragen der Beurteilung von Veränderungen und Folgen der neuen Kommunikationsarten auseinander, wobei sich die Forschungsergebnisse hauptsächlich auf der Analyse über die Entwicklung der Informationsgesellschaft in der Tschechischen Republik und den Vergleich mit anderen EU-Mitgliedsländern bezogen. In diesem Zusammenhang legten sie besonderen Wert auf die Darstellung von Möglichkeiten der Nutzung der Technikfolgenabschätzung als einer Kommunikationskultur.

Im Vortrag „Flucht in Cyberwelten oder kulturelle Vielfalt bei der Nutzung des Internet in realen Lebenswelten?“ berichteten Antje Zapf und Anne Wohne (Universität Potsdam) über erste Ergebnisse der zweiten internationalen CultMedia-Erhebung 2014. Im Mittelpunkt ihres Beitrags standen Ergebnisse über die Gewohnheiten der Internetnutzung durch Studierende in den Mitgliedsländern des CultMedia-Netzwerks, welche bereits zum zweiten Mal erhoben wurden. Wie bereits im Jahre 2004 konnten noch immer Unterschiede in der technischen Ausstattung der einzelnen Länder aufgezeigt und kulturelle Unterschiede im Umgang mit den Neuen Medien abgebildet werden.

Im Rahmen der Session „Kompetenzausbildung und Bildung“ lag der Schwerpunkt auf der Diskussion der umfassenden, jedoch keineswegs unumstrittenen Auswirkung Neuer Medien auf den Erwerb von und den Umgang mit Wissen. Während die Vorträge von Andrzej Kiepas (Schlesische Universität Katowice), Claudia Villiger (Hochschule Hannover), Otto Ulrich (Institut für kreative Technologien und humane Entwicklung, Bonn), Dirk Hommrich (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) und Mariusz Wojewoda (Schlesische Universität Katowice) eher die Herausforderungen und Gefahren der Nutzung offenbarten, zeigten die Vorträge von Nicanor Ursua (Universität des Baskenlandes San Sebastián), Tomasz Stepien (Technische Universität Wrocław) sowie Tadeusz Miczka und Bogdan Zeler (beide Schlesische Universität Katowice) primär die Chancen und Vorteile der Nutzung aus differenzierten Perspektiven auf. Dass hier Chancen und Gefahren kontextabhängig und auch deshalb immer wieder neu zu beurteilen sind, offenbarte sich in den zugehörigen Zwischen-sowie in der Abschlussdiskussion.

Den Auftakt der Session „(Nutzungs-)Kulturen in Neuen Medien“ markierte der Beitrag von Zbigniew Oniszcuk (Schlesische Universität Katowice). Am Beispiel einer durch Neue Medien erzogenen Generation junger Polinnen und Polen charakterisierte er, dass sich Lebenskulturen, Lebenswerte und Lebensstile durch die Aktivität im Netz verändern können. Als einen weiteren Aspekt diskutierten die thematisch verwandten Vorträge von Annely Rothkegel (Universität Hildesheim) und Mariola Sułkowska-Janowska (Schlesische Universität Katowice) Kommunikation zwischen Kreativität und Standardisierung im Kontext Neuer Medien. Dass Kreativität auch in anderen Zusammenhängen Nutzungskulturen bedingen kann, erörterten Paul Eisewicht (Technische Universität Dortmund) und Michaela Pfadenhauer (Universität Wien) am Beispiel des „Circuit Bending“, Tilo Grenz (Karlsruher Institut für Technologie) anhand des „Hackings“, „Bypassings“ und „Moddings“ sowie Bruno Gransche (Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung Karlsruhe) im Hinblick auf die sog. „Games-Literacy“. Eine andere Blickweise auf Nutzungskulturen eröffnete hingegen Claudia Saalbach (Universität Potsdam) mit ihrem Beitrag über den aktuellen technischen Standard von Internetzugängen. Alexandra Kuzior (Technische Universität Gliwice) und Paulina Kuzior (Universität Opole) thematisierten im Rahmen ihres Vortrags ernstzunehmende Risiken, welche durch die Verbreitung von expliziten oder impliziten Informationen über (Gewalt-)Verbrechen durch Neue Medien für die betroffenen Opfer resultieren. Abgeschlossen wurde die Session durch den Beitrag von Konstantin und Kornelius Keulen (Universität Potsdam), die das Thema Zeit im Internet aus philosophischer Sicht betrachteten.

3     Forschungsfragen

Nicht zuletzt und aus Gründen der Internationalität und Multidisziplinarität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ging es in den angeregten Diskussionen auch immer um Antworten auf die Fragen, (a) inwiefern die Ergebnisse der Forschung kulturell plural sind, d. h. ob die Erforschung der Neuen Medien in den Ländern des Forschungsnetzes unterschiedlich ist und ob sich diese eventuell vorhandenen Herangehensweisen mit der Zeit nivellieren oder vertiefen, (b) wie dicht die Vernetzung der fachlichen und kulturellen Perspektiven in der Forschung zu den Neuen Medien sein muss und darf, (c) wie kulturelle Identität und Diversität in der Forschung selbst zum Vorschein kommt und welchen Einfluss sie auf die Forschung haben, (d) ob und wie die kulturelle Identität und Diversität die Wahl der Forschungsfragen beeinflussen, und (e) welche konzeptionellen Unterschiede es hinsichtlich der Sichten auf die Neuen Medien und ihres Einflusses auf kulturelle Diversität bzw. Homogenität gibt.

Das CultMedia-Netzwerk wird sich auch weiterhin für eine multidisziplinäre und internationale Forschung einsetzen. Deren Ergebnisse werden wie bisher in die kooperative Ausgestaltung von Projekten von Mitgliedern des Netzwerks einfließen. Zudem bilden sie schon jetzt die Grundlage für die inhaltliche Vorbereitung der Jahrestagung 2015, die an der Technischen Universität (Polytechnikum) Wrocław, Polen, geplant ist.

Anmerkung

[1] Vgl. ausführlicher zum CultMedia-Netzwerk http://www.itas.kit.edu/projekte_bans02_cultmedia.php