Rezension zu M. Schmutzer: Ingenium und Individuum

MANFRED E. A. SCHMUTZER: Ingenium und Individuum. Eine sozialwissenschaftliche Theorie von Wissenschaft und Technik. Wien, New York: Springer-Verlag, 1995. 472 S., DM 69,-. ISBN 3-211-82588-3.

Rezension von Thomas Saretzki

Die Prognoseproblematik gehört zu den methodisch-theoretischen Desideraten der Technikfolgenabschätzung, die im wissenschaftlichen Raum immer wieder Anlaß für Versuche zu ihrer Überwindung bieten. Das gilt insbesondere für die Vorhersage der sozialen Folgen neuer Technologien. Sieht man einmal von den unausweichlichen normativen Implikationen ab, dann scheint die Frage nach der "Sozialverträglichkeit" als empirisches Problem angesichts der notorischen Prognoseunsicherheit der Sozialwissenschaften allenfalls im Nachhinein, aber nicht antizipatorisch beantwortbar zu sein. Um zu einer Reduktion dieser Unsicherheit zu kommen, bräuchte man nach einem konventionellen, an den Naturwissenschaften orientierten Wissenschaftsverständnis zunächst einmal ein theoretisches Konzept, das theoretisch begründete und empirisch gehaltvolle Aussagen über die Wechselbeziehungen von Technik und Gesellschaft erlaubt. Ein solches integrierendes Konzept steht aber gegenwärtig nicht zur Verfügung.

Genau diesem Mangel soll der kultur-anthropologisch fundierte Ansatz abhelfen, den Manfred Schmutzer hier im Anschluß an die "grid/group analysis" von Mary Douglas, Michael Thompson u.a. entwickelt hat. Mit Hilfe dieses Ansatzes, so die jüngst in einem (Folge-)Aufsatz im Jahrbuch Technik und Gesellschaft 8 noch einmal pointiert ausgesprochene Hoffnung des Autors, ließen sich Genese und Akzeptanz von Technologien bestimmen und prognostizieren: "Damit würde Technikfolgenabschätzung endlich das leisten können, was sich Ingenieure davon versprechen und die Gesellschaft mit ihnen".

Entwickelt wird dieser Ansatz in einer umfangreicheren Arbeit, die nach dem Bekunden des Autors "das Ergebnis einer etwa zwanzigjährigen Auseinandersetzung mit den Beziehungen zwischen Wissenschaft, Technik, Gesellschaft, Kultur und Politik" darstellt (V). Manfred Schmutzer ist nach einem Studium der Ingenieur- und der Sozialwissenschaften in Österreich und Großbritannien gegenwärtig als Universitätsdozent am Institut für Technik und Gesellschaft an der TU Wien tätig und vor diesem Hintergrund mit verschiedenen "Kulturschocks" und Grenzüberschreitungen gut vertraut. Er möchte mit diesem Buch einerseits die Kluft zwischen Ingenieur- und Sozialwissenschaften überbrükken. Andererseits soll sein Ansatz zu einer Weiterentwicklung von TA-Verfahren beitragen, indem er Grundlagen für ein neues sozialwissenschaftliches Verständnis von "angemessenen" Technologien bereitstellt.

Ausgangs- und Bezugspunkt für die Darstellung dieser "sozialwissenschaftlichen Theorie von Wissenschaft und Technik" bildet ein Fallbeispiel, das die zunehmende Durchdringung, ja Substitution von Wissenschaft durch Technik verdeutlichen soll: die "Computerisierung der Universität". Die Arbeit selbst ist in vier Teile gegliedert.

Im ersten Teil wird die Problemstellung exponiert, die mit dem Fallbeispiel "Computerisierung der Universität" verbunden ist. Der Autor zeichnet dazu zunächst die Entwicklungsgeschichte der Universität einerseits, die des Computers andererseits nach, und fragt dabei auch nach den Ursachen ihres Entstehens. Die Universität, so seine Rekonstruktion, sei im Mittelalter im Kontext von internationalen Migrationsbewegungen als "Vergesellschaftung von Fremden" entstanden. Sie habe seither vor allem die Funktion, gegenseitig "Fremde" zu neuen Formen von Konsens zu führen, um so "Aufgaben einer kognitiven, schiedsrichterlichen Wahrheitsinstanz zu übernehmen" (48). Der Computer entsteht in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts. Er entwickle sich rasch von einem bloßen "Zusammenrechner" für bestimmte militärische und industrielle Probleme zu einer umfassend verwendbaren "Ordnungsmaschine", die Koordination, Kooperation und Kontrolle auf der Basis abstrakter formalisierter Algorithmen ermöglicht. In einem weiteren Abschnitt wird näher beschrieben, wie sich die "Technisierung der Universität durch den Einsatz von Computern" im einzelnen gegenwärtig vollzieht oder doch aller Voraussicht nach in Kürze vollziehen wird. Über organisatorische Veränderungen hinaus bliebe auch die Produktion wissenschaftlicher Erkenntnisse von der Computerisierung nicht unberührt. Experiment und Beobachtung, die klassischen naturwissenschaftlichen Methoden zur Untersuchung von klärungsbedürftigen Phänomenen, würden immer häufiger durch Simulation und Kalkulation ersetzt. Computer fänden nicht nur als Steuerungs-, sondern auch als "Wahrheitsmedium" Eingang an der Universität. "Sie verändern Forschung und Lehre, d.h. die gesamte Struktur der Universität in räumlicher, zeitlicher und organisatorischer Hinsicht, und fixieren letztlich diesen neuen Zustand" (56).

Was hat es zu bedeuten, so die übergreifende Fragestellung des Autors, wenn "die Institution Universität" - eine "soziale Technik", die "Bedingungen für Konsens zu erzeugen hat, somit Kooperation und Problemlösungen möglich macht" - nun durch "Gerätetechnik, d.h. Computer und andere Informationstechnologien, ergänzt, verändert, möglicherweise ersetzt" wird (49)? Nach der Bedeutung von etwas zu fragen, heißt für den Autor - wie seine Antworten verdeutlichen - zunächst einmal soviel wie nach seiner Funktion zu fragen, genauer: nach dem Stellenwert im gesellschaftlichen "Funktionszusammenhang" (406). In diesem - nach eigenem Bekunden stark an Norbert Elias orientierten - Verständnis von Gesellschaft erscheinen Technisierungsprozesse wie die Computerisierung "als Antwort auf einen neu entstandenen gesellschaftlichen Bedarf" (56).

Da die "Computerrevolution" nicht nur einen, sondern tendenziell alle Wissensbereiche und Disziplinen betreffe und dabei zugleich grundlegende paradigmatische Umbrüche impliziere, könne sie nicht - wie das Modell Thomas Kuhns unterstelle - allein aus den internen Widersprüchen von wissenschaftlichen Entwicklungen erklärt werden. Ein ausschließlich wissenschaftsintern ansetzendes Erklärungsmodell wie das Kuhnsche Paradigmenkonzept laufe auf einen unhaltbaren "wissenschaftlichen Ethnozentrismus" hinaus (85). Kuhn ignoriere "das soziale Umfeld zur Gänze" und verweise "nur gelegentlich auf die Bedeutung von Instrumenten". Letzteres gelte auch für das systemtheoretische Konzept einer "Selbstorganisation der Wissenschaft" von Krohn und Küppers. Diese ignorierten "den Geräteaspekt gänzlich". Deshalb sei auch ihr Ansatz als "Erklärung für die erstaunlichen Veränderungen, die durch den Einsatz der Computer im Wissenschaftssystem zu registrieren sind," nicht zu verwenden (91). Die "Wechselbeziehungen zwischen Wissenschaft und sozialem Umfeld" und die "Rolle von Technologie im Prozeß der Erzeugung und Weitergabe von Wissen" (92) müßten deshalb im Detail neu betrachtet werden.

Diese beiden Themen erörtert der Autor im zweiten und dritten Teil der Arbeit. Die postulierten funktionalen Bezugspunkte von Wissenschaft und Technik bringt er dabei in den Überschriften auf die Formeln "Konsens herstellen" und "Kooperation meistern".

Im Teil II richtet sich sein Interesse auf die gesellschaftlichen Bedingungen, "die eine Wissenschaft notwendig und andererseits Beweise unwiderlegbar machen" (96). Sein Ansatz, so der Autor, "dreht die Frage nach den externen Einflüssen auf Wissenschaft in ihr Gegenteil um. Sowohl Genese als auch Form und Ausprägung von Wissenschaft sind Ergebnis sozialer Gegebenheiten". Wenn Wissenschaft die Antwort ist, so die Pointe dieser "Umdrehung", was war dann die Frage? Welches Problem soll mit einem Unternehmen wie "Wissenschaft" gelöst werden? Im Fall der Natur- und Ingenieurwissenschaften wird hier meist auf Probleme der Naturbeherrschung verwiesen. Schmutzer versucht hingegen, über das dominante Verständnis von Wissenschaft und Technik als Auseinandersetzung mit Natur hinauszukommen. Er möchte ja eine "sozialwissenschaftliche" Theorie von Wissenschaft und Technik entwickeln. Seine Funktionsbestimmung fällt abstrakter und weniger natur- als vielmehr gesellschaftsbezogen aus. Den Referenzpunkt bilden dabei gesellschaftliche Ordnungs- und Integrationsprobleme: Die Aufgabe, die Wissenschaften zu lösen haben, sieht er in der "Bereitstellung von Konsensmitteln" (96). Der gesellschaftliche Beitrag theoretischer Wissenschaften bestünde darin, "Ordnungssysteme bereitzustellen, deren Anwendung im alltäglichen Bereich durch Experten zu ermöglichen sowie 'außer-ordentliche' Phänomene einzuordnen". Diese Aufgaben zu erfüllen, sei "für gesellschaftliche Kooperation konstitutiv: Ohne Wissenschaft keine Gesellschaft" (155).

Aus diesem breiten, auf kognitive Ordnungsleistungen als funktionale Bedingung von Konsens und Kooperation abstellenden Verständnis von "Wissenschaft" ergibt sich auch ein anderer Blick auf die Geschichte dieses Unternehmens. In kritischer Abgrenzung zur "Finalisierungsthese" der "Starnberg-Bielefeld-Gruppe" geht Schmutzer davon aus, daß die "Entstehung von Wissenschaft nicht als ein historisch einmaliges Phänomen evolutionärer Ausdifferenzierung" zu betrachten sei, sondern als "kulturspezifische Antwort auf zeitbedingte, im Prinzip wiederholbare gesellschaftliche Gegebenheiten". Wissenschaft stelle sich als "eine soziale Innovation dar, die, so wie andere Erfindungen auch, in Abhängigkeit von sozialen Voraussetzungen in variabler Form durchaus öfter gemacht werden kann" (96). In einem diachronen Vergleich von antiker, mittelalterlicher und neuzeitlicher Wissenschaft identifiziert Schmutzer dabei einerseits historisch variable wissenschaftliche Inhalte und Beweisverfahren, andererseits bestimmte, in ihren Strukturen analoge gesellschaftliche Voraussetzungen, die historisch wiederholt zum Entstehen oder Wiederentdecken von "Wissenschaft" geführt hätten: hohe Mobilität, Individualisierung und Entfremdung von tradierten Orientierungssystemen und Verhaltensweisen.

Ferner versucht Schmutzer zu zeigen, daß technische und wissenschaftliche Entwicklungen in allen Epochen durchaus relativ unabhängig voneinander verlaufen sind. Was die Frage nach den Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Technik angeht, so hat sich der Hauptstrom der Wissenschafts- und Technikforschung eher auf die Tendenz zur "Verwissenschaftlichung der Technik" konzentriert. Demgegenüber übt Schmutzer deutliche Kritik an hierarchischen Überleitungsmodellen (von Wissenschaft zur Technik) und an neueren Konzepten von "wissenschaftsbasierten Industrien". Diese Ansätze verstünden Wissenschaft weiterhin traditionell und d.h. primär als "Instrument der Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen" (122). Die verbreitete Annahme einer einseitigen Abhängigkeit der Technik von Wissenschaft erscheint ihm hingegen fragwürdig (128), die These der Abhängigkeit moderner Produktion von wissenschaftlichen Forschungen unbewiesen (28). Schmutzer interessiert sich vielmehr für die umgekehrte Tendenz einer "Technisierung der Wissenschaft" und die Abhängigkeiten, die sich hieraus für Wissenschaft und Gesellschaft ergeben.

Geräte, so eine seiner zentralen Thesen, erfüllen ähnliche soziale Funktionen wie Sprache: sie ermöglichen Konsens, indem sie einen gemeinsamen Bezugspunkt als Voraussetzung für Kooperation schaffen. Das gilt vor allem in Situationen, in denen die beteiligten Personen sich als vereinzelte "Fremde" begegnen, in denen sie aufgrund unterschiedlicher Herkunft nicht über eine gemeinsame Sprache verfügen oder die traditionell eingelebte Übereinstimmung in Sprach- und Lebensform verloren gegangen ist. Seine These von der Technik als funktionalem Äquivalent und zunehmend auch als Substitut für sprachlich vermittelte Verständigung erläutert Schmutzer für den Bereich der Wissenschaft u.a. an der wachsenden Bedeutung von Apparaturen und Meßinstrumenten für Experimente, an der Uhr und anderen Formen der Quantifizierung als sozialen Techniken der Konsenserzeugung sowie an Kunstsprachen und ihrer Benutzung in symbolischen Maschinen. Mit diesen neuen Techniken der Wahrheitsfindung verändere sich auch der Wahrheitsbegriff selbst. Die "Etablierung einer akzeptablen sozialen Ordnung" als Bedingung für soziale Kooperation werde "heute nicht mehr über Sprache und Theorie, sondern über technische Geräte erzeugt. Deren Erfindung und Verehrung besorgen Wissenschaftler als Techniker" (197).

Um diese ordnungsstiftenden Funktionen ausüben zu können, müssen Wissenschaftler allerdings selbst eine Sozialisation erfahren haben, welche die historische Entwicklung von Wissenschaft und Technik in ihren grundlegenden Strukturen nachvollzieht. Universitäten, so der Autor in einem weiteren Abschnitt über die Vermittlung von Wissenschaft in der Lehre, "vermitteln und generieren analog zu Schulen Homomorphien zwischen Kenntnisstrukturen, Persönlichkeitsstrukturen und Organisationsstrukturen." Sie müßten als Institution verstanden werden, "die Eliten zur Interpretation und Ordnung chaotischer Zustände und zur Legitimation notwendiger Entscheidungen ausbilden" (228). Angehende Wissenschaftler müßten - wie ihre Vorgänger in anderen Epochen - zunächst einen Prozeß der "Ent-gemeinschaftung" und Entfremdung durch Herauslösung aus überkommenen Lebensformen erfahren, um dann in einer anschließenden zweiten Phase der Resozialisation die kognitiven und motivationalen Voraussetzungen für eine Kooperation zwischen individualisierten und universalistisch orientierten Persönlichkeiten zu erwerben. Dieser zweite nun als "Vergesellschaftung" bezeichnete Prozeß könne "liberal" oder durch Disziplinierung erfolgen. In der letztgenannten Form spielten "Disziplinartechnologien", wie sie von Foucault analysiert wurden, eine besondere Rolle für den Erwerb von Kooperationsfähigkeit (207). Mit "Instruktionsinstrumenten" ließen sich zunächst die Sozialisationsagenten, letztlich aber die Sozialisationsinstitutionen selbst gleichsam "exteriorisieren" (244): "Der unparteiische Schiedsrichter wird durch Geräte ersetzt, wenn sich Menschen zu fremd geworden sind" (247). Allgemeiner: Technik werde zum Sozialersatz. Das aber hieße im Umkehrschluß, daß Geräte (wie bei Hans Linde) als vergegenständlichte soziale Institution verstanden werden müßten: Technologien seien "Ersatz und Neuformulierung sozialer Institutionen" (248). Letzteres erlaube es auch, sie über Marktstrukturen zu verteilen. Technisierung standardisiere so die Produktion der erzeugten Persönlichkeitstypen und ihrer Interaktionsformen (29).

In Teil III werden diese Thesen noch einmal in einer anderen, systematischer auf den Kooperationsaspekt orientierten Perspektive entwickelt. In einem ersten Kapitel geht es Schmutzer um die Voraussetzungen der Genese des Individuums in ihrer historischen Dimension. Subjektivierung ist für den Autor kein auf die Moderne beschränkter Prozeß. Vielmehr illustriert er die wechselseitige Bedingung von Individualisierung und Technisierung an verschiedenen Beispielen aus der Antike, dem Mittelalter und der Neuzeit. Aus diesem wechselseitigen Bedingungsverhältnis ist auch der Titel des Buches zu verstehen: "Der Ingenieur ist und erzeugt das Individuum" (309).

In einem weiteren - für den eigenen Ansatz zentralen - Kapitel werden die Bedingungen und Formen sozialer Kooperation in den Mittelpunkt gestellt. Der Autor greift zunächst die Unterscheidung von Gemeinschaft und Gesellschaft auf und erläutert diese mit Bezug auf soziologische Klassiker wie Tönnies, Weber und Durkheim. Wie Hans Linde gezeigt habe, ginge etwa die Webersche Analyse sozialer Beziehungen fälschlicherweise von "sachbezugsfreien Sozialverhältnissen" aus (318) und vernachlässige die soziale Relevanz von Artefakten. Entschieden ablehnend äußert sich der Autor dann zum Konzept einer "Technisierung der Lebenswelt" bei Jürgen Habermas. Im Gegensatz zu Habermas sieht Schmutzer "keinen wachsenden Rationalitätsdruck vom 'System' auf die Lebenswelt, sondern nur die 'condition humaine', die zur Kooperation auch unter Bedingungen sozialer Zerrüttung nötigt und neue Konsensmechanismen zum Vorschein bringt" (322). Des weiteren betrachte Habermas Sprache "wenig diskriminierend, als 'Muttersprache' und somit relativ homogen" (326). Da Sprache aber ein Artefakt sei und es folglich viele Sprachen gäbe, sieht Schmutzer darin ein Defizit, daß ihn auf Basil Bernstein und dessen Sprachtypen zurückgehen läßt. Von hier aus führt die Frage nach dem Zusammenhang von sprachlichen und sozialen Klassifikationssystemen zu Bernsteins ehemaliger Mitarbeiterin Mary Douglas und ihrer "grid/group"-Analyse mit ihren zwei fundamentalen Dimensionen der inneren Gruppenstruktur (egalitär vs. hierarchisch) und Gruppenzugehörigkeit (offen vs. geschlossen).

In der Weiterentwicklung dieses kultur-anthropologischen Ansatzes zur "Cultural Theory" bei Michael Thompson, der strukturelle Entsprechungen zur organisationssoziologischen Unterscheidung von Transaktionsmustern wie Markt, Bürokratie und Clan bei Ouchi aufweise, sieht Schmutzer eine brauchbare Grundlage für seinen eigenen integrierenden Ansatz. Am Ende dieser Kompilation verschiedener Ansätze enthält das Vier-Felder-Schema in der Formulierung des Autors neben den Mustern Ouchis noch den Idealtyp einer organisatorisch unverbundenen Glaubensgemeinschaft oder "Schule", deren Mitglieder nicht durch nachvollziehbare Transaktionen verbunden sind ("Nullmatrix") (345). Wie bei Thompson gibt es darüber hinaus auch bei Schmutzer noch einen weiteren organisatorisch ungebundenen Persönlichkeitstyp, den "Eremiten" oder Fremden, der nicht gezwungenermaßen, sondern freiwillig auf Zugehörigkeit zu Transaktionsstrukturen verzichtet.

Mit der Reformulierung dieser Muster in einer formalen Transaktionsmatrix meint der Autor den Nachweis erbracht zu haben, "daß es sich bei dieser Typologie nicht um eine beliebige Auflistung handelt, sondern um ein genuines Kategoriensystem, in dem alle möglichen Fälle von Interaktionen idealtypisch vertreten sind. Mit Hilfe eines solchen Kategoriensystems wird es möglich, auf ad-hoc-Untersuchungen zu verzichten und trotzdem ein Universum erschöpfend zu beschreiben" (339). Sein formales Modell erlaube die Zusammenführung der genannten theoretischen Ansätze in ein idealtypisches "kohärentes Erklärungsschema" (351). Dieses könne Prozesse sozialen Wandels wie "Auslagerungen", Brüche, Übergänge von einer Sozialstruktur zu einer anderen oder "metamorphosische Veränderungen" deutlich machen. Es entstehe so eine dem Verhältnis von Theorie und Experiment in den Naturwissenschaften ähnliche Situation (355).

In einem weiteren Kapitel wird das Verhältnis von "Sachen und Sprachen" unter Bezugnahme auf die genannten Autoren noch einmal beleuchtet, wobei die genannten Thesen über Artefakte als Sozialisationsmaschinen (370) und Technik als "Sozialersatz" (382) eine weitere theoretische Verortung erfahren. Soziologische Analyseansätze zu Prozessen der "Technisierung" wie die von Rammert und Hörning werden kritisiert, weil sie einerseits nicht versuchten, "die Intentionen, die als Handlungsweisen in Technologien schlummern" näher zu untersuchen. Andererseits fehle ihnen "eine integrierte Sicht der Bedürfnisgenese und eine Erklärung, warum, wann und bei wem ihre Befriedigung durch technische Geräte und nicht durch andere Mittel zustande kommt" (395f.). Beides verlange eine Einbeziehung der jeweils dahinterstehenden konkurrierenden Ordnungsmodelle und der strukturellen Homomorphien zwischen Persönlichkeitstypen, Sprachtypen und Organisationsmustern. Soziale Akzeptanz oder Ablehnung von Technologien werden von Schmutzer als Ausdruck der Übereinstimmung oder Unvereinbarkeit mit den jeweils präferierten Kooperationsmustern interpretiert, die hinter den Technologien stünden. Technikfolgenforschung hätte sich folglich "vordringlich mit den in Technologien realisierten Vorstellungen von Interaktion zu beschäftigen" (402).

Im abschließenden Teil IV "Brücken schlagen" geht es um eine Aporie und die Möglichkeiten ihrer Überwindung. Mit der "Aporie" ist ein Kooperations- oder Interaktionsdilemma gemeint, das sich aus zwei widersprüchlichen Anforderungen ergibt. Auf der einen Seite steht die - im Gefolge von Mary Douglas übernommene - Annahme, daß die Ordnungsvorstellungen, die hinter den vier Transaktionsmustern ausgemacht wurden, einen sich wechselseitig ausschließenden Charakter hätten: "es kann nicht gleichzeitig mehrere verschiedene Ordnungen geben" (396). Auf der anderen Seite hält Schmutzer - im Gefolge von Norbert Elias - an der These fest, "daß Menschen aufeinander angewiesen sind und in einem 'Funktionszusammenhang' ... zueinander stehen" (406). Damit eröffnet sich folgende "Aporie": "Wie soll es möglich sein, daß sich gegenseitig ausschließende soziale Entitäten aufeinander angewiesen und kooperationsfähig sind?" (410) Oder: "Wie läßt sich diese Ordnung gefährdende Konfrontation mit fremden Ordnungen meistern?" (432). In seiner Antwort rekurriert Schmutzer auf einen fünften Persönlichkeitstyp, den er in Thompsons "Cultural Theory" mit dem Typ des "Eremiten" vorgebildet sieht (433). Dessen soziale Bedeutung liege in seinem "Vermittlertum" (434). Inkompatible Ordnungen, so die in personalisierender Metaphorik mit Rekursen auf den Götterboten Hermes skizzierte Lösung der Aporie, bedürfen der Vermittlung durch "Grenzgänger" und "messenger" zwischen den Ordnungen. Solche Grenzgänger erscheinen aus der Sicht jeder der vier genannten Ordnungsmuster indessen unvermeidlich als "Fremde". Diese Konstellation gleicht damit strukturell der sozialen Situation, die am Anfang der Entwicklungsgeschichte von Universität und Wissenschaft stand. Folglich sind auch die Optionen zur Bewältigung dieser Konstellation analog zu sehen: Es bestehe "die prinzipielle Wahlfreiheit zwischen technischen und sozialen Innovationen" (410). Die Vermittlungsfunktionen des grenzüberschreitenden "Fremden" können nach der genannten Externalisierungs- und Substitutionsthese von "Technik als Sozialersatz" auch von "Geräten" oder "Dingen" übernommen werden. Dabei gilt: "Das Ding und der Fremde verhalten sich zueinander wie zwei Seiten einer Medaille: umso größer die Entfremdung, umso größer der Bedarf an Gerät." (405) Diese "zentrale These" seiner Arbeit eröffnet für Schmutzer auch eine Perspektive, feministische Kritiken an geschlechtsspezifischer Wissenschaft und Technik und kritische Beiträge zum Zusammenhang von Technologie und Demokratie (mit ihrer Tendenz zur Produktion von "Sündenbocktechnologien") in seinen eigenen Ansatz zu integrieren bzw. deren Aussagen in diesem Rahmen zu reinterpretieren.

Grundsätzlich werde die Frage der "Sozialverträglichkeit" - und damit die Legitimation der jeweils präferierten Lösungsansätze - theoretisch erklär- und prognostizierbar, wenn man sie als Ausdruck der dahinterstehenden konfligierenden sozialen Ordnungsmuster versteht. Sie werde praktisch in dem Maße besser lösbar, wie die Ingenieure in ihrer Ausbildung durch Integration von vermittelndem Grenzgängertum stärker dafür sensibilisiert werden, daß sie als Konstrukteure nicht nur Technologien, sondern soziotechnische Systeme mit ordnungsstiftender Funktion entwerfen. Daher bliebe es "die hervorragendste und sozial bedeutendste Aufgabe der Alma Mater", so die abschließende hochschulpolitische Forderung Schmutzers, "Grenzgänger als 'messenger' einer anderen Welt in ihrer Entwicklung zu fördern" (434).

Während die aktuellen Trends in der internationalen Wissenschafts- und Technikforschung im Zeichen der Postmoderne eher auf Dekonstruktion "Großer Erzählungen", "dichte" Beschreibungen und differenzierte Fallstudien hinauslaufen, hält Manfred Schmutzer an dem Anspruch einer generalisierbaren Theoriebildung mit explanativen und prognostischen Ansprüchen fest. Schon dieses Zutrauen zum großen integrierenden Entwurf über verschiedene Epochen und unterschiedliche Disziplinen hinweg dürfte in einem solchen eher defensiven und stark fragmentierten Diskussionsumfeld eigentlich genügen, den Band nachdrücklich zur Lektüre zu empfehlen. Die Arbeit bietet aber mehr: Schmutzer macht ernst mit dem Versuch, Wissenschaft und Technik aus der sozialen Lage ihrer Produzenten und Rezipienten zu erklären. Und verdeutlicht durch die Art seiner Thesen zugleich, wieweit man damit mit den Mitteln der "Cultural Theory" kommen kann. Der Versuch, Wissenschaft und Technik als gesellschaftliche Phänomene zu begreifen, führt im Rahmen dieses Ansatzes letztlich immer wieder zur Annahme einiger grundlegender Isomorphien zwischen Wissenstypen, "Persönlichkeitstypen" und Organisationsmustern, die in allen gesellschaftlichen Formationen und Kontexten aufzufinden seien. Solche universalistisch angelegten theoretischen Konzeptionen haben für die wissenschaftliche Diskussion zweifellos wichtige Funktionen: Gerade die bisweilen eigenwilligen Rekonstruktionen und die Neigung zur manchmal provozierenden formelhaften Zuspitzung nötigen im Fall dieser Arbeit nachdrücklich zur differenzierten eigenen Positionsbestimmung - nicht zuletzt da, wo man den Thesen in der vorgetragenen Form nicht ohne weiteres zu folgen bereit ist. Dabei räumt der Autor selbst ein, daß er die Leser angesichts einer beeindruckenden Fülle verarbeiteter Literatur und wechselnder Perspektivierungen zweifellos auf einen bisweilen dornigen Pfad geschickt hat.

Legt man den weitreichenden Anspruch zugrunde, der im Untertitel der Arbeit formuliert ist, dann drängen sich angesichts eines solchen Maßstabs allerdings eine ganze Reihe von kritischen Nachfragen auf. In dem verfügbaren Rahmen kann dabei auf gesellschaftstheoretische Implikationen und normative Fragen ebensowenig eingegangen werden wie auf hermeneutische Probleme bei der Interpretation insbesondere solcher Autoren, von denen Schmutzer sich kritisch abgrenzt. Im Sinne einer "immanenten" Kritik wären allerdings wenigstens zwei grundlegende Punkte anzusprechen. Der erste Punkt bezieht sich auf die Generalisierbarkeit und Spezifität der vorgetragenen "Theorie". Wenn es zutrifft, wie die konstruktivistischen Ansätze immer wieder behaupten, daß verallgemeinernde Theorien bei näherer Betrachtung meist doch einen recht spezifischen empirischen "Index" haben und keiner umfassenden, sondern einer durchaus selektiven Perspektive folgen, dann stellt sich auch in diesem Fall die Frage, ob die vorgeschlagene übergreifende "sozialwissenschaftliche Theorie von Wissenschaft und Technik" nicht stärker durch ihren empirischen Bezugspunkt - das Fallbeispiel "Computerisierung der Universität" - geprägt ist als man angesichts der generalisierten Thesen meinen könnte. Was hier über die primär sozialen Funktionen von Technisierungsprozessen (etwa im Hinblick auf "Sozialersatz" und "Disziplinierung") gesagt wird, mag über das Beispiel des Einsatzes von Computern hinaus auch für andere Informations- und Kommunikationstechnologien Plausibilität beanspruchen können. Gilt es aber in gleicher Weise für Technologien, bei denen stoffliche und energetische Aspekte eine sehr viel größere Relevanz haben, etwa für Chemie-, Energie-, Umwelt- und Biotechnologien - nicht zu reden von komplexeren technologischen Systemen im Bereich des Transport- oder Militärwesens? Oder müßten Stellenwert und Reichweite der entwickelten Thesen nicht erst einmal über technologiespezifische Vergleiche näher geprüft werden, bevor sie als generalisierte Aussagen über Genese und Funktionen von Technisierung schlechthin kandidieren können? Technisierungsprozesse könnten durchaus unterschiedliche Entstehungsbedingungen und Funktionen haben - je nach dem, um welche Art und welchen Typ von Technologie es sich handelt: Does Technology matter?

Analoge Fragen stellen sich für den zweiten Gegenstand der vorgestellten Theorie: "Wissenschaft". Sicher fällt den meisten Studierten zuerst die Universität ein, wenn von "Wissenschaft" die Rede ist. Die Produktion wissenschaftlichen Wissens findet inzwischen aber zunehmend auch an vielen anderen gesellschaftlichen Orten statt, etwa an außeruniversitären Forschungseinrichtungen oder in Forschungsabteilungen von Unternehmen. Gilt das, was hier über die Technisierung von "Wissenschaft" gesagt wird, nun in gleicher Weise auch für alle anderen Kontexte, in denen Wissenschaft betrieben wird? Wie steht es dabei mit der postulierten Homomorphie von Organisations-, Persönlichkeits- und Wissensstrukturen? Wie mit der anvisierten Auflösung konfligierender Ordnungsmuster durch das "Vermittlertum" von Grenzgängern?

Schließlich erhebt sich auch die Frage der analytischen Perspektive: die bisher in vielen Beiträgen der Wissenschafts- und Technikforschung dominierende Sichtweise einer zunehmenden "Verwissenschaftlichung der Technik" mag einseitig sein. Allein, wird sich eine umfassende "sozialwissenschaftliche Theorie von Wissenschaft und Technik" entwickeln lassen, wenn man im Gegenzug nun vor allem die entgegengesetzte Perspektive einer "Technisierung der Wissenschaft" in den Vordergrund rückt, die ja die Gegenstände als solche nicht weniger einseitig erhellen kann als ihr Gegenlicht?

Der zweite Punkt kritischer Nachfrage betrifft das Erklärungs- und Prognosepotential des vorgestellten Ansatzes. Schmutzer betont zwar einerseits vor allem die theoretisch integrierende, vereinheitlichende Funktion des vorgestellten typologisierenden Kategoriensystems. Wie die bekannten Vertreter der "Cultural Theory" selbst verbindet er sein reformuliertes Modell aber andererseits zugleich mit explanativen und prognostischen Ansprüchen. Läßt man das Problem des möglichen Nutzens der vorgestellten mathematischen Formalisierung für mögliche Anwendungen einmal beiseite, dann stellt sich in empirischer Hinsicht die Frage, auf welcher Ebene nun von diesem Modell welche Art von Erklärungen und Vorhersagen für die Sozialverträglichkeit von Technologien zu erwarten ist. Schmutzer illustriert das prognostische Potential dieses Ansatzes wiederholt mit erwartbaren Unverträglichkeiten zwischen den unterschiedenen Ordnungsmustern "Markt", "Bürokratie", "Clan" und "Schule". Solche Aussagen liegen aber nicht nur auf der sehr allgemeinen Abstraktionsebene der vier Ordnungsmuster als solchen. Die Vorhersage von möglichen Inkompatibilitäten setzt außerdem schon auf dieser allgemeinen Ebene verschiedene Zusatzannahmen voraus, zu denen als erstes die These gehört, daß die typologisch unterschiedenen Ordnungen tatsächlich einen wechselseitig ausschließenden Charakter haben. Das ist allerdings weder theoretisch noch empirisch zwingend.

Denkt man die Annahme einer wechselseitigen Inkompatibilität der genannten Ordnungsmuster auf der Ebene der (re-)agierenden Subjekte zu Ende, so impliziert dies ja streng genommen einen "monokratisch" orientierten Persönlichkeitstyp, der in allen Lebensbereichen einen und nur einen Ordnungsmodus präferiert. Man muß nicht gleich zu den Modellen des "multiple self" überlaufen, um zu sehen, daß ein solch rigide eindimensional orientiertes "Sozialisationsprodukt" in modernen Industriegesellschaften empirisch kaum mehr als Normalfall vorausgesetzt werden kann. In dem Maße, wie Menschen sich in unterschiedlichen Organisationskulturen bewegen und wie sie solche unterschiedlichen Ordnungsmuster für verschiedene gesellschaftliche Teilbereiche als sinn- und zweckhaft anerkennen, wird die Annahme eines durchgängig "präferierten Lösungansatzes" empirisch fraglich. Theoretisch finden sich im übrigen bei soziologischen Konzepten funktionaler Differenzierung und pluralistischen Politiktheorien vielfältige Evidenzen und Argumente dafür, daß es zu einem solchen vermittlungsbedürftigen Neben- und Miteinander unterschiedlicher Ordnungsmuster in modernen Gesellschaften weder funktional noch normativ überzeugende Alternativen gibt. In seinen Erläuterungen räumt Schmutzer selbst ein, die Ordnungsmuster "Markt" und "Bürokratie" seien nicht nur wechselseitig voneinander abhängig, sondern als Formen des übergeordneten Kulturtyps "Gesellschaft" auch "symbiotisch" auf Formen des anderen Kulturtyps "Gemeinschaft" angewiesen (433). Bei seiner Auflösung des "Interaktionsdilemmas" geht er seinerseits davon aus, daß die zuvor im Anschluß an die "Cultural Theory" theoretisch konstruierte "Aporie" unvereinbarer Ordnungsmuster praktisch durch Vermittlung im Sinne eines "Weder-noch" (433) aufzulösen sei. In dem Maße, wie dieser Weg erfolgreich ist und eine Vermittlung konfligierender Ordnungsmuster auf der Ebene praktischen Handelns möglich wird, verliert der Ansatz indessen auf der Ebene theoriegeleiteter Vorhersagen über Akzeptanz und Ablehnung zugleich an prädiktivem Potential. Wird die Sozialverträglichkeit von Technologien als erkärungsbedürftiges empirisches Phänomen zunehmend zu einem Vermittlungsproblem, dann greifen Prognosen, die allein oder doch in erster Linie auf der Basis "dahinter" stehender inkompatibler Ordnungsmuster formuliert werden, offensichtlich zu kurz. Mit seiner Auflösung des Interaktionsdilemmas durch Vermittlung verweist Schmutzer selbst auf die Relevanz von "intervenierenden" Variablen. Diese lassen sich im Rahmen seines Ansatzes allerdings nicht mehr so berücksichtigen, daß darauf empirisch gehaltvolle Prognosen zu gründen wären.

Wenn der Rekurs auf grundlegende Ordnungsmuster Akzeptanz oder Ablehnung einer Technologie erklären können soll, dann setzt dies neben den genannten Unvereinbarkeitsunterstellungen zum zweiten entsprechende abstrahierende Zuschreibungen bei den (re-)agierenden Subjekten voraus. Erst dann, wenn Technologien bzgl. ihrer Genese, Struktur oder Funktion so etwas wie "Ordnungsrelevanz" zugeschrieben wird, können sie ja überhaupt auf der Grundlage von Präferenzen über grundlegende Organisationsmuster bewertet werden. Solche Zuschreibungen sind aber keineswegs schon mit den Technologien als solchen eindeutig vorgegeben. Sie unterliegen vielmehr selbst einem komplexen, kontextabhängigen und oft auch kontroversen Deutungsprozeß. Ob eine Technologie überhaupt im Sinne gesellschaftlicher Organisationsmuster "ordnungsrelevant" ist oder nicht, ob sie dieses oder jenes Ordnungsmuster stärken oder schwächen wird, ob sie also eindeutig als "Markt-", "Hierarchie-" oder "Clan"-Technologie anzusehen ist, darüber müssen sich alle Beteiligten zunächst einmal klar werden, bevor sie aufgrund ihrer organisationskulturellen Präferenzen zu entschiedenen Urteilen im Sinne von Akzeptanz oder Ablehnung kommen können. Diese kognitiven Klärungsprozesse dürften indessen nicht bei allen Technologien so eindeutig verlaufen wie etwa bei der Kernenergie: Statt eindeutiger Zuschreibung im Sinne eines klar erkennbaren "dahinter" stehenden Organisationsmusters wird sich am Ende eines solchen Prozesses kontroverser Deutungen (insbesondere bei vielfältig verwendbaren "Querschnittstechnologien") oft eher Indifferenz, Ambivalenz oder Kontextabhängigkeit einstellen. Mit der Abhängigkeit vom Verlauf kontroverser und kontextabhängiger Interpretationsprozesse nimmt aber zugleich auch das Prognosepotential eines Ansatzes ab, der eindeutig erkennbare, durchgängig präferierte Ordnungsmodelle als erklärende Faktoren für "Sozialverträglichkeit" in den Vordergrund stellt.

Eine differenziertere Auseinandersetzung mit anderen Versuchen zur Anwendung der "grid/group-analysis" - und der methodologischen und theoretischen Kritik an solchen Ansätzen - wäre hier im Hinblick auf eine nähere Klärung von Möglichkeiten und Grenzen dieses Konzepts vielleicht hilfreich gewesen. Damit soll keineswegs gesagt werden, daß die ordnungsstiftenden oder -gefährdenden Implikationen von Technologien nicht - wie von Schmutzer gefordert - größere Beachtung in der Technikforschung erfahren sollten. Ganz im Gegenteil: diese - oft in einer Maskerade technischer Details versteckte - Frage explizit auf die Tagesordnung gebracht zu haben, darin könnte man eher ein Verdienst der "Cultural Theory" und damit auch der Arbeit Schmutzers sehen. Bestritten wird nur, daß eine so erweiterte Untersuchung der Sozialverträglichkeit von Technologien mit Hilfe dieses kulturtheoretisch orientierten Ansatzes die Prognosekapazität gewinnen wird, die der Autor (oder doch der Ingenieur in ihm) sich davon erhofft.

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Thomas Saretzki
Universität Hamburg
Institut für Politische Wissenschaft
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