Konsens über Konsensus Konferenzen?

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Konsens über Konsensus Konferenzen?

Tagungsbericht von Leonhard Hennen (TAB)

Kaum eine Methode hat in der letzten Zeit innerhalb der TA-Community soviel Aufßmerksamkeit auf sich gezogen wie die "Konßsensus Konferenz". Diese Form der Technikßbewertung durch Laien scheint eine neuerlißche Welle der Beschäftigung mit der als Poßstulat immer hochgehaltenen, in der Praxis aber oft vernachlässigten Beteiligung der Öffentlichkeit an TA Prozessen angestoßen zu haben. Diesen Eindruck konnte man jedenßfalls auf einer am 12./13. Juni am Science Mußseum in London abgehaltenen europäischen Konferenz zum Thema "Public Participation in Science: The Role of Consensus Conferenßces in Europe" gewinnen.

Nachdem das Danish Board of Technology Konsensus Konferenzen, die im Kern eine Konfrontation der Technikbewertungen von Laien und Experten im Rahmen einer öffentßlichen Tagung umfassen, seit den 80er Jahren kontinuierlich weiterentwickelt hatte, ist in den vergangenen zwei Jahren in den Niederßlanden und auch in Großbritannien das Konßzept aufgegriffen und in anderen politischen Kontexten erprobt worden. Die Organisatoßren der britischen Konsensus Konferenz, John Durant und Simon Joss vom Public Underßstanding of Science Department des Science Museum, hatten es für an der Zeit gehalten, durch eine internationale Tagung die vorließgenden Erfahrungen zusammenzutragen und das wachsende Interesse an praktischen und theoretischen Fragen der Organisation von Konsensus Konferenzen, aber auch schlicht die international zunehmende Neugierde zu befriedigen.

Die Tagung, die im wissenschaftlichen Ambiente des "Fellows Room" am Science Museum stattfand - der Autor dieser Zeilen mußte sich, nachdem er sich einem englischen Kollegen gegenüber von der Ehrwürdigkeit des Bibliotheks- und Arbeitsraumes beeinßdruckt gezeigt hatte, belehren lassen: "We have hundreds of them in London" -, die für Lonßdoner Verhältnisse in einem grundgeßwöhnßlichen Ambiente ablaufende Tagung also, umfaßte im wesentlichen Beiträge, die die Erfahrungen mit Konsensus Konferenzen aus dänischer, britischer und niederländißscher Sicht darstellten. Diese Berichte sollten den versammelten Interessenten die Möglichßkeit zur Einsicht in das praktische Verfahren und Probleme der Organisation geben, aber auch Anlaß zu Diskussionen über die Zielsetßzung des Verfahrens und die nationalen Beßsonderheiten in der Umsetzung bieten. In der Tat zeigten sich - neben einigen Unterschießden in organisatorischen Details, wie z.B. der Art und Weise der Auswahl des Laien-Panels - durchaus auch Differenzen in der Zielsetßzung. Das dänische Ursprungsmodell hält an der Idee fest, die beteiligten Laien unbedingt zu einem "Konsens" über die Bewertung der zur Diskussion stehenden Technologie zu brinßgen, während die niederländische Adapßtion dieses Ziel aufgegeben hat. Die Dänen seßhen das Verfahren eng gebunden an die Entßscheidungsprozesse des dänischen Parlamenßtes und sehen den Abschlußbericht des Laien-Panels als unmittelbar relevant für die Beraßtungen des Parlamentes an. Nach allem, was man hört, scheinen in der Umsetzung von Laißenempfehlungen in parlamentarische Beßschlüsßse in Dänemark mehr als nur symbolißsche Erfolge erzielt worden zu sein. Das nießderländische Rathenau-Institut hält zwar an dem Bezug der Laienkonferenz auf parlamenßtarische Entscheidungen fest - die überreißchung des Abschlußdokumentes an ein Mitßglied des niederländischen Abgeordnetenhaußses ist wesentlicher Bestandteil der bewußt als öffentliche Veranstaltung angelegten Konßsensus Konferenz. Insgesamt wird das Inßstrument Konsensus Konferenz aber als Teil einer ambitionierten Anstrengung zur Stimußlierung einer gesellschaftlichen Debatte angeßsehen, zu der auch andere Aktivitäten wie Exßpertenworkshops, Podiumsdiskussionen und Informationsschriften gehören. Die englische Konsensus Konferenz wurde nicht wie die nießderländischen und dänischen von einer Instißtution, die in engem Beratungskontakt zu poßlitischen Entscheidungsträgern steht, durchßgeführt. Entsprechend war auch hier der Adresßsat nicht das Parlament, sondern die allßgemeine Öffentlichkeit. Deutlich wurden in dieser Hinsicht auch Unterschiede in den poßlitischen Kulturen. In den Niederlanden und Dänemark scheint Öffentlichkeitsbeteiligung als integraler Bestandteil auch parlaßmentarischer Entscheidungsfindung angeseßhen zu werden, während - so die englischen Kolleßgen - in Großbritannien solche Veranßstaltungen von Parteien und Abgeordneten als Angriff auf die Souveränität des Parlaßmentes wahrgenommen und abgelehnt würßden.

Ein weiterer Schwerpunkt der Londoner Tagung war der Evaluation gewidmet. Aus den Niederlanden, Dänemark und Großbrißtannien wurden Ergebnisse bzw. Ansätze einer Evaluation der Effekte und Leistungsfäßhigkeit des Verfahrens vorgetragen. Deutlich wurde, daß es vor allem an, auch demokratießtheoretisch fundierten, präzisen Vorstellunßgen zur Funktion von Konsensus Konferenzen mangelt. Die Aufgabe und die realistisch erßwartbare Leistung von Konsensus Konferenßzen im Kontext gesellschaftlicher Technikßkontroversen und politischen Entscheidungsßprozessen ist noch wenig theoretisch reflekßtiert. Stichworte wie "Counter-Technocracy", "Involvement of the Public" und "Public Accepßtance of Science and Technology" umreißen hier noch teils undeutliche und durchaus geßgensätzliche Vorstellungen. Unklar blieb auch, inwiefern von Konsensus Konferenzen neuer Wissensinput in politische Entscheißdungsßprozesse zu erwarten ist bzw. erwartet werden sollte. Eine Evaluierung auf der Basis solcherart ungeklärter Fragen ist sicherlich schwierig. Ansätze zur Evaluation beließen es denn auch z.T. bei sicherlich verdienstvollen, aber zur Bewertung des Konzeptes nicht hinßreichenden Einstellungsmessungen bei den Teilnehmern vor und nach einer Konsensus Konferenz oder bei Messungen der Intensität der Medienberichterstattung über das Verßfahren. Die Entwicklung von Evaluationskrißterien wurde als zukünftiger Gegenstand geßmeinsamer Anstrengungen der durchführenßden Organisationen angemahnt. Immerhin konnte als Ergebnis einer Arbeitsgruppe der Taßgung ein Fragenraster zur Evaluation präßsentiert werden, das zumindest eine Liste möglicher politischer und gesellschaftlicher Funkßtionen von Konsensus Konferenzen zußsammenstellte.

Einen überblick über laufende Aktivitäßten zu Konsensus Konferenzen in verschiedeßnen Ländern boten Arbeitsgruppen mit Verßtretern interessierter TA-Institutionen und den Kollegen aus Dänemark und den Niederßlanden. Eine internationale Bestandsaufnahßme laufender Aktivitäten zeigte, daß das Konzept begonnen hat, Kreise zu ziehen. Abßgesehen von weiteren Planungen in Däneßmark, den Niederlanden und Großbritannien, wurde auf der Tagung von konkreten Plänen zur Adaption des Verfahrens in Österreich, der Schweiz und Frankreich sowie in Austraßlien und Neuseeland berichtet. Vertreter von TA-Einrichtungen und anderen wissenschaftßlichen Institutionen aus weiteren Ländern beßkundeten ernsthafte Absichten, die Tauglichßkeit des Verfahrens für ihre Zwecke zu testen. Aus Großbritannien werden zwischenzeitlich so vielfältige Aktivitäten zur Organisation von Konsensus Konferenzen berichtet - von Inßdustrieverbänden bis hin zu einem Fernsehßsender -, daß man bereits über die Gründung einer Foundation nachdenkt, die die Fäden und die Aufsicht über die Methode in der Hand halten soll. Insgesamt ist das weitverßbreitete Interesse am Konzept durchaus mit heterogenen Zielsetzungen - je nach Land und interessierter Organisation - besetzt. Der von den Dänen als Kern des Modells angesehene politisch-partizipatorische Anspruch scheint im Zuge der Diffusion des Modells auch in den Kontext der Öffentlichkeitsarbeit von Unterßnehmen und Wissenschaftseinrichtungen "verßdünnt" zu werden. Eine theoretische Deßbatte über den politischen Status, die gesellschaftliche Funktion und die Grenzen des Moßdells scheint für die Zukunft anzustehen. Konßsens über Sinn, Zweck und Leistungsfäßhigkeit von Konsensus Konferenzen besteht, trotz des offensichtlich enormen Interesses am Verfahren, durchaus nicht. Oder: Gerade die Offenheit des Verfahrens für vielfältige Zielßsetzungen könnte ein Grund für das große Inßteresse an Konsensus Konferenzen sein. Das Gefühl, daß man "irgendwie" in den "Dialog" mit dem "Mann und der Frau auf der Straße" einßsteigen muß, ist derzeit offensichtlich weit verbreitet.

Die Vorträge und die Ergebnisse der Arßbeitsgruppen sollen im Herbst diesen Jahres vom Science Museum in einem Tagungsband verfügbar gemacht werden.

 

Bestellhinweis

John Durant, Simon Joss
The National Museum of Science
and Industry
Science Museum
London SW7 2DD