Technologiepolitisches Konzept 1994 der österreichischen Bundesregierung. Expertenentwurf

TA-Institutionen und -Programme

Technologiepolitisches Konzept 1994 der österreichischen Bundesregierung. Expertenentwurf

Im März 1994 beschloß der österreichische Ministerrat, statt des bis dahin gültigen Technologiepolitischen Konzepts der Bundesregierung aus dem Jahre 1989 durch Experten einen neuen Vorschlag erarbeiten zu lassen. Der Auftrag dazu ging vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung an eine Arbeitsgemeinschaft des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung mit dem Forschungszentrum Seibersdorf und Joanneum Research, Graz.

Expertise plus Moderation

Das Bearbeitungsteam erarbeitete ein Konzept, nach welchem die Experten Vorschläge erstatten und in einem moderierten Diskussionsprozeß mit den Hauptträgern der österreichischen Technologiepolitik in drei ganztägigen Workshops durchdiskutieren sollten. Der gesamte Erarbeitungsprozeß fand zwischen Mai und September 1994 statt. Anfang Oktober 1994 wurde die Arbeit des Expertenteams mit der Vorlage des publizierten Expertenentwurfs vorläufig abgeschlossen (der Bericht ist noch nicht allgemein zugänglich). In weiterer Folge übernehmen die relevanten Ministerien die Aufgabe, daraus ein neues Technologiepolitisches Konzept der Bundesregierung zu formulieren.

Zielformulierung und Bestandsaufnahme

Als Ziele der Technologiepolitik sieht der Expertenentwurf gleichberechtigt neben ökonomischen Problembereichen (Wettbewerbsfähigkeit) die Verbesserung der sozialen und ökologischen Lebensbedingungen. Der Expertenentwurf geht auf die international neuesten überlegungen zur Entwicklung des technischen Fortschritts ein und stellt dort internationalen Wettbewerb der "Nationalen Innovationssysteme" in den Mittelpunkt seiner Vorschläge. Damit sind sowohl inhaltliche als auch organisatorische und prozedurale Fragen der Technologiepolitik angesprochen. Technologischer Wandel findet in modernen Gesellschaften als endogener ökonomischer Prozeß statt, der mittels marktwirtschaftlicher Mechanismen hauptsächlich durch die Unternehmen vermittelt wird. Durch die Gestaltung des nationalen Innovationssystems kann die Technologiepolitik Rahmenbedingungen setzen, welche im Verein mit anderen Politikbereichen wirtschaftlich und gesellschaftlich relevante Innovationen ermöglichen.

Der Expertenentwurf geht von einer Schwachstellen-Analyse des österreichischen Innovationssystems aus, welches durch zersplitterte Kompetenzen, geringe Innovationsaktivitäten der dominanten Klein- und Mittelbetriebe, durch geringe Absolventenzahlen in technisch-naturwissenschaftlichen Fächern, Infrastrukturmängel, geringe Kooperationsfähigkeit der Unternehmen und hohe ausländische Eigentumsanteile in technologieintensiven Schlüsselsektoren überblicksweise charakterisiert ist. Dazu kommt die neue Einbindung in die EU, welche große Chancen bietet, aber auch vielerlei Anpassungsprobleme erwarten läßt. Daneben werden im sozialen und ökologischen Bereich eine ganze Reihe von Problembereichen angesprochen, zu deren Verbesserung Technologiepolitik beitragen kann.

Entwicklung von drei Leitstrategien

Aus dieser Analyse werden sog. "Leitstrategien" entwickelt, welche an den bezeichneten Schwachstellen und Charakteristiken ansetzen. Die Hauptstrategie eines neuen Technologiekonzepts soll "Diffusionsorientierung" bilden, welche bei der klein- und mittelbetrieblichen Struktur der österreichischen Wirtschaft ansetzt und die Adoptionsfähigkeit dieser Unternehmen zur Aufnahme extern generierter Techniken erhöhen soll. Unter diesem Titel sollen durch die Technologiepolitik verstärkt relevante Dienstleistungen den Unternehmen verfügbar gemacht werden (Informations- und Beratungsprogramme). Dazu zählt auch die verstärkte Unterstützung technologieorientierter Unternehmensneugründungen, die Stärkung marktbezogener Forschungseinrichtungen sowie die verstärkte Einbindung in internationale Netz-werke zur Technologiediffusion.

Konkrete gesellschaftliche und ökologische Zielsetzungen sollen mittels einer "Missionsorientierung" der künftigen österreichischen Technologiepolitik verfolgt werden. Dabei sollen einige wenige "Missionen" als Resultat eines gesellschaftlichen Diskussions- und Auswahlprozesses definiert werden, bei denen Technologiepolitik einen wesentlichen Lösungsbeitrag (zusammen mit anderen Politikbereichen) leisten kann. Wichtig für die Auswahl solcher Missionen ist ihr gesellschaftlicher Nutzen, die Sicherstellung der breiten Diffusion der Resultate, sowie die starke Betonung prozeduraler Rationalität. Dabei ist darauf zu achten, daß solche Missionen an internationale Aktivitäten angebunden werden, daß ein qualifiziertes Programm-Management mit klaren Ziel-, Ressourcen- und Zeitvorgaben eingesetzt wird, daß viel Phantasie für einen innovativen Instrumentenmix entwickelt wird und daß es sich bei den ausgewählten Projekten um solche Bereiche handelt, bei denen in österreich sowohl Forschungs- als auch Umsetzungsstärken bestehen.

Als dritte Leitstrategie wird die "Orientierung auf technologische Standortqualität" vorgeschlagen, welche die technologische Infrastruktur im immateriellen und materiellen Bereich verbessern soll. Dabei geht es um den Ausbau der physischen Infrastruktur (Verkehr, Telekommunikation, Energie, Ver- und Entsorgung) im Hinblick auf europäische Netze, um die Verbesserung der Qualität des Humankapitals und die Stärkung und den qualitativen Ausbau und eine strategische Neuorientierung der Institutionen (vor allem Forschungs- und Transfereinrichtungen).

Diese drei Leitstrategien werden ergänzt um die Forderung nach einem "Reengineering der Technologiepolitik", also einer problemadäquaten Neuorganisation und Neuausrichtung der Hauptträger der österreichischen Technologiepolitik. Aufgrund der stark politischen Komponente dieser Strategie und der damals bevorstehenden Nationalratswahlen ist dieser Teil nur problematisiert, aber nicht mit konkreten Vorschlägen versehen.

Strategieübergreifende und -spezifische Maßnahmenvorschläge

Den Strategien untergeordnet ist dann ein ganzes Bündel von Maßnahmenvorschlägen, und zwar von strategieübergreifenden wie auch von strategiespezifischen. Zu den strategieübergreifenden zählen überlegungen zur Neuausrichtung des Technologiepolitiksystems durch überwindung der bestehenden Fragmentierung, die Anreicherung der Agenda der Technologiepolitik durch Einbeziehung von öffentlicher Beschaffung, Infrastruktur, Regulierung, Qualifikation, durch Ausweitung des bestehenden Förderrahmens; weiters wird der Ausbau von Programm-Management, von verpflichtenden Evaluierungen einzelner Maßnahmen, sowie die Verbesserung der Informationsbasis für Technologiepolitik gefordert, sowie die Einführung von "constructive TA" durch die Herstellung eines institutionalisierten Dialogs zwischen Akteuren und gesellschaftlich relevanten Gruppen. In diesen Bereich zählen auch Finanzierungsfragen für Innovationen und F&E, sowie die Anbindung an internationale, vor allem EU-Programme.

Die Arbeitsteilung und Koordination zwischen internationaler, nationaler und regionaler Technologiepolitik soll durch ein Modell des "selektiven Andockens" erreicht werden, welches durch breit angelegte Enqueten zur Programmauswahl unterstützt wird. Dabei sollen österreichische Unternehmen auch Kooperationen mit ost-mitteleuropäischen Ländern eingehen, um diese in gesamteuropäische Technologienetze einzubeziehen und dadurch langfristig tragfähige Beziehungen zu den Reformländern aufzubauen.

Die Optimierung des Instrumentenmix der Technologiepolitik stellt an die bisher übliche direkte Innovationsförderung als Hauptinstrument die Forderung nach stärkerer strategischer Programmausrichtung. Bei der indirekten Innovationsförderung wird eine Reform der Praxis des Forschungsfreibetrages gefordert. Die Entwicklung einer österreichischen Regulierungskultur, gezielt eingesetzte avancierte öffentliche Nachfrage, sowie eine öffentliche Beteiligung an technologieorientierten Neugründungen über Stiftungsmodelle werden angesprochen.

Den einzelnen Strategien sind weitreichende Bündel von Einzelmaßnahmen zugeordnet.
(K. Bayer/WIFO)

Kontakt

Dr. Kurt Bayer
österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO)
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