Studie zu Stoffströmen bei der Leiterplattenherstellung in Deutschland
Studie zu Stoffströmen bei der Leiterplattenherstellung in Deutschland
Unter Stoffstromanalysen werden relativ neue Analyseinstrumente auf dem Weg zu einem rationelleren Stoffeinsatz verstanden. Dies beinhaltet sowohl qualitative (Stoffanalyse) als auch quantitative (Stoffquantifizierung) Aspekte. Sie sind eine mögliche Antwort auf zwei bestehende Probleme. Zum einen erzeugt die intensive Nutzung von Stoffen neben der Verknappung der Ressourcen ein Abfallproblem und damit eine Erschöpfung der ökologischen Senken. Zum anderen zeigt die Umsetzung der in den 70er Jahren geschaffenen Chemikaliengesetze Grenzen des einzelstoffbezogenen Ansatzes bei der Beurteilung der Umwelt- und Gesundheitsrisiken des Stoffeinsatzes auf. Dies wird hervorgerufen durch die Probleme bei der Aufarbeitung der Altstoffe sowie durch die Flut der jährlich neuentwickelten Substanzen.
Darüber hinaus kam man in den 80er Jahren zu der Einsicht, daß auch ein gruppenstofflicher, aber sektoraler, nicht medienübergreifender Ansatz die Probleme nicht löst. Vor allem existieren große Unsicherheiten in der Bewertung von Stoffen und in der Einschätzung der Folgen von Stoffströmen. Dabei ist die Quantität des Stoffeinsatzes nicht alleine von Bedeutung. Daneben muß auch die Qualität eines Stoffes berücksichtigt werden. Auch besteht Unsicherheit in der Einschätzung problematischer, auf den ersten Blick nicht überschaubarer Stoffumwandlungen (z. B. Metabolismus) und ihrer Wirkungen auf die Umwelt.
Es stellt sich somit die Frage, mit welcher Analysemethode man zu sinnvollen und umsetzbaren Ergebnissen kommt. Dies ist der Ausgangspunkt des Konzeptes der übergreifenden Stoffstrombetrachtung (medienübergreifend, gruppenstofflicher Ansatz).
Stoffstromanalysen zu einzelnen Produkten dienen dazu, den verknüpften stofflichen Einsatz nach Art und Menge (Stoffanalyse, Stoffquantifizierung) unter Berücksichtigung sämtlicher Verzweigungen für bestimmte Lebensabschnitte oder entlang des gesamten Lebenswegs eines Produktes transparent zu machen. Es soll sowohl qualitativ als auch quantitativ die Vor- und Nachgeschichte eines Produktes möglichst vollständig beschrieben werden.
Auf der Basis erarbeiteter Stoffstromanalysen können wissenschaftlich begründete und gesellschaftlich konsensfähige Kriterien zur Bewertung und Instrumente für einen rationellen Stoffeinsatz entwickelt werden. Ziel ist es, Möglichkeiten der Verringerung und Vermeidung von ökologisch bedenklichen Belastungen aufzudecken.
Für die Kriterienentwicklung existieren zwei Ansätze. Neben dem deduktiven Ansatz für einen rationelleren Stoffeinsatz, dem Konzept der nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung, eignet sich besonders die induktive Vorgehensweise, bei dem bestimmte Stoffe bzw. Produkte explizit untersucht werden, um anhand konkreter Stoffströme und deren Auswirkungen verallgemeinerbare Schlüsse für einen verantwortungsvollen Stoffeinsatz abzuleiten.
Der induktive Ansatz wurde bisher nur beispielhaft an einigen wenigen Stoffen durchgeführt. Die Enqueete-Kommission des Deutschen Bundestages "Schutz des Menschen und der Umwelt - Bewertungskriterien und Perspektiven für umweltverträgliche Stoffkreisläufe in der Industriegesellschaft" erstellte Stoffstrombetrachtungen zu Cadium, Benzol und dem neuen FCKW-Substituenten R134a. Somit besteht die Notwendigkeit, die Analysemethode durch weitere Stoff- und Produktbeispiele auf ihren Nutzen zu prüfen.
Stoffströme bei der Leiterplattenproduktion
Die Studie stellt eine vom Forschungszentrum Karlsruhe weitergeführte Arbeit zu dem Vorhaben "Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen der Herstellung und Anwendung sowie Entsorgung von Bauelementen und integrierten Schaltungen der Mikro- und Optoelektronik" dar. Dieses Vorhaben wurde vom BMFT angeregt und in enger Zusammenarbeit mit mehreren Instituten der Fraunhofer Gesellschaft durchgeführt.
Als Untersuchungsgegenstand wurden die Leiterplatten ausgewählt. Die Leiterplatte dient als mechanischer Träger diskreter und integrierter Bauelemente und hat zugleich die Funktion eines elektrischen Verbindungselements zwischen den Bauelementen. Sie ist in praktisch allen elektrischen Geräten enthalten und wird deshalb in großer Zahl hergestellt. Der Untersuchungsraum der Studie umfaßt nicht den gesamten Lebensweg der Schaltungen von der Produktion über den Gebrauch bis zur Entsorgung, sondern, wie in Abbildung 1 dargestellt, ausschließlich die Stoffströme bei der Herstellung der Leiterplatten ohne Bauelementbestückung.
Abb.: 1: Systemgrenzen dieser Studie - der bearbeitete Teil entlang des Lebensweges der Leiterplatten.
Die Leiterplattenherstellung stellt ein sehr aufwendiges, komplexes Verfahren dar, das aus bis zu 70 Arbeitsgängen und zugehörigen Spülschritten aufgebaut ist. Es wird eine große Zahl unterschiedlicher Prozeßchemikalien eingesetzt. Durch die naßchemische Prozeßführung der Leiterplattenherstellung fallen zum Teil erhebliche Mengen an Abprodukten und Abwässern an. Die Entsorgung der verbrauchten Prozeßbadlösungen und die Einhaltung der Anforderungen an die Abwässer stellen für die Leiterplattenhersteller sehr große Probleme dar. Viele Firmen können in vielen Fällen aus wirtschaftlichen Gründen die verbrauchten Bäder und Konzentrate nur durch Dritte aufarbeiten lassen.
Durch eine Stoffstromanalyse sollen die Arten und Mengen der wichtigsten Einsatzstoffe bei den einzelnen Schritten der Herstellung sowie die Umweltprobleme bei der Behandlung von gebrauchten Prozeßbädern und Abwässern so weit wie möglich quantitativ erfaßt werden. Die Arbeiten konzentrierten sich besonders auf den Kupferstrom. Daneben interessierten das Mengenaufkommen an Basismaterial (elektrisch isolierendes Trägermaterial) sowie die entstehenden Abwässer bei den lithographischen Prozessen des Leiterbildaufbaus.
Die Untersuchung beruht auf einer Prozeßkettenanalyse, da für die relevanten Herstellungsverfahren die Abfolge der wichtigsten Prozeßschritte hinreichend bekannt ist. Der Untersuchungsraum ist im wesentlichen auf die eigentliche Herstellung der Leiterplatten bezogen - die Herstellung von Vorprodukten bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Untersuchung unberücksichtigt. Dagegen wurden die firmeninterne bzw. externe Aufarbeitung der kupferhaltigen Bäder soweit wie möglich verfolgt.
Für die wichtigsten Prozeßschritte wurden Mengengerüste für die Einsatzstoffe, Reststoffe, Abwässer und Emissionen aufgestellt. Die Abschätzungen der Mengen beruhen auf Marktanalysen zur Leiterplattenproduktion, zu den eingesetzten Verfahren- und Prozeärten sowie zu den relevanten Vorprodukten. Hierzu wurden vorhandenes Datenmaterial und Informationen aus Fachgesprächen, Publikationen, Gesprächen mit Verbänden, Leiterplattenherstellern, Basismaterialherstellern, Lackwerken und der chemischen Zuliefererindustrie ausgewertet.
In Abbildung 2 ist der abgeschätzte Fluß des Kupfers bei der Herstellung von Leiterplatten in Deutschland dargestellt. Danach verbleiben rund 35 % des gesamten Kupferinputs auf den fertigen Leiterplatten. Die restlichen ca. 65 % des eingesetzten Kupfers fallen als Abfälle in Form von metallischem Kupfer, Kupferschlämmen, Inhaltsstoffen von Ätzen und Bädern an. Im einzelnen werden rund 50 % der Kupfermenge in Ätzlösungen aus dem Herstellungsprozeß ausgeschleust. Die restlichen 15 % stammen aus Zuschnitts- / Bohrabfällen und Bädern aus Mikroätz- bzw. chemischen/galvanischen Kupferabscheideprozessen.
Abb.: 2: Abgeschätzter Kupferstrom in der Leiterplattenherstellung 1993.
Die Abfälle lassen sich in zwei Arten einteilen. Neben den beherrschbaren kupferhaltigen Abfällen existieren auch diffuse Ströme. Ein wesentliches Ergebnis ist die Erkenntnis, daß mit Hilfe von Stoffstromanalysen die Umweltgefährdung vor allem diffuser Umwelteinträge abgeschätzt werden kann, indem die einzelnen Ströme qualifiziert werden.
Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, daß die derzeit vorhandenen internen Recyclingverfahren zur Aufarbeitung der Kupferabfälle eine Rückführung in den Leiterplattenherstellprozeß nicht zulassen. Desweiteren wird aus ökonomischen Gründen ein internes Recycling meist nicht durchgeführt - kostengünstige und technisch ausgereifte Recyclingverfahren fehlen. Als Konsequenz müssen die Unternehmen die nicht- bzw. teilaufgearbeiteten Abfälle an Drittunternehmen abgeben. Andere interne Verwendungsmöglichkeiten exisitieren derzeit nicht. Für die mit Abstand wichtigste Kupferabfallart - die Ätzen - haben sich für die Aufarbeitung Monopole entwikkelt, woraus eine starke Abhängigkeit der Unternehmen resultiert. Die Ätzen von Produktionsstätten in Deutschland werden überwiegend in Belgien aufgearbeitet und das rückgewonnene Kupfer größtenteils in kupferhaltige Produkte für die Agrarwirtschaft umgewandelt und damit diffus in die Umwelt verteilt.
Der Projektbericht wird in Kürze erscheinen.
(M. Achternbosch/AFAS)
Kontakt
Dr. Matthias Achternbosch
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Karlstr. 11, 76133 Karlsruhe
Tel.: +49 721 608-24570
E-Mail: matthias.achternbosch∂kit.edu