Das Stadtmodell MOBIDYN als unterstützendes Instrument zur Technikfolgenabschätzung Ein systemdynamisches, verhaltensgesteuertes Simulationsmodell der Raum-, Mobilitäts- und Verkehrsentwicklung in Stadtregionen.

Schwerpunktthema: Stadtökologie: Berichte aus der ökologischen Forschung des BMBF
Ökologisch verträgliche Mobilität in Stadtregionen - Optionen und Handlungsstrategien

Das Stadtmodell MOBIDYN als unterstützendes Instrument zur Technikfolgenabschätzung

Ein systemdynamisches, verhaltensgesteuertes Simulationsmodell der Raum-, Mobilitäts- und Verkehrsentwicklung in Stadtregionen.

von Robert Korab und Robert Lechner, Österreichisches Ökologie-Institut, Wien

Im Rahmen des BMBF-Forschungsprojekts: "Stadtverträgliche Mobilität - Handlungsstrategien für eine ökologisch und sozial verträgliche, ökonomisch effiziente Verkehrsentwicklung in Stadtregionen" wurde in Subprojekt 2 der Themenbereich 'Mobilität und Stadtstruktur' untersucht. Zu diesem Zweck wurde das EDV-gestützte Stadtmodell MOBIDYN entwickelt.
Das primär als Lernmodell und nicht als Prognosewerkzeug entwickelte Modell gibt Einblicke in die Zusammenhänge zwischen Verkehrsverhalten, Mobilität, Verkehrs-, Siedlungs- und Raumnutzungsentwicklung, und ermöglicht die Simulation von Folgewirkungen verschiedener kommunalpolitischer Interventionen.

Obwohl MOBIDYN im genannten Forschungsvorhaben in erster Linie als Instrument für die Abbildung des Zusammenhangs zwischen Raum-, Verhaltens- und Mobilitätsmustern verwendet wird, kann es grundsätzlich auch als unterstützendes Instrument für die raumbezogene Technikfolgenabschätzung verwendet werden. MOBIDYN ist modular aufgebaut, denkbar und in Teilbereichen auch bereits erprobt ist die Zuschaltung neuer Module: Auf den Verkehr zurückzuführende Emissionen und Immissionen, Wirkungen neuer Bauformen und Baustoffe auf die Umwelt oder die Allokation von Bevölkerung und Beschäftigten von sich aufgrund technologiepolitischer Investitionen verändernden Standortqualitäten sind beispielhaft zu nennende Anwendungen.

Das vorliegende Modell versteht sich somit als Basisvariante, welche grundsätzlich beliebig thematisch erweitert werden kann und Aussagen zum Einfluß von stadt- bzw. raumbezogenen Politiken, Investitionen und letztendlich auch Technologien auf 

liefern kann.

1. Modellhintergrund

MOBIDYN ist als heuristisches, praxisnahes Lernmodell konzipiert, das 

  1. auf 'intuitive' Art und Weise Einblicke in die komplexen Zusammenhänge zwischen Raumnutzungen, dem Mobilitätsverhalten der Bevölkerung und Beschäftigten und der Verkehrsentwicklung nach Verkehrsträgern gibt; 
  2. in seinen Grobstrukturen gut durchschaubar und leicht bedienbar ist, prägnante und einfach einstellbare Simulationsparameter enthält sowie aussagekräftigen grafischen Output liefert; 
  3. modular aufgebaut ist, so daß zukünftige Veränderungen am Modell (Aktualisierung der Basisdaten, Modellierung weiterer Problemstellungen, Hinzunahme weiterer Module) von Fachleuten aus den Kommunen zum großen Teil eigenständig und mit vertretbarem Aufwand vorgenommen werden können; 
  4. auch mit unvollständigen Daten Ergebnisse liefert (z.B. fehlende bzw. räumlich ungenügend aufgelöste Beschäftigtendaten in Schwerin).

Die theoretischen Hintergrundüberlegungen zur Abbildung der Mobilitätsdynamik in Stadtregionen, die sowohl dem Forschungsprojekt insgesamt als auch dem Modell zugrundeliegen, sind in Abbildung 1 dargestellt.

(Abbildung 1 "Dem Stadtmodell MOBIDYN liegt ein komplexes System aus Raumnutzungen, Verkehrssystem und Akteursbedürfnissen sowie Akteursverhalten mit all seinen Wechselbeziehungen zugrunde" ist nur in gedruckter Version vorhanden)

2. Modellaufbau

MOBIDYN ist aus Teilmodellen bzw. 'Modulen' aufgebaut, die unterschiedliche raum- und stadtrelevante Sachverhalte abbilden und in die auf unterschiedliche Weise 'von außen' eingegriffen werden kann: einige Module sind nur durch die Programmierer-Gruppe veränderbar, einige durch die Projektgruppe, wenige an genau definierten Schnittstellen durch die AnwenderInnen.

Eine besondere Herausforderung an die Modellierung stellten die Simulation der Allokationen und die Verhaltenssimulation dar. Beispielsweise werden Allokations-Prozesse und Standort-Entscheidungen heute - neben den klassischen 'harten' Einflußfaktoren - in hohem Maß von raumordnerischen und gesetzlichen Vorgaben, fiskalischen Anreizen, innerbetrieblichen Überlegungen und subjektiven Präferenzen bestimmt und gehorchen nur mehr bedingt den Gesetzmäßigkeiten der klassischen Standorttheorie. Auch wenn dem Allokationsmodell bekannte, generalisierte Verfahren zugrundeliegen, müssen darüber hinaus spezifische Einschränkungen und Regeln festgelegt werden, die die Allokations-Prozesse in der jeweils modellierten Stadtregion besonders beeinflussen oder prägen. Diese Regeln können nicht allgemein festgelegt werden, sondern müssen für jede einzelne Stadt bestimmt werden.

3. Modelltheorie: MOBIDYN als 'Unitäres Modell'

Modelltheoretisch gesehen werden in MOBIDYN systemtheoretische bzw. systemdynamische Ansätze mit akteursorientierten Ansätzen zu einem 'unitären' oder vereinheitlichenden Modell verbunden. In einem 'unitären Modell' werden die raum-zeitlichen Eigenschaften von Systemen in Abhängigkeit von Eigenschaften und Verhalten der sie konstituierenden Teile untersucht.

Die räumliche Systemdynamik bildet die makroskopische Ebene des untersuchten 'Systems', während die Verhaltensdynamik auf der Mikroebene des Systems liegt. Dementsprechend muß es auch zwei Simulationsebenen geben: die Ebene der systemischen 'Makro'-Simulation und die Ebene der verhaltensbasierenden 'Mikro'-Simulation. Insgesamt umfaßt das Stadtmodell folgende wesentlichen Simulationselemente, die im Rahmen einzelner, Input-Output-gekoppelter Teilmodelle simuliert werden: 

Der Simulationszyklus ist in Abbildung 2 dargestellt und auf das theoretische Mobilitätsdynamik-Schema bezogen.

(Abbildung 2 ist nur in gedruckter Version vorhanden)

Das Zusammenwirken systemischer und akteursbezogener Elemente kann so aufgefaßt werden, daß das Verhalten der einzelnen Akteure ein selbstorganisierender Prozeß ist, in den die makroskopischen Systemeigenschaften zwar als Randbedingungen eingehen, aber nicht als primäre Verhaltensdeterminanten auftreten. Individuelles Verhalten wirkt auf die raum-zeitlichen Eigenschaften und Beziehungen im System, zugleich wirken diese makroskopischen Systemeigenschaften als Randbedingungen, innerhalb derer sich individuelles Verhalten realisieren kann.

Dabei können sowohl positive als auch negative Rückkopplungen auftreten: die Änderung von räumlichen Erreichbarkeiten aufgrund von Belastungen der Verkehrsnetze kann auf der systemischen Ebene den Ausbau des Verkehrssystems erzwingen, sie kann aber auch verhaltensändernd wirken und kompensatorische Wirkung haben.

Dies deutet auch schon an, daß vor allem die Auswertung der Simulationsergebnisse im Hinblick auf die 'Transaktionsprozesse' zwischen Systemebene und Akteursebene wesentlich ist. Weiters die Frage, in welcher Weise Interventionen auf System- und Akteursebene wirken und welches die erfolgversprechendsten, auf beiden Ebenen zugleich ansetzenden Maßnahmenbündel sind, mit denen die städtische Mobilität nachhaltig beeinflußt werden kann.

4. Grundsätzliches zum Programm MOBIDYN

MOBIDYN operiert in einem begrenzten Bezugsraum und beschreibt ein geschlossenes System diskreter Raumzellen in diskreten Zeitschritten mit speziellen Randwertfunktionen. Es gibt generalisierte Elemente (z.B. durchschnittlicher Flächenbedarf je Beschäftigtem/r nach Wirtschaftsabteilungen) und räumlich-lokale Elemente (z.B. Wohnwert und Grünausstattung). Von außerhalb des Bezugsraums wirkende generalisierte Elemente werden exogen vorgegeben, sind aber variierbar (z.B. Faktoren, die das allgemeine Verhalten von Wirtschaftssektoren beschreiben). Darüber hinaus gibt es auch räumlich selektiv wirkende Stellgrößen (z.B. road pricing an Bundesstraßen, Parkdruck in Teilgebieten der Kernstadt, Tempo 30 in innerstädtischen Wohngebieten).

Die Handhabung des Programms soll jedem interessierten Laien intuitiv möglich sein. Daraus ergab sich die Notwendigkeit einer guten grafischen Benutzeroberfläche.

Nachdem die den beiden Simulationsebenen 'Räumliche Verteilung von Funktionen und Personen' (Allokation) und 'Individuelles Verkehrsverhalten' (Verkehrserzeugung) zugrundeliegenden Verfahren für jede Stadt und Region unterschiedlich sind, muß gewährleistet sein, daß auf diese Module relativ leicht zugegriffen werden kann, ohne die Grundstruktur des Programms verändern zu müssen.

5. Praktische Anwendung

Das Programm stellt den AnwenderInnen folgende Möglichkeiten der Variation von Eingangsgrößen und Verfahren zur Verfügung: 

Alle Eigenschaftsmerkmale der Zellen und Netze können mit Hilfe eines eigenen, in das Programm implementierten Editors auf einfache Weise eingegeben und nachträglich verändert werden. Die Einstellung der Szenarien erfolgt durch Einspielen von in eigenen Scripts vorformulierten Netz- und Linienvarianten, durch direkt am Rechner von den AnwenderInnen mögliches Ein-/Ausschalten von Optionen und mittels Schiebereinstellung.

Durch Kombination von Variationen dieser Eingangsgrößen und Verfahren können praktisch beliebig viele Szenarien über eine Periode von bis zu 16 Jahren simuliert werden. Die Ergebnisse können in 2-Jahres-Schritten abgerufen werden. Die Veränderungen von Zelleneigenschaften können zahlenmäßig abgerufen und plangrafisch dargestellt werden, die Verkehrsbelastung in den Netzen wird darüber hinaus grafisch dargestellt. Des weiteren können Fahrtenanzahl, Tagesgang und Fahrtweiten nach Fahrtzwecken, die summierten Fahrleistungen für die einzelnen Verkehrsmittel und der Modal Split (Gesamt-, Binnen-, Quell-Ziel-Verkehr, nach Fahrtzwecken) in Diagrammform dargestellt werden.

Neben den aktuellen Möglichkeiten zur individuellen Simulierung und zukünftigen inhaltlichen Erweiterungsmöglichkeiten des Modells stehen selbstverständlich eine Reihe von Bildschirmdarstellungs-Optionen zur Verfügung, wie z.B. Zoom und räumliche Ausschnitte, verschiedene Abstraktionsebenen der betrachteten Netze und ihrer Bestandteile, Darstellung vergleichender Zelleneigenschaftsmerkmale sowie deren Veränderungen über die Zeit (Bevölkerung, Beschäftigte nach Sektoren, Freizeitqualität, Baulandreserven, ...).

Darüber hinaus stehen eine Reihe üblicher Programmfunktionen wie Laden und Speichern von Szenarioeinstellungen und bereits durchgeführter Szenarioläufe sowie Druck- und Plotfunktionen zur Verfügung.

6. Zusammenfassung

Im Zuge des BMBF-Forschungsprojekts "Stadtverträgliche Mobilität" wurde mit dem vorliegenden Simulationsmodell MOBIDYN ein praxisorientiertes Werkzeug zur Modellierung der Raum-, Mobilitäts- und Verkehrsentwicklung in Stadtregionen entwickelt. MOBIDYN besitzt einen modularen Aufbau, der es erlaubt, einzelne Modellfunktionen je nach konkretem Anwendungsbedarf zu- bzw. wegzuschalten. Mit Hilfe von MOBIDYN können im Gegensatz zu reinen Verkehrsmodellen auch die Themenfelder Stadt- und Raumentwicklung unter besonderer Berücksichtigung verhaltensbezogener Parameter modelliert und analysiert werden. Die vorliegende Basisvariante kann aufgrund ihres modularen Aufbaus praktisch beliebig durch neue, zusätzliche Module erweitert werden. Dadurch besteht letztendlich neben den bereits jetzt vorhandenen Anwendungsfeldern auch die Möglichkeit, MOBIDYN als Instrument zur raum- und akteursbezogenen Technikfolgenabschätzung heranzuziehen.

Kontakt

Robert Korab
Robert Lechner
Österreichisches Ökologie-Institut
Seidengasse 13, A-1070 Wien
Tel.: +43 1 5236105