Taste of Heimat: Regionale Lebensmittel aus bäuerlicher Landwirtschaft

TA-Projekte

Taste of Heimat: Regionale Lebensmittel aus bäuerlicher Landwirtschaft

Neues Online-Portal, das Verbraucher und Erzeuger näher zusammenbringt

von Valentin Thurn und Laura-Johanne Zimmermann, Köln

Drei von vier Konsumenten präferieren Umfragen zufolge Lebensmittel aus der Region. Doch das Angebot ist unübersichtlich, verwirrende Mogelpackungen missbrauchen den Trend, und andererseits werden wirklich regionale Angebote kleiner Betriebe nur schlecht vermittelt. Die Online-Plattform Taste of Heimat möchte ein Führer durch den Dschungel regionaler Produkte sein. Sie führt den Verbraucher zu den nächst gelegenen Angeboten, die seinen Präferenzen entsprechen, und erklärt die verschiedenen Vermarktungsmodelle. Sie informiert, warum die Unterstützung regionaler Lebensmittelproduzenten sinnvoll ist und versucht, den Begriff „regional“ mit Indikatoren der sozialen und ökologischen Qualität anzureichern. Eine Vernetzungsstrategie soll lokale Ernährungsräte (analog zu den „food policy councils“ in den USA) zusammenbringen und unterstützen. Die Plattform startet begleitend zum Dokumentarfilm „10 Milliarden“, der Anfang 2015 in die Kinos kommen soll, zum Buch „Harte Kost“ und zu zahlreichen öffentlichen Aktionen rund um den Kinostart.[1]

Seit Jahrzehnten schrumpft die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe europaweit. Der Preiskampf zwingt allein in Deutschland jeden Tag zwei Bauernhöfe dazu, aufzugeben. Die letzteÜberlebenschance der bäuerlichen Landwirtschaft ist die Direktvermarktung. Die Online-Plattform http://www.tasteofheimat.de startet parallel zu Valentin Thurns neuem Film, der sich der Frage widmet, inwieweit das bestehende System die rapide wachsende Weltbevölkerung ernähren kann. Mit Taste of Heimat wollen wir den Zuschauern eine Möglichkeit geben, selbst zu einer ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltigen Nahrungsmittelversorgung der Weltbevölkerung beizutragen.

1     Hintergrund

1.1   Ernährungssicherung in Zeiten des Bevölkerungswachstums

Im Laufe dieses Jahrhunderts wird die Weltbevölkerung auf zehn Milliarden anwachsen. Wo soll die Nahrung herkommen, die diese Menschen täglich zum Überleben benötigen, und von der ja bereits heute jeder Siebte zu wenig hat?

Wir postulieren: Grundsätzlich liegt das Problem der heutigen Nahrungsmittelproduktion nicht primär in der Produktionsmenge – pro Tag wird mit 4.600 Kalorien pro Kopf global fast doppelt so viel Nahrung produziert, wie für eine gesunde Ernährung benötigt wird (UNCTAD 2013). Vielmehr liegt es in der Verteilung und der Frage nach der Nachhaltigkeit. Nicht die Frage, wie wir noch mehr Lebensmittel produzieren können ist also von vorrangiger Bedeutung, sondern die Überlegung, wie eine flächendeckende Versorgung gewährleistet werden kann, ohne dass die Menschheit allein durch ihr Wachstum die Grundlage für ihre Ernährung zerstört.

1.2   Konzentration in der Lebensmittelproduktion

Zwei Lager behaupten, die Lösung für die Probleme der globalen Nahrungsproduktion zu kennen: Einerseits die industrielle Landwirtschaft, die global immer weiter expandiert und hocheffizient auf Massenproduktion setzt. Andererseits die biologische und die traditionelle bäuerliche Landwirtschaft, die zwar weniger Masse produziert, dafür aber schonender mit den begrenzten Ressourcen umgeht. Zwar scheinen kleine Betriebe weltweit intensiver zu wirtschaften und haben damit einen höheren Hektar-Ertrag (GRAIN 2014), die industriellen Betriebe aber erzeugen billiger, weil sie weniger Arbeitskräfte einsetzen, und haben durch die Mengen einen leichteren Marktzugang. Folge: Eine Oligopolisierung der Landwirtschaft, während immer mehr mittelständische, bäuerliche Betriebe aufgeben müssen.

So bewirtschaften zwölf Prozent aller deutschen Landwirtschaftsbetriebe, die über mehr als 100 Hektar Land verfügen, insgesamt aber weit mehr als die Hälfte der gesamten landwirtschaftlichen Fläche, beschäftigen dabei aber nur rund 20 Prozent der Arbeitskräfte. EU-weit beackern sogar nur 2 Prozent der Betriebe eine Fläche, die größer ist als 100 Hektar – aber 47 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche insgesamt. Insgesamt hat sich die Zahl der Bauern, die eine Fläche unter 10 Hektar bewirtschafteten, in den letzten 20 Jahren halbiert (http://www.meine-landwirtschaft.de/fakten.html). Auch in den USA ging die Anzahl kleiner kommerzieller Farmen um 40 Prozent zurück, während die Anzahl sehr großer Farmen (mit einem Absatz von über einer Million US$) um 243 Prozent zunahm (UNCTAD 2013). In Deutschland sahen sich in den letzten fünf Jahren fast 23 Prozent der bäuerlichen Betriebe gezwungen, aufzugeben.

Auch der Landraub, also die teils legale, teils aber auch illegale Aneignung von Land durch zumeist wirtschaftlich oder politisch durchsetzungsstärkere Akteure, fördern diesen globalen Trend noch zusätzlich. Schätzungsweise 1,7 Prozent der weltweiten Landwirtschaftsfläche wanderte 2012 aus den Händen vieler und vielfältiger Bauern in den Besitz der vorwiegend die Monokultur fördernden Landwirtschaftsindustrie. 45 Prozent der von sog. Land Deals betroffenen Fläche besteht aus fruchtbarem Ackerland. Zumeist sind jene Länder von einer Landwirtschaftsindustrialisierung betroffen, in denen eine grundsätzliche Nahrungsmittelsicherheit ohnehin schon nicht gewährleistet ist (FAO 2012).

Folge: Obwohl die bäuerliche Landwirtschaft vielerorts den lokalen Bedarf an Nahrungsmitteln befriedigen könnte, wird sie dennoch zunehmend von einer auf globalen Handel ausgelegten Lebensmittelindustrie verdrängt2.

1.3   Global denken, lokal handeln

Eine Unterstützung der bäuerlichen Landwirtschaft wirkt nicht nur dem Klimawandel entgegen, sondern hilft auch, die Lebensmittelversorgung in Zeiten des Klimawandels krisensicherer zu machen. So hat beispielsweise eine gut gemanagte Milchviehherde, die traditionell ganzjährig draußen lebt, einen sechs Mal kleineren CO2-Fußabdruck als der gleiche Bestand in der industriellen Tierhaltung (UNCTAD 2013). Dadurch müssen auch weniger Futtermittel wie Soja importiert werden, was wiederum der weltweiten Entwaldung entgegenwirkt, die hauptsächlich durch die Umwandlung von Wäldern in landwirtschaftliche Nutzflächen geschieht und jährlich mit etwa 12 Millionen Hektar voranschreitet (Germanwatch e.V. 2011; Kruchem 2013; OECD 2012).

Eine flächendeckende Nahversorgung bedeutet zudem weniger Transportwege, weniger Verpackung und weniger Bruch auf der Reise. Sie vermag Transparenz zu gewährleisten, ermöglicht überschaubare Strukturen, die vertrauenswürdige Beziehungen zwischen den Verbrauchern und der Wirtschaft ermöglichen, und fördert so die Wertschätzung von Lebensmitteln und wirkt der Verschwendung entgegen. Um zu vermeiden, dass der Handel nicht übermäßig von etwaigen Kostenersparnissen profitiert, sondern tatsächlich die Betriebe gestärkt werden, ist es aber notwendig, neue Wege der Direktvermarktung aufzutun und langfristig zu etablieren.

2     Der Ansatz von „Taste of Heimat“

2.1   Prinzip: Aus der Region – für die Region

Auch im Sinne einer Erhaltung der Kulturlandschaft ist es Anliegen der Online-Plattform Taste of Heimat, die Direktvermarktung in den jeweiligen Regionen zu unterstützen und so die bäuerliche Landwirtschaft unmittelbar zu stärken. Die Online-Plattform begreift sich daher als direktes Bindeglied zwischen regionalen Lebensmittel-Erzeugern und interessierten Konsumenten.

2.2   Aufbau und Angebot der Seite

In einem Magazinteil informiert Taste of Heimat, warum Regionalität, Saisonalität und Qualität zusammengehören, wie eine nachhaltige und bewusste Ernährung aussehen kann, über die Bewegung für mehr Nahrungsmittelsouveränität in allen Erdteilen, über neue Konzepte, wie Verbraucher und Landwirte näher zusammenrücken können. Die interaktive Regionalsuche gibt Überblick über Bauern, Restaurants, Supermärkte u. v. a., die verarbeitete und unverarbeitete Produkte aus der ausgewählten Region anbieten, und zeigt diese auf einer Karte an. Erleichtert wird die Suche durch den sog. Taste-o-Mat, der die persönlichen Vorlieben und Interessen des Nutzers erfragt und dementsprechende Angebote empfiehlt.

2.36#160; Von der Webseite zur sozialen Bewegung

Taste of Heimat will mehr sein als „nur“ eine Online-Plattform, die Stadt und Land einander näher bringt. Bereits mit seinem Film Taste the Waste konnte Valentin Thurn zeigen, dass es möglich ist, mit Hilfe sozialer Medien vom Denken zum Handeln zu motivieren: So führte Taste the Waste zu einer europaweiten Bewegung gegen Lebensmittelverschwendung, die letztendlich in der Gründung der Online-Plattform Foodsharing mündete (http://www.foodsharing. de). Diese konnte am 12. Dezember 2013 ihren ersten Geburtstag feiern und ist mit einer Million Besuchern in nur einem Jahr ein großer Erfolg.

Durch interaktive Diskussionsmöglichkeiten auf eigenen Social-Media-Kanälen und das Einbinden einer aktiven Community will auch Taste of Heimat das Entstehen vieler lokaler Bewegungsplattformen ermöglichen. Die Einbindung bestehender Programme wie der NRW-Genussregionen sowohl in der Datenbank als auch im Magazinteil, Kooperationen mit Initiativen wie der Schweisfurth-Stiftung oder auch der Kölner Kinder-Universität sind zentrales Anliegen von Taste of Heimat und bereits initiiert. Begleitende Forschung ist erwünscht, nach Kooperationspartnern wird hierfür noch gesucht.

3     Zusammenfassung

Taste of Heimat ist ein innovatives und niedrigschwelliges Angebot für alle Verbraucher, ohne Vorkenntnisse schnell, verlässlich und kostenlos regionale Lebensmittel in der Umgebung zu finden. Ein praktisch orientiertes Informationsangebot bietet darüber hinaus Orientierung, garantiert Transparenz, Sicherheit und Qualität und bezieht den Konsumenten als Akteur in die Wertschöpfungskette mit ein. Sie unterstützt in erster Linie mittelständische Landwirte, indem sie mit bestehenden und neuen Vermarktungsstrukturen vernetzt werden. Damit will sie die zunehmende Industrialisierung des Lebensmittelsektors bremsen und stattdessen die Entwicklung nachhaltiger lokaler Strukturen fördern.

Anmerkungen

[1]Mehr über den Film „10 Milliarden“ (AT) unter http://thurnfilm.de/de_doku_10Milliarden.php. Mehr über das Buch „Harte Kost“ (Verlag Ludwig) unter http://www.randomhouse.de/Paperback/Harte-Kost/Stefan-Kreutzberger/e463604.rhd.

[2]In den Industrieländern wird sogar 10 bis 15 Mal mehr Energie in die Nahrungsmittelkette gesteckt als die produzierte Nahrung enthält (UNCTAD 2013).

Literatur

FAO – Food and Agriculture Organization of the United Nations, 2012: The State of Food and Agriculture 2012; http://www.fao.org/assets/infographics/pdfimg/FAO-infographic-SOFA-2012-en.jpg (download 24.9.14)

Germanwatch e.V., 2011: Germanwatch-Trendanalyse zur globalen Ernährungssicherung 2011. Hintergrundpapier, Autor: Klemens van der Sand, Bonn, Berlin; http://germanwatch.org/handel/trend-ern11.pdf (download 24.9.14)

GRAIN, 2014: Hungry for Land: Small Farmers Feed the World with Less than a Quarter of all Farmland; http://www.grain.org/article/entries/4929-hungry-forland-small-farmers-feed-the-world-with-less-than-aquarter-of-all-farmland (download 25.9.14)

Kruchem, Th., 2013: Land und Wasser. Von der Verantwortung ausländischer Agrarinvestoren im Süden Afrikas. Frankfurt a. M.

OECD – Organisation for Economic Co-operation and Development, 2012: OECD-Umweltausblick bis 2050. Die Konsequenzen des Nichthandelns, Paris; www.oecd.org/env/indicators-modelling-outlooks/49889636.pdf (download 24.9.14)

UNCTAD – United Nations Conference on Trade and Development, 2013: Trade and Environment Review; http://unctad.org/en/publicationslibrary/ditcted2012d3_en.pdf (download 25.9.14)

Kontakt

Valentin Thurn
Taste of Heimat
c/o THURNFILM
Marsiliusstr. 36, 50937 Köln
E-Mail: info∂tasteofheimat.de