H. KUBICEK, D. KLUMPP, G. MÜLLER, W. NEU, E. RAUBOLD, A. ROßNAGEL (Hrsg.): Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 1997. R.v. Decker's Verlag: Heidelberg, 1997

TA-relevante Bücher und Tagungsberichte

Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen

Rezension des Buches von Kubicek, H. u.a. (Hrsg.): Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 1997.

von Knud Böhle, ITAS

Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus

Das Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 1997, das fünfte in der Reihe, ist unter verschiedenen Aspekten ein bemerkenswertes Ereignis. Wie in den Vorjahren ist es den Herausgebern - unterstützt von einem elf-köpfigen Beirat - gelungen, Beiträge renommierter Autorinnen und Autoren aus der akademischen und kommerziellen Forschung sowie der Wirtschaft zu versammeln. Interessant ist auch das praktizierte Finanzierungsmodell, das nach der Anschubfinanzierung durch die VW-Stiftung (1994-1996) nun mit Band 5 auf einen Mix von Verkaufserlösen, Anzeigen und Sponsoring umgestellt wird (wobei die VW-Stiftung für dieses Jahr noch Mittel beigesteuert hat). Ein anderer nennenswerter Mix ist der Medienmix aus Buch, Diskette und WWW-Angebot.

Der diesjährige Schwerpunkt "Die Ware Information - Auf dem Weg zu einer Informationsökonomie" fühlt den Puls der durch die Kommerzialisierung des Internet und zunehmenden Wettbewerb im Bereich der Telekommunikation unruhiger gewordenen Zeit. Rechnet man das "Special: Internet" dazu, befassen sich mehr als 20 Beiträge auf über 200 Seiten mit diesem Komplex. Wir werden uns weiter unten noch ausführlich auf diesen Teil einlassen. Was thematisch sonst noch geboten wird, kann nur kurz angerissen werden, zumal neben dem knapp 450 Seiten starken Band zum einen die auf einer beigefügten Diskette mitgelieferten Dateien und zum anderen das Angebot im WWW - http://www.jtg-online.de/ - zu berücksichtigen sind.

Der Inhalt der zweiten Hälfte des Jahrbuchs ist in fünf Rubriken unterteilt: Unter Forum finden sich sechs Beiträge, die mit "Chancengleichheit" in der Informationsgesellschaft (Stichworte u.a. Grundversorgung, Universal Service, Medienkompetenz) zu tun haben und drei, die das "Numerierungsproblem" der Telefonnummern behandeln, das als Folge der Liberalisierung im Telefonsektor entstanden ist - übrigens ein sehr schönes Exempel für Re-Regulierung nach der Deregulierung. In der Rubrik Anstöße geht es unter dem Titel Organisationsbedarf bei digitalen Rundfunk-Übertragungssystemen ebenfalls um Regulierung; der zweite Beitrag Neue technische Entwicklungen im Teilnehmerbereich handelt davon, welche technischen Lösungen für die last mile im Wettbewerb der Netzbetreiber zur Verfügung stehen und welche wahrscheinlich realisiert werden (der Artikel befindet sich auf der Diskette, der Band selbst enthält nur das Abstract). In der Rubrik Szene findet sich ein schwer unter einen Nenner zu bringender Mix kleinerer Beiträge (z.B. zu einigen Projekten des MediaLab, zur Arbeit der "Gruppe hochrangiger Experten der Europäischen Kommission", eine Selbstdarstellung der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg u.a.). Unter der Überschrift Fundgrube schließen sich 17 kürzere Buchbesprechungen - zwischen einer halben und eineinhalb Seiten lang - an. In der Rubrik Chronik schließlich findet sich zunächst ein längerer Kommentar zum im Juli 1996 verabschiedeten Telekommunikationsgesetz, dem sieben Artikel folgen, in denen jüngere Entwicklungen der Telekommunikation unter spezifischen Blickwinkeln vorgestellt werden, nicht zuletzt unter den Aspekten Verbraucherschutz, Datenschutz, innere Sicherheit und Europa. Diesen Block schließen Informationen zum Ausbau der technischen Informationsinfrastruktur und einige grafisch aufbereitete Marktdaten ab. Ein Stichwortregister und ein Verzeichnis der Autoren und Herausgeber runden das Buch ab.

Die Diskette enthält den kumulativen Stichwortindex der Jahrbuchbände 1994 - 1997, eine Anzahl von Balkendiagrammen, die noch zu einem der Buchbeiträge gehören, und den bereits angesprochenen Beitrag, der im Buch nur durch ein Abstract vertreten ist. Die enge Anbindung an das gedruckte Buch verlassend, bleiben noch neun Dateien - alle im RTF-Format -, die man der Einfachheit halber in Dokumentationen und Stellungnahmen einteilen könnte. Da wird, um einiges davon konkret anzusprechen, ein vom Bundesamt für Post und Telekommunikation herausgegebenes Verzeichnis der Diensteanbieter in Deutschland (mehr als 100 Seiten Adressen) geboten, eine Übersicht über Forschungsförderungsaktivitäten der Bundesländer, eine Aktualisierung der Literaturdokumentation Multimedia der Landesanstalt für Rundfunk NRW. An Stellungnahmen seien herausgegriffen: die Gemeinsamen Grundsätze der Landesmedienanstalten für digitale Kabelkapazitäten, die sogenannte "Wartburg-Charta", die Frankfurter Thesen zur Arbeitswelt in der Informationsgesellschaft der Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger und die Thesen und Forderungen des DBG unter der Überschrift Multimedia und Informationsgesellschaft: Chancen nutzen, Risiken bewältigen.

Das WWW-Angebot zum Jahrbuch ist noch im Aufbau und soll hier nicht insgesamt bewertet werden. In Umrissen erkennbar ist der Versuch, eine Buchreihe zum Ausgang einer permanenten Veranstaltung zu machen. Das läßt sich zum einen an der Möglichkeit, wie es heißt, "aktuelle Artikel zum Themenbereich Telekommunikation und Gesellschaft zu publizieren", ablesen. Anfang Oktober liegen zwei Artikel vor: Ein neues interaktives Medienregime von D. Lytel und von M. Schneider der Zwischenbericht des Projektes "Internet Content Task Force". Zum anderen wird eine Verstetigung der Diskussionen durch Foren angestrebt, in denen die in den Bänden begonnenen Diskussionen weitergeführt werden sollen - derzeit zu: Universal Service, Qualifikation, Telearbeit, Numerierung, Arbeitnehmerdatenschutz. Verantwortlich für ein moderiertes Forum ist jeweils einer der Herausgeber. Momentan scheint das Forum "Universal Service" noch am aktivsten mit 16 Beiträgen, von denen 13 allerdings nur die Online-Versionen von Jahrbuchbeiträgen sind. In keinem der Foren scheint seit Juli 1997, d.h. seitdem der Band 5 auf dem Markt ist, noch etwas passiert zu sein.

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen ...

In diesem Abschnitt wollen wir uns ein Stück weit auf den Schwerpunkt und das Internet Special einlassen, indem wir die einzelnen Beiträge dieses Teils kurz charakterisieren und auf einige uns besonders interessant erscheinende Punkte hinweisen. Unterteilt wird dieser Themenkomplex im Band selbst in: (1) Qualität der Information und Quantität der Märkte, (2) Technik, Innovation und Marktforschung, (3) Rechtliche Rahmenbedingungen, (4) Arbeitsmarkt und Arbeitsplätze und darauf folgend (5) das Special: Internet.

Eröffnet wird die Abteilung (1) durch einen Text von P. Job, Reuters Holdings PLC, den dieser auf dem 50. Deutschen Betriebswirtschafter-Tag 1996 vorgetragen hat. Information als Produkt ist der Titel und wer sich für die Vorstellungen professioneller Datenbankanbieter interessiert, kann dort u.a. erfahren, daß diese weder kostenlose noch werbefinanzierte Informationsangebote und auch keinen unlimitierten Informationszugriff nach Bezahlen von Grundgebühren favorisieren, sondern das Zahlen für einzelne Informationen bzw. Informationsprodukte. Obwohl diese Auffassung alles andere als neu und der Erfolg dieses Ansatzes immer wieder bestritten wurde, bleibt die politische Frage dahinter - nach der Wünschbarkeit einer "Pay-Per-Society", wie Vincent Mosco das einmal genannt hat - sicherlich noch eine längere Weile virulent.

Der zweite, rhetorisch exzellente, Beitrag von H. W. Opaschowski Welche Rolle spielt der Verbraucher? Die multimediale Entwicklung zwischen Euphorie und Mediaphobie breitet u.a. Ergebnisse der 96er B.A.T. Studie zur multimedialen Zukunft aus. Das B.A.T. Freizeit-Forschungsinstitut setzt auf Ernüchterung und Ent-Euphorisierung verbunden mit der Sorge, daß nicht genug - gerade auch von Wirtschaft und Industrie - für die allgemeine Verbreitung der technischen Voraussetzungen und den Aufbau von Medienkompetenz getan wird - mit der Konsequenz, daß auch künftig mit Flops im Multimediasektor zu rechnen ist.

R. Mecklinger, Vorstandsvorsitzender der Alcatel SEL, verdeutlicht unter der Überschrift Wertschöpfungskette für die Informationsgesellschaft eindringlich die äußerst schwierige Lage der Hersteller in der entstehenden Wertschöpfungskette multimedialer Telekommunikation, an der noch Netzbetreiber, Dienstebetreiber, Rechteinhaber und Inhaltsproduzenten mitwirken. Die Zerschlagung der Monopole bei den Netzbetreibern und deren Wettbewerb hat den Druck auf die Preise bei den Herstellern noch verstärkt und ihre Verhandlungsposition gegenüber dem entstandenen Oligopson (= einige wenige Abnehmer) geschwächt. Dazu kommen noch bedrohliche Reibungen an der Schnittstelle von Herstellern und Betreibern: "Die Betreiber müssen aus ihrem eigenen Interesse heraus ein Vordringen [der Hersteller, d.V.] in den Dienstesektor verhindern, andererseits können sie immer mehr Aufgaben der Hersteller übernehmen" (34). Die weiteren Ausführungen Mecklingers wollen den Weg zu einer gedeihlichen europäischen Multimedia-Wertschöpfungskette weisen, lassen sich gleichzeitig aber auch als kaum verhüllte Kritik an herkömmlichen Pilotprojekten und als Lehre aus dem eingestellten Baden-Württembergischen Multimedia Pilotprojekt lesen: Pilotprojekte sind zu zeit- und kostenintensiv und führen doch nur zu "Laborsystemen, die an der Schwelle zur Breitenimplementierung" (39) stehenbleiben. Mecklinger ist klar, daß die eigentliche Aufgabe - der Aufbau einer europäischen Multimedia-Infrastruktur - anders angegangen werden muß und die europaweite Einigung auf ein "ausgeglichenes Stufenmodell der Netzstrukturen" erforderlich macht, das in mehreren groß angelegten, "überkritischen" europäischen "Multimedia-Realisierungsprojekten" seine wirtschaftliche Viabilität unter Beweis zu stellen hätte. Die Rolle der Politik in diesem Prozeß wäre beschränkt: "Man wird sich in der Politik - von EU bis hinunter auf die Lokalebene - mit der undankbaren Rolle eines Kupplers zufrieden geben müssen" (40). Die Politik bringt die Partner zusammen, als Moderator hätte sie ausgespielt.

A. Picot bietet unter dem Titel Mehrwert von Information - betriebswirtschaftliche Perspektiven einen Zusammenschnitt zweier an anderen Orten publizierter Texte und einen aus mehr als 20 Theorien und Ansätzen gespeisten Extrakt, in dem Aspekte und Kontexte konzentriert sind, von denen der Nutzen von Informationen abhängt. Es geht dabei vor allem um "nichttechnische Erkenntnisse über Information und Kommunikation". Nutzen wird von Picot ganz offensichtlich synonym zu Mehrwert verwendet. Bei solch einer tour de force muß man sich nicht wundern, wenn einem manche Kurzcharakterisierung, etwa der Theorie des Kommunikativen Handelns als einer Theorie, "die im wesentlichen kategoriale und normative Bedingungen angibt, unter denen ein 'Verständigungsmehrwert' in der Kommunikation zu erwarten ist" (46) wenig zusagt. Auf der anderen Seite mangelt es nicht an interessanten Hinweisen, z.B. dem auf die Property-Rights-Theorie, die bei Handlungs- und Verfügungsrechten ansetzt, um deren Einsatz als Steuerungsinstrument zu analysieren und zu nutzen. Wie Picot selbst nahelegt, wäre es reizvoll, diesen Ansatz einmal in Hinblick auf Informationen im Internet durchzuspielen.

Jürgen Mittelstraß, Philosoph aus Konstanz, unterbreitet die These, die er bereits im Rahmen der Römergespräche 1995 vorbrachte, daß sich "die moderne Gesellschaft unter technologischem Vorzeichen, nicht nur in ihren Arbeits- und Unterhaltungsformen, sondern auch in ihren epistemischen Orientierungs- und Wissensbildung betreffenden Formen" (60) verändert. Die Gefahr epistemischer Unselbständigkeit und der Abhängigkeit gegenüber Informationen - d.h. jener Form, in der sich Wissen anderer "transportable macht" (61) - bei gleichzeitigem Schwinden selbst erworbenen und selbst beherrschten Wissens, wächst. Damit nimmt gleichfalls die Fähigkeit ab zu unterscheiden, ob Informationen überhaupt Wissen oder nur noch Meinung transportieren. Die Kritik am "mediatisierten Wissen" wird für die Medien noch verschärft. Das Heideggersche Man "hat in den Medien seine moderne Orientierungsform gefunden, der gegenüber frühere Formen der Inbesitznahme des Menschen fast nur noch ein müdes Lächeln verdienen". Vom Ausgangspunkt her ist kaum ein größerer Kontrast als der zu Luhmanns Diktum "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien" denkbar. Aber die Gefahren, die Mittelstraß an die Wand malt, sind von ihm natürlich nicht als unabwendbares Schicksal, sondern als Warnungen zu verstehen.

Der Karlsruher Philosoph H. F. Spinner befaßt sich unter dem Titel "Wissensregime der Informationsgesellschaft" mit der "Lage des Wissens", die zunächst als "eine Gemengelage heterogener alter und neuer Wissensarten ... von der 'reinen' Erkenntnis über die kommerzialisierte Wissensware bis zu den verzerrten Abarten der Desinformation und Ideologie" (67) erscheint. Die Gemengelage befindet sich nicht im Zustand der Ruhe, sondern bildet "das gegenwärtige Zentrum der gesellschaftlichen Konflikte im Kampf um den ordnungspolitischen Rahmen einer 'Neuen Wissensordnung'" (66). Es herrscht ein "Kampf der Ordnungen" (Rechtsordnung, Wirtschaftsordnung, Wissensordnung) "um die Vorherrschaft in der Informationsgesellschaft". Spinner warnt, daß Wissen (als Erkenntnisgut) und die freie Meinungsäußerung und der für eine funktionierende Öffentlichkeit nötige freie Informationsfluß Schaden nehmen könnten, wenn sie allein der "Regelherrschaft ('Regime')" von Wirtschafts- und Rechtsordnung unterstellt wären. Es ist das Verdienst Spinners, seit Jahren von der Politik eine "wissensbezogene Ordnungspolitik" zu fordern, die Wissen als Rechtsgut, als Wirtschaftsgut und Erkenntnisgut in einen stimmigen Regelungszusammenhang bringt und die nötigen Qualitätszonen, Verbreitungszonen und Schutzzonen garantiert. Es bleibt allerdings nachzufragen, wie der diagnostizierte "Kampf der Ordnungen" auf die Ebene realer Akteure oder auch gesellschaftlicher Subsysteme runtergebrochen und die Forderung nach "wissensbezogener Ordnungspolitik" dort so ausbuchstabiert werden kann, daß sie politikrelevant wird.

Damit ist der Durchgang durch die Abteilung "Qualität der Information und Quantität der Märkte" abgeschlossen - von Qualität und Quantität der Märkte war dabei höchstens sehr vermittelt die Rede. Einen wirtschaftswissenschaftlichen Zugang zum Thema, den man am ehesten erwartet hätte, sucht man vergeblich. Zudem muß angemerkt werden, daß vorwiegend Texte zusammengestellt wurden, die ursprünglich für andere Zwecke konzipiert waren. Insofern entsteht hier der Eindruck zufälliger Begegnungen unter falscher Flagge. Der Versuch, die zentralen Inhalte herauszuarbeiten, zeigt, daß diese Kritik nicht den einzelnen Artikel trifft.

Wenden wir uns der zweiten Abteilung "Technik, Innovation und Marktforschung" zu, die mit H. Drodofsky und E. Griem vom Corporate Office debis Systemhaus und der folgenden Fragestellung einsetzt: Welche am Markt erfolgreichen Produkte und Dienstleistungen sind erkennbar? Zusammengetragen wird Basiswissen zu Produkten und Diensten im und um das Internet, d.h. zu Stichworten wie Browser, ISDN-Anschluß, Online-Banking, Online-Shops, Intranet und Online-Dienste. An einer Stelle allerdings, an der über das Übliche hinausgegangen und die Behauptung aufgestellt wird, ein Online-Dienst, "der versucht hatte, seine Kunden mit einer '0130'-Nummer der Telekom ins Internet zu bringen" (82) sei 1996 mit großem Verlust in Konkurs gegangen, hätte man gerne mehr gewußt.

Der Beitrag von G. Eitz Digitale und interaktive Angebote im Rundfunk- und Fernsehbereich: Technische Möglichkeiten erinnert daran und gibt Hinweise dazu, daß nicht nur der PC, sondern auch das TV-Gerät "Interaktivität" ermöglicht - angefangen bei der Fernbedienung, die demnächst vielleicht um eine YES-Taste bereichert sein wird, über Teletext (= Videotext), der zu interaktivem Teletext, wie beim DataBroadcast-Konzept ausgeweitet wird, bis zu den Möglichkeiten, die sich beim digitalen Fernsehen mit einer Set Top Box ergeben werden.

H.-D. Zimmermann Die Technik ist da - wo ist der Nutzen? kommt nach einigen Hinweisen auf die heute verfügbare Technik auf die Electronic Mall Bodensee (EMB), die als Musterbeispiel "für wirklich nutzbringende Anwendungen" dafür herangezogen wird, daß durch einen "Impuls von außen" das Henne-Ei-Problem - von fehlenden Angeboten und fehlenden Nutzern -, überwunden werden kann. 160 Unternehmen und 400 Institutionen und Organisationen sind über die EMB abrufbar. Quantifizierungen oder Qualifizierungen der Nutzung, die eine erfolgreiche Lösung des Henne-Ei-Problems belegten, sucht man allerdings vergeblich und der Hinweis auf die vielen Internet-Aktivitäten in der Region, die "inzwischen in einem fast 300-seitigen Buch aus unterschiedlichen Perspektiven dokumentiert sind", ist dafür kein Ersatz.

H. J. Fuchs von Braxton & Partner stellt Ergebnisse einer Expertenbefragung unter dem Titel Konvergenz: Marktentwicklung, strategische Optionen, kritische Erfolgsfaktoren vor. Unter Konvergenz wird hier die Verschmelzung von Telekommunikation, Inhalteanbietern, Computerindustrie und Unterhaltungelektronik verstanden. Deutschland, so wird behauptet, befinde sich, was den Verschmelzungsprozeß angehe, noch in einer "Orientierungs- und Strukturierungsphase". Den damit verbundenen Informationsbedarf sollte die Expertenbefragung zum Thema Konvergenz verringern helfen. Ein vierseitiger Fragebogen wurde an "990 Experten gesandt, die in der Konvergenz-Expertendatenbank von Braxton und Partner gespeichert sind, mit 252 Teilnehmern war der Rücklauf zufriedenstellend" (109). 176 der Antwortbögen stammen von Befragten aus dem Bereich "Bearbeitung und Lieferung von Inhalten" (109). Die Ergebnisse sind zum Teil überraschend: die Absicherung des Kerngeschäftes als Strategie spielt z.B. keine herausragende Rolle und auch ein eindeutiges Setzen auf das Glasfaserkabel als erfolgversprechendster Übertragungstechnik war nicht unbedingt zu erwarten. Die Crux der Erhebung und der fragliche Wert ihrer Ergebnisse liegt darin, daß keiner garantiert, daß die verwendete "Konvergenzexpertendatei" tatsächlich Experten zum Thema Konvergenz versammelt - mögen die Befragten auch Experten auf ihrem je spezifischen Gebiet sein.

Einen auch für Sozialwissenschaftler lesenswerten Beitrag liefert M. Voeth mit einer klaren Beschreibung der "Conjoint-Analyse", die als eine ausgefeilte Methode der Marktforschung (mit Potential vielleicht auch für sozialwissenschaftliche Analysen) verstanden werden darf, die Wettbewerbern - z.B. im Telekommunikationsmarkt - helfen kann, genauer herauszufinden, mit welchen Produkteigenschaften sie ein Produkt erfolgreich im Markt plazieren können. Es geht darum, nicht bei den Fragen nach Bedürfnis und Akzeptanz anzusetzen, sondern auf Präferenzstrukturen abzustellen. Die Conjoint-Analyse ermittelt bezogen auf ein Produkt "dekompositionell den Teilnutzen von beschreibenden Merkmalen und deren Ausprägungen"(124), wobei zum Schluß individuelle zu Gruppen-Präferenzstrukturen aggregiert werden.

In der Abteilung drei "Rechtliche Rahmenbedingungen" kommen mit Th. Hoeren Das neue Informations- und Kommunikationsdienstegesetz, A. Roßnagel Der Entwurf eines "Gesetzes zur digitalen Signatur" und J. Bizer Datenschutz in Neuen Medien drei intime Kenner der Materie und durch viele Publikationen bekannte Autoren zu Wort. Der einzige Makel dieser Beiträge ist, daß sie vor der Verabschiedung des sogenannten Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes, um das sich alle Beiträge drehen, geschrieben wurden und der Leser folglich im Unklaren darüber gelassen wird, ob die Ausführungen wirklich noch den aktuellen Stand beschreiben. Für derart zeitabhängige Beiträge wäre vielleicht das WWW der geeignetere Publikationsort.

In der Abteilung vier "Arbeitsmarkt und Arbeitsplätze" gibt es zwar nur einen Beitrag, und der wurde auch bereits früher andernorts veröffentlicht, ist aber von hoher Qualität und ein willkommenes Antidot gegen jede Art leichtfertiger Beschäftigungsprognosen. H. Hofmann und Ch. Saul vom ifo Institut bieten in ihrer Literaturauswertung zum Thema Qualitative und quantitative Auswirkungen der Informationsgesellschaft auf die Beschäftigung nicht die derzeit unmögliche Quantifizierung der Auswirkungen der Informationsgesellschaft auf die Beschäftigten, aber sie sind in der Lage, die durchforschten Studien zu Szenarien zu verdichten und "Schlüsselfaktoren", auf die es mit Blick auf IuK-Technologien und Beschäftigung ankommt, zu bennen: "Die Diffusionsgeschwindigkeit in Abhängigkeit von Infrastruktur- und Preisentwicklung, [der] Einigung auf technische Standards, [der] Anpassung rechtlicher Rahmenbedingungen in Telekommunikation und Rundfunk sowie die Akzeptanz bei privaten Haushalten" (168).

B. Kahin, der an der Harvard University ein Projekt zur Informationsinfrastruktur leitet, macht im ersten Beitrag des Internet Special auf einige Besonderheiten des Internet aufmerksam, das er als ein beispielloses Modell der Infrastruktur- und Diensteentwicklung herausstellt. Um drei seiner Thesen anzuführen: Unter dem Stichwort Konvergenz macht er darauf aufmerksam, daß es im Internet mit dem WWW-Browser ein Zentrum der Konvergenz und einen Dreh- und Angelpunkt der weiteren Entwicklung gibt, "die Grundlage, auf der die zunehmenden Ressourcen, die Funktionalität und die Bandbreite des Internet implementiert werden" (174), und er spitzt den Punkt zu: Der Browser "ist die in Software verkörperte Infrastruktur" (ebd.). Provokant ist für manchen vielleicht auch der folgende Punkt, daß Online-Dienste ein Modell der vertikalen Integration (von Inhalt, Software und Zugang) verkörperten, in dem für das Gesamtpaket gezahlt werden mußte. Im Internet fallen die drei Komponenten Inhalte (Web-Sites), Software (Browser) und Zugang (Internet-Provider) nicht nur auseinander, im Zuge einer "Kosten/Wert-Implosion" gehen die Kosten für die einzelnen Komponenten auch gegen Null: kostenlose Browser, niedrige Einstiegskosten für Anbieter und niedrige Pauschalpreise für den Zugang. Drittens sei erwähnt, daß Kahin im Internet ein gelungenes Modell von Kooperation und Konkurrenz sieht, in dem ein "offener Dialog über Normen" (181) den gemeinsamen Rahmen schafft, in dem dennoch eine starke Konkurrenz zwischen Unternehmen ermöglicht ist.

Der Beitrag von E.-M. Peters behandelt kompetent das Problem des Zusammenschlusses unterschiedlich großer Internet Service Provider aus ökonomischer Sicht und die Frage, wie Kapazitätsengpässe im Internet und Preisgestaltung von Internet-Diensten zusammenhängen sollten. M. Zitterbart schreibt zum Telefonieren im Internet, wobei am Telefonieren exemplarisch die Probleme paketvermittelter Netze mit kontinuierlichen Medien (Sprache, Audio und Video) zur Sprache kommen. Die Protokolle, die das Problem bewältigen helfen könnten - RSVP (Resource Reservation Protocol) und RTP (Realtime Transport Protocol) - werden eingehend auf ihre Implikationen hin diskutiert.

Dann geht es ums Geld, um genau zu sein um Cyber Money. St. Klein - langjährig mit Wertkarten und electronic cash als Forschungsthema befaßt - geht dem Interesse der Banken an digitalen Geldprodukten, vor allem der GeldKarte (Euroscheckkarte mit neuem Chip), nach. Er zeigt, wie sie funktioniert, und weist nach, was hier nicht nachzuzeichnen ist, daß es für die Banken sowohl vorteilhaft ist, a) von Bar- auf Buchgeld umzustellen - und die Geldkarte ist zweifelsfrei ein Instrument, um über Buchgeld (Giralgeld) zu verfügen - und b) nicht-digitale Zahlungsinstrumente wie Schecks, Überweisungen oder eben auch Bargeld durch digitale Formen zu ersetzen. Das Fazit lautet, daß die Kreditinstitute rational handeln, "wenn sie ihr Zahlungsverkehrsangebot, das auf Buchgeld basiert, optimieren, um so möglichst lange elektronisches Bargeld zu verhindern" (210). Es gilt also genau aufzupassen, was wirklich vorliegt, wenn von digitalem Bargeld - ob im Internet oder außerhalb - die Rede ist. Der Artikel kann dazu als Handreichung betrachtet werden.
R. Grimm ergänzt diesen Beitrag sehr gut mit seinen Ausführungen zu Rechts- und Zahlungssicherheit im Internet. Zum einen stellt er auf "technische Herausforderungen an offene Kommunikationsnetze" ab, auf denen verbindliche Formen der Telekommunikation und -kooperation mit Ansprüchen wie Authentizität, Vertraulichkeit, Anonymität stattfinden sollen. Zum anderen überlegt er, inwieweit Sicherheit in offenen Netzen durch Maßnahmen der Selbstorganisation und inwieweit sie nur durch zentral gesteuerte Sicherungsverfahren erbracht werden kann, um schließlich "für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen staatlichen Regelungen und Selbstschutz der Bürger" (219) zu plädieren.

Auch der Beitrag von A. Breiter und P. Zoche paßt noch sehr gut zum Thema Kommerzialisierung des Internet. Unter dem Titel Kommerzialisierung des Internet - was halten Nutzer von den Angeboten? werden Ergebnisse der beiden IST-Umfragen (Projektgruppe von ISI, SWF, Telecooperation Office der Uni Karlsruhe) von 1995 und 1996 vorgelegt. Ein bemerkenswertes Ergebnis: "Insgesamt zeigten die befragten Online-Nutzer eine hohe grundsätzliche Bereitschaft, das Internet als elektronisches Kaufmedium zu verwenden (92% der Befragten)" (224). Die Autoren kommen auch zu dem Schluß, daß elektronischen Zahlungssystemen bei der Weiterentwicklung des Online-Einkaufens eine strategische Bedeutung zufällt: "Die zukünftige Verbreitung vollständiger elektronischer Kaufabwicklungen wird in erheblichem Maße von der (Weiter-) Entwicklung geeigneter elektronischer Zahlungsmöglichkeiten geprägt sein" (225). Im Moment allerdings fehlt noch "das Vertrauen in die im Internet gegebenen Zahlungsmittel" (227).

Abgeschlossen wird das Internet Special mit einem Artikel von E. Klaus, M. Pater und U.C. Schmidt, die aus "geschlechtsspezifischer Beobachtungsperspektive" Radio und Internet einem Vergleich unterziehen. Sie gehen drei leitenden Fragestellungen nach: wie sich die bestehenden Geschlechtsverhältnisse in Technologientwickung und -aneigung ausdrücken, wie Frauen und Männer mit Technik umgehen und schließlich, wie in der Aneignung von Technologien die jeweilige Geschlechtsidentität ausgearbeitet wird (vgl. 230). Der Blick auf die Geschichte des Radios unter dieser Perspektive beweist, daß diese Fragen fruchtbar sind und es wichtig ist, sie für das Internet von Anfang an zu verfolgen, wozu die Autorinnen mit ihrem Beitrag Anregungen und Ansatzpunkte liefern.

Und jeder geht zufrieden aus dem Haus

Dieser relativ genaue Gang durch die erste Hälfte des Jahrbuchs hat gezeigt, daß, wo Licht ist, auch Schatten ist. Das ist für ein Jahrbuch grundsätzlich weder tragisch noch verwunderlich. Es ist ja kein Problem für den Leser, die Perlen nach seiner Interessenlage herauszufinden. Das sozialwissenschaftlich geprägte Interesse des Rezensenten an "Informationsinfrastruktur" und "elektronischem Handel" ließ die Beiträge von Mecklinger, Hofmann/Saul, Klein, Grimm als besonders lesenswert erscheinen. Trotz der geäußerten Zufriedenheit sollen einige kritische Anmerkungen in konstruktiver Absicht nicht verschwiegen werden:

Es sollten keine Beiträge, die für die Buchpublikation vorgesehen sind, teilweise oder ganz auf die Diskette ausgelagert werden. Wenn etwas ausgelagert werden sollte, dann sind es die "zeitsensitiven" Beiträge, die besser im WWW angeboten werden können. Das Sammelsurium von Dokumentation, Auszügen und Manifesten (teilweise ohne den Urheber auszuweisen) auf der Diskette gehörte ebenfalls besser in Form einer Liste von Links auf den WWW-Server und die Diskette (samt Kosten) könnte man sich sparen. Wollte man bei einer Diskettenzugabe bleiben, dann sollte ein klares inhaltliches Konzept erkennbar und das Angebot vielleicht unter einer einheitlichen, attraktiven Softwareoberfläche geboten werden und nicht als lose Dateiensammlung,

Der Versuch, aus dem Jahrbuch eine permanente Veranstaltung zu machen, ist interessant, aber es ist fraglich, ob es den Bedarf an der unendlichen Publikation und permanenten Kommunikation tatsächlich gibt, oder anders gewendet, ob es nicht besser wäre, die Kräfte auf ein Thema, z.B. die Debatte um den Universal Service zu konzentrieren, da dann aber alles daran zu setzen, daß moderiert diskutiert wird, eine aktuelle Dokumentversorgung eingerichtet wird u.v.m.

Was den Schwerpunkt angeht, der - wie bereits betont - hervorragende und spannende Beiträge enthält, wurde eine stärker gestaltende Hand vermißt. Ein ideales Jahrbuch würde sich auszeichnen durch ein klares inhaltliches Konzept, für dessen Einlösung kenntnisreiche Autoren gewonnen werden, die Originalbeiträge in Absprache mit den Herausgebern und Mitautoren verfaßten. Von diesem Ideal ist der diesjährige Schwerpunkt vielleicht weiter als unbedingt nötig entfernt. Außer dem Fehlen informationsökonomischer Fachbeiträge macht sich negativ bemerkbar, daß es sich bei zu vielen Beiträgen um eine Zweitverwertung handelt, nicht nur weil man den einen oder anderen Artikel schon vorher kannte, sondern weil die Ansprache nicht immer stimmt und sich die Beiträge nicht stimmig in das übergeordnete Konzept einfügen. Auch an dem begrüßenswerten Anliegen, aus dem kommerziellen Bereich der Consultants und Marktforschungsinstitute und dem Mangement der Firmen hochkarätige Artikel zu bekommen, sollte man noch verstärkt weiterarbeiten. Ein Beitrag, wie der Mecklingers zeigt, wie belebend und anregend diese Quelle sein kann.

Bibliographische Angaben

Kubicek, H.; Klumpp, D.; Müller, G.; Neu, W.; Raubold, E.; Roßnagel, A. (Hrsg.): Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 1997. Die Ware Information - Auf dem Weg zu einer Informationsökonomie, R.v. Decker's Verlag: Heidelberg 1997, 98.-- DM