H. HARIG, A. GRUNWALD, W.A. KAYSSER, C.J. LANGENBACH, R. RENZ, G. SCHMID: "Technikfolgenbeurteilung der Erforschung und Entwicklung neuer Materialien. Perspektiven in der Verkehrstechnik. Endbericht zum Vorprojekt."

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Neue Werkstoffe - ein interessantes Thema für die Technikfolgenforschung?

Rezension von Martin Socher, ITAS/TAB

Es scheint, als ob sich das Thema "Neue Werkstoffe" zu einem fest etablierten Gegenstand der Technikfolgenforschung entwickelt. Dies kommt nicht unerwartet, spielen doch "Neue Werkstoffe" eine entscheidende Rolle im Rahmen von Produkt- und Produktionsinnovationen. Insbesondere in Deutschland stellt die Werkstofforschung und -entwicklung einen wichtigen Faktor für die Erhaltung technologischer Kompetenz und globaler Wettbewerbsfähigkeit in entscheidenden Technologiefeldern dar. In Deutschland werden außerordentlich erfolgreich Werkstoffe entwickelt und in wettbewerbsfähigen Produkten eingesetzt. Unter dem Einfluß globaler werdender Märkte hat sich in den vergangenen Jahren der Schwerpunkt der Werkstoffentwicklung verändert. Systeminnovation und ökonomische und ökologische Effizienzsteigerung stehen im Mittelpunkt von Werkstoffentwicklungen, während z.B. Rohstoffunabhängigkeit und Substitution kaum noch eine Rolle spielen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß die noch vor kurzem in Deutschland sehr kritisch betrachteten "reifen Technologiefelder" sich zur Zeit zu Konjunkturlokomotiven entwickeln, dabei eigene Innovationen nutzen und zunehmend "Hochtechnologien" wie z.B. die Informations- und Kommunikationstechnologie mit ihren klassischen Produkten vernetzen. Diese Entwicklung vollzieht sich in der chemischen Industrie, im Maschinen- und Anlagenbau und - von Politik und Öffentlichkeit intensiv wahrgenommen - in der Verkehrstechnik. Schon seit längerem stand vor der Verkehrstechnik die Herausforderung, Mobilität mit Ressourcenschonung und Umweltschutz besser in Übereinstimmung zu bringen. Während noch Anfang der 90er Jahre der Weg dahin eher in neuen Antriebskonzepten, leichteren Fahrzeugen und recyclingfähigen Werkstoffen gesehen wurde, basiert heute ein zukunftsfähiges Mobilitätskonzept auf der Verknüpfung moderner Informations- und Kommunikationstechnik mit darauf maßgeschneiderter Verkehrstechnik. In beiden Technikbereichen spielen "Neue Werkstoffe" eine nicht unerhebliche Rolle.

Das vorliegende Buch versucht, die Erforschung und Entwicklung neuer Materialien, dargestellt am Beispiel der Verkehrstechnik, hinsichtlich möglicher Technikfolgen zu beurteilen. Dabei handelt es sich um den Endbericht zum Vorprojekt der "Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen" in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Nachdem bereits die Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" des 12. Bundestages und das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag sich grundsätzlich mit dem Thema "Neue Werkstoffe" beschäftigt haben, legt die Akademie nunmehr einen Bericht vor, in dem für einen konkreten Technologiebereich die Wirkungen "Neuer Werkstoffe" bewertet werden sollen. Im umfangreichen methodischen 2. Kapitel werden zunächst Ansätze für die Erstellung von Prognosen vorgestellt und diskutiert. Dieser lesenswerte Einstieg wendet sich besonders an interessierte Ingenieure und Naturwissenschaftler und stellt die Relevanz der Methodik für das gewählte Thema dar. Für die Entwicklung von Szenarien für den Verkehrsbereich wird ein qualitativer Ansatz gewählt. Es bleibt offen, ob für den Hauptbericht quantitative Annahmen zur direkten Abbildung ökonomischer und ökologischer Folgen und Wirkungen "Neuer Werkstoffe" in der Verkehrstechnik hinzugezogen werden. Eine solche Herangehensweise würde dazu beitragen, der Öffentlichkeit die Bedeutung der dafür notwendigen Entwicklungen transparenter werden zu lassen. Die Vermutung der Autoren, daß eine mangelnde öffentliche Wahrnehmung zu Akzeptanzproblemen bis hin zur Verschiebung in der Forschungsförderung führen kann, wird weder durch die Realität der Forschungsförderung noch durch die Marktfähigkeit auf Werkstoffinnovation basierender Produkte bestätigt. So ist das neue Förderprogramm des BMBF im Bereich der Werkstofftechnologien auf zehn Jahre angelegt und mit ca. 130 Mio DM auch hinreichend mit Fördermitteln ausgestattet. Der Bericht zeigt in diesem Zusammenhang, daß der Einsatz "Neuer Werkstoffe" fast ausschließlich über deren "performance" gesteuert wird, öffentliche Akzeptanz eine offensichtlich untergeordnete Rolle spielt. Dies wird in den Kapiteln 4 und 5 des Berichtes deutlich. Die Darstellung der stofflichen Aspekte in Kapitel 4 bezieht sich nur zum Teil auf den Verkehrsbereich. Dies ist nicht verwunderlich, denn "Neue Werkstoffe", insbesondere Strukturwerkstoffe, sind oftmals vielfältig einsetzbar. Mit angemessenem Umfang wird in Kapitel 5 der Werkstoffeinsatz in der Verkehrstechnik dargestellt. In diesem Kapitel nimmt das Automobil den größten Raum ein. Dies liegt nicht nur an Marktvolumen, Innovationsfreudigkeit und permanenter öffentlicher/individueller Präsenz, sondern auch daran, daß beim Automobil stoffliche Vielfalt mit konstruktiven Verbesserungen einhergeht, aus denen sich Vorteile auf hart umkämpften Märkten ergeben. Dies gilt beim Massenmarkt Automobil mehr noch als bei allen anderen Verkehrsträgern für den ganzen Produktlebenszyklus.

Insgesamt ist der Bericht eine lesenswerte Vorbereitung auf das Hauptprojekt. Dies war auch die Intention der Autoren. Der Leser darf gespannt sein, wie die methodischen Ansätze umgesetzt werden und welche Beurteilungen der Wirkungen und Folgen "Neuer Werkstoffe" in der Verkehrstechnik sich ergeben.

Bibliographische Angaben

H. Harig, A. Grunwald, W.A. Kaysser, Ch.J. Langenbach, R. Renz, G. Schmid: "Technikfolgenbeurteilung der Erforschung und Entwicklung neuer Materialien. Perspektiven in der Verkehrstechnik. Endbericht zum Vorprojekt." Hrsg. von der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler 1997 (Graue Reihe Nr. 4).