Strategien für eine nachhaltige Energieversorgung - Ein solares Langfristszenario für Deutschland

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Strategien für eine nachhaltige Energieversorgung - Ein solares Langfristszenario für Deutschland

von J. Nitsch [*] Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), und J. Luther [**] FhG-Institut

In zahlreichen Zukunftsentwürfen wird das Potential Regenerativer Energieträger zur Sicherung der Energieversorgung in der Mitte des nächsten Jahrhunderts auf bis zu 75 % veranschlagt. In diesem Projekt der Abteilung Systemanalyse und Technikbewertung (STB) des DLR-Instituts für Technische Thermodynamik wird im Rahmen eines bis zum Jahre 2050 reichenden Szenarios für Deutschland aufgezeigt, wie die dazu erforderliche Wachstumsdynamik dieser Technologien entstehen soll.

Die Energieversorgung spielt eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung ökologisch und sozial nachhaltiger Entwicklungspfade. Die Industriestaaten sind wegen ihres hohen Anteils am globalen Energieverbrauch und der daraus resultierenden klimarelevanten Emissionen in besonderem Maße aufgerufen, entsprechende Strategien frühzeitig zu entwickeln und umzusetzen; auch die schwierigen Fragen der sozialen und ökonomischen Akzeptanz sind unter den Wohlstandsbedingungen dieser Länder leichter lösbar als unter den Knappheitsbedingungen unterentwickelter Weltregionen. Für solche Nachhaltigkeitsstrategien sind hohe Energieeffizienz und die Erschließung regenerativer Energiequellen unverzichtbar. Dabei kommt es insbesondere auf ihre optimale und zeitlich abgestimmte Einpassung in die sich wandelnde Energieversorgungsstruktur an.

Im Rahmen verschiedener Untersuchungen und Gutachten zur Gestaltung der zukünftigen Energieversorgung [1] , [2] entstand eine Datenbasis, welche es erlaubte, ein detailliertes Szenario zur Entwicklung regenerativer Energiequellen zu entwerfen. Das Szenario konkretisiert einen konsistenten Ausbaupfad der Energiewirtschaft Deutschlands bis zum Jahr 2050 und zeigt, welche Beiträge rationelle Energieverwendung (REN), Kraft-Wärme-Kopplung KWK) und regenerative Energien (REG) leisten können, um die CO2-Emissionen auf das aus der Sicht des Klimaschutzes notwendige Niveau von 20% des heutigen Wertes zu reduzieren. Das Szenario soll insbesondere einen Orientierungsrahmen für weitere Diskussionen zum Ausbau und zur Förderung von REG darstellen. Es zeigt, daß die in letzter Zeit verstärkt formulierten Bestrebungen, den Anteil von REG bis zum Jahr 2010 zu verdoppeln (z.B. im Weißbuch der EU; in Verlautbarungen der Umweltministerkonferenz der Länder vom Mai 1998, u.a.) eine Mindestvoraussetzungsind, wenn REG bis zum Jahr 2050 eine substantielle Rolle in der Energieversorgung spielen sollen.

In einem Workshop des Forschungsverbunds Solarenergie am 12. Dez. 1997 in Freiburg wurde das Szenario der Fachöffentlichkeit vorgestellt. [3]

Die wichtigsten Ergebnisse

Ausgangspunkt der Überlegungen zur Nutzung von REG ist die Tatsache, daß in der Ökosphäre natürlich vorhandene, unerschöpfliche Energieströme der menschlichen Nutzung zugeführt werden können. Damit sind die ökologischen Nachhaltigkeitskriterien erfüllbar. Die auf die Kontinente eingestrahlte Energie, die Energien von Wasser und Wind, die stetig nachwachsende Biomasse und die geothermische Energie bieten jährlich rund das 3000-fache des derzeitigen Weltenergieverbrauchs in Form unerschöpflicher Energieströme an. Die technische Nutzung nur eines Promille dieser Energien in Form von Elektrizität, Wärme und chemischen Energieträgern kann also die Energiebedürfnisse der Menschheit auch bei noch steigendem Bedarf vollständig und auf Dauer befriedigen. In zahlreichen aktuellen Zukunftsentwürfen (z.B. Shell 1995; Weltenergiekonferenz 1995) spielen daher REG mit Anteilen zwischen 25 und 75% zur Mitte des nächsten Jahrhunderts eine zentrale Rolle. Aus diesen Zukunftsentwürfen ist jedoch nicht ersichtlich, wie die dazu erforderliche Wachstumsdynamik der REG-Technologien vor dem Hintergrund heutiger Rahmenbedingungen (liberalisierte Energiemärkte, tendenziell sinkende Energiepreise) entstehen soll.

Das Langfristszenario aus [3] greift diese Vorstellungen für die deutsche Energieversorgung auf und quantifiziert den zur rechtzeitigen Mobilisierung von REG erforderlichen Wachstumspfad und die zu einer sinnvollen Einbettung der REG erforderlichen "Vorleistungen" im Bereich von REN und KWK, indem es die gegenseitigen Wechselwirkungen dieser drei Optionen analysiert und ihr Wachstum in zeitlich sorgfältig abgestimmter Folge vorgibt. Die im Vergleich zu heute etwa zweifache Wirtschaftsleistung des Jahres 2050 kann durch die vorrangige Mobilisierung von Einsparpotentialen mit rund 60% des derzeitigen Energieverbrauchs gedeckt werden (Bild 1). Bei einer mit heute vergleichbaren Qualität der Energiebereitstellung decken zu diesem Zeitpunkt regenerative Energien rund 60% des Energiebedarfs; knapp 15% davon werden als Strom aus solarthermischen und photovoltaischen Kraftwerken importiert. Die energiebedingten CO2-Emissionen sind zu diesem Zeitpunkt auf 20% des Wertes von 1990 gesunken. Die Nutzung der Kernenergie ist bis 2030 ausgelaufen, die der Braunkohle bis 2050. Die Einsatzschwerpunkte der verbleibenden fossilen Energieträger sind der Verkehr (Mineralöl), die Prozeßwärmeerzeugung (Erdgas), die Fernwärmerzeugung (Steinkohle) und die Unterstützung der durch REG geprägten Stromerzeugung durch flexible, rasch regelbare Kraftwerke (Erdgas).

Bild 1: <<< In Bearbeitung >>>

Die Stromversorgung des Szenarios erfährt innerhalb der nächsten Jahrzehnte einen grundsätzlichen Wandel, welcher durch das starke Anwachsen vorwiegend kleiner Erzeugungseinheiten in der KWK und bei REG hervorgerufen wird. Bis zum Jahr 2010 steigt der Beitrag der KWK an der Stromversorgung auf 25% (heute knapp 10%); der Beitrag von REG verdoppelt sich auf gut 9% Anteil. Windenergie mit dann 9 000 MWel installierter Leistung und KWK aus Biomasse mit 6 300 MWel stellen das Rückgrat der regenerativen Stromversorgung zu diesem Zeitpunkt dar. Im Jahr 2030 trägt die KWK insgesamt zu 30% zur Stromversorgung bei. Fluktuierende Energien wie Wind und Solarstrom decken im Jahr 2030 bereits 20% und im Jahr 2050 etwa 50% der Stromversorgung (Bild 2).

Bild 2: <<< In Bearbeitung >>>

Ganglinien des Strombedarfs und der einzelnen Erzeugungstechniken, welche in Stundenintervalle aufgelöst sind, zeigen zeitabhängig die resultierenden Anforderungen an die verbleibenden fossil versorgten Kraftwerke. In Varianten wurde der Einfluß veränderter Bedarfsprofile auf die Stromerzeugungsstruktur ermittelt. Der Grund- und Mittellastlastbedarf an Strom im herkömmlichen Sinne (> 4 000 jährliche Vollaststunden) beträgt im Jahr 2050 nur noch rund 10 GW (heute etwa 45 GW) und wird durch Steinkohle und Wasserkraft gedeckt. Andererseits sind kurzzeitig Lastspitzen bis zu 40 GW abzudecken. Die verbleibende Leistung muß in einem zukünftigen Kraftwerkspark des Jahres 2050 daher aus Einheiten bestehen, die in ihrer Regelbreite und in ihrer Regeldynamik hochvariabel sind, wenn regenerative Energien hohe Beiträge leisten sollen. Hierfür eignen sich besonders erdgasgefeuerte Gasturbinen und GuD-Anlagen mit ihren niedrigen fixen Kosten. Der Einstieg in eine derartige Entwicklung dürfte in einem weitgehend liberalisierten Energiemarkt allerdings nur mittels gesetzlich vereinbarter Vorrangregelungen für KWK und REG möglich sein.

Der Umsetzung des Szenarios "Solare Energiewirtschaft" innerhalb der nächsten 50 - 60 Jahre stehen technisch keine grundsätzlichen Hindernisse entgegen. Auch für die Anpassung der Kraftwerkstrukturen bleibt im Rahmen der üblichen Investitionszyklen ausreichend Zeit, wenn Neuinvestitionen vorrangig im KWK- und REG-Bereich erfolgen. Trotz erfreulich wachsender Marktchancen einzelner REG-Technologien, allen voran der Windenergie, ist derzeit jedoch bei weitem noch kein energiewirtschaftlich substantieller Beitrag erreicht. Zudem sind die Auswirkungen des liberalisierten Strommarktes auf die Entwicklungschancen der REG noch nicht absehbar. Der energiewirtschaftlich relevante "Einstieg" in die Nutzung von REG muß jedoch bis zum Jahr 2010 erreicht werden, damit diese rechtzeitig bedeutende Beiträge zur Energieversorgung leisten können. Dazu müssen Energie-, Umwelt- und Technologiepolitik die nationalen und europäischen Rahmenbedingungen und Instrumente so gestalten, daß die energiewirtschaftliche Entwicklungsdynamik in diesem Bereich nicht abbricht und der Markt für innovative Lösungen in den drei Technologiefeldern REN, KWK und REG rasch und dauerhaft wächst. Die angenommene Mobilisierung der REG induziert bis 2010 ein kumuliertes Investitionsvolumen von knapp 100 Mrd DM, davon rund 70% bei den REG-Techniken und 30% im Bereich der Nahwärmeversorgung). Bei konstant bleibenden Energiepreisen entsteht allerdings eine Finanzierungslücke von rund 20 Mrd DM. Insbesondere eine deutliche, nach Techniken und Energiearten differenzierte, zeitlich begrenzte Anschubfinanzierung für REG und eine aufkommensneutrale Steuerreform mit "ökologischen" Komponenten, welche die Preise erschöpflicher bzw. umweltbelastender Energieträger stetig erhöht und so die volkswirtschaftliche Attraktivität von REG-Investitionen erheblich steigert, sind wirksame Instrumente, um diesen Einstieg in Gang zu bringen und ihm auch nach dem Jahr 2010 Dauerhaftigkeit zu verleihen.

[*] Abteilungsleiter, DLR-Institut für Technische Thermodynamik, Stuttgart.

[**] Institutsdirektor, FhG-Institut für Solare Energiesysteme, Freiburg.

Literatur

[1] G. Altner, H.-P. Dürr, G. Michelsen, J. Nitsch: "Zukünftige Energiepolitik - Vorrang für rationelle Energienutzung und regenerative Quellen". Economica-Verlag, Bonn 1995 (ISBN 3-87081-145-5).

[2] O. Langniß, J. Nitsch: "Vorschlag für ein Sonderprogramm zur beschleunigten Markteinführung regenerativer Energien bis 2010". Expertise für die Gruppe "Energie 2010". DLR Stuttgart, Mai 1997. Siehe auch: "Zukünftige Energiepolitik (Phase II) - Handlungsprogramm". Niedersächsische Energieagentur, Hannover, Juli 1998.

[3] O. Langniß, J. Luther, J. Nitsch, E. Wiemken: "Strategien für eine nachhaltige Energieversorgung - Ein solares Langfristszenario für Deutschland". Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme. Stuttgart, Freiburg, Oktober 1997 (2. Aufl., März 1998). Auch in: Workshops des Forschungsverbunds Sonnenenergie (Hrsg.: H.P. Hertlein, P..Tolksdorf), Workshop 12.12.1997 in Freiburg, ISSN 0949-1082, Köln, April 1998.

Kontakt

Dr. Joachim Nitsch
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Pfaffenwaldring 38-40, 70569 Stuttgart
Tel.: +49 711 6862483
E-mail: joachim.nitsch∂dlr.de