Projekt: "Biotechnologie im produktionsintegrierten Umweltschutz" des ISI abgeschlossen

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Biotechnologie im produktionsintegrierten Umweltschutz

von Bärbel Hüsing, Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe

"Produktionsintegriert" und "nachhaltig (sustainable)" - so sollte ein "Umweltschutz der Zukunft" ausgestaltet sein. Was bedeutet das aber für die Biotechnologie, die schon jetzt im Umweltschutz eine wichtige Rolle spielt? Welchen Beitrag können biotechnische Verfahren zum produktionsintegrierten Umweltschutz und zu einer nachhaltigen Entwicklung überhaupt leisten? In welchen Branchen und bei welchen industriellen Prozessen bieten sich Einsatzmöglichkeiten? Und was kann getan werden, um den Einsatz umweltschonender biotechnischer Verfahren in der Industrie zu forcieren? Antworten auf diese Fragen versuchte das Karlsruher Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) im Auftrag des Umweltbundesamtes zu finden.

Bisher sind biotechnische Verfahren im Umweltschutz fast ausschließlich typische "end-of-pipe-Verfahren": aus der Abwasserbehandlung sind sie nicht mehr wegzudenken, werden doch in Deutschland mehr als 92% des Abwassers in öffentlichen Kläranlagen biologisch gereinigt. Biofilter und Biowäscher zur Abluftreinigung können mit physikalisch-chemischen Verfahren konkurrieren, organische Abfälle werden großtechnisch vergärt, kompostiert oder zu Biogas umgesetzt, und auch bei der Sanierung kontaminierter Standorte haben biotechnische Verfahren längst Praxisreife erlangt. Dass nachsorgende Umweltschutzverfahren dominieren, ist jedoch nicht typisch für die Biotechnologie, sondern für unseren Umweltschutz insgesamt: etwa 80% der Umweltschutzinvestitionen fließen in den nachsorgenden Umweltschutz.

Wenn man es aber ernst mit einer nachhaltigen umweltgerechten Entwicklung meint, kann der alleinige Ausbau nachsorgender Umweltschutztechniken nicht der richtige Weg sein - man darf nicht erst ansetzen, wenn Wasser, Boden und Luft bereits verschmutzt und Abfälle angefallen sind, sondern muss Produktionsprozesse von vornherein so gestalten, dass Belastungen und Abfälle gar nicht erst entstehen - dies ist der Grundgedanke des produktionsintegrierten Umweltschutzes.

Für Biotechnologen hat dieses Konzept besonderen Charme: weil biotechnische Verfahren auf den Stoffwechselleistungen von Mikroorganismen oder von Enzymen beruhen, laufen sie unter "sanften Bedingungen", d.h., in wässrigen Medien, unter Normaldruck und bei niedrigen Temperaturen ab, und wenn überhaupt Abfälle anfallen, dann sind sie meist gut biologisch abbaubar. Da ist es doch naheliegend, "harte Chemie" durch "sanfte" biotechnische Verfahren zum Wohle der Umwelt zu ersetzen - um Energie zu sparen und um die Verwendung und Emission toxischer Stoffe zu verringern. Auch die Substitution erschöpflicher fossiler Rohstoffe durch nachwachsende Rohstoffe ist möglich. Biotechnische Verfahren sind von einer so "positiven Aura der naturnahen Herstellungsverfahren umgeben, dass selbst ausgewiesene Kritiker der Gentechnik den Einsatz von Enzymen als wichtige Komponente einer "sanften Chemie" für eine möglicherweise annehmbare gentechnische Entwicklung halten" (Sauter 1996).

Seit Mitte der 90er Jahre loten auch Bundes- und Landes-Umweltministerien und das Umweltbundesamt die Potentiale der Biotechnologie im produktionsintegrierten Umweltschutz aus (BMU 1997, Umweltministerkonferenz 1998), nachdem sie zuvor die Bio- und Gentechnik nahezu ausschließlich unter dem Risikoaspekt betrachtet hatten. Das Umweltbundesamt hat mehrere Studien in Auftrag gegeben und veröffentlicht (Hüsing et al. 1998, Ast und Sell 1998, Dürkop et al. 1999). Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt hat einen Förderschwerpunkt "Einsatz biotechnologischer Verfahren und Produkte im Sinne eines produkt- bzw. produktionsintegrierten Umweltschutzes in ausgewählten Industriebranchen" eingerichtet, und nicht zuletzt hat auch die Chemische Industrie mit einem Bericht Stellung genommen (VCI 1996). Auf internationaler Ebene hat die OECD einen entsprechenden Bericht veröffentlicht (OECD 1998), und auf EU-Ebene hat das Institute of Prospective Technological Studies (IPTS) in Sevilla das Projekt "Biotechnology and the Greening of Industry" initiiert, in dessen Rahmen verschiedene Studien zum Thema erarbeitet werden (IPTS 1996, Enzing et al. 1998, Hüsing et al. 1999).

Aber: wo werden solche umweltschonenden Verfahren bereits in der Praxis eingesetzt, was bringen sie tatsächlich an Umweltentlastung, und was ist zu tun, um das Potential voll auszuschöpfen? In einer umfassenden Untersuchung, die im Auftrag des Umweltbundesamtes zu Stand und Perspektiven biotechnischer Verfahren im produktionsintegrierten Umweltschutz durchgeführt wurde, kommt das Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) zu dem Ergebnis, dass besonders die chemische und pharmazeutische Industrie, die Lebensmittel-, Textil-, Papier- und Zellstoff- sowie die Lederindustrie von biotechnischen Verfahren profitieren könnten (Hüsing et al. 1998): 

Trotz dieser umfangreichen Liste von etablierten bzw. praxisnahen biotechnischen Verfahren im produktionsintegrierten Umweltschutz ist man von einer breiten Nutzung des Potentials biotechnischer Verfahren zur Umweltentlastung noch weit entfernt. Neben wissenschaftlich-technischem Forschungsbedarf und der Notwendigkeit, weitere Verfahren zu optimieren bzw. neu zu entwickeln, gibt es noch weitere Hemmnisse. So ist umfassendes Know-how in den Bereichen Bio- und Enzymtechnik, im produktionsintegrierten Umweltschutz sowie bezüglich Marktstrukturen, Markterfordernissen und Kundenbedürfnissen erforderlich, um biotechnische Verfahren im produktionsintegrierten Umweltschutz einzusetzen. Dieses umfassende Know-how liegt am ehesten in Unternehmen der Chemischen Industrie vor, ist in den anderen Branchen aber nur in Ausnahmefällen innerhalb eines Unternehmens bzw. einer Forschungseinrichtung zu finden.

Weil Biotechnologie sehr forschungsintensiv ist, ist es für die Lebensmittel-, die Papier-, Zellstoff-, Leder- und Textilindustrie als Branchen mit nur geringen Forschungsintensitäten grundsätzlich schwierig, biotechnisches Know-how aufzubauen. Außerdem sind diese Branchen überwiegend mittelständisch geprägt, und in mittelständischen Betrieben ist das Stoffstrom- und Umweltmanagement in der Regel nicht so weit gediehen, dass produktionsintegrierte Verfahren allgemein, nicht nur biotechnische Verfahren, problemlos eingeführt werden könnten.

Für den Einsatz biotechnischer Präventivtechniken im produktionsintegrierten Umweltschutz summieren sich die genannten Probleme. Das erforderliche Know-how kann in der Regel nur über Kooperationen und die Einbindung in entsprechende Netzwerke erschlossen werden. Eine überwiegend mittelständische Struktur, geringe Forschungsintensitäten, eine schwierige wirtschaftliche Lage und eine konservativ-traditionelle Ausrichtung sind strukturelle und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die dies erschweren.

Darüber hinaus konkurrieren biotechnische Präventivtechniken mit anderen technischen Problemlösungen. Selbst wenn sich biotechnische Verfahren als mindestens ebenso gut wie ein etablierter Prozess erweisen, führt dies nicht unbedingt zu ihrer Umsetzung in die Praxis - so zum Beispiel, weil der biotechnische Prozess eine andere Produktionsanlagenkonzeption als der bestehende Prozess erfordert, die Anlage aber bereits existiert, oder dass der konventionelle Prozess in ein Netzwerk anderer Prozesse eingebunden ist (z. B. durch Nutzung von Abfallprodukten anderer Prozesse), in das sich der biotechnische Prozess nicht ohne weiteres einfügen lässt, oder einfach, weil Vorbehalte gegenüber der nicht vertrauten Technik bestehen.

Betrieben, die gegenüber der Biotechnik aufgeschlossen sind, fehlen konkrete, praxisnahe Hilfen und Instrumente für die Entscheidung, ob sich der Einsatz des biotechnischen Verfahrens für ihr Unternehmen "rechnet".

Für Enzymhersteller stellen einige Anwendungen (z. B. deutsche Lederindustrie, einzelne Synthesen in der chemischen Industrie) ein so kleines Segment dar, dass die zu erwartenden Enzymumsätze in einem ungünstigen Verhältnis zum erforderlichen FuE-Aufwand zur Entwicklung neuer Enzympräparate und Verfahren stehen.

Um den Einsatz umweltschonender biotechnischer Verfahren in der Industrie zu forcieren, schlägt das ISI folgende Maßnahmen vor: 

Literatur

Ast, A., Sell, D. (1998): Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen zur Verringerung von Umweltbelastungen. Forschungsbericht UBA-FB 98-111 zum Vorhaben 108 02 903. UBA-Texte 80/98. Berlin: Umweltbundesamt 1998 

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU (1997): Beitrag der Biotechnologie zu einer nachhaltigen, umweltgerechten Entwicklung. Tagungsband des Fachgesprächs vom 17.12.1996 in Bonn. Bonn: BMU 1997

Dürkop, J., Dubbert, W., Nöh, I. (1999): Beitrag der Biotechnologie zu einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung. UBA-Texte 1/99. Berlin: Umweltbundesamt 1999

Enzing, C., Van Dalen, W., de Hoop, B., Thomas, S., Burke, J., Schmitt, A., Heiden, L., Viikari, L. (1998): Biocatalysis: state of the art in Europe - economic and environmental benefits of a process integrated technology. Seville: IPTS 1998

Hüsing, B., Gießler, S., Jaeckel, G. (1998): Stand der Möglichkeiten von prozeßintegrierten biotechnischen Präventivtechniken zur Vermeidung oder zur Verminderung von Umweltbelastungen. Forschungsbericht UBA-FB 98-094 zum Vorhaben 10802902alt/29694902neu. UBA-Texte 68/98. Berlin: Umweltbundesamt 1998

Hüsing, B., Jaeckel, G., Wörner, S. (1999): The Introduction of Process Integrated Biocatalysts in Companies - Effect of Dynamics in Internal and External Networks. Report for the Institute for Prospective Technological Studies. Karlsruhe: Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung 1999

Institute for Prospective Technological Studies, IPTS (1996): Annual Report 1995. Seville: IPTS 1996

Umweltministerkonferenz (1998): Chancen und Risiken der Gentechnik im Umweltschutz. Tagungsband zur öffentlichen Anhörung der Umweltministerkonferenz am 6.-7. November 1997 in Erfurt. Erfurt: Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt (TMLNU) 1998

Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD (1998): Biotechnology for clean industrial products and processes. Towards industrial sustainability. Paris: OECD 1998

Sauter, A. (1996): Monitoring "Stand und Perspektiven der Katalysatoren- und Enzymtechnik", Sachstandsbericht. Arbeitsbericht Nr. 46, Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Bonn

VCI (1996): Zwischenbericht des Expertenkreises Bio- und Gentechnik. Verein der Bayrischen Chemischen Industrie e. V., Verband der Chemischen Industrie e. V., Landesverband Bayern, München, Juli 1996

Kontakt

Dr. Bärbel Hüsing
Abteilung Innovationen in der Biotechnologie
Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI)
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