Rationale Technikfolgenbeurteilung (Rezension)

TA-relevante Bücher

ARMIN GRUNWALD (Hrsg.): Rationale Technikfolgenbeurteilung. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 1999. 212 S. ISBN 3-540-65159-4

Rezension von Konrad Ott, Universität Greifswald

Die Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen hat seit ihrer Gründung ein besonderes Augenmerk auf die philosophischen, methodologischen, wissenschaftstheoretischen und ethischen Aspekte des Unternehmens "TA" gerichtet. Die im Springer-Verlag angesiedelte Schriftenreihe der Akademie "Wissenschaftsethik und Technikfolgenbeurteilung" wurde mit einem von Armin Grunwald herausgegebenen Band "Rationale Technikfolgenbeurteilung" eröffnet. Grunwald ist nicht nur Herausgeber des Bandes, sondern hat fünf von acht namentlich gekennzeichneten Texten als Autor verfasst oder mitverfasst. Der einleitende Text stammt von Carl F. Gethmann; Autoren weiterer Beiträge sind Mathias Gutmann, Gerd Hanekamp, Christian Langenbach und Stephan Lingner. Das Anliegen, das sich wie ein roter Faden durch den Band hindurch zieht, ist die methodische Rekonstruktion zentraler Begriffe der TA. Die Auswahl der Begriffe geht in medias res der TA-Problematik: Konzeption, Rationalität, Prognose, Systemanalyse, Risiko, Verantwortung. Im Hintergrund steht die Theorietradition des Erlanger Konstruktivismus in ihrer Fortführung besonders durch Peter Janich und Carl F. Gethmann, die einen gemeinsamen theoretischen Bezugsrahmen darstellt. "Methodische Rekonstruktion" besagt v.a., dass die Einführung und die definitorische Fassung von Begriffen und Unterscheidungen durch die Angabe der Zwecke begründet wird, die damit verfolgt werden. Dieser gemeinsame theoretische Bezugsrahmen unter scheidet den Band qualitativ von einer Aufsatzsammlung. Man darf diesen Band als eine Art Zwischenbericht der bisherigen theoretischen Arbeit der Mitarbeiter der Akademie, d.h. als Grundlegung einer ambitionierten Konzeption zur Technikbeurteilung lesen. In deren Mittelpunkt steht eine präskriptive Konzeption von Rationalität, die sich als differenzierte Rechtfertigungs- und Zweckrationalität kennzeichnen lässt [1] . Ich werde mich hauptsächlich an einzelnen mir problematisch erscheinenden Punkten und nicht an den breiten Zonen der Übereinstimmung orientieren. Die hier anzusprechenden Dissense mögen für Außenstehende wie Familienzwistigkeiten innerhalb eines gemeinsamen diskurstheoretischen Rahmenkonzeptes der Technikbeurteilung erscheinen; sie dürften jedoch Konsequenzen für die nähere Konzeptualisierung von TA-Verfahren haben.

Der Band gliedert sich in drei Teile:

  1. Konzeption,
  2. methodische Grundlagen,
  3. Kernbegriffe der Technikfolgendiskussion.

In seinem eröffnenden Beitrag "Rationale Technikfolgenbeurteilung" kritisiert Gethmann den metaethischen Nonkognitivismus, der den ersten TA-Konzeptionen zugrunde gelegt wurde. Dies impliziert eine Kritik an der dezisionistischen Konzeption wertfreier Politikberatung. Gethmann begreift die epistemologische und die ethische Dimension von TA als "zwei komplementäre Teile eines wissenschaftsphilosophischen Programms" (S. 4). Es darf für Gethmann in der TA nicht nur um die Abschätzung und Bewertung (un)intendierter Nebenfolgen gehen; mindestens ebenso wichtig ist die Rechtfertigbarkeit der Ziele und Zwecke, an denen sich eine Technikentwicklung ausrichtet. Begrifflich wird Rationalität an Rechtfertigbarkeit und diese wiederum an Verallgemeinerbarkeit gebunden. Scharf wird zwischen faktischer Ak zeptanz und begründbarer Akzeptabilität unterschieden. Faktische (Nicht-)Akzeptanz ist ethisch belanglos. Dies gilt auch für die Bewertung von Risiken [2] und trifft Konzepte von TA, die einen an faktischen Wertvorstellungen orientierten Begriff der Sozialverträglichkeit zugrunde legen. Akzeptabilität kann nur prozedural bestimmt werden (S. 6). Allerdings ruhen, worauf auch Grunwald mehrfach hinweist, auch die Kriterien für Akzeptabilität auf der faktischen Akzeptanz lebensweltlich-kultureller Grundlagen ("prädiskursives Einverständnis"). "Prädiskursive Einverständnisse" sind eine Basis für Verständigung, die kurzfristigen Änderungen nicht unterliegen. Es dürfte sich v.a. um grundlegende moralische Überzeugungen handeln, die in ei ner jeden Technikbeurteilung vorausgesetzt werden dürfen. Inhaltlich stehen bei Gethmann die Fragen im Mittelpunkt, wie Ziele technischen Handelns gerechtfertigt werden können und inwieweit Risiken anderen dabei zugemutet werden dürfen [3] . Dies führt - über die Fragen nach Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß hinaus - zu den ethischen Fragen der Zulässigkeit von Risikovergleichen und der Gerechtigkeit bei der Verteilung von Risiken.

Im Abschnitt "Technikfolgenabschätzung. Konzeption und Kritik" durchmustert Grunwald die bekannten TA-Konzeptionen. Besonders kritisch fällt die Einschätzung partizipativer TA-Konzepte (PTA) aus, mit deren Grundidee der Rezensent sympathisiert. Anlass für Grunwalds geringschätziges Urteil sind u.a. Äußerungen von Wolfgang van den Daele und Rainer Döbert, die das von ihnen organisierte TA-Verfahren zur Herbizidresistenz (WZB-Verfahren) unter den Prämissen eines metaethischen Nonkognitivismus durchführten [4], wodurch die normative Dimension von TA nur noch als Verhandlung zwischen strategisch eingestellten Gegenspielern ("bargaining") verstanden werden konnte. Dagegen wendet sich Grunwald (S. 21) ebenso zurecht wie gegen die von Daele und Döbert vorgenommene konzeptionelle Aufwertung eines strategisch einsetzbaren Veto-Rechts zu einem zentralen Merkmal eines "uneingeschränkten Diskurses" [5] . Grunwald nimmt diese mangelhafte Konzeption der WZB-Gruppe als repräsentativ für PTA und behauptet, PTA-Konzepte vertreten "durchgängig" (S. 24) die Ansicht, die Sphäre normativer Geltungsansprüche sei eine des Aushandelns widerstreitender Interessen. In der Tat: Wäre PTA auf einen metaethischen Nonkognitivismus und auf ein Aushandeln von Interessen gemäß faktisch akzeptierten Wertvorstellungen konzeptionell festgelegt, so wären sub specie der Ethik PTA-Verfahren belanglos. Aber die Prämisse ist unhaltbar. Ich möchte gegen Grunwald darauf insistieren, dass PTA mit der (in vielen Hinsichten mangelhaften) Konzeption des WZB-Verfahrens nicht identifiziert werden darf [6] .

Dem Ansatz des "Kooperativen Diskurses" von Ortwin Renn wird von Grunwald vorgehalten, er führe zu einer "weitgehenden Akzeptanzorientierung" (S. 20). Problematisch sei, dass das faktische Ergebnis eines partizipativen TA-Verfahrens, das nach dem Konzept des "Kooperativen Diskurses" durchgeführt werde, ohne weitere Prüfung zugleich als das richtige ausgegeben werde. Diesen Punkt verallgemeinert Grunwald und spitzt ihn zum Vorwurf eines naturalistischen Fehlschlusses zu:

"PTA kann das Legitimitätsproblem nicht lösen, insofern sie sich an der faktischen Zustimmung der Betroffenen bzw. der Diskursteilnehmer bezieht. Der Versuch, hieraus Orientierung in normativer Hinsicht zu gewinnen, führt nur zu naturalistischen Fehlschlüssen" (S. 23).

Ich halte diesen Vorwurf für unhaltbar. Unter einem naturalistischen Fehlschluss versteht man entweder die Ableitung normativer Konklusionen aus deskriptiven Prämissen oder die Definition von "gut" durch ein empirisches Prädikat. Wenn nun - was auch Gegner diskursethisch inspirierter Ansätze in der TA einräumen dürften - die Diskursidee bereits in sich normativ bestimmt ist, da die Begriffe der Gültigkeit bzw. Richtigkeit an die der Zustimmungs- qua Anerkennungswürdigkeit in einer idealen Sprechsituation gebunden werden, und wenn man weiterhin annimmt, dass sich die inhärente Normativität der Diskursidee auch in die Konzeptionen und Verfahren hinein verlängert, gemäß derer man sie unter unvollkommenen Bedingungen approximativ realisieren möchte, so liegt hierin vielleicht ein unrealistischer Idealismus, aber gewiss kein naturalistischer Fehlschluss vor, da es zulässig ist, von normativen Prämissen auf normative Konklusionen zu schließen, also zu sagen, dass Technikbeurteilungen, die im Rahmen eines fairen diskursiven PTA-Verfahrens erzielt wurden, nicht einfach faktisch anerkannt werden (wie beliebige Präferenzen und Meinungen), sondern eine Vermutung auf transsubjektive Akzeptabilität mit sich führen, da sie auf einer transparenten, nachvollziehbaren und überprüfbaren Argumentationsbasis beruhen, die im Verfahren gemeinsam erarbeitet und (idealiter) anerkannt wurde [7] . Damit ist natürlich das Problem nicht gelöst, ob und unter welchen Bedingungen Verhandlungselemente legitimerweise Eingang in PTA-Verfahren finden dürfen - etwa bei der Suche nach einem moralisch motivierten Kompromiss.

Grunwalds zweites Argument gegen PTA macht geltend, dass die Forderung nach partizipativen Verfahren konsequenterweise über die Technologiepolitik hinaus auf andere Felder ausgeweitet werden müsse. Er nennt Umwelt-, Sozial-, Gesundheits- und Verteidigungspolitik. Mir scheint, als wolle Grunwald hier auf ein "reductio-ad-absurdum"-Argument hinaus. Er deutet dieses Argument aber bestenfalls an. Vertreter partizipativer Ansätze würden diese Konsequenzen ebenfalls sehen, aber bestreiten, dass es sich um eine absurde oder um eine kontraintuitive Konsequenz handelt. Gewichtig bleibt allerdings Grunwalds Einwand, dass fraglich sei, ob sich durch die Einbeziehung von Laien in TA-Prozesse irgend ein Rationalitätsgewinn in kognitiver Hinsicht erzielen lässt. Ich glaube, dass man diese Frage nicht a priori, sondern nur beantworten kann, indem man die bisherigen Erfahrungen mit PTA kritisch auswertet [8] .

Der zweite Teil eröffnet mit einer Reflexion Grunwalds auf den Rationalitätsbegriff. Grunwald bestimmt diesen Begriff ähnlich wie Gethmann (s.o.), d.h. so, dass die Entwicklung von Verfahren der diskursiven Einlösung von Geltungsansprüchen als zentraler Schritt auf dem Wege zur Operationalisierung des Rationalitätsbegriffs zu verstehen ist (S. 37). Diskurse sind im Konzept der Rationalen Technikfolgenbeurteilung allerdings ohne partizipative Elemente möglich. Die Herstellung von Partizipation mag gelegentlich aus prudentiellen Gründen sinnvoll sein, ist aber begrifflich nicht an den Diskursbegriff gebunden. Partizipative Elemente (Bürgerforen, Konsensuskonferenzen u. dergl.) sind entbehrlich, weil in der diskursiven "Beratung", wie sie Grunwald und Gethmann vorsehen, ein funktionales Äquivalent eingeführt wird, das ethische Akzeptabilität gewährleistet:

"Wenn das Prinzip der Verallgemeinerbarkeit als Basis anerkannt wird (...), dann sollten die Ergebnisse der Beratung offenkundig auch von nicht an der Beratung Beteiligten anerkannt werden können. Auf diese methodisch gesicherte Weise gewinnen die Ergebnisse der Beratung argumentative Kraft über die Gruppe der Beratenden hinaus" (S. 38).

Bestimmt wird das Prinzip der Verallgemeinerbarkeit allerdings nur negativ als Forderung, keine beliebigen, willkürlichen oder bloß subjektiven Meinungen als Argumente zu verwenden. Gewiss restringieren Verallgemeinerbarkeitsforderungen die Möglichkeiten, Sprechhandlungen als Argumente in Diskursen zu verwenden [9] . Nun gibt es nicht "das" Verallgemeinerbarkeitsprinzip, sondern mehrere Varianten [10] . Bei Hare wird dieses Prinzip rein semantisch verstanden, bei Habermas drückt die Argumentationsregel "U" den Gedanken der Verallgemeinerbarkeit aus [11] . Mackie hat drei Stufen der Verallgemeinerbarkeit unterschieden. Bei Rawls taucht das Problem auf als das der "freistehenden" Gründe, die unter dem "veil of ignorance" von allen anerkannt werden. In Kontexten der angewandten Ethik (Umweltethik, Bioethik) ist es häufig fraglich, wie scharf diese Verallgemeinerbarkeitsforderung definiert sein soll oder darf, d.h. welchen Typen von Redehandlungen man den Status von Argumenten zuerkennt. In der Konsequenz betrifft das religiöse, eudaimonistische, axiologische und physiozentrische Gründe, Leitbilder und Äußerungen, die mit Gefühlen (Ängsten, Hoffnungen) durchmischt sind. Unklar ist auch die Rolle von Verallgemeinerbarkeitsforderungen in bezug auf die Akzeptabilität von zugemuteten Risiken. Unter welchen Bedingungen sind Besorgnisse vor Dammbrüchen ("slippery-slope"-Argumente) verallgemeinerbar? Es fällt demgegenüber leichter, die Ziele und Zwecke einer Technikentwicklung in eine sprachliche Form zu bringen, die den meisten Verallgemeinerbarkeitsprinzipien genügt [12] . Nur ist die Verallgemeinerbarkeit der Ziele technischen Handelns nicht hinreichend für die Akzeptabilität einer strittigen Technik; denn deren umfassende Beurteilung muss die gesamte spezifische Konfiguration von Zwecken, Kosten, Risiken, in Kauf genommenen, unintendierten Folgen usw. in den Blick nehmen. Weiterhin bilden sich in einer umfassenden Technikbeurteilung komplexe Argumentationsräume und -lagen heraus, aus denen in der Regel keine eindeutigen Schlussfolgerungen bzw. Ergebnisse abgeleitet werden können. Mit diesen Hinweise möchte ich nur darauf aufmerksam machen, dass ein nur negativ bestimmtes Verallgemeinerungsprinzip nicht hinreicht, um die Zustimmung der nicht an der Beratung Beteiligten zweifelsfrei zu garantieren. Grunwald dürfte dem wohl zustimmen. Er formuliert diesen Punkt entsprechend vorsichtig: "sollten anerkannt werden können" statt "müssen anerkannt werden", "argumentative Kraft" statt "Verbindlichkeit". Für PTA-Konzepte stellt die Frage nach Partizipation und Verallgemeinerbarkeit kein "entweder-oder" dar. Bei Grunwald bleibt letztlich offen, wer an den Beratungen teilnehmen darf. Es gibt keine Hinweise zur Teilnehmerrekrutierung [13] .

Instruktiv sind Grunwalds Darlegungen zur Planungs- und Entscheidungsrationalität. Grunwald möchte jenseits von Planungsoptimismus und völliger Planungsskepsis einen "dritten Weg" einer flexiblen Planung beschreiten. Ich glaube im Sinne Grunwalds, dass ein von sozialtechnologischen Vorstellungen gereinigter, differenzierter und ehrlicher Begriff der Planung gegenüber der häufig recht wolkigen Rede von "Gestaltung" einige Vorzüge aufweist.

Gutmann und Hanekamp zeigen in ihrem wissenschaftstheoretischen Beitrag auf hohem Niveau, dass TA nicht nur Objekt von wissenschaftstheoretischer Reflexion ist, sondern dass derartige Reflexionen zugleich ein integrales Element von TA-Verfahren selbst sein müssen. Stimmt man dem zu und versteht man dies als Vorgabe und Aufforderung für die inhaltlich ausgerichteten Themen der Akademie, so wäre an den kommenden Projektberichten (etwa zur Klimaproblematik) zu überprüfen, ob und inwieweit sich diese wissenschaftstheoretischen Einsichten in den Ergebnissen dieser Projekte wiederfinden lassen. Eine wirkliche Integration wissenschaftstheoretischer Reflexionen in TA-Projekte könnte auf ein neues Niveau von TA hinauslaufen [14] . Natürlich könnte dies die Kommunikabilität von TA-Resultaten gegenüber dem politischen System und der Öffentlichkeit erschweren [15] .

Der dritte Teil des Bandes behandelt das Prognoseproblem von TA, das Verhältnis von Systemanalyse und TA sowie die Risikobeurteilung und den Verantwortungsbegriff. Grunwald und Langenbach grenzen den Prognosebegriff scharf gegenüber Annahmen ab, Prognosen würden künftige Realitäten repräsentieren. Unter Berufung auf einen Satz von Gotthard Bechmann, wonach Prognosen gegenwärtige Zukünfte, aber nicht zukünftige Gegenwarten seien, wenden sie sich gegen einen "prognostischen Realismus" und schlagen vor, Prognosen als "Elemente planungsrationalen Handelns zu verstehen", d.h. als "Planungsgrößen zur Optimierung von Entscheidungen" (S. 97). Im Anschluss an Knapps Buch "Logik der Prognose" (1978) werden Prognosen als begründete Erwartungen bestimmt. Unstrittig ist, dass Prognosen zentrale Komponenten von TA sind und bleiben werden. Auch die Stoßrichtung gegen die naive Auffassung, die Zukunft sei in unseren prognostischen Urteilen bereits "vorhanden", ist berechtigt. Wenn man allerdings von Prognosen als begründeten Erwartungen ausgeht, setzt man voraus, dass es unterschiedlich gut begründete Prognosen geben kann [16] . Im Kontext zweckrationalen Planungshandelns im Sinne Grunwalds wäre es nun nicht ratsam, schlecht begründete Prognosen zu Elementen der Planung zu machen. Man will sich als rationaler Planer ja an genau den Erwartungen orientieren, von denen man glaubt, dass sie sich eher erfüllen könnten als andere. Insofern ist ein schwacher prognostischer Realismus in der Bestimmung von Prognosen als Planungsgrößen noch präsupponiert. Grunwald und Langenbach glauben, mit Blick auf die Begründungsproblematik zwischen dem nicht exakt ermittelbaren Maß der Verlässlichkeit (S. 107) und dem "Maß der Erwartungsgebotenheit" einer Prognose unterscheiden zu müssen. Auch im Begriff der Erwartungsgebotenheit sind realistische Konnotationen mitgeführt. Insofern scheint mir das "sondern" im folgenden Zitat eine zu kontradiktorische Relationierung zwischen der "futurologischen" und der "pragmatischen" Dimension von Prognosen darzustellen:

"Wir prognostizieren nicht, um die technische Zukunft zu erkennen, sondern um technische und technikpolitische Entscheidungen (...) zu optimieren" (S. 122).

Instruktiv wiederum ist die Unterscheidung von Prognosetypen sowie die Darstellung von methodisch gestützten Prognosetechniken. Auch die Kritik an der Annahme von allgemeinen Verlaufsgesetzen des sozialen Wandels ist berechtigt; die Verwendung statistisch aggregierter Verhaltensprognosen [17] zeigt aber auch, dass es nicht prinzipiell unvernünftig ist, derartige Regelhaftigkeiten zur Grundlage der Planung zu machen. Das Problem der möglichen Rolle von sozialwissenschaftlichen, psychologischen und ökonomischen Theorien bei der Formulierung von Sozialprognosen darf nicht der berechtigten Kritik an geschichtsphilosophischen Denkfiguren subsumiert werden.

Im Gesamtkonzept einer rationalen Technikbeurteilung darf es keine Enklave persistierender Irrationalität geben. Dies gilt besonders für den Themenkomplex "Risiko". Man muss die Komplexität von Risikoperzeptionen und Risikotheorien zulassen, ohne an der Möglichkeit rationaler Risikobewertung zu verzweifeln. In ihrem Beitrag zur Risikoproblematik hinterfragen Gutmann und Hanekamp zunächst auf wohltuende Weise die landläufige Rede, Risiko sei ein "Konstrukt". Die Rede vom Risiko als "Konstrukt" wird häufig gegen die Möglichkeit ins Feld geführt, über Risiken rational diskutieren und - trotz aller bekannten Schwierigkeiten der Risikokommunikation - sich für oder gegen ihre Akzeptabilität mit Gründen entscheiden zu können. Gutmann und Hanekamp gehen in kritischer Absicht unterschiedlichen Formen der Kombination beider Annahmen ("Konstruktcharakter", "Irrationalität") nach. Ihre Auseinandersetzung mit van den Daele, Beck und Luhmann ist lesenswert, ihre eigenen Vorschläge erscheinen hingegen unausgereift [18] . Dies betrifft u.a. die Idee eines anerkannten Schadensmaßstabs (S. 173). Es hängt jedoch von strittigen ethischen Vorentscheidungen ab, wann ein Ereignis als ein Schaden zu verstehen ist, wie schwer ein Schaden wiegt, ob sich zukünftige Schäden diskontieren lassen, welche Schäden kompensationsfähig sind usw. In entsprechende Überlegungen wiederum gehen Annahmen über die legitime Vergleichbarkeit unterschiedlicher Risikotypen ein. Am Ende ihrer Überlegungen reflektieren die Autoren kritisch auf das Entscheidungskriterium der pragmatischen Konsistenz, das Gethmann für entscheidend und ausschlaggebend bei der Frage hält, welche Risiken man anderen legitimerweise zumuten darf, also zur politischen Grundfrage von TA zählt (S. 6). Dieses Kriterium lautet in Gethmanns Worten: "Hat jemand durch die Wahl einer Lebensform eine Risikobereitschaft gewählt, so darf diese auch für eine zur Debatte stehende Handlungsoption unterstellt werden" (S. 173). Gutmann und Hanekamp weisen nun zurecht darauf hin, dass dieses Kriterium nur "innerhalb von Risikoklassen" anwendbar ist, die sich "auf der Grundlage von Vergleichsverboten" (S. 173) ergeben. Demnach gründet die Anwendbarkeit dieses (auch aus anderen Gründen fragwürdigen) Kriteriums in ethischen Annahmen über die Legitimität von Risikovergleichen, durch die sich Risikoklassen konstituieren. Der Grundgedanke von Gutmann und Hanekamp leuchtet intuitiv ein, die normativen Kriterien solcher Vergleichsverbote wären nun zu explizieren. Eine offene Frage ist es, ob das Kriterium der pragmatischen Konsistenz in Risikodebatten verwendet werden darf, solange die Bedingungen seiner Anwendbarkeit derart ungeklärt sind.

Der Band beschließt mit einer (meta)ethischen Analyse des Verantwortungsbegriffs, für den wiederum Grunwald verantwortlich zeichnet. Grundwald hat recht, dass eine präzise ethische Sprachverwendung ontologisierende Ausdrücke des Typs "Es besteht Verantwortung für x" oder "Es ist verantwortungslos" durch treffendere Redeweisen ersetzt werden müssten. "Verantwortung ist kein quasi-ontologisches Prädikat" (S. 181), sondern ein Zuschreibungsbegriff, der aufgrund seiner Mehrstelligkeit in mehreren Hinsichten rechtfertigungsbedürftig ist. Ein kleiner Dissens zwischen Grunwald und dem Rezensenten (S. 182) ließe sich folgendermaßen beheben: Präskriptiv ist ein Sprechakt, in dem Verantwortung geltend gemacht wird. Der Begriff der Verantwortung hingegen enthält keine eigenständige Norm (Verhaltenserwartung) als höchstens die, verantwortlich handeln zu sollen, sondern kann mit höchst unterschiedlichen Normen und Moralvorstellungen verknüpft werden [19] . Die eigentlichen ethischen Begründungsprobleme stehen somit, worin kein Dissens mehr besteht, im Hintergrund der Zuschreibung von Verantwortung. Dies gilt auch für das Problem der "gerechten" Zuteilung von Verantwortlichkeiten. Der Verantwortungsbegriff ist insofern zur Rekonstruktion der ethischen Dimension von TA weniger bedeutsam, als man bei Beginn der Debatte über die "ethische Verantwortung der ambivalenten Folgen der Technik" glauben mochte. Mittlerweile ist der zweite Band der Akademie-Reihe unter dem Titel: "Ethik in der Technikgestaltung" erschienen, der aus einer Tagung der Europäischen Akademie hervorging (und insofern ein breiteres theoretisches und konzeptionelles Spektrum umfasst), und dessen Beiträge unterschiedliche Anschlüsse an Grunwalds kritische Analyse des Verantwortungsbegriffs eröffnen. Aber das wäre nun gesondert zu zeigen.

Anmerkungen

[1] Eine gewisse Spannung zwischen diskursiv ausgerichteter Begründungs- und pragmatischer Zweckrationalität kennzeichnet den Ansatz des Erlanger Konstruktivismus im allgemeinen.

[2] Das (implizit utilitaristische) Argument von Perrows, man solle auf den Einsatz einer Technik verzichten, falls diese Technik de facto Ängste auslöse, weil diese Ängste reale Ängste seien, wäre vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung wohl als ein logisch defektes Argument einzustufen.

[3] Grunwald prägt hierfür den Ausdruck "Akzeptabilitätsschwellen" (S. 51).

[4] Zumindest müssen etliche Bemerkungen in den diversen Aufsätzen, die sich um das WZB-Verfahren ranken, im Sinne des Nonkognitivismus gelesen werden.

[5] Dieses obskure Veto-Recht ist ein konzeptioneller Fremdkörper in PTA und ließ sich im WZB-Verfahren nicht durchhalten.

[6] Ausführlich wird das WZB-Konzept im Rahmen eines von Barbara Skorupinski und dem Rezensenten betriebenen Forschungsprojektes "Technikfolgenabschätzung und Ethik" an der Universität Zürich analysiert und kritisiert, dessen Abschlussbericht zum Jahresende vorliegen wird. [s. hierzu TA-Datenbank-Nachrichten Nr. 3/4, Nov. 1998, S. 73 ff.]

[7] Würde Grunwald dennoch den Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses gegenüber PTA aufrecht erhalten, so ließe er sich, mutatis mutandis, auch gegen die Ergebnisse richten, die in den "Beratungen" erzielt werden, die das Konzept der Rationalen Technikbeurteilung vorsieht.

[8] Das EUROPTA-Projekt ist womöglich ein Schritt in diese Richtung.

[9] Derartige Prinzipien wirken gleichsam wie ein Sieb, durch das Typen von Argumenten fallen oder in dem sie hängen bleiben. Die nähere Fassung des Prinzips legt die Größe der Maschen fest.

[10] Dies hat Reiner Wimmer "Universalisierung in der Ethik" (1980) gezeigt.

[11] "U" wird zugleich mit der (schwierigen) Vorstellung eines "ideal role taking" (Mead) verknüpft.

[12] Das konnte man von der SAPHIR-Studie lernen.

[13] Fortschrittliche Konzepte für PTA führen den Verallgemeinerbarkeitsgrundsatz als Argumentationsregel ein (und unterscheiden sich darin nicht von der "Beratung"), wollen aber durch geeignete Mechanismen der Teilnehmerrekrutierung eine höhere Repräsentativität des Teilnehmerkreises in der Sozialdimension herstellen, um der Gefahr zu begegnen, dass mögliche "biases" von Expertenkulturen Technikbeurteilungen auf unangemessene Weise prägen.

[14] Ob ein umfassendes TA-Konzept diese Integration mit anderen Anforderungen an TA (Frühwarnung, Politikberatung, Partizipation) kohärent verbinden könnte, ist offen.

[15] Wenn man TA als wissenschaftliche Herausforderung ansieht (Vorwort, X) und deren reflexives Niveau steigern möchte, muss man sich dieser Konsequenz stellen. Daher ist fraglich, ob sich das Konzept der Rationalen Technikfolgenbeurteilung auf parlamentarische TA anwenden lässt.

[16] Ob es für diese Unterschiede ein Maß geben kann, sei dahingestellt.

[17] Z. B.: "Wenn die Inflationsrate steigt, sinkt die Sparquote".

[18] Ihre eigene Risikodefinition ist allerdings nahezu tautologisch, jedenfalls enttäuschend (S. 172).

[19] Auf diesen Punkt wollte ich mit der Behauptung hinaus, die Grunwald für "zumindest missverständlich" hält (S. 182). Ich beziehe mich in meiner Behauptung expressis verbis nicht auf Verantwortungszuschreibungen, sondern auf den Verantwortungsbegriff.