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Die Bewältigung von Langzeitrisiken im Umwelt- und Technikrecht (Rezension)
MARBURGER, P., REINHARDT, M., SCHRÖDER, M.: Die Bewältigung von Langzeitrisiken im Umwelt- und Technikrecht. 13. Trierer Kolloquium zum Umwelt- und Technikrecht vom 11. - 12. September 1997. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 1998. ISBN 3-503-05004-3
Rezension von Volker Brandl, ITAS
Das Buch dokumentiert sechs Vorträge und die jeweils anschließenden Diskussionen des 13. Trierer Umweltkolloquiums zum Umwelt- und Technikrecht vom 11. bis 12. September 1997. [1] Mit dem Thema der Tagung sollte die Frage nach der langfristigen Bewahrung der Umwelt gestellt, sollten Umweltrisiken berücksichtigt werden, die sich erst nach Jahren und womöglich zu Lasten nachfolgender Generationen auswirken könnten. Damit sollte ein Teilaspekt der sustainability-Konzeption angesprochen werden. Insbesondere sollte die in diesem Zusammenhang manchmal vernachlässigte Frage der Langzeitverantwortung "in einem konkreten Staat" bearbeitet werden. (9)
Nach einer allgemein gehaltenen Einführung in die Thematik der Tagung, "Langzeitrisiken und Umweltschutz" von D. Henschler, Universität Würzburg, wurden fünf Vorträge zu speziellen Aspekten gehalten. Diese Vorträge können grob in zwei Gruppen eingeteilt werden.
In der ersten Gruppe stand im Vordergrund der naturwissenschaftliche Erkenntnisstand bzw. die Risikomodellierung hinsichtlich human- und ökotoxikologischer Langzeitrisiken. So berichteten L. H. Grimme, Universität Bremen, über "Modelle und Grenzen der Bestimmbarkeit von Langzeitrisiken in der Ökotoxikologie" (25 f.) und F.-J. Peine, Universität Göttingen, über "Risikoabschätzungen im Bodenschutz" (111 f.). Beide Vortragende befleißigten sich - so wie dies während des Kolloquiums ausnahmslos die Übung war - einer leicht verständlich Sprache und dürfen, weil sie die vielfältigen Aspekte der jeweiligen Thematik aufbereiteten, als gut lesbare Einführungen gelten. Erfreulich war darüber hinaus, dass die Konzeptionen der Risikoabschätzungen nicht nur in der technisch-sachlichen Dimension beschrieben, sondern dass auch ihre Unzulänglichkeiten, Fragwürdigkeiten und Defizite problematisiert wurden. Der Komplexität und gesellschaftlichen Bedeutung der Risikoproblematik, die sich ja nicht selten in risikotheoretischen, philosophischen und gesellschaftlichen Streitigkeiten widerspiegelt, wurde man damit gerecht.
Die zweite Gruppe umfasste drei Vorträge, die den juristischen Kontext der Thematik beleuchteten. [2] So sprach P. Badura, Universität München, über "Langzeitrisiken und Verfassung" (43 f.). Staatliche Verantwortung für Schutz und Vorsorge sei angesichts der Risiken des wissenschaftlich-technischen Fortschritts durch deutsches Verfassungsrecht geboten. In wichtigen Hinsichten müsse dies allerdings als ein Balanceakt zwischen unterschiedlichen Verfassungszielen, zwischen den Aufgaben und Befugnissen unterschiedlicher staatlicher Organe oder gesellschaftlicher Institutionen (der Legislative, der Exekutive, der Politik) gestaltet werden.
So weise die Verfassung dem Staat zwar eine Verantwortung für zukünftige Generationen zu, aber ein "Präventionsstaat" sei kein Gebot der Verfassung. Anders als die Pflicht des Staates zum Schutz von Eigentums- und Freiheitsrechten sei die Schutzpflicht hinsichtlich Risiken grundsätzlich unbestimmt, aus der Verfassung könne auch kein "Plan" für die technische Zivilisation und deren zukünftige Entwicklung abgeleitet werden. Leitprinzip des Verfassungsstaates sei nicht Intervention, sondern Freiheit (der Wirtschaft, der Wissenschaft), diese Freiheit kann allerdings nicht grenzenlos sein, sie müsse sich am Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen orientieren.
Verfassungsrechtlich auf diese Weise abgesteckte Grenzen des Handelns würden freilich heute - z.B. im Nachhaltigkeitskontext - überschritten, die Industriegesellschaft sprenge die staatliche und nationale Herrschaftsform und für die Zukunft sei in Betracht zu ziehen, dass internationale Organisationen den wissenschaftlich-technischen Fortschritt als "effiziente Hüter der Humanität" begleiteten.
Der zweite Vortrag aus dieser Gruppe über die "Möglichkeiten und Grenzen einer "nachhaltigen" Bewirtschaftung von Umweltressourcen - Prospektives Verwaltungshandeln am Beispiel des Umweltrechts" wurde von M. Reinhardt, Universität Trier, gehalten (73 f.) Vordergründig war der Vortrag stark geprägt von einer ausufernden Polemik gegen den Nachhaltigkeitsbegriff, der allerdings ein gewisser Unterhaltungswert nicht abzusprechen war: "Nachhaltigkeit" sei aus einem Dornröschenschlaf in der forstrechtlichen Nische wachgeküsst worden und werde nun wie ein allgegenwärtiges goldenes Kalb umtanzt und zwar vielfältig auch im Umweltverwaltungsrecht, dort sei dieser Begriff allerdings überflüssig, er vermöge keinerlei neue Akzente zu setzen, keinerlei neue Perspektiven zu eröffnen. In der Diskussion wurde dem von einer Mehrheit widersprochen. Gerade weil der Begriff Nachhaltigkeit, welchem in mannigfaltigen Beziehungen ein großes Potential innewohne, in viele rechtliche Regelungen Eingang gefunden habe, müsse man sich mit diesem Begriff auseinandersetzen.
Seine Meriten hatte der Vortrag von Reinhardt dennoch: im einzelnen informiert er nämlich über eine Fülle von rechtlichen Realisierungen von Risikovorsorge in den diversen Sparten des Planungsrechts, des Atom- und Wasserrechts und zwar auch - horribile dictu - im Sinne von Nachhaltigkeit.
Beide Vorträge füllen meines Erachtens eine Lücke. Überwiegend geht es im allgemeinen öffentlichen Nachhaltigkeitsdiskurs nämlich, wenn ich es recht sehe, um Fragen der Politik, der Ethik und der Fachdisziplinen (Ökologie, Ökonomie usw.). Da ist es dann schon sehr nützlich, einmal präziser darüber informiert zu werden, welche rechtlichen Spielräume Nachhaltigkeitsintentionen und -konzeptionen und diesbezügliches politisches Handeln aktuell haben und welche rechtlichen Erweiterungen denkbar wären.
Alle Vorträge wurden auf der Tagung diskutiert. Die im Buch enthaltene Dokumentation dieser Diskussionen zeigt: Im Gespräch von unterschiedlichen Seiten beleuchtet, vermag das zunächst nur monologisch Dargebotene beträchtlich stärker zu interessieren. Im Schein des aus der Diskussion entspringenden Für und Wider, in der Perspektive alternativer Sichtweisen beginnt das Vorgetragene oft gleichsam aus einer Vielzahl vorher nicht sichtbarer Facetten zu funkeln, es erscheint somit in neuem Licht.
Höhe- und Endpunkt der Tagung in "kolloquialer" Hinsicht war die abschließende Podiumsdiskussion [3] , man sprach miteinander über: "Verantwortung für zukünftige Generationen: Wohltat oder Anmaßung?" (173 f.). Erörtert wurde dieses Thema in theologischer, philosophischer, gesellschaftswissenschaftlicher, rechtlicher und politischer Hinsicht, wobei die im Titel vorgegebene Breite des Meinungsspektrums in der Diskussion durchaus voll ausgelotet wurde. Dem Leser bietet sich somit ein äußerst anregender Cocktail der unterschiedlichsten bedenkenswerten Positionen zu den Grundfragen von Nachhaltigkeit, zu den Grundfragen unserer Gesellschaft.
Beispielsweise werden wir noch einmal, von J. Isensee, darauf hingewiesen, welche Verantwortung für zukünftige Generationen aus der deutschen Verfassung abzuleiten sei ("Verantwortung vor Gott und den Menschen" fordert schon die Präambel des Grundgesetzes). Der Podiumsteilnehmer W. Krohn spricht dann allerdings von seiner Skepsis, weil er so viele sähe, die zu einer Verantwortungsübernahme im Sinne von Nachhaltigkeit bereit wären, unüberschaubare Entwicklungen der Gesellschaft und die Komplexität der Situation uns aber zwängen zu sagen: "Nein, wir sind nicht in der Lage, eine solche Verantwortung zu übernehmen."
Und K. Ott referiert Gründe, die dagegen sprechen, dass wir direkte negativ bindende Pflichten gegenüber zukünftigen Generationen haben. Er versucht dann aber auch zu demonstrieren, wie man gerade im Durchgang durch skeptischen Argumente - nach Hegel: weg von einer "abstrakten Skepsis", hin zu einer "sich vollbringenden Skepsis" - dahin gelangen könne zu fragen, was es zu bedeuten hätte, allgemeine Einsichten moralischer Natur oder auch nur den einen oder anderen diesbezüglichen Gedanken ernst zu nehmen.
Alles in allem empfinde ich das Buch als recht lesenswert, vor allem für die Leserin oder den Leser, die sich ohne große Anstrengung und auf hohem Niveau mit der angesprochenen Thematik vertraut machen und von aporetischen Grundfragen der Nachhaltigkeitsproblematik anregen lassen wollen.
Anmerkungen
[1] Zahlen in runden Klammern beziehen sich im folgenden auf Seiten des Buches.
[2] Es werden hier nur zwei dieser Vorträge näher diskutiert, der dritte, von H.-P. Schwintowski, Humboldt-Universität zu Berlin, problematisierte "Die Versicherbarkeit von Langzeitrisiken" aus juristischer Sicht.
[3] Podiumsteilnehmer waren: J. Isensee, Universität Bonn; D. Mieth, Universität München; K. Ott, Universität Greifswald; W. Krohn, Universität Bielefeld; G. Robbers, Universität Trier.
Kontakt
Dr. Volker Brandl
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
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