Entwicklung eines Nachhaltigkeitsindexes für börsennotierte Unternehmen

Schwerpunktthema - Das integrative Nachhaltigkeitskonzept der HGF im Spiegel der Praxis

Entwicklung eines Nachhaltigkeitsindexes für börsennotierte Unternehmen

von Reinhard Paulesich, Wirtschaftsuniversität Wien

Im Rahmen eines Forschungsprojekts „Ecological and Social Efficiency (EASEY)“ wird gegenwärtig von der Abteilung für Wirtschaft und Umwelt des Instituts für Wirtschaftsgeographie, Regionalentwicklung und Umweltwirtschaft der Wirtschaftsuniversität Wien in Zusammenarbeit mit weiteren Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie der Wiener Börse AG ein Nachhaltigkeitsindex für Unternehmen im Prime Market Segment der Wiener Börse entwickelt, dessen Einführung im Jahr 2004 vorgesehen ist. Ziel ist es, die gängige Unternehmensbewertung nach Kriterien wie Kapitalrentabilität und Gewinnerwartungen um Aspekte der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen in ökologischer und sozialer Hinsicht zu erweitern.

Das Forschungsprojekt „Ecological and Social Efficiency (EASEY)“ wird vom österreichischen Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) im Rahmen des Forschungsprogramms „Fabrik der Zukunft“ gefördert. Die Leitung des Projekts hat die Abteilung für Wirtschaft und Umwelt des Instituts für Wirtschaftsgeographie, Regionalentwicklung und Umweltwirtschaft der Wirtschaftsuniversität Wien in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Wien, dem Zentrum für Soziale Innovation Wien, dem Forschungsinstitut für Nachhaltiges Wirtschaften der Universität Innsbruck, der Firma PriceWaterhouseCoopers und der Wiener Börse AG.

Die Bearbeitung des Projekts erfolgt in mehreren Phasen (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Projektablauf EASEY Index

Abb. 1: Projektablauf EASEY Index

Zunächst wurden bestehende Bewertungskonzepte (z. B. Dow Jones Sustainability Group Index) einer SWOT-Analyse (Strengths-Weaknesses-Opportunities-Threats) unterzogen und Experten-Workshops zur Thematik durchgeführt. Darauf aufbauend wurde ein Set von Nachhaltigkeitsindikatoren für Unternehmen erarbeitet. Solche Indikatoren müssen in einen Zusammenhang gestellt werden, wenn die Werte, die sie transportieren, für eine wissenschaftliche Argumentation brauchbar sein sollen. Das EASEY Indikatorenset steht deshalb in einem Modellzusammenhang, der nach zwei Aspekten ausgerichtet ist: 

  1. Stakeholder - die Messung der Wirkung von Unternehmensaktivitäten auf Anspruchsgruppen. Diese wurden in sechs Gruppen gegliedert: Mitarbeiter und Kunden, Investoren, Umwelt, Markt, Gesellschaft. In den bestehenden öffentlichen und marktlichen Institutionen sind diese Gruppen recht unterschiedlich vertreten. Daraus ergeben sich unterschiedliche Sanktionsmöglichkeiten. Das bedeutet wiederum unterschiedliche Risikoexpositionen für Unternehmen. 
  2. Regeln in Form der substantiellen HGF-Nachhaltigkeitsregeln - mit ihnen sollen Maßnahmen in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit bzw. auf ihre Beiträge zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen beurteilt werden können. Regeln wie auch Zielbildung unterliegen einem demokratischen Meinungsbildungsprozess. Will ein Unternehmen sich innerhalb der Grenzen der Legitimität bewegen, dann muss es an diesem Prozess teilnehmen. Andererseits findet demokratische Willensbildung ihre Grenze an der Zielbildung der Unternehmen.

Das Bewertungsverfahren - aufbauend auf diesem Modell - verläuft auf zwei Wegen. Einerseits geht es um die Erhebung und Analyse der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen. Hierzu wurde ein Fragebogen zur Ermittlung der Nachhaltigkeitsleistung der im Prime Market gelisteten Unternehmen entwickelt und einem Pretest unterzogen. Parallel dazu wurden für eine Plausibilitätskontrolle Sekundärquellen ausgewertet, z. B. Unternehmensberichte und Web-Seiten von Unternehmen. Andererseits erfolgen Erhebungen und Analysen der Nachhaltigkeitspräferenzen von Stakeholdern und der Öffentlichkeit. Die Generierung von Information zur Nachhaltigkeitsleistung der Prime Market Unternehmen nimmt den größten Teil des Arbeitsvolumens im vorliegenden Projekt ein. Der kleinere Teil des Arbeitsvolumens besteht aus Befragungen bzw. Dialogen mit Finanzmarktakteuren und den an Nachhaltiger Entwicklung interessierten Stakeholdern (u. a. Investoren). Beide Akteursgruppen werden an der „Gewichtung“ verschiedener Faktoren beteiligt. Die Gewichtung bestimmt die Rangordnung/Bedeutung in den drei Bereichen: 

  1. Indikatoren: Welche Indikatoren sind die schwergewichtigsten und welche können verworfen werden? 
  2. Stakeholder: Die Belange welcher in unserem Modell vertretenen Stakeholder müssen vorrangig behandelt werden? 
  3. Nachhaltigkeitszielpräferenzen: Welche Regeln haben für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft eine entscheidende, welche eine weniger entscheidende Bedeutung?

Ergänzt wurden diese Erhebungen durch eine breite (repräsentative) Bevölkerungsbefragung, die ein (repräsentatives) Bild von den Nachhaltigkeitspräferenzen und Wertorientierungen in Österreich ergibt.

Für das Forschungsteam stellt sich zudem die Aufgabe, mit den Anwendern des Nachhaltigkeits-Bewertungswerkzeugs gemeinsam ein Konzept zur „Markterschließung“ in Österreich zu entwickeln. Der Nachhaltigkeitsindex soll dabei eine Hebelwirkung des Finanzmarktes zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen entfalten. Er soll täglich in den Börsennachrichten der Tageszeitungen erscheinen. Das Thema Nachhaltigkeit soll dadurch in der österreichischen Finanzszene fester Bestandteil strategischen Denkens werden.

Selbstverständlich werden mit den Ergebnissen des EASEY Konzepts von Seiten der Marktteilnehmer gewisse Erwartungen verknüpft, u. a. dass sich die Kurswerte von Aktien jener Unternehmen, die auf dem Weg zur Nachhaltigkeit weiter fortgeschritten sind, längerfristig besser entwickeln als jene von Unternehmen mit geringerem Fortschritt in Richtung Nachhaltigkeit. Für die Richtigkeit dieser These gibt es empirische Hinweise durch die Kursentwicklung von Unternehmen mit guten Bewertungen bei anderen Indices, die sich auf die Messung der Ökoeffizienz oder der Corporate Social Responsibility beziehen.

Die Realisierung solcher Erwartungen dürfte sich aber nur einstellen, wenn sich die Marktteilnehmer selbst mit Nachhaltiger Entwicklung auseinandersetzen bzw. zu dem Thema kommunizieren. Das integrative Konzept der HGF mit seinen drei generellen Nachhaltigkeitszielen (1) Sicherung der menschlichen Existenz, (2) Erhaltung des gesellschaftlichen Produktivpotenzials, (3) Bewahrung der Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten und den diesen drei Zielen zugeordneten jeweils fünf Regeln dient dabei dazu, die verschiedenen Facetten von Nachhaltigkeit aufzuzeigen, die Kommunikation über Nachhaltigkeit zwischen Unternehmen und Stakeholdern zu strukturieren und ein gemeinsames Verständnis der verschiedenen Akteure über Nachhaltigkeit herbeizuführen. In den Stakeholderdialogen werden Gewichtungen der Regeln durch die verschiedenen Akteure vorgenommen und dadurch Hinweise gewonnen, welche Regeln aus der Sicht von Marktakteuren besonders wichtig und welche weniger wichtig sind und wie sich die Positionen verschiedener Stakeholder unterscheiden. Damit werden für Unternehmen wichtige Informationen erzeugt, wie sie ihre Nachhaltigkeitsleistung und damit ihre Attraktivität für nachhaltigkeitsbewusste Anleger verbessern können. Die Projekterfahrungen zeigen, dass die Verwendung des integrativen Konzepts zum Abbau von Beurteilungsdissensen über die Nachhaltigkeitsleistungen von Unternehmen beitragen kann.

Kontakt

Dr. Reinhard Paulesich
EASEY Projektleitung
Wirtschaftsuniversität Wien
Institut für Wirtschaftsgeographie, Regionalentwicklung und Umweltwirtschaft
Abteilung für Wirtschaft und Umwelt
Rossauer Lände 23, A-1090 Wien, Österreich
Tel.: +43 1 31336-5721 (Sekr. -4848)
E-Mail: reinhard.paulesich∂wu-wien.ac.at

Das EASEY Team

Reinhard Paulesich, Projektleitung (s. o.)
Mag. Reinhard Friesenbichler - Unternehmensberatung Wien
Werner Kössler - Forschungsinstitut für Nachhaltiges Wirtschaften der Universität Innsbruck
Dr. Aslan Milla - PriceWaterhouseCoopers Wien
Michael Ornetzeder - Zentrum für Soziale Innovation Wien
Gerhard Schwediauer - Wiener Börse AG