TA-SWISS: Von Null auf Hundert - Zehn Jahre TA-tkraft in der Schweiz

TA-Institutionen und TA-Programme

TA-SWISS: Von Null auf Hundert - Zehn Jahre TA-tkraft in der Schweiz

von Lucienne Rey [1]

Am Anfang, 1992, stand ein Provisorium, ein Experiment: in der Botschaft über die Förderung der wissenschaftlichen Forschung in den Jahren 1992 - 1995 wurde der Schweizerische Wissenschaftsrat (SWR) damit betraut, ein auf die Bedürfnisse der Schweiz abgestimmtes Modell der Technologiefolgen-Abschätzung (TA) zu entwickeln. Das Mandat sah zunächst einen "TA-Betrieb auf Probe" vor. Heute ist TA in der Schweiz etabliert, der Versuchsbetrieb längst in die definitive institutionelle Verankerung übergeführt. Ein Rückblick auf zehn bewegte Jahre.

Technologiefolgen-Abschätzung ist heute in der Schweiz eine feste Größe - die Zeiten, als Parlamentsangehörige und Medienschaffende das Kürzel "TA" ausschließlich mit dem Zürcher "Tages-Anzeiger" gleichsetzten, sind (von Ausnahmen abgesehen) überwunden. In Kreisen, die sich mit neuartigen technologischen Ansätzen befassen, ist TA heute ein Begriff. Und für jene Institutionen, die sich bemühen, zwischen Wissenschaftlern und "Laien" eine Brücke zu schlagen, ist das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung mit seinem international marktfähigen Siegel "TA-SWISS" zu einem wichtigen Bezugspunkt geworden.

Das war nicht immer so. Die Reputation und Wertschätzung, die TA heute in der Eidgenossenschaft genießt, sind hart erarbeitet.

1     Lange Anlaufzeiten

Dem Mandat, das der Bundesrat dem SWR anvertraute, war ein langjähriges Gerangel voran gegangen. Bereits 1982 hatte nämlich der sozialdemokratische Nationalrat René Longet ein Postulat eingereicht, welches anregte, das Verhältnis von Preis und Nutzen einer kostspieligen Forschungseinrichtung für Atomforschung zu überprüfen. In dieser Auseinandersetzung um den so genannten Large Electron Positron Collider kristallisierten sich zwei Grundstimmungen: Erstens eine zunehmende Skepsis gegenüber Großtechnologien im Allgemeinen und der Atomtechnik im Besonderen. Zweitens das Bedürfnis, forschungspolitische Entscheidungen vermehrt in der Öffentlichkeit zur Diskussion zu stellen, damit bei technologischen Weichenstellungen auch gesellschaftliche Anliegen angemessen zum Tragen kämen.

Der technikkritische Ruf, welcher der TA in der Schweiz zunächst anhaftete, mag die Ursache gewesen sein, weshalb sich etliche Entscheidungstragende mit dem neuen Instrument erst einmal schwer taten. Doch weil neben der Atomtechnik zunehmend auch andere Technologien wie die Gentechnik in die öffentliche Kritik gerieten, reifte die Einsicht, dass eine Plattform zur öffentlichen Auseinandersetzung mit den (möglichen) Folgen neuer Techniken aufgebaut werden müsse; so überreichte 1986 Nationalrat Hansjörg Braunschweig eine Motion zur Technikfolgen-Abschätzung (d. h. er stellte einen Antrag an den Bundesrat, einen entsprechenden Gesetzes- oder Beschlussentwurf vorzulegen).

2     Erster Anlauf im thematischen Korsett

Die Initialzündung zum TA-Versuchsbetrieb gab schließlich, dass Mittel zur Finanzierung gefunden wurden: alimentiert wurde er durch Gelder aus dem Pool der Schwerpunkt-Forschungsprogramme des Bundes. Gewissermaßen zum Ausgleich wurde der SWR verpflichtet, TA-Studien ausschließlich zu Themen durchzuführen, die von den sechs Schwerpunktprogrammen behandelt wurden. Zur Auswahl standen die Forschungsbereiche Leistungselektronik, Systemtechnik und Informationstechnologie (Lesit), Optik, Werkstoffforschung, Umwelt, Biotechnologie und Informatik.

Das Misstrauen, TA werde als Instrument der Technikverhinderung missbraucht, wich zögerlich, nachdem die Programmverantwortlichen beteuert hatten, sich neben allfälligen Risiken ausdrücklich auch den Chancen neuer Technologien zuwenden zu wollen. Außerdem sollten die Folgen eines Verzichts auf eine gegebene Technik ebenfalls untersucht werden.

Mit der organisatorischen Anbindung an den Schweizerischen Wissenschaftsrat schließlich sollte die größtmögliche Unabhängigkeit der neuen Institution sichergestellt werden. Erwogen wurde nämlich auch, die TA bei den Parlamentsdiensten des Bundes anzusiedeln. Der Wissenschaftsrat, ein von Verwaltung und Politik unabhängiges Organ, das dem Bundesrat direkt unterstellt ist und ihn in forschungspolitischen Fragen berät, schien indes größere Gewähr für Selbständigkeit und Autonomie der neuen Stelle zu geben.

3     "Reduce to the max" - beachtliche Wertschöpfung mit wenig Ressourcen

Das TA-Programm startete 1992 mit einem kleinen Team in seine anspruchsvolle Aufgabe: der Leiterin der TA-Geschäftsstelle wurde ein wissenschaftlicher Mitarbeiter und eine Sekretärin zur Seite gestellt. Ihnen oblag es, die operationellen Aufgaben abzuwickeln: es galt, zunächst die für TA relevante "Szene" in der Schweiz auszuleuchten und Adressdatenbanken aufzubauen, um gezielt Forschungsbüros und -institute ansprechen zu können. Außerdem mussten Verfahren definiert werden, um TA-Projekte zu formulieren und geeignete Projektnehmer zu finden. Denn angesichts der Vielschichtigkeit von TA-Fragestellungen ist es unabdingbar, auf ein dichtes Netz an ausgewiesenen Fachleuten zurückgreifen zu können, um von Fall zu Fall die besten Kompetenzen abrufen zu können.

Seine strategische Ausrichtung, aber auch seine Legitimation erhielt das TA-Programm durch seinen Leitungsausschuss. Exponentinnen und Exponenten aus Forschung, Politik und Wirtschaft, aber auch Vertreterinnen und Vertreter von Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und der Bundesbehörden nahmen darin Einsitz. Diese vielfältige Mischung sorgte für manche fruchtbare Kontroverse, bremste mitunter allerdings die organisatorischen Abläufe. Zugleich stellte die Verschiedenartigkeit der Standpunkte sicher, dass die verschiedenen Fragestellungen tatsächlich ganzheitlich, aus verschiedenen Perspektiven, betrachtet wurden. Auch konnten dadurch Doppelspurigkeiten vermieden und Synergien mit bereits laufenden technologierelevanten Gesetzgebungsarbeiten der Verwaltung geschaffen werden.

Die Aufgabe des im so genannten Milizsystem, d. h. ehrenamtlich und unentgeltlich, tätigen TA-Leitungsausschusses bestand seit je her darin, bei inhaltlichen Fragen die Richtung zu weisen: Er bestimmte die Themen für TA-Studien, gab den Ausschlag zur Wahl der Projektnehmer, die mit den jeweiligen Analysen betraut wurden, und er genehmigte schließlich auch die Veröffentlichung der Berichte. An der richtungsweisenden Funktion des Leitungsausschusses hat sich bis heute nichts geändert.

4     Erstes Herantasten an Inhalte und Prozeduren

Nachdem zunächst in verschiedenen eher theoretisch ausgerichteten Studien die Grundlagen zu Sinn und Zweck von TA ausgelotet worden waren, startete die erste Staffel "praxisorientierter" Projekte.

Angesichts des inhaltlichen Korsetts, welches das TA-Programm dazu zwang, sich auf einige ausgesuchte Themenbereiche zu beschränken, erstaunt es nicht, dass sich gewisse Studien eher exotisch ausnahmen und mit TA im herkömmlichen Sinn wenig gemein hatten; dies gilt beispielsweise für eine Analyse, welche sich mit den Auswirkungen naturschützerischer Maßnahmen auf bedrohte Tier- und Pflanzenarten befasste. Mehrere Arbeiten, zum Beispiel jene über die Biotechnologie in Milchprodukten, können dagegen sehr wohl als grundlegender Beitrag zur frühen TA in der Schweiz gesehen werden.

Diese erste Projektserie gab auch Gelegenheit, Instrumente zur Qualitätskontrolle zu entwickeln. So wurde jedes TA-Projekt durch eine so genannte Begleitgruppe supervisiert, ein Modus, der sich bewährt hat und auch bei den TA-Studien der jüngsten Generation das Fundament zur Qualitätssicherung legt. Die interdisziplinären Begleitgruppen setzen sich jeweils aus einem oder zwei Mitgliedern des Leitungsausschusses und einigen externen Fachleuten aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen, die im behandelten Gebiet besondere Kompetenzen aufweisen. Die Gruppe trifft sich im Lauf des Projektes drei- bis fünfmal, vorzugsweise dann, wenn Meilensteine in der Arbeit zu setzen sind, über die es zu befinden gilt. Die abschließende Nagelprobe für TA-Studien besteht schließlich in ihrer Begutachtung durch zwei unabhängige externe Experten. In der Regel genehmigt der TA-Leitungsausschuss eine Publikation der Studien erst dann, wenn zwei positive Expertisen vorliegen.

5     Zwischenbilanz und Richtungskorrekturen

Nach Ablauf der Probezeit, wie sie in der Forschungsförderungsbotschaft 1992 - 1995 vorgesehen worden war, ließ der SWR die geleisteten TA-Arbeiten durch das niederländische Rathenau Instituut (das niederländische parlamentarische TA-Büro) auswerten. Die zur Evaluation beigezogenen Fachleute bescheinigten dem TA-Programm viel versprechende Ansätze, wiesen aber auch auf Mängel hin: 

Als feststand, dass der Bundesrat das Programm für Technologiefolgen-Abschätzung für weitere vier Jahre fortzuführen gedachte, war die Zeit reif, die Weichen neu zu stellen. Zunächst einmal wurde die für den Aufbau zuständige Leiterin durch einen Geschäftsführer abgelöst, der die Konsolidierungsphase der jungen Institution einleiten sollte. Außerdem wurde der Personalbestand in der TA-Geschäftsstelle allmählich erhöht, auf drei fest angestellte wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Phasen außerordentlicher Belastung zusätzlich durch Praktikantinnen und Praktikanten sekundiert werden. Inhaltlich erfolgte die Neuausrichtung, indem die thematische Bindung an die Forschungsschwerpunkte des Bundes aufgehoben, mithin der TA der erforderliche Freiraum zur Wahl ihrer Forschungsobjekte zugestanden wurde.

6     Im Zeichen von Öffentlichkeitsarbeit und Mitwirkung

Die Newsletter, die 1996 lanciert wurde, setzte den Auftakt für die intensivierte Öffentlichkeitsarbeit der TA-Crew. Nahezu zeitgleich wurde mit dem eigenen Logo in kräftigem Orange und mit gestalterischen Leitlinien für Publikationen auch die Grundlage für ein unverwechselbares Erscheinungsbild gelegt.

Außerdem verstärkte das TA-Team die Bemühungen, die Ergebnisse aus seinen Studien systematisch an die Öffentlichkeit zu bringen; es begann, die Schlussresultate wenn immer möglich an Pressekonferenzen vorzustellen oder auch gezielt, an "Parlamentarierapéros", den Mitgliedern des Parlamentes zu präsentieren. Schließlich wurden die - meistens recht umfangreichen - TA-Studien systematisch in lesefreundlichen Kurzfassungen zusammengefasst und "popularisiert", um die Verbreitung der Ergebnisse zusätzlich zu fördern.

Dass im Rahmen der TA kühn neue Methoden entwickelt und erprobt wurden, dürfte ihren Bekanntheitsgrad ebenfalls erhöht haben. Im Frühjahr 1998 führte das TA-Programm sein erstes PubliForum durch, ein an die Methode der Konsens-Konferenz angelehntes Verfahren, das auf die Mehrsprachigkeit der Schweiz angepasst wurde. Zur Debatte stand das Thema "Strom und Gesellschaft" - Ergebnis war ein Bericht der beteiligten Bürgerinnen und Bürger, der in den Medien und den politischen Kreisen die angestrebte Aufmerksamkeit fand. Zwei weitere PubliForen boten dem Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung Gelegenheit, die Erfahrungen mit der Mitwirkung von "Laien" zu vertiefen, bevor es sich im Frühjahr 2002 einer neuen Methode zuwandte, dem so genannten publifocus. Hierbei handelt es sich um ein Instrument, das es im Sinne von Fokusgruppen gestattet, gezielt das zu einem bestimmten Thema in der Öffentlichkeit vorhandene Meinungsspektrum zu erheben.

Die Aufbauarbeit, welche im Rahmen der zweiten Etappe geleistet wurde, hat ihre Früchte getragen. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls das Genfer Unternehmen evaluanda, welches 2002 in einer zweiten Evaluation die Tätigkeiten des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung unter die Lupe genommen hat. Sie leiste einen namhaften Beitrag zu einer breit abgestützten Technologiedebatte in der Schweiz.

7     Eine Institution mit Profil blickt zuversichtlich in die Zukunft

Mit der neuesten Forschungsförderungsbotschaft 2000-2003 wurde TA in der Schweiz endgültig institutionalisiert, das anfängliche TA-Programm ins TA-Zentrum übergeführt. Nach stürmischen Aufbaujahren segelt es heute in ruhigeren Gewässern. Doch trotz seines Ansehens und des Bekanntheitsgrades, den es in den letzten Jahren errungen hat, ist abzusehen, dass es auch künftig die eine oder andere Klippe wird umschiffen müssen.

Ein gewisses Risiko liegt darin, dass es zum Opfer des eigenen Erfolgs werden könnte. Die junge Institution hat manches angerissen und das meiste zu einem guten Ende geführt - schrammte dabei allerdings gelegentlich an den Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit vorbei. Die Ressourcen sind nach wie vor bescheiden, die Ansprüche indes gewachsen. Ob es in Zeiten eines allgemein herrschenden Spardrucks gelingen wird, die erforderlichen Mittel zu erhalten, um den immer umfangreicheren Aufgabenkatalog bewältigen zu können, wird sich weisen.

Eine weitere Schwierigkeit, die das TA-Zentrum bewältigen muss, gründet im Umstand, dass in den letzten Jahren zahlreiche Institutionen aus der Taufe gehoben wurden, die sich der Vermittlung zwischen wissenschaftlich-technischer Expertise und breiter Bevölkerung verschrieben haben. Zu einem Teil handelt es sich dabei um Einrichtungen, die auf Forschungspromotion ausgerichtet sind und in der Bevölkerung das Wohlwollen für Wissenschaft und Technik vergrößern möchten. Daneben tragen auch die neu gegründeten nationalen Ethik-Kommissionen oder die seit rund zwei Jahren aktiven "Cafés scientifiques" zur Vielfalt im Kanon jener Organisationen bei, die sich an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und breiter Bevölkerung bewegen.

Die Szene wird bunter, lebendiger - aber auch unübersichtlicher, so dass das TA-Zentrum umso mehr darum ringen muss, sein unverwechselbares Profil zu wahren. Bis jetzt ist ihm das gelungen, nicht zuletzt dank den drei "Kardinaltugenden", die es sich auf die Fahne geschrieben hat: erstens größtmögliche Transparenz, welche durch eine offene Informationspolitik und nachvollziehbare Verfahren gewährleistet wird. Zweitens die institutionelle Unabhängigkeit, welche Voraussetzung dafür ist, dass sich das TA-Zentrum unbefangen und neutral mit seinen Untersuchungsgegenständen auseinandersetzen kann. Drittens der vorausschauende Blick, der es gestattet, möglichst frühzeitig Themen und Fragen aufzuspüren, die es angesichts der anstehenden Technikentwicklung anzugehen gilt. Wenn es dem TA-Zentrum gelingt, diese drei Grundtugenden weiterhin hoch zu halten, sind die Voraussetzungen gut, um auch die bevorstehenden Aufgaben zu meistern.

Weitere Informationen zum Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung unter: http://www.ta-swiss.ch

[1] Lucienne Rey, Dr. phil. nat., arbeitet heute als freischaffende Wissenschaftsjournalistin und war zuvor während mehrerer Jahre im Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung tätig. Homepage: http://www.texterey.ch

Kontaktadresse der TA-SWISS

Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung beim
Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat
Dr. Sergio Bellucci, Ing. agr. ETHZ
Geschäftsführer
Birkenweg 61
CH-3003 Bern, Schweiz
Tel.: +41 (0) 31 / 322 99 63
Fax: +41 (0) 31 / 323 36 59
E-Mail: ta∂swtr.admin.ch
Internet: http://www.ta-swiss.ch