Schwerpunkt: Verkehrszukünfte – Visionen jenseits aktueller öffentlicher Aufmerksamkeit
CargoCap. Eine Transportalternative für den unterirdischen Gütertransport im Ballungsraum
CargoCap
Eine Transportalternative für den unterirdischen Gütertransport im Ballungsraum
von Dietrich Stein, CargoCap GmbH, Bochum
Mobilität ist eine der entscheidenden Stützen der deutschen Wirtschaft. Unser hoher Lebensstandard und unsere Arbeitsplätze sind abhängig von einer guten Erreichbarkeit der Produktionsstandorte und von leistungsfähigen Transport- und Logistikdienstleistungen. Insbesondere der Güterverkehr ist somit ein Schlüsselfaktor für die Funktionsfähigkeit unserer arbeitsteiligen Wirtschaft. Insbesondere in den urbanen Ballungsgebieten kann die traditionell gewachsene Verkehrsinfrastruktur den veränderten und steigenden Anforderungen derzeit nicht gerecht werden. Neue Lösungen sind deshalb dringend erforderlich. Eine solche Lösung ist das im Beitrag vorgestellte CargoCap-System.
1 Einleitung
Vor gerade einmal 150 Jahren waren unsere Vorfahren aus Gründen der Gesundheit und der hygienischen Verbesserung der Lebensqualität dazu gezwungen, in den Städten ein flächendeckendes unterirdisches Rohrleitungssystem zur Sammlung und Ableitung der Abwässer, d. h. Kanalisationen, zu bauen. Trotz weit verbreiteter Skepsis trieben tatkräftige Menschen die Entwicklung an und setzten sie zunächst zaghaft, aber schon bald nachdrücklich und mit politischer und finanzieller Unterstützung über umfangreiche Baumaßnahmen in die Tat um. Heute, gerade einmal zwei Menschenleben später, bestehen allein in Deutschland ca. 3,5 Millionen Kilometer unterirdisch verlegte Kanäle, die wir im täglichen Leben gar nicht mehr wahrnehmen, deren tägliche Nutzung zur Selbstverständlichkeit geworden ist und ohne die das Leben in unseren Städten nicht mehr möglich wäre.
Vor einer ähnlichen, lebenswichtigen Weichenstellung stehen wir heute wieder. Auch diesmal ist die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet. An die Stelle der Cholera auslösenden Krankheitserreger aus dem damals oberirdisch abfließenden Abwasser sind die von den Straßenfahrzeugen emittierten gesundheitsgefährdenden Abgase (u. a. CO2, NOx), Feinstäube und Lärmemissionen in unseren Städten getreten. Durch den ständig zunehmenden LKWVerkehr sinkt unsere Lebensqualität stetig, sei es durch die abnehmende Mobilität infolge der Überlastung der Straßen, sei es durch das nicht mehr zu befriedigende Bedürfnis nach Gesundheit, Ruhe und Erholung in den Städten.
Zur Lösung dieser Probleme ist die Einschränkung von Mobilität nach der im Weißbuch vom 28.3.11 dokumentierten Auffassung der Europäischen Kommission (2011) keine Option. Dies gilt auch für die deutsche Wirtschaft, für die die Mobilität eine der entscheidenden Stützen ist. Unser hoher Lebensstandard und unsere Arbeitsplätze sind abhängig von einer guten Erreichbarkeit der Produktionsstandorte und von leistungsfähigen Transportund Logistikdienstleistungen. Insbesondere der Güterverkehr ist somit ein Schlüsselfaktor für die Funktionsfähigkeit unserer arbeitsteiligen Wirtschaft.
Nach den derzeitigen Verkehrsprognosen für Deutschland und Europa ist in den kommenden Jahren und Jahrzehnten infolge der fortschreitenden Globalisierung und der weiteren Teilung der Produktionsprozesse mit einer weiteren erheblichen Zunahme insbesondere des Güterverkehrs zu rechnen. Die derzeit existierende Infrastruktur, sowohl auf der Straße als auch auf der Schiene, ist nicht in der Lage, Mehrverkehr in der erwarteten Größenordnung aufzunehmen. Für den gegenwärtigen und zukünftigen Straßengütertransport zeigen sich darüber hinaus vielschichtige Schwierigkeiten (Kersting/Werbeck 2008; Stein et al. 2009):
- Aufgrund der jüngsten Entwicklungen im Energiesektor ist von weiter steigenden Energiepreisen auszugehen, die sich auf die Transportkosten niederschlagen werden.
- Aufgrund der negativen externen Effekte des Straßengüterverkehrs, wie Luftverschmutzung, Lärmbelastung, Staus, etc., ist zukünftig mit stärkeren Restriktionen in Form der Internalisierung der dadurch verursachten Kosten, aber auch der Ausweitung der LKW-Maut und von Fahrverboten in Ballungsräumen zu rechnen.
- Die Nutzungskonkurrenz zwischen den bestehenden Verkehrssystemen – und dabei auch zwischen Personenund Güterverkehren – wird sich weiter verschärfen. Dies bezieht sich sowohl auf die bestehenden Verkehrswege als auch auf deren Erweiterungen.
- Regionalwirtschaftliche Effekte des Gütertransportes – Erreichbarkeitsverhältnisse und Lagegunst – sind als wesentliche Einflussfaktoren bei Standortentscheidungen von Unternehmen zu werten.
Wenn sich keine durchgreifende Änderung der prognostizierten Verkehrsströme und der erwarteten Wandlung der Infrastruktur ergibt, werden in Deutschland zukünftig weiterhin am Rand von Ballungsräumen und an zentralen Stellen außerhalb der Städte Güterverteilzentren (GVZ) für Stückgüter entstehen. Sie stellen im Prinzip die Schnittstelle zwischen dem Containerund dem Palettentransport dar. Die Verbindung dieser zentralen Umschlagplätze mit den Häfen, dem Ausland oder anderen GVZ wird ausschließlich mit schweren LKW und mit Zügen des unbegleiteten kombinierten Verkehrs (UKV) sowie teilweise trimodal unter Einbeziehung der Binnenschifffahrt realisiert. Die Bedienung der Kunden im Güterregionalund nahverkehr erfolgt überwiegend per LKW oder Lieferwagen (Abb. 1).
Abb. 1: Güterregional- und -nahverkehr, die gegenwärtige Situation
Quelle: visaplan GmbH
Internationale Erfahrungen zeigen, dass in Ballungsgebieten – wie etwa in Singapur – der Zugang zu den Ballungskernen für Gütertransporte auf der Straße gänzlich verboten werden kann, so dass nur noch Randgebiete angefahren werden dürfen, von denen aus dann eine weitergehende Verteilung in die Kerne ohne LKW organisiert werden muss. Voraussetzung dafür ist die Entwicklung neuer Transportsysteme, die insbesondere die Straßen in Ballungsräumen entlasten und die Bedienung der dort ansässigen Unternehmen auch in der Zukunft sicherstellt. Hierfür bietet sich aus städtebaulichen, ökologischen und humanitären Gründen ausschließlich ein unterirdischer Gütertransport an (Abb. 2). Eine solche Lösung ist bereits heute technisch, wirtschaftlich und rechtlich problemlos realisierbar. Sie heißt CargoCap.
Abb. 2: Die Lösung: Statt auf der Straße werden Güter unterirdisch ohne die negativen Nebeneffekte des LKW-Verkehrs transportiert
Quelle: visaplan GmbH
2 Das CargoCap-System
Das CargoCapSystem ist eine ergänzende Transportalternative zu Straße, Schiene, Wasser und Luft, um Güter in Ballungsräumen automatisiert durch unterirdische Fahrrohrleitungen mit einem Durchmesser von nur zwei Metern schnell, wirtschaftlich, zuverlässig und umweltfreundlich zu transportieren (Stein/Schößer 2002, 2010; Stein 2006, 2013, 2013/14). Es wurde in den Jahren 1998 bis 2002 im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsverbundes an der RuhrUniversität Bochum mit Unterstützung des Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes NordrheinWestfalen konzipiert und aus technischer, ökonomischer, ökologischer und juristischer Sicht bewertet (Stein/Schößer 2002). Seitdem erfolgte mit Unterstützung der Industrie die technische Weiterentwicklung durch die CargoCap GmbH, Bochum, den Lehrstuhl für Maschinenelemente und Fördertechnik der RuhrUniversität Bochum sowie die S&P Consult GmbH, Bochum, bis zur inzwischen erreichten Einsatzreife.
Das CargoCapSystem ist als eigenständiges, leistungsfähiges und erweiterbares System konzipiert, das betriebliche Rentabilitätsanforderungen erfüllt, und sich in die traditionellen Transportsysteme – Luft, Schiene, Straße – und Logistikkonzepte implementieren lässt (Abb. 3).
Abb. 3: Einordnung von CargoCap in die traditionellen Transportverbindungen
Quelle: visaplan GmbH
Der unterirdische Gütertransport erfolgt autonom und vollautomatisch durch individuell elektrisch angetriebene, computergesteuerte Transporteinheiten, den sog. Caps. Der Laderaum eines Caps ermöglicht die Aufnahme von je zwei EuroPaletten nach CCG 1 (B x T x H = 80 x 120 x 105 cm), die ein gemeinsames Maximalgewicht von 1.500 Kilogramm aufweisen dürfen. Die EuroPalette ist ein genormter und in der Praxis bewährter Lastträger. Ihr Einsatz garantiert die leichte Implementierung von CargoCap in bestehende Materialflussketten aus konventionellen Verkehrssystemen. Durch die Beladung mit nur zwei EuroPaletten pro Cap ist eine hohe Ladungsund Verteilungsflexibilität der Waren gewährleistet. Da der Fahrrohrleitungsdurchmesser von 2 Metern eine über das Normmaß (1,05 Meter) hinausgehende Palettenbeladungshöhe von 1,25 Metern erlaubt, kann bei geeigneten Waren der Transportraum in der Anschlusslogistik durch Aufeinandersetzen zweier beladener Paletten optimal ausgenutzt werden.
Zu den von CargoCap zu transportierenden Gütern zählen Konsumund Investitionsgüter, Sammelund Stückgüter, Produktionsbauteile, Baustoffe, Paketund Expressfracht sowie Nahrungsund Genussmittel. Etwa zwei Drittel aller in der Bundesrepublik Deutschland transportierten Waren dieser Art passen ohne weiteres Aufbrechen der Ladung in den CargoCapFrachtraum.
Die Ladung der Caps wird an den Stationen bei Direktanschluss unmittelbar dem Empfänger zur Verfügung gestellt oder durch eine Anschlusslogistik mit Lieferfahrzeugen in nächster Umgebung der Stationen verteilt. Nur an den Stationen gibt es eine Verbindung zur Oberfläche. Sie können sowohl mitten in Innenstädten oder an der Rampe von Warenhäusern liegen als auch punktgenau am Fließband einer Fabrik. Zum Beund Entladen der Paletten kommt herkömmliche Fördertechnik zum Einsatz. Die im Fahrzeug vorhandenen Rollenbahnen schließen sich direkt an Rollenbahnen der Station an. Vertikaloder Horizontalförderer bzw. ein LastMileFördersystem bringen dann die Paletten unmittelbar an ihr Ziel.
3 Technische Beschreibung
3.1 Fahrrohrleitungen
Der Fahrweg des CargoCapSystems besteht aus Rohrleitungen DN 2000, wie sie für den Bau von Abwasserkanälen (Kanalisation) verwendet werden. Aufgrund ihrer, gegenüber üblichen Verkehrstunneln kleinen Dimension (Abb. 4), können die Fahrrohleitungen in der Regel im öffentlichen Straßenraum unterhalb vorhandener Verund Entsorgungsleitungen, Stromund Telekommunikationskabel, UBahnoder Straßentunnel und anderen Tiefbauwerken verlegt werden (Abb. 5). Die Tiefenlage beträgt im Mittel sechs bis acht Meter.
Abb. 4: Größenvergleich U-Bahn-Tunnel mit der CargoCap-Fahrrohrleitung
Quelle: visaplan GmbH
Abb. 5: Positionierung der CargoCap-Fahrrohrleitungen im öffentlichen Straßenraum neben bestehenden Infrastruktureinrichtungen
Quelle: visaplan GmbH
Die Verlegung der Fahrrohrleitungen in innerstädtischen Bereichen erfolgt in der Regel grabenlos (unterirdisch) nach dem Prinzip des Rohrvortriebs (Stein 2003). Dabei werden von einem Startschacht aus mit Hilfe einer Hauptpressstation und im Rohrstrang positionierter Zwischenpressstationen vorgefertigte Vortriebsrohre durch den Baugrund bis in einen Zielschacht vorgetrieben. Der anstehende Boden oder Fels wird an der Ortsbrust mechanisch abgebaut und durch den vorgetriebenen Rohrstrang nach über Tage abgefördert. Eine steuerbare Schildmaschine, die dem ersten Rohr vorgeschaltet ist, ermöglicht den genauen Vortrieb in gerader oder gekrümmter Linienführung (vgl. Abb. 6).
Abb. 6: Prinzipdarstellung des gesteuerten Rohrvortriebs
Quelle: Stein 2003; visaplan GmbH
Dieses umweltschonende Bauverfahren für die unterirdische Verlegung von Rohrleitungen gehört heute, dank modernster Überwachungsund Steuerungsmethoden, zu den Standardverfahren des Leitungsbaus und stellt das eigentliche Zeitfenster für die technische Realisierung von CargoCap durch unsere Generation dar. Es wird gegenwärtig unter anderem auch von der Emscher Genossenschaft, Essen, für den Bau des Abwasserkanals Emscher, einer ca. 50 km langen, zum Teil doppelröhrigen Abwasserleitung quer durch das Ruhrgebiet, eingesetzt. Die Rohre weisen dabei einen Durchmesser zwischen 1,60 m und 2,80 m auf.
Der Platzbedarf an der Oberfläche während der Bauarbeiten ist gering. Die Anwohner sowie der Verkehr werden, wenn überhaupt, nur partiell geringfügig und zeitlich befristet gestört. Schäden an angrenzenden Bauwerken, Bäumen, Bewuchs und Leitungen werden vermieden. Vorhandenes Grundwasser muss nicht abgesenkt werden. Nach Einbau der Fahrrohrleitungen werden diese mit Schienen, der Energieversorgung der Strecke, der Informationstechnik sowie der Kommunikationsund Steuerungstechnik (RFIDTranspondern) ausgestattet (Scholten et al. 2010; Stein et al. 2010).
Einen Überblick über die Baukosten der Fahrrohrleitung im Vergleich mit einer zweispurigen Autobahnerweiterung sowie einem Verkehrstunnel im städtischen Bereich vermittelt Tabelle 1.
Tab. 1: Baukostenvergleich
1 km Fahrrohrleitung (Rohrvortrieb) (DN 2000 mit Innenausbau) | 3,2 Mio. Euro |
1 km Fahrrohrleitung (offene Bauweise) (DN 2000 mit Innenausbau) | 2,3 Mio. Euro |
1 km Autobahnerweiterung 2spurig (abhängig von Bauwerken und Bebauung) | 10 bis 30 Mio. Euro* |
1 km Tunnel im städtischen Bereich | > 100 Mio. Euro* |
*Angaben Landesbetrieb Straßenbau NRW (2009)
3.2 Transportfahrzeuge (Caps)
Die aerodynamisch geformten ZeroEmissionTransportfahrzeuge, nachfolgend Caps genannt, fahren autonom und vollautomatisch auf Schienen durch das unterirdische Fahrrohrleitungsnetz. Der Antrieb erfolgt durch Elektromotoren, welche die Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von 36 km/h antreiben. Diese Transportgeschwindigkeit wird konstant eingehalten und führt zu einer erheblichen Verkürzung der Transportzeit gegenüber dem LKW im Ballungsraum mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 16,7 km/h.
In stärker belasteten Abschnitten des CargoCapStreckennetzes bilden mehrere Fahrzeuge Fahrverbände, die abstandsgeregelt dicht hintereinander fahren. Auf diese Weise können die aerodynamischen Vorteile der Verbandsfahrt ausgenutzt und somit der Energieverbrauch weiter gesenkt werden. Modelluntersuchungen zur Ermittlung des Einflusses der Aerodynamik auf den Betrieb von CargoCap haben ergeben, dass der Energiebedarf von CargoCap zur Erbringung der gleichen Transportleistung mit 0,1 kWh/tkm deutlich niedriger ist als derjenige des 40tLastzuges. Das System arbeitet erheblich energieeffizienter als der Lieferwagen (Knüpfer 2009; Schmitt 2011; Stein et al. 2009).
Eine wesentliche Voraussetzung für die Verbandsbildung und auflösung sind ein neuartiges Weichenkonzept und die spezielle Gestaltung der Verzweigungen. Die Weichen sind im Gegensatz zur konventionellen Eisenbahn vollständig passiv ausgestattet, d. h. sie besitzen keine Zungen oder anderen beweglichen Teile. Das Fahrzeug übernimmt den aktiven Teil der Verzweigung und besitzt hierfür zwei Weichenmodule. Diese schwenken im Vorfeld einer Verzweigung je nach Fahrtrichtung die Weichenarme nach rechts oder links, die im Verzweigungsbereich in seitlich des Fahrwegs montierte Führungsschienen eingreifen. Auf diese Weise kann das Fahrzeug ohne Reduktion seiner Geschwindigkeit in die gewünschte Richtung ausscheren und nachfolgende Fahrzeuge können die Verzweigung ohne Wartezeiten in jede gewünschte Richtung befahren. Diese Lösung ermöglicht eine dichtere Folge von Fahrzeugen, die für einen ausreichenden Durchsatz und für die Energieeffizienz des Systems erforderlich ist, verringert den Wartungsaufwand für die unterirdische Infrastruktur erheblich und verhilft den Caps dazu, den Rohrleitungsquerschnitt besser auszunutzen (Hohaus 2009; Scholten et al. 2010; Stein et al. 2010).
Die Positionsermittlung der Caps erfolgt unter Verwendung von RFIDKomponenten, wobei streckenseitig montierte Transponder als Wegmarken dienen. Die Caps lesen die Informationen der Transponder während der Überfahrt aus und referenzieren ihre Position. Auf Basis der eigenen Position und der Position der umgebenden Fahrzeuge regelt jedes Cap den Abstand zum vorausfahrenden selbst. Die Energieversorgung der Fahrzeuge erfolgt berührungslos und ist damit wartungsfrei.
Alle Funktionen des CargoCapSystems sowie die systemspezifischen und fahrdynamischen Eigenschaften der Caps wurden und werden mit Unterstützung der Industrie, wie z. B. der SEW EURODRIVE GmbH & Co. KG, Bruchsal, der RWE Power AG, Essen, der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), Osnabrück u. a. seit 2007 auf einer Modellstrecke im Maßstab 1:2 technisch erprobt und optimiert (Hölscher 2012; Knüpfer 2009; Schmitt 2011; Scholten et al. 2010).
4 Wirtschaftliche Bewertung
Das innovative Verkehrssystem CargoCap ist bereits in mehreren Studien auf seine Wirtschaftlichkeit und Realisierbarkeit hin analysiert worden (BMBF, fona 2005; IABG et al. 2005; Kersting 2002; Kersting et al. 2004; Stein/ Schößer 2002). Die jüngste und umfassendste Untersuchung stellt die im Jahre 2009 von einem interdisziplinären Projektteam aus Wirtschaftswissenschaftlern, Wirtschaftsprüfern, Juristen, Bauingenieuren und Maschinenbauingenieuren erarbeitete Marktpotentialanalyse dar, in der die wesentlichen Fragen bezüglich einer Umsetzung des neuartigen Transportsystems in die Realität untersucht wurden (Kersting/Werbeck 2008; Stein et al. 2009). Die wirtschaftliche Bewertung des CargoCapsSystems erfolgte am Beispiel einer Ruhrgebietsstrecke zwischen Dortmund und Duisburg mit einer Länge von etwa 85 Kilometern, mit zunächst nur 24 Stationen und zwei parallel geführten RichtungsFahrrohrleitungen.
Der konkrete Trassenverlauf wurde nach den großen Geschäftszentren der Innenstädte (Duisburg, Essen, Bochum, Dortmund) und großen Handelsstandorten (CentrOOberhausen, RuhrparkBochum) ausgerichtet. Als äußere Anschlusspunkte an den Fernverkehr wurden im Westen der Logport auf der linksrheinischen Seite (Duisburg) und im Osten die großen Logistikstandorte an der Stadtgrenze Dortmund/ Unna ausgewählt. Sie sind als Standorte des kombinierten Verkehrs v. a. für die Nutzung durch CargoCap als Schnittstelle zum Güterfernverkehr geeignet. Die vorgesehenen Stationen und die zugehörigen, sie verbindenden Teilstrecken werden nicht gleichzeitig, sondern etappenweise errichtet und in Betrieb genommen. Für die gesamte Strecke wurde eine reine Bauzeit von acht Jahren angesetzt. Hinzu kommt eine Vorlaufzeit von zwei Jahren für die Planung, Ausschreibung und Vergabe.
Im Rahmen der Marktpotentialanalyse galt es festzustellen, unter welchen Bedingungen diese Beispielstrecke wirtschaftlich betrieben und eine private Investition (Investitionskosten inkl. Fördertechnik und Caps 782 Mio. Euro innerhalb von zwölf Jahren) in diese neue Infrastruktur erwartet werden kann. Als Kriterium diente eine Transportzielmenge, die die BreakEvenGröße darstellt, die mindestens erreicht werden muss, um die Renditeforderungen der Kapitalgeber erfüllen zu können.
Die Untersuchungen vom RuhrForschungsinstitut für Innovationsund Strukturpolitik (RUFIS) (Kersting/Werbeck 2008; Stein et al. 2009) haben eine erforderliche Gütermenge von 4,1 Mio. Tonnen pro Jahr ergeben. Dies entspricht einem notwendigen Marktanteil von 15 Prozent derjenigen Güter, die auf dieser Strecke anfallen (27,6 Mio. Tonnen pro Jahr, Stand 2007) und von CargoCap transportiert werden könnten. Bezogen auf die Verkehrsprognose 2015 mit einer Verkehrsmengensteigerung auf 36,1 Mio. Tonnen pro Jahr sinkt der erforderliche Marktanteil auf 11,4 Prozent.
Bei dieser Transportmenge wäre das Fahrrohrleitungsnetzwerk erst zu zehn Prozent ausgelastet und in der Lage, weitere Güter zu akquirieren. Ein steigendes Verkehrsaufkommen könnte mit geringen zusätzlichen Kosten, hohen Deckungsbeiträgen und der Erweiterbarkeit der Anschlussstellen (Stationen) zu einem starken Anstieg der betrieblichen Rentabilität führen. Mit einem Marktanteil von 15 Prozent an der Verkehrsleistung in 2007 hätte das System seine Mindestnetzgröße überschritten und wäre in der Lage, aus eigener Entwicklung weiter zu wachsen.
Alle technischen und ökonomischen Annahmen, die im derzeitigen Stadium noch nicht exakt bestimmt werden konnten, wurden sehr konservativ abgeschätzt, so dass zu erwarten ist, dass sich insbesondere die erforderliche Investitionssumme verringern und sich der BreakEven tatsächlich bei einem kleineren Marktanteil einstellen wird.
Die der Untersuchung zugrunde gelegten, entfernungsabhängigen Frachtsätze basieren auf Befragungsergebnissen großer Logistikunternehmen und Unternehmen der verladenden Wirtschaft, die durch Fragebögen und persönliche Interviews gewonnen wurden.
Betriebswirtschaftlich unberücksichtigt blieben in der Marktpotentialanalyse sämtliche Kosten lokaler externer Effekte, wie Staus, Unfälle, Lärmbelastungen, Luftverschmutzung, Klimaveränderung, Naturund Landschaftsverbrauch, die nach dem Weißbuch der Europäischen Kommission (2011) zukünftig für Entgelte für die Infrastrukturnutzung internalisiert werden könnten. Diese Kosten, die typisch sind für den oberirdischen Straßengüterverkehr, fallen beim CargoCapSystem sowohl beim Bau als auch beim Betrieb kaum an.
Das CargoCapSystem fügt sich darüber hinaus nahtlos ein in das integrierte Energieund Klimaschutzpaket der Bundesregierung von 2007 („Meseberger Beschlüsse“ des Bundeskabinetts) und die darin vorgesehenen Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und der Förderung von Elektromobilität.
Hinsichtlich der Diskussion über die Reduzierung des CO2Ausstoßes, ist CargoCap aufgrund des elektrischen Antriebes in der Lage, einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Der CO2-Ausstoß ist abhängig von der Art der Stromerzeugung und kann bei Nutzung regenerativer Energie sogar Null sein.
5 Juristische Bewertung
Bei CargoCap handelt es sich um ein Infrastrukturprojekt mit vergleichsweise geringem juristischem Konfliktpotenzial. Da es sich weder um ein Straßen, noch um ein Eisenbahnprojekt oder eine Energieleitung und auch nicht um eine Pipeline handelt, greift keines der bestehenden fachgesetzlichen Planfeststellungserfordernisse ein. Das bedeutet, dass weder die aufwändigen Verfahrensfolgen noch die anspruchsvollen materiellen Kriterien des Fachplanungsrechts zu beachten sind. Vielmehr ist „lediglich“ der allgemeine raumbzw. bauplanungsund bauordnungssowie umweltrechtliche Rahmen einzuhalten und es müssen Nutzungsvereinbarungen mit den Grundstückseigentümern bzw. den zuständigen Straßenbaulastträgern getroffen werden. Das Infrastrukturprojekt besticht aus juristischer Sicht damit nicht nur als Idee, sondern auch bezüglich seiner Durchsetzbarkeit (Pielow 2009; Stein/ Schößer 2002; Stein et al. 2009).
6 Zusammenfassung
Ohne leistungsfähige Transportund Logistikdienstleistungen kann unsere moderne, arbeitsteilige Wirtschaft nicht funktionieren. Unser hoher Lebensstandard und unsere Arbeitsplätze sind abhängig von einer guten Erreichbarkeit der Produktionsstandorte und von leistungsfähigen Transportund Logistikdienstleistungen. Insbesondere in den urbanen Ballungsgebieten sowie in Großund Megastädten kann die traditionell gewachsene Verkehrsinfrastruktur zukünftig den steigenden und veränderten Anforderungen an die Transportleistung nicht gerecht werden. Neue Lösungen sind deshalb dringend erforderlich, die eine möglichst schnelle Entlastung bestehender Verkehrswege erlauben, die Bedienung der dort ansässigen Unternehmen auch in der Zukunft sicherstellen, umweltentlastender Natur sind und zugleich eine nachhaltige Verbesserung der Verkehrssituation bewirken (Stein et al. 2009). Hierfür bietet sich aus städtebaulichen, ökologischen und humanitären Gründen ausschließlich ein unterirdischer Gütertransport an.
Diesen Lösungsansatz favorisiert auch die Szenariostudie „Delivering Tomorrow – Logistik 2050“ der Deutschen Post (DP AG 2012). Dort heißt es: „Der Einsatz einer unterirdischen TransportInfrastruktur in Kombination mit Konsolidierungszentren an Stadträndern bzw. umgebungen könnte hier [Anm.: stadtinterne Logistik] als Lösungsansatz fungieren, der für den Warenfluss von und in die einzelnen Stadtteile der Ballungsräume sorgt.“ (S. 175) Dass man jedoch glaubt, von dieser Option erst im Jahre 2050 Gebrauch machen zu müssen, ist in Anbetracht der bereits heute bestehenden chaotischen Verkehrssituation und der negativen Auswirkungen des Straßengüterverkehrs auf den Gesundheits, Umwelt, Klima, Energie, Ressourcenund Flächenschutz in Ballungsräumen und in den Großstädten unverständlich.
Die vorangegangenen Ausführungen bestätigen, dass mit dem praxisreifen, innovativen CargoCapSystem dieser Lösungsansatz, im Gegensatz zur öffentlich nicht artikulierten Auffassung der Politik und Logistikbranche, bereits heute, z. B. in den 21 TopLogistikStandorten Deutschlands, technisch, wirtschaftlich und rechtlich ohne Verletzung von Bürgerinteressen problemlos umgesetzt werden könnte. Das CargoCapSystem lässt sich in die traditionellen Verkehrsund Logistiksysteme implementieren und bereits bei Vorhandensein einer relativ kleinen Mindestnetzgröße wirtschaftlich betreiben. Es ist darüber hinaus in der Lage, die Erreichbarkeit von Produktionsstätten, Handelszentren und letztlich von bisher peripher gelegenen Standorten entscheidend zu verbessern. Dies bietet die Grundlage für die Neuansiedlung umweltfreundlicher, logistikintensiver Produktionsstätten auch in dicht besiedelten Gebieten, ohne die sonst üblichen negativen verkehrsbedingten Nebeneffekte.
Das für die Umsetzung des CargoCapSystems erforderliche technische Zeitfenster wurde unserer Generation durch die Entwicklung des Rohrvortriebes für die umweltfreundliche grabenlose Verlegung der Fahrrohrleitungen mit einem Durchmesser von lediglich zwei Metern in innerstädtischen Bereichen geöffnet. Dieses Zeitfenster zur Lösung der Gütertransportprobleme in Ballungsräumen jetzt zu nutzen, ist nicht nur ökonomisch und ökologisch, sondern auch im Hinblick auf den Generationenvertrag sinnvoll. Als Vorbild sollten uns dabei unsere Vorfahren des 19. Jahrhunderts dienen, die ihren Nachfolgegenerationen und damit auch uns durch den Bau der Rohrleitungssysteme für die Kanalisation nachhaltig das hygienische Überleben in unseren Städten möglich gemacht haben.
Literatur
BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung, fona, 2005: Unter der Erde schneller und billiger: Gutachten belegt Wirtschaftlichkeit von CargoCap. Pressemitteilung 18.4.05
DP AG – Deutsche Post AG, 2012: Delivering Tomorrow – Logistik 2050 – Eine Szenariostudie
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Hohaus, L., 2009: Entwicklung einer Verzweigungsvorrichtung für das System CargoCap, simulationsgestützte Ermittlung von Betriebslasten. Dissertation. In: Schriftenreihe Institute Product and Service Engineering, Fakultät für Maschinenbau, RuhrUniversität Bochum, Heft 09.3
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IABG – Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH; RUFIS – Ruhr-Forschungsinstituts für Innovations- und Strukturpolitik; ZLU – Forschungs- und Studienzentrum Landwirtschaft und Umwelt, 2005: Entwicklung und Bewertung eines Szenarios für den wirtschaftlichen Betrieb des unterirdischen Transportsystems CargoCap. Unveröffentlichter Forschungsbericht, Projekt Ruhr GmbH
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