Und dennoch handeln die politisch Verantwortlichen nicht so, als ob sie alles, wirklich alles versuchen wollten, den Klimawandel – soweit noch möglich – aufzuhalten. Der Meeresspiegel steigt an. Das Wetter wird in Teilen der Erde turbulenter. Einige der politisch Verantwortlichen sehen zwar den kausalen Zusammenhang von CO2-Ausstoß und Erderwärmung, sie erarbeiten Agenden und führen Gespräche an Verhandlungstischen. Aber letztlich, wenn es um konkrete Maßnahmen geht, wollen sie diese ihrer Bevölkerung, ihrer Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit nicht zumuten. Der Zusammenhang von Ursache und Wirkung wird gesehen. Die Dramatik der Konsequenzen wird aber nicht anerkannt.
Die nationalen Regierungen setzen Prioritäten, die die eigene Bevölkerung schützen und stärken sollen. Diese sind per definitionem nicht global gedacht. Wie anders ist es sonst zu erklären, dass beispielsweise das 2009 in Japan beschlossene Vorhaben, den CO2-Ausstoß um 25 Prozent unter den Wert von 1990 zu senken, Mitte November 2013 wieder aufgegeben wurde? Die japanische Regierung strebt nun an, die Emissionen bis 2020 um 3,8 Prozent unter das Niveau von 2005 zu drücken. Selbst wenn dies gelänge, würde es bedeuten, dass Japans Treibhausgas-Ausstoß im Endeffekt um ca. drei Prozent gegenüber dem Wert von 1990 steigt. Die offizielle Begründung lautet, man müsse verstärkt auf die Verbrennung von Kohle und anderer fossiler Energieträger ausweichen, seit die Atomkraftwerke strikteren Kontrollen unterstellt wurden und deshalb derzeit alle vom Netz genommen sind. Eine freiwillige Selbstkontrolle toppt also die nächste: erst die Verpflichtung, CO2 zu reduzieren, dann die Verpflichtung, die Atomkraftwerke auf ihre Sicherheit zu überprüfen. Dabei wäre doch beides wichtig.
Das Beispiel zeigt: Die japanische Regierung ist hin- und hergerissen. Für jede Entscheidung gibt es gute, wissenschaftlich nachgewiesene Gründe. Doch diese Pluralität von Wissensperspektiven wird nicht als Chance für langfristige, der Nachhaltigkeit verpflichtete Politikkonzepte gesehen. „Vielmehr scheint gerade die wachsende Unsicherheitserfahrung die Rückkehr zu Konzepten eindeutiger Evidenzkonstruktion zu provozieren“, so Stefan Böschen in der Einführung zum Schwerpunktthema. Zwar kommt der Wissenschaft immer noch eine bedeutende Rolle zu, wenn es um die Bereitstellung von Wissen – auch für Entscheidungsprozesse – geht. Aber diese, ihr zugeschriebene Autorität ist in den letzten Jahren immer stärker abhängig geworden von den Prozessen und Institutionen, die für die Legitimität einer Entscheidung stehen. Dadurch wird die Anerkennung von Wissenspluralität gefährdet und Evidenzen werden fragil. Dieser Entwicklung wird durch Selbstkontrollen begegnet. Führt man sich aber vor Augen, dass Selbstkontrollen der Logik des politischen Systems entsprechen, müsste die Herausforderung für die Wissenschaft darin bestehen, sich ebenso selbst zu kontrollieren, indem wissenschaftliches Wissen nicht nur produziert, sondern eben auch wissenschaftlich reflektiert wird. Dazu liefert dieser Schwerpunkt einen Beitrag.
(Constanze Scherz)