U. Dolata: Wandel durch Technik. Eine Theorie soziotechnischer Transformation

Rezensionen

Soziotechnischer Wandel: immer graduell

U. Dolata: Wandel durch Technik. Eine Theorie soziotechnischer Transformation. Frankfurt a. M.: Campus Verlag, 2011, 169 S., ISBN 978-3-593-39500-5, Euro 26,90

Rezension von Ulrich Dewald, ITAS

Ulrich Dolata arbeitet seit geraumer Zeit an einer Rahmung soziotechnischen Wandels und hat 2011 seine Konzeption zur Sektor-Technologie-Interaktion und zu verschiedenen Verlaufsformen des soziotechnischen Wandels als Monographie vorgestellt. Seine Theorie ist dieses Jahr auch im Englischen erschienen, was somit auch Anlass gibt für diese Rezension. Mit 169 Seiten erscheint das klar in sechs Kapitel gegliederte Buch überraschend überschaubar. Angesichts der Tragweite – immerhin wird eine Theorie soziotechnischer Transformation versprochen – ruft dies zugegebenermaßen leise Verdachtsmomente auf: Wo spart der Autor ein? Bei Grundbegriffen, der Einordnung in die Theoriedebatte oder der empirischen Veranschaulichung? Weiterhin interessant ist: Was fügt Dolata seinen bestehenden und immerhin bereits prominent publizierten Beiträgen hinzu? Welche Impulse liefert der Ansatz für TA-Fragestellungen?

1    Rahmung

Nach der Einleitung eröffnen die Kapitel 2 („Technik und Sektor“) und 3 („Typen von Innovationen und soziotechnischer Wandel“) das Werk. Diese sind so kurz gehalten, dass nun Engpässe sichtbar werden: Die verschiedenen Klassifikationsmerkmale zur Erfassung sektoraler Technikprofile fallen – trotz Verweis auf die umfangreichen Vorarbeiten des Autors – etwas knapp aus. Auch wenn der Theoriefokus klar auf Transformation statt Struktur ausgerichtet ist, wäre eine etwas feingliedrigere Kategorisierung, auch im Hinblick auf die analytische Wiederverwendung, wünschenswert. In der Gesamtschau wird Sektordynamik damit wohl zu sehr von den Strukturmerkmalen der Technologien entkoppelt.

Weiterhin führt Dolata zur konzeptionellen Rahmung den Feldbegriff ein (Kap. 2). Sektoren werden mit dem Hinweis auf die Strukturierungsleistungen von Institutionen als organisationale Felder beschrieben. Dies verwundert, wird doch mit Feldern eigentlich die Bedeutung von Institutionen anstelle anderer Kategorien (Netzwerke, Akteure, Artefakte) hervorgehoben. Dies dürfte aber nicht der Intention des Autors entsprechen: Diese Hervorhebung findet sich weder in den herangeführten empirischen Beispielen noch in der weiteren konzeptionellen Entwicklung wieder. Mein Empfinden: Die konzeptionelle Weichenstellung profitiert nicht von dem Konzept organisationaler Felder. In Kapitel 6, in dem verschiedene Transformationsverläufe hergeleitet werden, wird der alleinige Blick auf Institutionen nun auch vom Autor wieder verworfen:

„Transformationsprozesse, wie sie hier beschrieben werden, reichen also deutlich über institutionelle Veränderungen eines Feldes hinaus.“ (S. 135)

Auch die sektoralen Innovationssysteme werden eingangs allzu hastig abgehakt und könnten vielleicht doch als Raster für die Kartierung der Sektoren etwas mehr hergeben. In seinem grundlegenden Diskussionspaper (Dolata 2003) haben sektorale Innovationssysteme vom Autor immerhin noch eine wohlwollende Bewertung als „einheitlichen und pragmatisch handhabbaren heuristischen Rahmen zur vergleichenden empirischen Analyse sektoraler Systeme“ erfahren. Welche Kernkategorien letztlich genau den Sektor ausmachen und in welchem Wechselverhältnis diese stehen, somit die Kernstruktur des Sektors definieren, bleibt so durchgehend zu offen.

2    Fragestellung, Kernkonzepte

Im Kern geht Dolata der Frage nach, welche Wandlungsmuster Sektoren unter den Bedingungen neuer technologischer Möglichkeiten aufweisen, also wann, wie und mit welchen Wirkungen Technologien mit ihrem sektoralen Kontext interagieren. Dolata betont dabei, Technik sei „allerdings nicht nur ein konstituierender struktureller Bestandteil moderner Gesellschaften. Größere wissenschaftliche und technologische Umbrüche tragen darüber hinaus maßgeblich zu ihrer Veränderung bei“ (S. 50). Offenkundig wird sein Anliegen, den Stellenwert von Technik in sozioinstitutionellen dynamischen Prozessen stärker in den Vordergrund zu rücken.

Woran Dolata anknüpft, macht er dabei deutlich: Arbeiten zu großtechnischen Systemen und Arbeiten zur Dynamik technischen Wandels und des Zusammenwirkens von Technologien in ihren sozioinstitutionellen Umgebungen (Freeman/Perez 1988) stellen wichtige Ausgangspunkte dar. Unter die Lupe genommen werden insbesondere der mismatch und die verschiedenen Wandlungsmuster, die Phasen des Umbruchs von Sektoren kennzeichnen. Den Vorwurf des Technikdeterminismus versucht Dolata wiederholt zu entkräften, indem er die wechselseitige Beziehung von Technik zu sozioinstitutionellen Strukturen betont.

In seinem Analyserahmen entwickelt Dolata in den Hauptkapiteln 4, 5, 6 drei Kernkonzepte, einmal ausgehend vom Profil und Einfluss der Technik (Technologische Eingriffstiefe), dann von der Aufnahmefähigkeit des Sektors (sektorale Adaptionsfähigkeit) und schließlich aus dem Zusammenwirken von diesen und der Herausbildung unterschiedlicher Typen gradueller Transformation. Die vorgestellten Basiskonzepte „Technologische Eingriffstiefe“ und „Sektorale Adaptionsfähigkeit“ werden als relationale Konzepte begründet (S. 69), die Aufnahme neuer Technologien in sektorale Konfiguration sei eben immer auch von den jeweils dominierenden soziotechnischen Konstellationen des Sektors abhängig.

Die Basiskonzepte werden dabei um verschiedene Varianten verfeinert. Zur sektoralen Eingriffstiefe werden Varianten eingeführt und mit empirischen Beispielen nachvollziehbar belegt. So wird die Implementierung internetbasierter Technologien in den Automobilsektor als Beispiel Geringer Eingriffstiefe neuer Technologien genannt, da

„…grundlegend neue technologische Möglichkeiten zwar zur selektiven Modernisierung eines Sektors beitragen und zum Teil mit aufwändigen und kostenträchtigen Adjustierungsprozessen einhergehen, insgesamt jedoch im Rahmen der bestehenden soziotechnischen Konstellationen genutzt und weitgehend in diese integriert werden können“ (S. 60).

Bestehende Machtstrukturen und Organisationsmuster blieben bestehen. Welche Bedeutung der sektorale Kontext tatsächlich hat, und darin liegt der hohe Erklärungsgehalt von Dolatas Konzeption, zeigt sich sodann im nächsten Fall Große Eingriffstiefe, wo die gleiche Technologie (Internet) auf einen anderen, nämlich den Musiksektor trifft. Hier habe die Technologie einen Restrukturierungsdruck auf den Sektor ausgeübt und „gravierende Verschiebungen in den Produktions-, Distributions- und Marktstrukturen provoziert“ (S. 63), und zur Etablierung neuer Akteurskonfigurationen und Machtbeziehungen geführt.

Zur Erklärung der Verlaufsformen technischen Wandels reicht die Beschreibung und Erfassung der technischen Eigenheiten indes nicht aus, es bedarf der Analyse der sektoralen Bedingungen. Hier veranschaulicht er anhand empirischer Beispiele verschiedene Varianten (Adaptionsunfähigkeit, proaktive Adaptionsfähigkeit und machtbasierte Adaption), wie Sektoren mit neuen Technologien umgehen. Ausgangspunkt dafür ist die Überlegung, dass es keineswegs darum geht, in einer linearen Wirkrichtung gefestigte Technologien in den Sektor zu implementieren. Hingegen sei davon auszugehen, dass

„…die zunächst noch unfertigen und anwendungsoffenen Technologien als auch deren mögliche beziehungsweise notwendig erscheinende strukturelle, institutionelle und organisationale Effekte in einem Sektor antizipiert, aufgegriffen und bearbeitet werden“ (S. 77).

Im letzten Kapitel zur Graduellen Transformation wird deutlich, welchen Vorstellungen von technologischem Wandel Dolata mit seinem Werk eine Abfuhr erteilt:

„Mit dichotomen Typisierungen, die lediglich zwischen langen Perioden der Stabilität und seltenen, durch exogene Schocks ausgelösten, ebenso abrupten wie radikalen Umbrüchen unterscheiden, lassen sich die realen Verläufe technikinduzierten sektoralen Wandels nicht angemessen erfassen.“ (S. 13)

Dolata bietet hingegen vier Varianten soziotechnischen Wandels an, an deren Stelle hier aber die Kernbotschaft des Buches auf den Punkt gebracht werden soll: Soziotechnischer Wandel vollzieht sich graduell. Zweitens sind Verlaufsformen technologischen Wandels durch das Ineinandergreifen und die Abfolge verschiedener Transformationsmodi gekennzeichnet.

3    Und was macht die Transitionsforschung anders?

Damit bedient Dolata einen wachsenden Bedarf nach theoretischer Fundierung von Dynamiken soziotechnischen Wandels. Dolata erweitert dazu den Fächer konzeptioneller Angebote insbesondere um die Wirkung sektoraler Strukturen auf soziotechnische Dynamiken, mithin ein Aspekt, der in der „neueren soziotechnischen Transformationsforschung“ bisher vernachlässigt wird. An der übt Dolata harsche Kritik: Selektionsdruck und Anpassungsformen würden nicht systematisch erklärt, sondern verblieben im Bereich „beispielhafter Plausibilisierungen“ (S. 40). Die Aufarbeitung empfinde ich jedoch als letztlich nicht konsequent, wenn wesentliche Denkfiguren wie „adaptive capacity“ aus dem Programm der Kritisierten übernommen werden und zuletzt (S. 144, 146) doch wieder bei der Beschreibung idealtypischer Verlaufsformen soziotechnischen Wandels auf diese zurückgegriffen wird. Überdies kommt der Argumentationsverlauf hier ebenfalls nicht ohne beispielhafte Plausibilisierungen aus, ganz im Gegenteil liest sich das Buch als ständiges Wechselspiel empirischer Abschnitte und deren konzeptioneller Deutung.

Ein Vergleich mit anderen Ansätzen offenbart weitere Ausgangspunkte für soziotechnischen Wandel und eine weniger technikinduzierte Argumentation. Transformation à la Dolata so eindeutig aus dem Wechselspiel Sektor-Technologie herzuleiten, stellt einen Unterschied dazu dar, und es wäre dann ergiebig, Unterschiede zu anderen Arbeiten gleicher konzeptioneller Zielrichtung stärker zu nuancieren. So bleiben gewichtige – und konzeptionell auch schwer fassbare – Einflussfaktoren (Krisen, Naturkatastrophen, gesellschaftliche Trends) unberücksichtigt.

4    Nutzen für die TA

Im Kontext der TA darf zugleich hinterfragt werden, ob die überzeugend hergeleiteten Transformationstypen, oder auch schon zuvor die konzeptionellen Kernkonzepte, für prospektives Arbeiten ein Handwerkszeug anbieten. In dieser Richtung erhebt Dolata zwar zurückhaltend Ansprüche. Auf Seite 70 heißt es etwa zur Eingriffstiefe, „es handelt sich vielmehr um eine für die Entwicklung prospektiver Szenarien ebenso wie für rekonstruierende Fallanalysen nutzbare Heuristik, die sich allerdings entlang einer Reihe von qualitativen Kriterien präzisieren lässt“ (warum eigentlich „allerdings“?). Anschließend werden Untersuchungskategorien zwar aufgelistet, jedoch in recht niedriger Auflösung. Hier könnte der TA-getriebene Anwender Präzisierungen erwarten, wie sich etwa „institutionelle Neujustierungen“ des Sektors oder „Interpenetration verschiedener Sektoren“ (S. 71) auch praktisch fassen lassen.

Der grundlegende Gedanke, einzelne Technologien stärker im Hinblick auf ihren sektoralen „match“ resp. „mismatch“ zu betrachten, kann dabei nur für sehr gewinnbringend im Hinblick auf TA-Arbeiten eingeschätzt werden, die diesen sektoralen Kontext zuweilen ausblenden. Für Fragestellungen der Governance von Technologiepolitik ergibt sich eine direkte Anschlussfähigkeit, wie etwa Trägheit von Sektoren vermieden und Offenheit für Innovationen politisch unterstützt werden kann.

5    Theorie oder konzeptioneller Rahmen?

Die Bewertung, ob mit dem Werk nun eine eigenständige Theorie bereits ausreichend ausformuliert ist, fällt schwer. Nach der Lektüre bleibt das Gefühl, dass hier ein wenig das verfeinerte Handwerkszeug fehlt, um mit diesen breiten Mustern des Wandels ausgestattet wesentlich mehr als eine Rückschau und ein eher grobes, nachträgliches Einpassen von Technikverlaufsbeobachtungen in das angebotene Raster vornehmen zu können. Dieses „Mehr“ sollte eine Theorie dieser Zielrichtung wahrscheinlich leisten können. Dies auch, um im Umfeld der STS-Arbeiten die ihrem Erklärungsgehalt angemessene Wirkung zu erzielen. Dazu müssten noch schärfer die Kausalitäten und Wechselwirkungen auf die konzeptionelle Ebene gehoben und aus den Fallbeispielen herausgelöst werden.

Das vorliegende Buch als einen inspirierenden und wertvollen konzeptionellen Orientierungsrahmen zum Aufbrechen Struktur orientierter Ansätze zu sehen, widerspricht dieser Einschätzung nicht: dass die Auseinandersetzung mit soziotechnischem Wandel nicht auf die Einbettung in sektorale Kontexte verzichten kann, wird ganz deutlich. Die Basiskonzepte Eingriffstiefe und Adaptionsfähigkeit sollten dabei analytisch stärker um Strukturfaktoren verfeinert werden, die dann für die Abschätzung von Technikzukünften und deren Entwicklungshemmnisse vielleicht aufschlussreich wären. Es bieten sich überdies Ansatzpunkte für konzeptionell interessante Vertiefungen an, etwa eine systematische Auseinandersetzung mit Beharrungsformen etablierter Sektoren, Konkurrenzen von Technologien in sektoralen Kontexten, sektorale Konfigurationen in unterschiedlichen räumlichen Settings. Wie adaptionsfähig sich die Techniksoziologie verhält, kann angesichts des gut zu lesenden und konzeptionell ergiebigen Werks daher mit Spannung erwartet werden, zu rechnen ist mit einem graduellen Verlauf!

Literatur

Dolata, U. 2003: Technik und sektoraler Wandel: Technologische Eingriffstiefe, sektorale Adaptionsfähigkeit und soziotechnische Transformationsmuster. Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung, MPIfG Discussion Paper 07/3 (2003)

Freeman, C; Perez, C., 1988: Structural Crisis of Adjustment, Business Cycles and Investment Behavior. In: Dosi, G.; Freeman, C.; Nelson, R. et al. (Hg.): Technical Change and Economic Theory. London, S. 38–66