Editorial

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Energie ist nicht alles, aber ohne Energie ist alles nichts. Dieser Satz ist so trivial wie richtig, und das auch noch unabhängig davon, ob mit „Energie“ nun physikalische Energie gemeint ist oder vielleicht geistige oder noch andere Energie. Wer über die Energiewende spricht, meint sicher die physikalische Energie – und ohne diese wäre in der Tat alles nichts. Die Verfügbarkeit von sicherer, bezahlbarer und umweltverträglicher Energie sowie der gerecht verteilte Zugang, sind zentrale Voraussetzungen für moderne, sich dem Leitbild der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlende Volkswirtschaften.

Vor gut zwei Jahren, nach den Havarien mehrerer Kernreaktoren in Fukushima, schien es so, als sei ein breiter Pfad, vielleicht besser: eine ganze Allee, in dieser Richtung aufgetan. Die Energiewende versprach den Übergang zu einer besseren Energiewelt, mit weniger Risiken und weniger Schadstoffemissionen, ohne Bedrohung des Klimas, dafür mit Ressourcenschonung und mehr Versorgungssicherheit. Sie war zunächst, trotz einiger kritischer Stimmen, getragen von einem weitgehenden gesellschaftlichen Konsens.

Dies ist Vergangenheit. Die Zustimmung zur Energiewende bröckelt, insbesondere seit allen klar ist, dass die Energiewende nicht zum Nulltarif zu haben sein wird. Befürchtungen machen die Runde, dass Energie für untere Einkommensschichten unbezahlbar werden könne. Sorgen über steigende Strompreise und abnehmende Versorgungssicherheit breiten sich aus. In den Massenmedien wird gefragt, ob wir „den nächsten Winter schaffen“, gemeint ist: ohne größeren Blackout der Stromversorgung. Neue Infrastrukturen wie Hochspannungstrassen oder Pumpspeicherkraftwerke werden erforderlich und greifen in Lebenswelten und Landschaften ein. Auf einmal werden erneuerbare Energieträger, die in den meisten Medien bislang zumeist als die positiven Alternativen zu Atomstrom und fossilen Energieträgern dargestellt wurden, zum Problem erklärt. Ob nun Windanlagen als Häcksler für Vögel oder Totengräber für den lokalen Tourismus, und die Wasserkraft in Fließgewässern als Schredderanlagen für Fische thematisiert werden, ob eine Subventionitis in der Photovoltaik beklagt wird oder Biogasanlagen hauptsächlich wegen ihrer Geruchsbelästigung einen Bericht wert sind – die Stimmung hat sich verändert.

Der Schwerpunkt in diesem Heft thematisiert die „Energiewende 2.0“. Dahinter verbirgt sich die Überzeugung, dass die Energiewende des Jahres 2012 nur die Version 1.0 war; eine Version mit erheblichen Anfängerproblemen und Naivitäten. Vielleicht haben wir es uns damals zu leicht gemacht, oder es wurde suggeriert, dass es leicht sei: die Energiewende 1.0 als Ersatz von alter Technologie (Atomenergie und fossile Energieträger) durch neue Technologie, auf erneuerbaren Energieträgern basierend und hoch effizient. War nicht der vorherrschende Eindruck, dass die Ingenieure dies richten werden und wir Verbraucher kaum etwas von der Energiewende bemerken werden, nicht einmal auf der Stromrechung?

Dies war eine Fehlwahrnehmung. Heute sehen wir deutlicher, dass der Ansatz grundfalsch war. Es geht in der Energiewende nicht einfach um eine Ersetzung alter durch neue Technologie, sondern um einen Umbau von Teilen der Gesellschaft, der alle betrifft. Ob nun durch Veränderungen in der Wohnumgebung, durch neue Infrastrukturen, durch erforderlich werdende neue Verhaltensmuster, durch sich ändernde Energiepreise, durch neue Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle im Energiebereich – die Energiewende ist nicht einfach eine technische Modernisierung, sondern der Umbau eines komplexen soziotechnischen Systems. Dies ist gemeint, wenn im Schwerpunkt dieses Heftes von der Energiewende 2.0 die Rede ist. Dort werden ihre komplexen Facetten analytisch in den Blick genommen und es wird gefragt, welche Konsequenzen die zugrunde liegende Diagnose für die sozialwissenschaftliche Energieforschung und für die Technikfolgenabschätzung hat.

(Armin Grunwald)