Normalisierung durch Vergleich?

Schwerpunktthema Diskursive TA-Verfahren

"Normalisierung" durch Vergleich?

Zur Bedeutung der Risikodebatte nach Abschluß des WZB-Verfahrens zur gentechnisch erzeugten Herbizidresistenz

von Barbara Weber, Öko-Institut e.V.

I. Geschichte und Stand der Risikodebatte

Ausgangspunkt der Gentechnik-Risikodiskussion war ein grundsätzlicher Risikoverdacht wegen des neuartigen Eingriffspotentials dieser Technik, mit der erstmals isolierte Gene über im Prinzip alle Artgrenzen hinweg übertragen werden konnten. Der sich im folgenden entwickelnden Kontroverse über die Risikoeinschätzung liegen zwei theoretische Konzepte zugrunde, die hier idealtypisch dargestellt werden.

Die Grundüberlegung des additiven Modells ist, daß sich das Risikopotential eines gentechnisch veränderten Organismus (GVO) aus der Addition der Eigenschaften des Empfängerorganismus und der in der transferierten Nukleinsäuresequenz kodierten Eigenschaft des Donororganismus ergibt. Sind diese beiden Komponenten (relativ) gut charakterisiert, so soll das Produkt - d.h. der transgene Organismus - kein größeres Risiko bergen, als sich aus der Addition der bekannten Eigenschaften der übertragenen Nukleinsäuresequenz und des Wirtsorganismus ergibt. Eine wichtige Schlußfolgerung aus dieser Grundüberlegung ist, daß die Eigenschaften der transgenen Organismen im voraus bestimmt werden können, d.h. einer Prognose zugänglich sind.

Dem synergistischen oder kontextualistischen Modell zufolge ist dagegen die genetische Information eines Organismus notwendig, aber nicht ausreichend, um die Herausbildung eines bestimmten Phänotyps zu erklären (Bonß et al. 1992). Vielmehr wird davon ausgegangen, daß die Ausprägung von Merkmalen und Eigenschaften eines Organismus von der räumlichen Anordnung der Gene und der zeitlichen Abfolge von Prozessen im chromosomalen und zellulären Kontext sowie dem umgebenden Gewebe abhängt. Da es mit gentechnischen Methoden möglich ist, Kontextbezüge in einer Art und Weise aufzubrechen und neu zu setzen, die wesentlich über das hinausgeht, was bislang an natürlichen Prozessen beobachtet und beschrieben wurde und auch mit modernen zellbiologischen Verfahren geleistet werden kann, ist dem synergistischen Modell zufolge die Gentechnik mit einem spezifischen Risikopotential behaftet.(1)

Die Interpretation von Genen als ,kontextabhängige und kontextbezogene Informationsträger" bedeutet auch, daß sich z.B. die eventuellen pathogenen und die ökologischen Eigenschaften (Phänotyp) transgener Organismen erst nach der Konfrontation solcher Organismen mit ihren potentiellen Wirten bzw. der Umwelt bestimmen lassen. Eine wichtige Konsequenz des synergistischen Modells ist, daß die tatsächlichen Risiken transgener Organismen prospektiv nicht vollständig abschätzbar sind. Des weiteren ist von Bedeutung, daß sich der Kontextbegriff nicht nur auf die Ebene der DNA, sondern auch auf die der Zellorganisation, des Organismus sowie dessen Einbettung in die Umwelt bezieht (Bernhardt et al. 1991, Bonß et al. 1992).(2)

Das von den VertreterInnen des additiven Modells formulierte Credo ,Es kommt auf den Phänotyp und nicht den Genotyp an" kann als Heuristik Überschneidungen zum kontextualistischen Modell der Risikoanalyse aufweisen. In diesem wird Risikoforschung als (Re-)Kontextualisierung der Laborkonstrukte gedacht.(3) Forderungen wie die nach einer schrittweisen (step by step) Einzelfallprüfung (case by case) im Rahmen der Gentechnik-Regulierung lassen bzw. ließen durchaus auf pragmatische Kompromisse hoffen.

In der Praxis stützt sich die Genehmigung und Überwachung jedoch im wesentlichen auf das additive Risikokonzept. Eine umfassende Untersuchung des Phänotyps transgener Organismen findet in den seltensten Fällen statt. Im Vordergrund steht die Expression der erwünschten neuen Eigenschaft sowie die Beibehaltung erwünschter Eigenschaften des Ausgangsorganismus. Fehlgeschlagene Experimente, unerwünschte Nebenwirkungen und Wirkungen auf Nicht-Zielorganismen wurden offenbar häufig verschwiegen bzw. noch kaum untersucht. Bei den wenigsten Freisetzungsversuchen wurden Risikoaspekte überhaupt untersucht (Sukopp & Sukopp 1995, Mellon & Rissler 1995).

Dennoch haben sich die von gentechnikkritischer Seite früh formulierten Risikoszenarien in vielen Fällen bestätigt. Dazu zählen nicht erwartete, u.U. die Fitness steigernde oder Nicht-Zielorganismen beeinträchtigende Nebenwirkungen gentechnischer Veränderungen, die Nichtbegrenzbarkeit von GVO und Trans-Genen in der Umwelt, die Möglichkeit der Entstehung pflanzenpathogener Viren durch die Freisetzung virusresistenter transgener Pflanzen. Auch die relevante Bedeutung der Umwelt für den Phänotyp eines GVO, die die weitere Kontextabhängigkeit der Eigenschaften von Lebewesen unterstreicht, hat sich vielfach bestätigt (z.B. Crawley et al. 1993).

Insofern steht die Deregulierung in den USA und Europa im Widerspruch gerade zu neueren Befunden. In den meisten Fällen wird sie durch eine Argumentationsumkehr gerechtfertigt nach dem Grundmuster: Die ursprünglich getroffene sicherheitsrelevante Annahme wird experimentell widerlegt, das auf der Grundlage dieser Annahme ausgeschlossene Phänomen tritt doch ein, es wird nun jedoch als natürlicher Prozeß definiert, der nicht mehr als Risiko zu betrachten sei.

Damit scheint nicht mehr so sehr umstritten zu sein, daß das synergistische Modell die beobachteten Phänomene zutreffender beschreibt als das additive Modell. Im Mittelpunkt der Kontroverse steht vielmehr die Frage, welche Bedeutung das in Hinblick auf die Entstehung und Regulierung von Risiken hat.

II. WZB-Verfahren und Normalisierungshypothese

1991 wurde vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) ein Verfahren zur Technikfolgenabschätzung (TA) des Anbaus von Kulturpflanzen mit gentechnisch erzeugter Herbizidresistenz initiiert ("WZB-Verfahren"). Das Verfahren wurde zusätzlich bezüglich des gewählten Partizipationsmodells als sozialwissenschaftliches Experiment durchgeführt.

Im WZB-Verfahren wurde u.a. die Vergleichbarkeit der gentechnischen Veränderung von Pflanzen mit nichtgentechnischer Pflanzenzüchtung untersucht. Risikovergleiche werden häufig zur Einschätzung der Gentechnikrisiken herangezogen. Aus der mehr oder weniger gegebenen Vergleichbarkeit mit besser bekannten Risiken, wird auf das Risikopotential gentechnischer Veränderungen geschlossen. Die Idee der "Normalisierung durch Vergleich"(barkeit) und des damit einhergehenden Verlusts an "Dramatik" (van den Daele et al. 1996, S. 49) von Gentechnikrisiken ist nicht neu. Sie tritt in zwei Varianten auf: als Vergleich von Gentechnik und Natur (siehe unter I.) sowie als Vergleich von gentechnischen Veränderungen und konventionellen Züchtungsmethoden.

In beiden Varianten läßt sich die Gleichheitshypothese höchstens unter extremer Abstrahierung von den offensichtlichen Unterschieden zwischen Gentechnik einerseits und Natur oder Züchtung andererseits formulieren. Unterschiede auf molekularer Ebene liegen im Aufbau der rekombinanten Genkonstrukte, der sich von dem natürlicher Gene unterscheidet. Trans-Gene zur Transformation von Pflanzen stellen ein kompliziertes Puzzle dar.(4) Zumeist wird zusätzlich zu einem Trans-Genkonstrukt zumindest ein Markergenkonstrukt transferiert, das nach demselben Prinzip aufgebaut ist. Neuartig an der Gentechnik ist des weiteren, daß sie den Transfer isolierter Gene bzw. Genkonstrukte ermöglicht und daß dieser Transfer an keine Artgrenzen gebunden ist.
Auf dieser Grundlage wird die Vergleichbarkeit von Gentechnik und Natur bzw. Züchtung - die auch in ihrer modernen nichtgentechnischen Form noch weitgehend an Artgrenzen gebunden ist und keine isolierten Gene übertragen kann - von gentechnikkritischer Seite bestritten. Unterstützung erfährt diese Einschätzung bezüglich der Nicht-Vergleichbarkeit von Gentechnik und Natur auch von manchen Gentechnikbefürwortern wie z.B. E.-L.Winnacker, der die Natürlichkeit der Gentechnik als Legende bezeichnet (FR 16.10.1996).

Gleichheit oder Vergleichbarkeit von transgenen und konventionell gezüchteten Pflanzen und demzufolge eine Normalisierung der Risiken transgener Pflanzen ist ein wesentliches Ergebnis der Auswertung des WZB-Verfahrens durch die Antragsteller.(5,6) In der Auswertung des Verfahrens scheint die synergistische Risikokonzeption einschließlich ihrer Konsequenz, der nicht vollständigen Vorhersagbarbeit der Risiken gentechnisch veränderter Organismen, anerkannt zu werden (Hohlfeld 1996). Jedoch wird der Schluß gezogen, daß die Unsicherheiten und Risiken infolge gentechnischer Veränderungen den Unsicherheiten und Risiken konventioneller Züchtung vergleichbar bzw. gleich seien (van den Daele et al. 1996, S. 49 f., 256 ff.).

Zuallererst ist diese Normalisierungshypothese überraschend in ihrer Unwahrscheinlichkeit: Risikogleichheit soll das Ergebnis von zwei weitgehend unterschiedlichen Eingriffstypen und daraus hervorgehender Technologien sein, und diese Aussage wird auch bezüglich unbekannter Folgen dieser Techniken getroffen (von Gleich 1996). Auch wenn Unwahrscheinliches nicht auszuschließen ist, so hat es doch bereits vielfältige, detailliert begründete Kritik an der Art und Weise gegeben, wie aus den im Verfahren dargelegten und diskutierten Daten und Argumentationen diese und andere Schlüsse gezogen wurden; ähnliches gilt für die Schlußfolgerungen selbst (Gill 1993, 1996, Neubert 1993, Bernschneider 1996, Gloede 1996a, Hohlfeld 1996, von Gleich 1996, Weber 1996a). Im folgenden möchte ich dem weitere Überlegungen hinzufügen.

III. Gentechnikspezifische Risikopotentiale

Ein zentraler Aspekt der Diskussion um die gentechnikspezifischen Risiken war im WZB-Verfahren der Vergleich von gentechnischen Eingriffen und Transposonen ("springende Gene"). Transposone sind genetische Elemente, die - im Gegensatz zu Genen im allgemeinen - mobil sind, d.h. ihren Ort im Genom (Erbgut) eines Organismus wechseln können. Diese Schwerpunktsetzung auf den Vergleich von Trans-Genen mit Transposonen war von den Antragstellern offenbar beabsichtigt.(7)

Grundsätzlich ist festzustellen, daß Transposone ein Phänomen der Natur und - nach allem, was man weiß, - nicht der Züchtung sind. In Zuchtlinien scheinen die im Verfahren diskutierten mobilen TIR-Transposone(8) nicht bzw. allenfalls sehr selten vorzukommen. Ob deren Aktivität für die züchterisch genutzte Variabilität mitverantwortlich ist, ist nicht bekannt (Gierl et al. 1989).

Des weiteren wurden Transposone in der Auswertung des WZB-Verfahrens fast aller ihrer (damals) bekannten typischen Eigenschaften entkleidet. So wurde z.B. vom Vergleich ausgeschlossen, daß Transposone

Als relevantes Argument gegen eine Vergleichbarkeit von Trans-Genen und Transposonen sollte den Antragstellern zufolge jedoch gelten, "wenn der Ort der Insertion von Transposonen (ins Pflanzengenom) durch die Pflanze selbst entwicklungsspezifisch reguliert wäre." (van den Daele et al. 1996, S. 121). Dafür sprachen zur Zeit des WZB-Verfahrens eine Reihe von Befunden, die ins Verfahren eingebracht wurden (Nevers et al. 1986, Fedoroff 1991 in Weber 1994).

Die Diskussion brach an der Frage, ob die Aktivität von Transposonen mit gentechnischen Eingriffen vergleichbar sei, mit einem Dissens ab. Diesen Dissens ignorierten die Antragsteller in der Auswertung. Zur Frage, ob es eine entwicklungsspezifische Regulierung des Orts der Insertion von Transposonen durch die Pflanze gibt, heißt es dort: "Für eine solche Regulierung gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. Dies ist der gegenwärtige Erkenntnisstand, über den es in der Wissenschaft auch keine Kontroverse gibt." (van den Daele et al. 1996, S. 121)

Dem widersprechen zusätzlich neuere Ergebnisse: "Insertion specifity is associated with TIR transposable elements in all species investigated, including plants, where they are found to insert preferentially into or near genes." (Bennetzen 1996). TIR-Transposone kommen in Pflanzengenomen nur in geringer Anzahl vor, wahrscheinlich aufgrund ihrer potentiellen Schädlichkeit (Mutagenität) (SanMiguel et al. 1996). In sehr großer Anzahl wurden dagegen Retrotransposone im Maisgenom entdeckt.(10) Ihre Schädlichkeit für die Pflanze ist anscheinend dadurch begrenzt, daß sie wenig mobil sind und bevorzugt zwischen Genen inserieren (Bennetzen 1996, San Miguel et al. 1996).(11)

Es ist naheliegend, aus den bereits im Verfahren vorliegenden und den genannten neueren Befunden auf eine Koevolution von Transposonen und Pflanzen zu schließen. In deren Verlauf haben sich anscheinend verschiedene Typen von Kontrolle der Pflanzen über verschiedene (Retro-)Transposone entwickelt, ebenso wie für die (Retro-)Transposone Möglichkeiten, dieser Kontrolle zu entkommen. Diese Interaktion begrenzt die Aktivität und den Aktionsradius von (Retro-) Transposonen und scheint damit als natürliche "biologische Sicherheitsmaßnahme" zu wirken, die bei Trans-Genintegrationen nicht zu erwarten ist.(12)

Der Bedeutung solcher Befunde werden weder ein Richterspruch, der die fachwissenschaftliche Kontroverse zu schliessen versucht, noch die Engführung der Argumentation bei der Auswertung des Verfahrens gerecht. Letztere abstrahiert die Wirkung von Trans-Genen und Transposonen sehr weitgehend von ihren charakteristischen Eigenschaften und spezifischen Zusammenhängen, um Vergleichbarkeit herzustellen. Das bedeutet eine Entkontextualisierung und steht im Widerspruch zu einer Analyse auf der Grundlage des synergistischen Modells. Das Transposonbeispiel ist ungeeignet, um eine Vergleichbarkeit von gentechnischen Eingriffen und konventioneller Züchtung bei Pflanzen zu zeigen. Vielmehr weist es darauf hin, daß bei Trans-Genübertragungen pflanzeneigene Regulationsvorgänge umgangen oder ausgeschaltet werden. Es gibt keine empirischen Belege dafür, daß dies durch konventionelle Züchtung in vergleichbarer Weise geschieht.

IV. Schluß der Debatte?

Die Befunde zu Transposonen bestätigen und präzisieren das Verständnis gentechnischer Eingriffe bei Pflanzen als neuartig und spezifisch verschieden von natürlichen genetischen Veränderungen und solchen, die durch konventionelle Züchtung hervorgerufen werden. Sie erhärten auch den grundsätzlichen Risikoverdacht bei gentechnischen Veränderungen. Schädliche Folgen von GVO - die prinzipielle Entscheidung für ihre Nutzung vorausgesetzt - müssen so gut und so frühzeitig wie möglich erfaßt und dementsprechende Vorsorgemaßnahmen getroffen werden. Das Ergebnis der dazu notwendigen Risikoforschung kann zwar wegen der zeitlichen und räumlichen Nichtabgeschlossenheit der untersuchten Prozesse im positiven Fall nur eine Risikominderung sein, nicht jedoch dessen vollständige Vermeidung. Das kann aber im Sinne einer Verantwortung wahrnehmenden Risikovorsorge kein Anlaß für verminderte Forschungsanstrengungen sein, ebensowenig wie fehlende Untersuchungen Deregulierung begründen können.

Da die Folgen gentechnischer Veränderungen - je langfristiger sie sich in offenen Systemen auswirken, umso mehr - nur unvollständig abschätzbar sind, muß ihre Erforschung auch auf der Grundlage empirisch nicht vollständig belegter und belegbarer Hypothesen erfolgen. Risikoforschung muß daher geeignete Strategien des Zugangs zu und Umgangs mit Unsicherheiten suchen, entwickeln und begründen (s.a. Weber 1996b). Im folgenden werden einige Ansätze zu solchen, die ökologischen und evolutionären Risikopotentiale herbizidresistenter transgener Pflanzen betreffenden Strategien und ihre Behandlung im WZB-Verfahren dargestellt.

a) In mehreren Gutachten wurden Ansätze verfolgt, das Verhalten und die Risiken von transgenen herbizidresistenten Pflanzen anhand von aktuellen Kenntnissen, Modellen und Theorien zur Ökologie und Evolution abzuschätzen. Ein Beispiel ist das im Gutachten von Sukopp & Sukopp (1994) zentrale "exotic species model". Dieses ,Modell vergleicht die Einbringung nicht einheimischer Arten mit der Verwilderung von Kulturpflanzen im Hinblick auf mögliche ökologische Auswirkungen. ("...Es) ist ein statistisches Modell, mit dessen Hilfe man zu generalisierenden Aussagen über das Risiko unerwünschter ökologischer Auswirkungen gelangen kann, die aus der Freisetzung einer Vielzahl gentechnisch manipulierter Kulturpflanzen resultieren können." (Sukopp & Sukopp 1994, S. 73f). Dieses Modell gilt unterÖkologInnen international als eines der geeignetsten Modelle zur Abschätzung der ökologischen Risiken transgener Pflanzen (Regal 1986, Tiedje et al. 1989).

Obwohl beide Autoren an der Auswertung ihres Gutachtens mitwirkten und H. Sukopp Mitautor der abschließenden Bewertung des Verfahrens ist, heißt es dort: "Um das Verwilderungsrisiko im Einzelfall abzuschätzen, kann man transgene Kulturpflanzen nur mit ihren nicht-transgenen Ausgangssorten vergleichen; die Analogie zu nicht-einheimischen Pflanzen ("Exoten") ist irreführend." (van den Daele et al. 1996, S. 42)

Sukopp & Sukopp (1994) betonen jedoch selbst die Notwendigkeit von Einzelfallprüfungen. Sukopp & Sukopp (1995) präzisieren dazu, daß das exotic species model Einzelfallprüfungen, die den Vergleich mit den Ausgangssorten einschließen, weder ersetzen kann noch soll. Vielmehr liefere das Modell das notwendige Wissen, damit die richtigen Fragen in Einzelfallprüfungen gestellt werden können. Die Auswertung geht somit an der Aussage, die anhand des exotic species model getroffen wurde, vorbei und disqualifiziert es. Das steht außerdem im Widerspruch dazu, daß dieses Modell auf der Einschätzung beruht, daß "allein der Phänotypus der behandelten Organismen ausschlaggebend" (Sukopp & Sukopp 1994, S. 73) ist, was der bei der Auswertung des Verfahrens bevorzugten Risikophilosophie entspricht.

Andere auf Erkenntnissen, Modellen und Theorien zur Ökologie und Evolution beruhende Szenarien wurden in der Auswertung des Verfahrens z.T. nicht rezipiert, wie z.B. die von mir im Gutachten diskutierte, in neueren Arbeiten (Tomiuk et al. 1996) ausführlich dargelegte Möglichkeit einer Verbreitung und Etablierung von Trans-Genen ohne Selektionsvorteil sowie von Trägern solcher Trans-Gene (Weber 1994, S. 101).(14) Teilweise wurden sie in interpretierter, der ursprünglichen Aussage nicht entsprechender Form abgehandelt und als "spekulative Risiken" aus einer wissenschaftlich ernstzunehmenden Diskussion ausgegrenzt. Ein Beispiel hierfür ist die von mir getroffene Charakterisierung der Einführung von Trans-Genen in evolvierte Genome als Dedifferenzierungsschritt und die daran anschließenden Überlegungen (Weber 1994, S. 33, 36, van den Daele et al. 1996, S. 113).

b) Es kann zumindest überlegt werden, inwieweit potentielle Folgen von transgenen herbizidresistenten Pflanzen in der Umwelt mit neuen Definitionen und Kategorien beschrieben werden können. Das war im Rahmen des (natur-)wissenschaftlich dominierten Verfahrens praktisch nicht möglich und dürfte prinzipiell sehr schwierig sein. Als ein Schritt in diese Richtung könnte das obengenannte Beispiel "Dedifferenzierung" gelten. Es wurde versucht, einen neuen Begriff zu definieren, und - zwar im Konjunktiv, aber ohne "lückenlose Beweisführung" - Aussagen über langfristige Prozesse zu machen. Jedoch wurde auch dabei ansonsten mit wissenschaftlich definierten Begriffen und Kategorien in ihrer ursprünglichen Definition gearbeitet und auf der Grundlage bestehender Theorien gedacht.

c) Die Risikoabschätzung und -bewertung neuer Technologien kann zur Hypothesenprüfung Erfahrungswissen heranziehen sowie Metakriterien, die aus dem Vergleich mit der Natur oder mit anderen Technologien abgeleitet wurden. Erfahrungswissen spielt im konkreten Fall in zwei Formen eine Rolle. Es gibt mit den Folgen konventioneller Züchtung wesentlich mehr, in jüngerer Zeit auch im engeren Sinne wissenschaftliche, Erfahrung als mit transgenen Pflanzen. Dadurch sind Aussagen zur Sicherheit oder zum Risiko wesentlich besser untermauert. Als Erfahrungswissen gilt auch die Grundlage, auf der mit der neuen Technik bisher nicht speziell befaßte, jedoch informierte Menschen zu einer Einschätzung gelangen. Diese umfaßt im allgemeinen nicht nur Risikoakpekte sondern neben Erwägungen zum Nutzen und zum Bedarf auch ethische Fragen. Solche Einschätzungen fanden insofern Eingang ins Verfahren, als bei der Auswertung in nicht nachvollziehbarer, Weise Aussagen aus den Gutachten und Verfahrensdiskussionen mit Aussagen vermischt wurden, die angeblich in der öffentlichen Diskussion vertreten werden. Das wird jedoch einer seriösen Auseinandersetzung mit den Argumenten der VerfahrensteilnehmerInnen ebensowenig gerecht wie dem Erfahrungswissen.

Metakriterien wie Fehlerfreundlichkeit, Begrenzbarkeit und Rückholbarkeit (s.a. Bernhardt et al. 1991) wurden in der Auswertung teils nicht berücksichtigt, teils zurückgewiesen (van den Daele et al. 1996, S. 171f).

Zusammengefaßt gab es also zwischen "Gleichheit" und "Spekulation" keinen Weg, auf dem naturwissenschaftlich begründete Hypothesen oder Versuche zu neuer wissenschaftlicher Herangehensweise sowie Erfahrungswissen oder Metakriterien Eingang ins Verfahren finden konnten, um Zugangsmöglichkeiten zu den experimentell nur unvollständig erfaßbaren ökologischen und evolutionären Folgen transgener herbizidresistenter Pflanzen zu erschließen. Damit wurde die wissenschaftliche Kontroverse zwar verfahrenstechnisch, aber nicht inhaltlich "geschlossen". Das Potential der verschiedenen, in das Verfahren eingebrachten Ansätze zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Nichtwissen wurde nicht genutzt.

Die in der Auswertung des Verfahrens als politisch-pragmatische Konsequenzen vorgeschlagenen "Sicherheitszuschläge für die Neuheit transgener Pflanzen" erscheinen auf der Grundlage der Schlußfolgerungen der Antragsteller nicht mehr sachlich begründet. Entsprechend vage bleiben die als "Sollte-Bestimmungen" formulierten Vorschläge. Es werden weder Regulierungen genannt, die zur Umsetzung der "Sicherheitszuschläge" geändert oder geschaffen werden müßten, noch Behörden erwähnt, die für eine entsprechende Regulierung zuständig sein sollen (van den Daele et al. 1996, S. 50 ff., 272 f.). Bezeichnenderweise wird also die Frage, welche Konsequenzen die grundsätzliche Anerkennung des synergistischen Modells für die auf dem additiven Modell beruhende Regulierung hätte, von den Antragstellern nicht behandelt.

Das WZB-Verfahren bestätigt damit entgegen dem in der Auswertung erklärten Ergebnis die wissenschaftliche Unabgeschlossenheit der Risikodebatte zur Gentechnik und die Notwendigkeit, dem im Umgang mit der Technik Rechnung zu tragen.

Anmerkungen

(1) Risiken können u.a. aus unbeabsichtigten und unerwünschten Nebenwirkungen der gentechnischen Veränderung resultieren. Diese haben ihren Ursprung darin, daß isolierte Genkonstrukte transferiert und an nicht steuerbarer Stelle ins Genom integriert werden. Dabei können bestehende Gene oder Regulationszusammenhänge - mithin Stoffwechselwege und damit Eigenschaften des betreffenden Organismus - gestört bzw. neue geschaffen werden. Umgekehrt kann das Trans-Gen durch den Integrationsort beeinflußt werden. Es kann außerdem mehrere Wirkungen haben, die u.U. nicht alle aufgrund der Kenntnis des Spenderorganismus bekannt sind.

(2) Das synergistische Modell ist damit besser gerüstet für die Berücksichtigung von Freisetzungsrisiken, während das additive Modell der ursprünglich auf geschlossene Systeme bezogenen Diskussion stärker verhaftet ist.

(3) Ausgehend von der Annahme, daß die Laborkonstrukte nicht ohne Verluste in die Umwelt übertragbar sind, sollen die Schritte der Erweiterung des Laborkontextes selbst zum Forschungsgegenstand gemacht und die Bedingungen der Anwendung transgener Lebewesen systematisch erforscht werden (Bonß et al. 1992).

(4) Trans-Genkonstrukte bestehen aus Steuerungssequenzen, die aus Pflanzenviren, pflanzenpathogenen Bakterien und anderen Pflanzen stammen, und dem (oder den) Strukturgen(en), das (die) die erwünschte(n) neue(n) Eigenschaft(en) vermitteln soll(en). Die Strukturgene sind prinzipiell beliebiger Herkunft (Pflanze, Tier, Bakterium, Virus), müssen jedoch u.U. in ihrer Sequenz und Organisation dem in Pflanzen Typischen angepaßt werden.

(5) Die sog. Antragsteller, W. van den Daele, A. Pühler und H. Sukopp, organisierten zusammen mit MitarbeiterInnen ihrer Institute das Verfahren.

(6) Daß in der Auswertung des Verfahrens nur noch diese Hypothese als Ergebnis dargestellt und die im Verfahren nicht ausgeräumten Dissense nicht wiedergeben werden würden, zeichnete sich bereits früher ab. Dies war einer der Gründe für den Ausstieg der ,Umweltgruppen und Institute", darunter das Öko-Institut e.V., aus dem Verfahren (Presseerklärung 1993).

(7) Das Thema nahm in der ursprünglichen Fassung meines zum WZB-Verfahren beigesteuerten Gutachtens (Weber, 1994) nur eine halbe Seite ein und kam in anderen Gutachten nicht vor.

(8) TIR-Transposone haben invertierte Sequenzen an den Enden (inverted terminal repeats) und eine im Vergleich zu Retroelementen (siehe unten) größere Mobilität.

(9) Nur dominante Gene kommen phänotypisch in jedem Fall zum Tragen. Rezessive Gene können erst wirksam werden, wenn sich zwei Träger eines bestimmten rezessiven Gens kreuzen.

(10) Retrotransposone springen im Genom mittels reverser Transkription eines RNA-Intermediats (d.h. es wird erst eine RNA-Kopie und von dieser eine DNA-Kopie synthetisiert). Es wird angenommen, daß sie in anderen komplexen Pflanzengenomen ebenfalls in sehr großer Anzahl vorkommen (SanMiguel et al. 1996).

(11) Verschiedene Retrotransposone scheinen dabei verschiedene Orte im Genom zu bevorzugen (Bennetzen 1996).

(12) Die Fehlschläge bei Versuchen, Pflanzen gentechnisch zu verändern, sind anscheinend z.T. auf Wirkungen von Kontrollmechanismen der Pflanzen zurückzuführen. Erfolgreiche gentechnische Veränderungen würden sich gerade durch die Neutralisierung solcher Mechanismen auszeichnen (Finnegan & McElroy, 1994).

(13) Das könnte natürlich ein Hinweis auf die Unbestechlichkeit der Auswertenden sein. Dem widerspricht jedoch, daß die Autoren an ihren im Gutachten von 1994 getroffenen Aussagen in späteren Publikationen festhalten (Sukopp & Sukopp 1995). Im übrigen erscheint die Personalunion von GutachterInnen und Auswertenden im Verfahren, die zwei weitere von insgesamt acht Personen betrifft, in jedem Fall problematisch.

(14) Der Eindruck, daß bei der Auswertung manche Argumente aus den Gutachten aufgegriffen wurden und manche nicht, wurde für das Gutachten von Sukopp & Sukopp (1994) durch eine systematische Untersuchung bestätigt (Waldispühl 1995).

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Tel.: +49 761 45295-40