Braucht der E-Commerce eine eigenständige E-Commerce-Politik? Überlegungen aus ordnungspolitischer Sicht

Schwerpunktthema E-Commerce-Politik

Braucht der E-Commerce eine eigenständige E-Commerce-Politik? Überlegungen aus ordnungspolitischer Sicht

von Michael Rothgang und Markus Scheuer, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, Essen

In der Debatte um die Regulierung von E-Commerce wurden bislang einzelne ökonomische und finanzwissenschaftliche Problembereiche wie die Auswirkungen auf die Steuererhebung und die Sicherung ökonomischer Eigentumsrechte, aber auch nicht-ökonomische Fragestellungen wie Jugend- und Persönlichkeitsschutz diskutiert. Nicht abschließend beantwortet wurde jedoch, ob angesichts der starken Veränderungen, die mit technologischen Neuerungen, dem Entstehen neuer Märkte und der damit verbundenen Globalisierung von Geschäftsprozessen einhergehen, eine neue ordnungspolitische Rahmensetzung notwendig ist und wie eine solche ordnungspolitische Rahmensetzung für den E-Commerce aussehen könnte.

1     Bedeutung von E-Commerce im Wirtschaftssystem und Rolle der Ordnungspolitik

Im Anschluss an die Internet- und E-Commerce-Euphorie der letzten Jahre ist inzwischen in der Öffentlichkeit, aber auch im wissenschaftlichen Bereich Ernüchterung eingekehrt. Dies betrifft unter anderem die erhofften Produktivitäts- und Beschäftigungseffekte durch die vermehrte Nutzung des Internets als Marktplatz für Unternehmen und Konsumenten. Dennoch werden in die wachstumssteigernden Wirkungen des E-Commerce noch große Erwartungen gesetzt. Der von der Bundesregierung im August 2001 veröffentlichte 3. Faktenbericht Monitoring Informationswirtschaft (NFO Worldgroup 2001) sieht eine weiterhin zunehmende Bedeutung dieses Sektors für die deutsche Wirtschaft.

Die Aufgabe der Ordnungspolitik, so wie sie von ihren Begründern, der Freiburger Schule um Walter Eucken, verstanden wurde, zielte auf eine Fundierung der Wirtschaftspolitik durch allgemeingültige Prinzipien, die das Funktionieren der Märkte sichern und das Entstehen von Marktmacht verhindern sollten (vgl. Eucken 1990). In Folge der Veränderungen im Wirtschaftsgeschehen, die mit dem Schlagwort der Informationsgesellschaft belegt werden und von denen der E-Commerce einen bedeutenden Teilaspekt bildet, ist bislang unklar, ob und gegebenenfalls welche Auswirkungen sich für die Ordnungspolitik ergeben. Die entscheidende Frage, die sich hinsichtlich der ordnungspolitischen Beurteilung stellt, ist dabei, ob dem E-Commerce gegenüber traditionellen Geschäftsprozessen grundsätzlich neue bzw. erheblich veränderte ökonomische Mechanismen und Sachverhalte zugrunde liegen, für die existierende Regelungen nicht geeignet oder ausreichend sind, ob man daher neue Regeln für das Wirtschaftsgeschehen benötigt und wie diese aussehen sollten.

Mittlerweile gibt es eine Reihe von Aufsätzen, die sich mit Fragen der Regulierung dieser neuen Märkte befassen. Sie diskutieren neben der allgemeinen Notwendigkeit von Markteingriffen (DeLong, Froomkin 1997 und 1999; Klodt 2001) insbesondere den Schutz des geistigen Eigentums (Quah 2000), die Rolle von Standards (Varian 2001) und die Erfordernisse eines funktionierenden Marktwettbewerbs im Internet (Donges, Mai 2001). Diese Arbeiten bilden den Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen. Im Vordergrund der Überlegungen stehen einerseits die Funktionsweise der Internet-Ökonomie und die Diffusion von Innovationen und andererseits die ordnungstheoretischen und -politischen Grundlagen der Marktökonomie.

2     Informationsgesellschaft, E-Commerce und Regulierungserfordernisse

Ein erstes zentrales Problem bei der Beantwortung der Frage nach einem geeigneten Ordnungsrahmen für den E-Commerce besteht in der Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes, der Frage also, welches die Eigenheiten des E-Commerce sind, die einer besonderen Regelung bedürfen. Es gibt ein breites Angebot an Definitionen, auf das nicht weiter eingegangen werden soll. Das Bundeswirtschaftsministerium verwendet die folgende, sehr weite Abgrenzung: "E-Commerce umfasst alle Arten von Geschäftsprozessen, die auf elektronischem Wege abgewickelt werden (daher der deutsche Begriff "Elektronischer Geschäftsverkehr"). Dies betrifft viele unternehmerische Handlungsfelder wie z. B. die Geschäftsanbahnung und -abwicklung, Werbung, das Online-Banking bis hin zum Kundenservice. Dabei muss sich E-Commerce nicht unbedingt im Internet abspielen. Im weitesten Sinne fällt darunter z. B. auch der Einsatz von CD-ROMs - z. B. als Werbeträger" (BMWi 2000, S. 4). Enger gefasste Definitionen begrenzen den E-Commerce auf Fälle, in denen tatsächliche Geschäftsprozesse mit Hilfe elektronischer Medien abgewickelt werden, so dass ein reines Güterangebot im Internet, wenn der gesamte Tauschprozess außerhalb des Netzes abgewickelt wird, bei diesen nicht unter den Begriff des E-Commerce fällt.

Im E-Commerce werden also nach allgemeiner Ansicht elektronische Medien für die Durchführung von Markttransaktionen verwendet. Das gegenwärtige Hauptmedium, das die Infrastruktur für elektronische Märkte darstellt, ist das Internet. Für die einzelnen Unternehmen und Haushalte hat das Internet unter anderem zur Folge, dass bei der Vertragsanbahnung und teilweise -erfüllung Kosten gespart werden können. Bei B2B-Transaktionen verändert sich dadurch die Arbeitsteilung in der Wertschöpfungskette vom Vor- zum Endprodukt, während bei B2C-Transaktionen ein alternativer Absatzkanal zu den herkömmlichen Vertriebswegen (Einzelhandel, Versandhandel) entsteht. Teilweise werden aufgrund gesunkener Kosten der Informationsbereitstellung auch neue Märkte gebildet; dies gilt etwa für C2C-Tauschbörsen, die neue Handelsplattformen bieten. Gleichzeitig ist durch die drastische Senkung der Kosten für die Bereitstellung von Informationen eine Dienstleistungsbranche - angefangen von Internetprovidern über Betreiber verschiedener Internetmarktplätze und Suchmaschinen, aber auch Webdesignern und Softwareproduzenten - entstanden. Die weitere Verbreitung des E-Commerce und damit auch die Zukunft der betroffenen Bereiche sind abhängig von der Weiterentwicklung technischer Rahmenbedingungen und staatlicher Regulierungen, die unter anderem elektronische Signaturen, Kryptographie, elektronische Zahlungsmittel und den Verbraucherschutz umfassen.

Abgesehen von diesen sich abzeichnenden Entwicklungen, die unmittelbar mit dem Internet als Handelsplattform verbunden sind, kann die Verbreitung des Internets und des E-Commerce fundamentale Auswirkungen auf Branchen haben, deren Güter durch einen hohen Informationsgehalt gekennzeichnet sind. Dabei ist unter anderem an die Softwareindustrie, das Verlags- und Nachrichtenwesen oder die Musikindustrie zu denken. Diese sehr heterogene Gruppe von Informationsgütern wird sicherlich in sehr unterschiedlichem Maße von den neuen Informationstechnologien betroffen sein. Zwar sind Informationen - in Form von Wissen über die Produktionsweise - in allen traditionellen Produkten enthalten. Dennoch ist bei den Gütern, die im Kern aus Informationen bestehen, die Verknüpfung mit traditionellen Informationsträgern wie Papier in Form von Buch oder Zeitung, oder Schallplatte bzw. CD oder Film bzw. Kassette meist aufgrund der technologischen Entwicklung des Internets nicht mehr zwangsweise gegeben. Sie lassen sich in der Regel fast kostenlos kopieren und können direkt über das Internet an den Käufer versandt werden, so dass alle Transaktionen des Kaufprozesses über elektronische Medien abgewickelt werden können. Gerade das Vorhandensein dieser elektronischen Medien trägt somit zu der immer weiteren Verbreitung dieser Güter bei. Andererseits besitzen diese Güter Eigenschaften, die sich grundsätzlich von denen anderer Güter unterscheiden und die zu einer anderen Marktdynamik führen können. Aus ordnungspolitischer Sicht führt das dazu, dass die Frage nach der Regulierung der Märkte für diese Informationsgüter unmittelbar mit der Frage nach der Regulierung des E-Commerce verknüpft ist. Wenn es sich herausstellt, dass für Informationsgüter grundsätzlich neue Regulierungsmuster erforderlich sind, dann hat dies unmittelbar Auswirkungen für die Regulierung des E-Commerce.

3     Ordnungspolitische Rahmenbedingungen und E-Commerce

Grundsätzlich kommt der staatlichen Setzung von Rahmenbedingungen in zweierlei Hinsicht Bedeutung zu. Zum einen sind sie Voraussetzung für die Entstehung und Entwicklung von geordneten und entwicklungsfähigen Märkten. Dies geschieht im Falle des E-Commerce z. B. durch Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums und deren internationaler Durchsetzung, durch die Unterstützung der Herausbildung von Kundenvertrauen durch die Garantie der Vertraulichkeit in den Netzen, durch die Festlegung von Standards für digitale Signaturen und deren juristische Anerkennung, durch die Regelung der Haftung und die Gewährleistung der Durchsetzung entsprechender Ansprüche und den Erlass von Regelungen zur Zahlungssicherheit (Donges, Mai 2001). Zum anderen legt der Staat Wert auf die Gewährleistung von Zielen, die nicht dem E-Commerce selbst entspringen, z. B. dem Jugend- und Datenschutz und der Verfolgung außenpolitischer Ziele hinsichtlich der Weitergabe von Technologie an bestimmte Staaten. Zu denken ist hierbei vor allem an die sogenannte "Doppelte Verwendung" (dual use) von Gütern und Dienstleistungen, die einen zivilen und militärischen Nutzen haben können (Liikanen 2001).

Die zentrale ordnungspolitische Frage, die im Zusammenhang mit einer staatlichen Regulierung des E-Commerce zu beantworten ist, betrifft somit die Rolle, die der Staat gegenüber dem Wirtschaftsprozess einnehmen soll und kann. Diese Rolle hat sich im Laufe der Jahrzehnte nicht grundsätzlich geändert, aber doch einige Wandlungen vollzogen. Walter Eucken, der Vater der ordnungspolitischen Denkweise, hatte die Bedeutung eines starken, an festen wirtschaftspolitischen Grundsätzen orientierten Staates für die Verhinderung der Kartellbildung hervorgehoben. Dieses Konzept kontrastierte mit der Vorstellung Hayeks (1972), dass die Komplexität von Wirtschaftsprozessen ein zentrales Hindernis für eine zielgerichtete Wirtschaftspolitik darstellt und demzufolge jeder Eingriff in den Wirtschaftsprozess die Anpassungsfähigkeit des Wirtschaftssystems beeinträchtigt und damit das Evolutionsfenster (Streit 2001) der Wirtschaft verkleinert. Diese Problematik wurde mit der Forderung einer ordnungskonformen Wirtschaftspolitik verbunden, die den Wirtschaftsprozess nicht in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Diese wettbewerbsfreundliche Konzeption wird durch die Soziale Marktwirtschaft im Sinne Müller-Armacks im Hinblick auf eine Umverteilungsfunktion für das Wirtschaftssystem durch den Staat ergänzt (vgl. Müller-Armack 1947).

Die genannten Aspekte wirtschaftlicher Aktivität kommen unter geänderten Vorzeichen in der Diskussion um die Regulierung des E-Commerce wieder zu neuer Aktualität. Die Senkung bestimmter Transaktionskosten durch die Informationstechnologien und die gestiegene Verfügbarkeit von Daten führt zu einer Erhöhung der Markttransparenz und damit tendenziell auch zu einer Stärkung des Wettbewerbs. Durch die Informationstechnologien ergeben sich demgegenüber jedoch, wie unten noch genauer diskutiert wird, ein breites Spektrum an Möglichkeiten für Unternehmen, Marktmacht zu erlangen bzw. bereits bestehende Marktmacht auszubauen.

Die Komplexität und Dynamik der Marktentwicklung im E-Commerce stellt andererseits nicht nur hohe Anforderungen an die Unternehmensstrategie, sondern lässt auch die Frage nach einer ordnungskonformen Wirtschaftspolitik, die eine dynamische Entwicklung von Wettbewerbsmärkten fördert, in einem neuen Licht erscheinen. So besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass zu strikte staatliche Regulierungen die zukünftige Entwicklung behindern, indem technologische Standards festgeschrieben werden. Andererseits ist eine international einheitliche Rahmensetzung erforderlich, die einen rechtlich sicheren Rahmen für die Durchführung von Rechtsgeschäften im E-Commerce schafft. Somit stellt sich die Frage, in wieweit neue Regeln erforderlich sind, die über bisher schon vereinbarte Regelungen etwa im Rahmen des General Agreement on Trade in Services (GATS) hinausgehen.

Gleichzeitig wird es im Zusammenhang mit Rationalisierungsmaßnahmen und den qualitativen Veränderungen in der Arbeitsnachfrage Gewinner und Verlierer des Wirtschaftsprozesses geben, was die Frage nach einer gegebenenfalls erforderlichen neuen Sozialpolitik im Informationszeitalter aufwirft.

Während den diskutierten ordnungspolitischen Vorstellungen die Idee eines Staates zugrunde lag, der die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt zu maximieren sucht (Giersch 1960), wurde in Zusammenhang mit der Neuen Politischen Ökonomie (Frey 1981) der politische Entscheidungsträger und dessen eigene Zielfunktion selbst zum Gegenstand eines Nutzenmaximierungskalküls erhoben. Dadurch wurde der politische Prozess, determiniert durch Wahlentscheidungen und die Einflussnahme von Interessengruppen, immer stärker endogen. Auch die Einflussnahme von Interessengruppen wird in Zusammenhang mit den neuen Regulierungen des E-Commerce auf den verschiedenen Entscheidungsebenen - insbesondere auch bei internationalen Regulierungen - eine zentrale Rolle erlangen und die letztlich etablierten Regeln wesentlich mitbestimmen. Ein Gegengewicht zum Einfluss der organisierten Interessen stellen hier zum einen der Einfluss der Wähler und zum anderen der Wettbewerb der nationalen Wirtschaftsordnungen dar.

Die Diskussion um die Bedingungen einer wettbewerbsfähigen Wirtschaftsordnung, die sowohl in den 80er als auch in den 90er Jahren unter unterschiedlichen Vorzeichen geführt wurde, ist Ausdruck dieser Tendenz (Löbbe 2000). Dabei versuchten insbesondere die europäischen Staaten in den letzten Jahren, durch die gezielte Verbesserung der Standortbedingungen, an den mit neuen technologischen Entwicklungen und der Globalisierung des Wirtschaftens einhergehenden Wohlfahrtseffekten zu partizipieren. Die Regulierung des für den E-Commerce wichtigen Telekommunikationssektors nahm dabei eine zentrale Rolle ein. Nun stellt sich jedoch die ordnungspolitische Frage, in wieweit diese auf eine weitgehende Deregulierung der Märkte ausgerichtete Politik auch auf die für den E-Commerce zentralen Regulierungsbereiche ausgedehnt werden sollen. Wie weit soll also die regulierende Hand des Staates die unsichtbare Hand des Wettbewerbs in diesen Bereichen lenken oder einschränken?

Vor dem skizzierten Hintergrund ergeben sich folgende Fragestellungen: 

Bevor vor dem Hintergrund dieser Fragen die Ausgestaltungsmöglichkeiten des E-Commerce diskutiert werden, wird im Folgenden ein kurzer Überblick über derzeitige Ansätze einer E-Commerce-Politik gegeben.

4     Derzeitige Ansätze für eine E-Commerce-Politik

Für den E-Commerce relevant sind, wie aus Tabelle 1 ersichtlich ist, die nur einen Überblick über einige der wichtigsten Gesetze, Verordnungen und Institutionen gibt, eine Vielzahl unterschiedlicher Regelungen und Entscheidungsträger. Darüber hinaus gibt es zahlreiche privatwirtschaftliche Initiativen und Angebote, die teilweise den durch fehlende staatliche Regulierungen geschaffenen Spielraum nutzen. Auf nationalstaatlicher Ebene wird diese Vielfalt noch einmal erweitert durch unterschiedliche Regelungsphilosophien hinsichtlich der Abstimmung zwischen staatlichen Stellen und privatwirtschaftlichen Alternativen.

So wird von den Vereinigten Staaten eher eine laisser-faire-Sichtweise befürwortet (vgl. Pichler in diesem Heft), nach der der Staat lediglich private Eigentumsrechte für den E-Commerce definiert und durchsetzt und sonstige Regelungen, falls erforderlich, durch die Marktakteure erfolgen sollen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die positiven Wirkungen der neuen Technologien, die sich in gesunkenen Transaktionskosten für die Wirtschaftssubjekte zeigen, sich am besten auf Märkten entfalten können, die weitgehend frei von staatlichen Eingriffen sind. Ein Beispiel dafür im Bereich des Datenschutzes bildet das "Platform for Privacy Preference Project" (P3P), das einen privaten Standard für die Verwendung personenbezogener Daten setzt. Als weiteres Beispiel für eine privatwirtschaftliche Antwort auf durch neue Technologien gestellte Anforderungen, nämlich eine Garantie geregelter Geschäftsbeziehungen, kann die internationale Hinterlegungsgesellschaft "Fort Knox" angeführt werden, die z. B. die Sicherung des Zugangs zu den Quellcodes gehandelter Software gewährleistet (Fort Knox 2001). Allerdings hat auch nach Ansicht der US-amerikanischen Seite die privatwirtschaftliche Sicherstellung der Geschäftsgrundlagen des E-Commerce Grenzen. Als Beispiel kann hierzu die weltweite Software-Piraterie herangezogen werden und die Forderung etwa des amerikanischen Verbandes SIIA nach dem Erlass und der Durchsetzung geeigneter Gesetze, um dies weltweit zu unterbinden (SIIA 2000). Überhaupt sind in der Bekämpfung der "Cyber-Kriminalität" wie bei anderen Formen der Kriminalität auch, den privatwirtschaftlichen Lösungen enge Grenzen gesetzt, da es hierzu in der Regel eines hoheitlichen Gewaltmonopols bedarf, um in die Rechte anderer einzugreifen.

Im Jahr 2000 ist es ferner gelungen, sich zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten auf das sogenannte "Safe Harbour"-Abkommen zu einigen, das sich auf den Schutz von persönlichen Daten bezieht, die aus der EU zu Empfängern in den Vereinigten Staaten transferiert werden. In diesem Fall stellen sich die unterschiedlichen Haltungen Europas und der Vereinigten Staaten einerseits als generelles, übernationales Regelungsbedürfnis dar, das in die europäische Datenschutzdirektive von 1998 gemündet ist, andererseits als ein Flickenteppich von Bundes- und Bundesstaatsgesetzen, die ergänzt werden durch Selbstregulierungen der amerikanischen Wirtschaft (Arkell 2001).

Anders als die Vereinigten Staaten verfolgt die EU aktiv ein wirtschaftspolitisches Konzept (vgl. Santos und Perogianni in diesem Heft), das stark auf die staatliche Regulierung des E-Commerce als Grundlage für elektronische Marktaktivitäten setzt. Neben dem angesprochenen Schutz von Daten auch im internationalen Verkehr betrifft dies insbesondere den Daten-, Verbraucher- und Jugendschutz, also Bereiche, in denen die Vereinigten Staaten hauptsächlich auf die freiwillige Selbstverpflichtung setzen. In der Bundesrepublik kann man von einer Mischform zwischen diesen Regulierungsmethoden sprechen. Neben verpflichtenden Datenschutzbestimmungen soll ein freiwilliges Datenschutzaudit für die Unternehmen eingeführt werden. Beim Verbraucherschutz ist eine Umsetzung der europäischen Richtlinie in Arbeit, während der Jugendschutz schon traditionell in weiten Bereichen durch eine freiwillige Selbstkontrolle der Medien geregelt ist (Strossen 2001).

Hinsichtlich der föderalen Verteilung zwischen verschiedenen Regelungen sind bislang viele der relevanten Aufgaben von der Wettbewerbspolitik über den Schutz der Eigentumsrechte bis zum Datenschutz, Verbraucherschutz und Jugendschutz auf nationaler bzw. in Europa zusätzlich auf EU-Ebene geregelt (vgl. Tab. 1). Dieses Nebeneinander einer EU- und einer bundesdeutschen Regelung ist neben den bereits genannten Bereichen insbesondere durch zwei Kartell- und zwei Patentbehörden institutionalisiert. Die Ebene der Bundesländer ist bislang insbesondere im Bereich Rundfunk/Medien und in der Konzertierung Bund-Land im Bereich jugendgefährdende Schriften beteiligt. Die supranationale Ebene wurde in letzter Zeit insbesondere beim Schutz der Eigentumsrechte durch die World International Property Organization involviert, sowie durch eine geplante OECD-Richtlinie zum Verbraucherschutz.

Tab. 1: Ausgewählte, für den E-Commerce relevante existierende und geplante Regelungen und zentrale Institutionen auf verschiedenen Ebenen 

Politik-
bereiche
Lokal / regional National Supranational
(EU)
Global
Wettbewerbs-
politik
  Gesetz gegen Wettbewerbs-
beschränkungen
(Bundeskartellamt)
Europäische Rechtsverordnungen (Generaldirektion Wettbewerb) GATT, GATS (WTO)
Eigentums-
rechte
(Patente,
Lizenzen)
  Patentgesetz
(Deutsches Patent- und Markenamt)
Europäisches Patent-
übereinkommen (Europäisches Patentamt)
WIPO-Urheberrechts-
vertrag, WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger
Medienrecht Medien-
dienste - Staatsvertrag
Telekommunikations-
gesetz;
Informations- und Telekommunikations-
dienstegesetz (Regulierungsbehörde)
Fernseh-
übereinkommen, Fernsehrichtlinie
 
IT-Sicherheit   BSI-Gesetz
(Bundesamt für
Sicherheit in der Informationstechnik)
   
Datenschutz   Datenschutz-
bestimmungen (Teledienste-
Datenschutzgesetz, Bundesdaten-
schutzgesetz); freiwilliges Datenschutzaudit geplant
Europäische Datenschutzrichtlinie (streng); schärfere Datenschutz-
regelungen durch Mitgliedsländer möglich (US: Selbstregulierung)
 
Verbraucher-
schutz
  Konzertierung Bund-Land: jugendgefährdende
Schriften
Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (versch. Gremien, u. a. freiwillige Selbstkontrolle Medien) Empfehlung des Rates "Jugendschutz und Schutz der Menschenwürde"
Jugendschutz Konzertierung Bund-Land: jugendgefähr-
dende Schriften
Gesetz über die Verbreitung jugendgefähr-
dender Schriften und Medieninhalte (versch. Gremien, u. a. freiwillige Selbstkontrolle Medien)
Empfehlung des Rates "Jugendschutz und Schutz der Menschenwürde"  

Die World Trade Organisation (WTO) wird sich, insbesondere durch das General Agreement on Trade in Services (GATS), in der bevorstehenden Verhandlungsrunde besonders den durch das Vordringen des E-Commerce entstandenen neuen Bedingungen zu widmen haben. Damit wird anerkannt, dass prinzipiell jeder souveräne Mitgliedsstaat über die wirtschaftlichen Bedingungen auf seinem Territorium selbst bestimmen kann, insbesondere den grenzüberschreitenden Handel durch Vorschriften, Abgaben usw. beeinflussen kann. Die Besonderheit des GATS besteht darin, dass es nicht nur den internationalen Handel an den Landesgrenzen erleichtern möchte, sondern auch für ausländische Niederlassungen in den Mitgliedsländern gleichberechtigte Bedingungen schaffen will. Durch die Zustimmung der souveränen Länder zu diesem internationalen Abkommen verzichten sie freiwillig auf bestimmte Optionen der Einschränkung des Handels. Allerdings gibt es eine Reihe von Ausnahmen, die in Article XIV des GATS aufgelistet sind, wozu vor allem Maßnahmen gehören, die notwendig sind, um die öffentliche Moral (public morals) zu schützen oder die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Ferner werden Tier-, Pflanzen und Umweltschutz, Datenschutz und ähnliches als Fälle angesprochen, in denen von den Regeln des GATS abgewichen werden darf. Obwohl es im Jahre 1998 eine sogenannte "Ministerial Declaration on Global Economic Commerce" gegeben hat, die die Weiterentwicklung von GATT, GATS, und TRIPS (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) angestoßen hat, waren bisher nur wenige Fortschritte zu verzeichnen. Es kann derzeit von einer politischen Blockade gesprochen werden, wobei es unter anderem auch darum geht, wie der Unterschied zwischen Gütern und Dienstleistungen für digitale Übertragungswege aufrecht erhalten werden soll. In der vorliegenden Form geht das GATS-Abkommen davon aus, dass es neutral gegenüber der Technologie der Ableistung der Dienstleistung ist. Damit fiele der E-Commerce bereits unter die bestehenden Regelungen. Dies ist nicht unstrittig und die Verhandlungen der kommenden Zeit werden zeigen, inwieweit die bestehenden Regelungen des Vertrages den neuen Gegebenheiten des digitalisierten Geschäftsverkehrs Rechnung tragen können (Arkell 2001).

Insgesamt zeigt sich, dass für den E-Commerce eine größere Zahl unterschiedlicher - auch nicht-ökonomische - Regelungsbereiche wichtig sind, wobei sowohl privatwirtschaftliche Lösungen für die Regulierungsprobleme als auch in jeweils unterschiedlicher Intensität staatliche Eingriffe denkbar sind (von der Ergänzung privater Initiativen bis zu strengen Regelungen in Hinblick auf staatliche Ziele). Die Kompetenzen überschneiden sich teilweise auf verschiedenen Ebenen, wobei die wichtigsten Regelungsebenen im nationalen Bereich bzw. auf der EU-Ebene liegen und Kompetenzen für relevante Regelungen in der Bundesrepublik auch auf Länderebene angesiedelt sind. Aus dieser Vielfalt möglicher Lösungen erwächst die Frage, in wieweit bzw. in welchen Fällen aufgrund ordnungspolitischer Überlegungen bestimmte Regelungsarten zu bevorzugen sind bzw. ob wirtschaftspolitisch sinnvolle Grundsätze für eine Regulierung des E-Commerce denkbar sind, die im folgenden Abschnitt diskutiert werden.

5     Ausgestaltungsmöglichkeiten einer Ordnungspolitik für den E-Commerce

5.1     Ordnungspolitische Grundsätze

Die Grundsätze, die für eine Ordnungspolitik für den E-Commerce formuliert werden können, sind in einem Spannungsfeld angesiedelt, das sich einerseits aus dem technologischen Charakter des E-Commerce ergibt, durch den die Bedeutung von Ländergrenzen für internationale wirtschaftliche Transaktionen immer weiter abnimmt, andererseits aus dem Ziel einer Offenhaltung von dynamischen und wettbewerblichen Märkten, die Wachstum und Innovationen fördern. Ein dritter Aspekt, der vor diesem Hintergrund nicht außer Acht gelassen werden darf und der schon bei Eucken eine zentrale Rolle für die Ordnungspolitik spielt, betrifft die Durchsetzung und den Schutz gesellschaftlicher Interessen durch die Begrenzung des Einflusses einzelner Marktakteure und Interessengruppen. Im Einzelnen sind insbesondere folgende Regelungsbereiche und Fragen angesprochen:

Die Frage nach einer Selbstregulierung vs. staatlicher Regulierung des E-Commerce wird für den Verbraucherschutz im Internet, die Standardisierung, den Datenschutz oder den Jugendschutz in den kommenden Jahren eine entscheidende Rolle spielen. Der Vorteil von Selbstregulierungsinitiativen liegt dabei in der flexiblen Anpassung an geänderte wettbewerbliche und sonstige Rahmenbedingungen und der Konformität mit der Forderung nach einer weitgehenden Deregulierung der Wirtschaft, die allenthalben erhoben wird. Dennoch sollte beachtet werden, dass in anderen Bereichen wie etwa dem Umweltschutz die Erfahrungen mit freiwilligen Selbstregulierungen teilweise eher negativ waren. Nur unter besonderen Bedingungen wie der Drohung, ansonsten staatliche Regelungen vorzunehmen, waren in einigen Bereichen erfolgreiche Selbstregulierungen zustande gekommen. Eine Alternative besteht hinsichtlich der Regulierungsform in der Ergänzung staatlicher Mindeststandards durch eine freiwillige Selbstregulierung der Wirtschaft.

Die Standardisierung von Schnittstellen hat gerade in der Softwareindustrie eine besondere Bedeutung. Wie das Beispiel von Microsoft und deren Betriebssystemsoftware zeigt, kann die Schaffung eines Standards eine erfolgversprechende Unternehmensstrategie sein, um sich Marktmacht zu verschaffen. Im Hardwarebereich hat sich gleichzeitig ein offener Standard durchgesetzt, der zu einer Intensivierung des Wettbewerbs in diesem Bereich führte (WBWM 2001). Das Beispiel zeigt, dass das Offenhalten von Standards als vorbeugende Maßnahme der Wettbewerbspolitik eine zentrale Rolle spielt. Wenn keine direkte staatliche Setzung von Standards erfolgt, so muss doch sichergestellt werden, dass diese nicht zu Marktzugangshemmnissen führen.

Für den Schutz geistigen Eigentums bestehen eine Reihe von Alternativen angefangen von der Patentierung neuer Ideen über den Kopierschutz (etwa für Software) bis hin zu einem Verzicht auf eine staatliche Eigentumsgarantie, die es den Unternehmen im Nachhinein ermöglicht, über ihren Wettbewerbsvorsprung am Markt und die Geheimhaltung von Neuerungen ihre Ideen zu vermarkten. Dabei gilt es, die Balance zu halten zwischen individuellen und kollektiven Interessen hinsichtlich des Schutzes von Neuerungen und deren Diffusion und Nutzung. Bei Überlegungen zum Schutz geistigen Eigentums ist zu berücksichtigen, dass die Informationsgüter, für die dies diskutiert wird, sehr unterschiedlicher Natur sind, so dass nicht eine Regelung für alle unter diesem Begriff zusammengefassten Güter geeignet sein muss. Die verschiedenen Aspekte des Schutzes geistigen Eigentums sind in der wirtschafts- und forschungspolitischen Diskussion schon ausführlich gewürdigt worden, haben jedoch im Zusammenhang mit der Ausweitung des Patentschutzes auf Software und Geschäftsmethoden, die in den USA praktiziert wird, auch für den E-Commerce eine neue Aktualität erlangt. Eine sehr weitgehende Interpretation des Patentschutzes kann jedoch im Zweifelsfall neben den mit den Patentverfahren verbundenen Transaktionskosten zu einer massiven Behinderung des Fortschritts in wichtigen Technologiebereichen führen. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund zu bedenken, dass inzwischen eine immer weitergehende Kommerzialisierung der Universitätsforschung angestrebt wird, die traditionell frei von derartigen gesetzlichen Beschränkungen war.

5.2     Föderale Aufgabenteilung

Wie bereits gezeigt wurde, existieren für den E-Commerce relevante Regulierungen auf verschiedenen föderalen Ebenen, die sich häufig auch überschneiden. Die ökonomische Theorie des Föderalismus diskutiert die Aufgabenteilung zwischen verschiedenen Entscheidungsebenen unter dem Aspekt einer effizienten Ressourcenallokation. Danach ist es insbesondere bei öffentlichen Gütern und Externalitäten, deren Wirkungen über die regionalen Grenzen einer Entscheidungsebene hinausgehen, sinnvoll, eine höhere Ebene damit zu beauftragen, da bei einer Ansiedlung der Kompetenzen auf niedrigerer Ebene diese Effekte nicht berücksichtig werden. Die Mechanismen, die hierfür verantwortlich sind, gründen sich einerseits auf den Einfluss der Wähler auf politische Entscheidungen, andererseits auf die Möglichkeit der Einwohner, eine "Abstimmung mit den Füßen" durch Übersiedlung in eine andere Region durchzuführen. Den Gründen einer Ansiedlung von Kompetenzen auf höherer Ebene hat Olsen die "Internalities" gegenübergestellt: Wenn die positiven Wirkungen einer Regulierung regional begrenzt sind, wird auf einer zu zentralen Entscheidungsebene zu wenig angeboten, da für die Politiker, die sich an der "durchschnittlichen" Wählermeinung orientieren, kein Anreiz besteht, auf lokal unterschiedliche Präferenzen einzugehen (Olsen 1969).

Beim E-Commerce als globaler Handelsplattform sind alle Regelungen multinationale oder globale öffentliche Güter, die für die Sicherstellung des Handels unter geregelten Bedingungen erforderlich sind. Fragen, die hierbei zentral sind, betreffen etwa den Verbraucherschutz gegenüber Anbietern in anderen Nationen oder die Wettbewerbspolitik. Demgegenüber stehen - wie besonders der Vergleich zwischen den Vereinigten Staaten und Europa zeigt - als "Internalities" regional verschiedene Präferenzen hinsichtlich des Ausmaßes staatlicher Regulierungen und der besonders schützenswerten Regulierungsbereiche, so dass einheitliche Regulierungen auf multinationaler Ebene wohl nicht zu einer allgemein befriedigenden Lösung führen können. Darüber hinaus ist die Kontrolle von Handelsbeziehungen im E-Commerce über Ländergrenzen hinweg und damit die Frage, in wieweit national unterschiedliche Lösungen möglich sind, auch technischer Art. Dies gilt beispielsweise für Filtersoftware, die verhindern soll, dass bestimmte etwa jugendschutzrechtlich bedenkliche Inhalte im Internet verbreitet werden und die derzeit nicht hinreichend genau die als schädlich erachteten Inhalte ausfiltert (Strossen 2001).

Diese Beispiele zeigen, dass in vielen Bereichen entweder eine Abstimmung zwischen verschiedenen nationalen Regelungen bis hin zu deren Vereinheitlichung oder eine globale Regelung auf internationaler Ebene erforderlich sein wird. Daher werden multinationale Regelungen im Bereich des Internets an Bedeutung gewinnen. Die bestehenden national unterschiedlichen Präferenzen können jedoch auf multinationaler Ebene nur begrenzt berücksichtigt werden, so dass es sinnvoll erscheint, lediglich Mindeststandards und Rahmenregelungen für den E-Commerce supranational zu vereinbaren. Diese Standards können dann je nach nationalen Präferenzen durch freiwillige Vereinbarungen der betroffenen Unternehmen oder durch weitergehende Regulierungen konkretisiert werden. Aus dieser Unterschiedlichkeit nationaler Regelungen könnte dann auch ein wohlfahrtssteigernder "Systemwettbewerb" hinsichtlich der geeignetsten Regelungsmuster entstehen.

5.3     Herausforderungen für die Wettbewerbspolitik

Die internationalen Handelsbeziehungen, die auch ohne den E-Commerce in Zusammenhang mit dem stark liberalisierten Handel und den weltweiten Kapitalströmen sehr weitgehend entwickelt sind, werden durch den E-Commerce um eine zusätzliche Dimension erweitert. Die Konsequenzen für die Wettbewerbspolitik, die sich daraus ergeben, beginnen sich gerade erst zu zeigen. Die Eigenschaften der neu entstandenen globalen Märkte werfen einige Fragen hinsichtlich unerwünschter Effekte staatlicher Maßnahmen auf, sowohl in einer statischen Betrachtung der Märkte als auch für den dynamischen Wettbewerb.

Zunächst wird es aufgrund der Möglichkeit einer immer weitgehenderen Produktdifferenzierung über das Internet immer schwieriger werden, für die Beurteilung des Wettbewerbs relevante Märkte zu definieren. So kann Musik entweder über den traditionellen Handelsweg in Form von CDs oder über das Internet vertrieben werden, wobei bei Letzterem die Möglichkeiten des "downloads" (Speicherung auf lokalem Datenträger) oder des "streaming" (zeitgleiches Anhören aus dem Internet) besteht. Für die Wettbewerbspolitik stellt sich die Frage, wie weit der relevante Markt zu fassen ist, um Aussagen über das Vorliegen einer Monopolsituation treffen zu können (WBWM 2001).

Eine weitere Problematik, die sich im Rahmen des E-Commerce verstärken wird, ist die teilweise Auflösung von Unternehmensgrenzen durch "virtuelle" Unternehmen und verschiedene Arten von Unternehmensverbünden. Diese Verbünde können etwa zum Zweck der Etablierung von Standards oder mit dem Ziel einer Konzentration von Forschung etabliert werden. Dadurch verwischt sich immer mehr die Scheidelinie zwischen Wettbewerb und Kooperation. Den ökonomischen Kostenersparnissen und Effizienzgewinnen durch eine weitgehende Kooperation der Wettbewerbsteilnehmer steht dann aus Sicht der Wirtschaftspolitik der Wohlfahrtsverlust durch die Gefahr von Absprachen und die damit entstehende Marktmacht auf Seiten der Anbieter gegenüber.

Weiterhin haben die durch Lock-In und Netzwerkeffekte gekennzeichneten Märkte häufig eine Tendenz zur Monopolisierung. Dies kann beispielsweise durch das Setzen eines Standards geschehen, wie es dem Unternehmen Microsoft mit ihrem Betriebssystem Windows gelungen ist. Eine Alternative zu solchen im Wettbewerb durchgesetzten Standards stellen durch Unternehmensverbände gesetzte Standards dar, wie sie beispielsweise für Computerhardware existieren. Die durch diese System- und Netzeffekte der Informationstechnologie bestehenden Tendenzen zur Monopolisierung sind in einem dynamischen Wettbewerb immer durch neue technische Lösungen gefährdet.

Abgesehen von solchen Tendenzen der Monopolisierung von Märkten bestehen noch Zweifel, ob unter den gegebenen Bedingungen der Wettbewerb immer zu einer optimalen Ressourcenallokation führt, wie es in der traditionellen ökonomischen Theorie angenommen wird. Ein Optimum im Fall vollständigen Wettbewerbs würde in dem Fall auftreten, wenn der Preis den Grenzkosten entspräche. Das würde bei Grenzkosten nahe null für die Kopie einer Software- oder Musikdatei zu einer kostenlosen Abgabe des jeweiligen Gutes führen, was wiederum mit bestehenden Eigentumsrechten kollidiert. Die Unternehmen - insbesondere der Softwareindustrie - versuchen daher in der Regel, ihre Deckungsbeiträge durch eine Strategie der Preisdifferenzierung oder durch Paketangebote zu erwirtschaften (WBWM 2001). Ein Wettbewerb findet gerade beim Vorliegen von Netzwerkeffekten (man denke dabei unter anderem an Betriebssystemsoftware) häufig nur als Wettbewerb um den Markt statt, während nach der Etablierung eines Produktes Wettbewerb und damit die Bestreitbarkeit nur hinsichtlich einer längerfristigen Innovationsdynamik mit dem Aufkommen neuer Lösungen besteht. Ob und in welcher Form vor diesem Hintergrund die Forderung nach einem freien Wettbewerb noch allgemein durchsetzbar ist, bzw. wie eine staatliche Rahmensetzung oder gezielte Einflussnahme zur Korrektur des Marktversagens erfolgen könnte, ist noch offen. Dennoch sollte eine staatliche Einflussnahme in die Marktprozesse nur sehr vorsichtig erfolgen, um längerfristig die Innovationsdynamik der neuen Märkte nicht zu beeinträchtigen. Einen Ansatzpunkt bietet das Offenhalten von Standards und Schnittstellen zwischen verschiedenen Verbundprodukten.

6     Fazit

Wie die obigen Ausführungen zeigen, braucht für den E-Commerce "das Rad nicht neu erfunden" zu werden. Vielmehr müssen, um einen möglichst reibungsfreien Ablauf elektronischer Geschäftsprozesse gewährleisten zu können, zahlreiche Räder ineinander greifen. Der Aufbau eines einheitlichen multinationalen Ordnungsrahmens und die Abstimmung verschiedener nationaler Regelungen sind gerade auf dem Weg. Und dennoch: Eine flexible Anpassung der Regulierungen an veränderte Bedingungen wird aufgrund der dynamischen Entwicklung elektronischer Märkte erforderlich sein. Die von Hayek beschworene Komplexität des Wirtschaftsgeschehens stellt somit, sowohl was zukünftige technologische Entwicklungen als auch was die konkreten Folgen wirtschaftspolitischer Maßnahmen anlangt, für die Regulierung des E-Commerce ein zentrales Problem dar. Wirtschaftliche Interessen werden die Regulierungsbemühungen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene zu beeinflussen suchen. Als Kontrollinstanz dieser Einflussnahme durch Partialinteressen (Rent-Seeking) kann ein Wettbewerb der Wirtschaftssysteme an Bedeutung gewinnen, in welchem die Nationen durch die Abwanderung der Produktionsfaktoren (durch Migration, aber vor allem durch die Abwanderung des Geldkapitals) und über Wahlentscheidungen zu einer systemkonformen Wirtschaftspolitik gezwungen werden.

Literatur

Arkell, J., 2001:
Regulators Issues for Global Services Activities: How Suppliers are using New Technologies may be impacted by the Rules of the General Agreement on Trade in Services. Paper presented to the 11th Annual International Conference of RESER, Grenoble, 25-26 October 2001.

BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung), 1999:
Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts

BMWi (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie) (Hrsg.), 2000:
e-facts. Ausgabe 01/2000, S. 4. (http://www.bmwi.de/Homepage/download/e-facts.pdf (30.10. 2001))

De Long, B.; Froomkin, M., 1997:
The Next Economy? Draft 1997. http://personal.law.miami.edu/~froomkin/articles/newecon.htm (vom 28.08.2001).

De Long, B.; Froomkin, M., 1999:
Speculative Microeconomics for Tomorrow's Economy, Draft 1999. http://personal.law.miami.edu/~froomkin/articles/spec.htm (vom 28.08.2001)

Donges, J.; Mai, S., 2001:
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Kontakt

Dr. Michael Rothgang
Dr. Markus Scheuer
Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung
Hohenzollernstr. 1-3, 45128 Essen
Tel.: +49 201 8149-248, -277
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