Sozioökonomische Umweltforschung. Die Sektion Ökonomie, Soziologie und Recht am UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle GmbH

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Sozioökonomische Umweltforschung. Die Sektion Ökonomie, Soziologie und Recht am UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle GmbH

von Bernd Hansjürgens und Sigrun Kabisch, UFZ Leipzig-Halle GmbH

Das UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle GmbH mit Standorten in Leipzig, Halle und Magdeburg ist Mitglied der Herrmann von Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren (HGF). Es wurde 1991 mit dem Auftrag gegründet, Umweltforschung in von Menschen genutzten und gestörten Landschaften zu betreiben. 1996 wurde am UFZ die Abteilung "Ökologische Ökonomie und Umweltsoziologie" etabliert. Aus ihr ging im Juni 2000 die Sektion "Ökonomie, Soziologie und Recht" hervor, in der zur Zeit die beiden Disziplinen Ökonomie und Soziologie vertreten sind. Sie wird ab dem 1.10.2001 durch eine Arbeitsgruppe "Umweltrecht" erweitert. Mit dieser Entwicklung wird nunmehr das Ziel umgesetzt, die sozioökonomische Kompetenz am UFZ zu stärken und die Integration naturwissenschaftlicher und sozioökonomischer (einschließlich umweltrechtlicher) Umweltforschung zu forcieren.

Zielsetzung und Forschungsansatz

Die Sektion Ökonomie, Soziologie und Recht am UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle stellt den Menschen mit seinem umweltrelevanten Verhalten und Handeln in den Mittelpunkt der Forschung und orientiert sich am Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung. Sie untersucht die Bedingungen und Umsetzungsmöglichkeiten eines umwelt- und sozialverträglichen Lebens und Wirtschaftens, um zur Erhaltung der Lebensgrundlagen für gegenwärtige und künftige Generationen beizutragen.

Den Ausgangspunkt für die Forschungsarbeiten der Sektion bildet dabei die Erkenntnis, dass die Entwicklung und Umsetzung von Konzepten zur Lösung von Umweltproblemen nur mit den Menschen - und nicht gegen sie - möglich sind. Daher müssen die Lösungsangebote ökonomische, soziale und rechtliche Aspekte mit einbeziehen. In diesem Sinne nehmen die Arbeiten der Sektion für das UFZ insgesamt eine zentrale Rolle ein. Sie leisten einen wichtigen Beitrag für die nachhaltige Gestaltung von Kulturlandschaften, insbesondere für die Erneuerung und Aufwertung ökologisch belasteter Räume einschließlich der Verbesserung der Umweltqualität.

Die Forschungsarbeiten der Sektion Ökonomie, Soziologie und Recht verfolgen drei Ziele:

Forschungsansatz

Diese Ziele werden schwerpunktmäßig im Rahmen interdisziplinärer und anwendungsorientierter Projekte bearbeitet. Im zur Zeit rund 20 Wissenschaftler starken Forschungsteam der Sektion vereinen sich vielfältige wissenschaftliche Kompetenzen aus unterschiedlichen Disziplinen wie der Volkswirtschaftslehre, der Soziologie, dem Recht, der Geoökologie, der Mathematik, der Politologie, der Geographie und den Kulturwissenschaften. Neben der sektionsinternen Kooperation arbeiten die Wissenschaftler eng mit Partnern aus anderen Sektionen und Projektbereichen des UFZ zusammen. Sie unterhalten zahlreiche Kontakte zu Universitäten, Forschungseinrichtungen und Praxispartnern im In- und Ausland.

Die Forschungsarbeiten der Sektion Ökonomie, Soziologie und Recht entfalten sich in anwendungsbezogener Perspektive. Da die Sektion eng mit den naturwissenschaftlichen Forschungsansätzen des UFZ verbunden ist, werden wissenschaftlich anspruchsvolle Themen in großer Breite bearbeitet. Als wichtige Anwendungsbereiche und zugleich Schwerpunkte der gegenwärtigen Forschung können angesehen werden: 

Beispielhafte Anwendungsbereiche

Im Folgenden sollen aus diesen Bereichen zwei Anwendungsbeispiele herausgegriffen werden, um den Charakter der Forschungsarbeiten deutlich zu machen.

Integriertes Bewertungsverfahren

Der Schutz und die nachhaltige Nutzung von Natur und Umwelt stehen häufig im Konflikt mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Insofern muss die Ökonomie als die Lehre vom rationalen, vernünftigen Umgang mit wertvollen, knappen Ressourcen und Gütern bei der Ursachenanalyse und der Entwicklung von Lösungsstrategien für ein umweltverträgliches Wirtschaften herangezogen werden. Dazu bedarf es sowohl grundlagenorientierter, konzeptioneller Arbeiten zum besseren Verständnis der wechselseitigen Zusammenhänge von menschlichen Aktivitäten und Veränderungen der Umwelt als auch anwendungsbezogener Forschungsarbeiten.

Ein wesentliches Ziel der grundlagenorientierten ökonomischen Umweltforschung der Sektion Ökonomie, Soziologie und Recht besteht darin, integrierte Methoden und Verfahren zu entwickeln, die zur Entscheidungsfindung in Konfliktfällen zwischen dem Schutz und der wirtschaftlichen Nutzung von Natur und Umwelt beitragen. Integriert bedeutet hier einerseits die Berücksichtigung von ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten, andererseits die partizipative Einbeziehung von Entscheidern sowie relevanten Akteuren. In diesem Zusammenhang ist es nötig, komplexe Systeme mit Hilfe der ökologisch-ökonomischen Modellierung zu verknüpfen, langfristige Effekte einzubeziehen sowie Interessenkonflikte und Unsicherheiten zu berücksichtigen.

Das Verfahren zur integrierten ökologisch-ökonomisch-sozialen Bewertung wurde am Beispiel von politischen Handlungsoptionen zum Konflikt zwischen Grundwasserschutz und wirtschaftlicher Entwicklung im nordöstlich von Leipzig in der Elbtalwanne gelegenen Torgauer Raum entwickelt. Das Verfahren ist ein Entscheidungshilfeverfahren (decision support system) für ein regionales Wasserressourcenmanagement. Es ist aber im Prinzip auf verschiedene Problembereiche mit konkurrierenden Nutzungen und auf unterschiedliche räumliche Skalen übertragbar.

Dem Verfahren liegen vier Arbeitsschritte zugrunde:

Das integrierte Bewertungsverfahren zeichnet sich aus der Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung vor allem dadurch aus, dass es 

Auf diese Weise geht das integrierte und multikriterielle Bewertungsverfahren über die Standardmethode zur ökonomischen Bewertung, die Nutzen-Kosten-Analyse, die sich allein auf monetarisierbare Effekte bezieht, weit hinaus. Allerdings stehen ökonomische Kriterien im Zentrum des Bewertungsprozesses, wodurch sich das Bewertungsverfahren von den planerischen mehrdimensionalen Bewertungsinstrumentarien (z. B. der Umweltverträglichkeitsprüfung) qualitativ abhebt.

Nachhaltige Stadtentwicklung

Die soziologische Umweltforschung widmet sich der Analyse der Wechselwirkungen zwischen der Gesellschaft, ihren Akteuren und der Umwelt. Sie beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Ursachen ökologischer Probleme und den darauf bezogenen gruppenspezifischen Wahrnehmungen und Reaktionen.

Stadt- und regionalsoziologische Ansätze bilden eine wesentliche Grundlage, um die Umweltbedingungen und das Handeln von Akteuren in konkreten Siedlungsräumen zu analysieren. Umwelt wird dabei umfassend als natürliche (wenngleich anthropogen angeeignete und veränderte), soziale und gebaute Umwelt verstanden. Die Forschungsbemühungen zielen auf die wissenschaftliche Analyse von Strategien und Konzepten zum qualitativen Stadtumbau und haben individuelle Akteure (Einwohner, Eigentümer, Planer) ebenso wie soziale Gruppen (Milieus, Schichten oder korporative Akteure) im Blickfeld.

Die Forschungsergebnisse sind einerseits auf eine anwendungsorientierte Umsetzung in der gesellschaftlichen Praxis gerichtet. Andererseits zielen sie auf einen Theoriegewinn in der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Positionen. Die Reflexionen über Entwicklungen moderner Lebensweisen schließen die Beobachtung, Analyse und Erklärung umweltrelevanten Handelns und Verhaltens ein. Dabei gelangen qualitative und quantitative Methoden, häufig in Kombination, zur Anwendung. Entsprechend der inhaltlichen Schwerpunktsetzung der Forschungsfragen muss jeweils ein adäquates Forschungsdesign erzeugt werden. Im Verlauf der bisherigen Projekte wurde ein Erhebungsinstrumentarium zur Analyse sozialer Sachverhalte erarbeitet, das übertragbar ist und beispielsweise bei der Untersuchung von Akzeptanzfragen oder Entscheidungsstrategien in unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen eingesetzt werden kann.

Im Zentrum des Forschungsschwerpunktes "Nachhaltige Stadtentwicklung und Wohnungsleerstand" stehen die Potenziale und Chancen einer neuen Organisation des städtischen Lebenszusammenhangs im Rahmen des qualitativen Stadtumbaus. Der Überhang auf dem Immobilienmarkt erfordert Managementstrategien, die sozial akzeptabel, ökonomisch vertretbar, ökologisch wertvoll und juristisch umsetzbar sind. Das Projekt fokussiert auf den Wohnungsleerstand in ostdeutschen Städten als einer Problemdimension bisher unbekannten Ausmaßes, die die Stadtlandschaft in ihren sozialen, baulichen und natürlichen Komponenten erheblich beeinflusst. Aus wissenschaftlicher Perspektive sind die damit verbundenen Chancen, Gefahren und Zwänge hinsichtlich zukunftsfähiger Stadtentwicklung zu analysieren, in ihren Interdependenzen zu erklären und Gestaltungsempfehlungen für diese neue gesellschaftspolitische Herausforderung zu entwickeln. In diesem Zusammenhang werden Fragen des Flächenmanagements relevant. Der verantwortungsvolle Umgang mit der Ressource Fläche erfordert die Thematisierung von Flächenrecycling und Möglichkeiten der Wiedernutzbarmachung innerstädtischer Brachen. Dies schließt die Prüfung vorhandener ökonomischer und juristischer Instrumente auf deren Passfähigkeit hinsichtlich der neuartigen Problemkonstellationen ein. Die Defizitbereiche sind zu eruieren, um darauf aufbauend neue Instrumente und Verfahren zu entwickeln.

Die notwendigen Umbaumaßnahmen zielen auf die komplexe Betrachtung der urbanen Lebensqualität mit dem Ziel, die Attraktivität kernstädtischen Wohnens und Lebens zu erhöhen und damit weiteren Abwanderungsprozessen entgegenzuwirken.

Die beabsichtigten baulichen und gestalterischen Maßnahmen als konkrete Umsetzung neuer städtebaulicher und architektonischer Ideen setzen eine völlig veränderte Form der Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Akteursgruppen voraus. Es sind neue Akteurskonstellationen erforderlich, die auf partizipatorischer Grundlage Verantwortung für die Funktionsfähigkeit des städtischen Organismus übernehmen. Aus soziologischer Sicht sind die sozialen Betroffenheiten und die veränderten Machtkonstellationen zu analysieren und zu erklären.

Eine wichtige Basis der Untersuchungen bilden getestete Indikatorbatterien, die eine Vergleichbarkeit der empirischen Ergebnisse ermöglichen. Die Indikatoren werden konzeptionell weiterentwickelt und aufgrund veränderter Fragestellungen ergänzt. Eine wichtige Ausgangsbasis entstand mit der Erarbeitung des "Sozialatlas der Stadt Leipzig". Darin wurden relevante sozialökonomische und umweltbezogene Daten zusammengetragen, kartographisch umgesetzt und inhaltlich interpretiert. Auf dieser Grundlage konnten weitergehende, bislang offene Forschungsfragen abgeleitet werden.

Entsprechend der aktuellen Forschungsorientierung sind u. a. soziale Indikatoren weiterzuentwickeln, die gruppenspezifische Verhaltensweisen und Handlungsstrategien adäquat abbilden. Es sind Indikatoren zu generieren, die die Lebensqualität in Städten aus der Sicht der Einwohner aufzeigen, einschließlich der Wahrnehmung umweltrelevanter Komponenten wie Lärm, Staubbelastung, Mangel an Grünflächen u. a. Des weiteren sind Indikatoren der Flächennutzung zu erarbeiten, die deren Veränderbarkeit berücksichtigen.

Im Rahmen eines geplanten, in Abstimmung mit Vertretern der regionalen Praxis aufzubauenden Systems regionaler Sozial- und Umweltberichterstattung kann die integrierte Untersuchung sozialer Prozesse und Konflikte weiter verbessert werden.

Ausblick

Die in ihrer Bedeutung weiter wachsende anwendungsorientierte Umweltforschung, die sich den Nachhaltigkeitszielen verpflichtet fühlt, erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen naturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Die Sektion Ökonomie, Soziologie und Recht setzt sich in diesem Zusammenhang insbesondere das Ziel, den Umgang gesellschaftlicher Institutionen mit den Naturressourcen zu analysieren und zu bewerten. Als Ergebnis sollen politikrelevante Handlungsempfehlungen entstehen, die ökonomisch, sozial und juristisch tragfähig sind und zur Verbesserung der Umwelt- und Lebensqualität beitragen.

Literatur / Bibliographische Angaben

Horsch, H.; Ring, I.; Herzog, F. (Hrsg.), 2001:
Nachhaltige Wasserbewirtschaftung und Landnutzung. Methoden und Instrumente der Entscheidungsfindung und -umsetzung. Marburg: Metropolis

Hansjürgens, B. (Hrsg.), 2000:
Regionale Umweltberichterstattung unter dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung. Marburg: Metropolis

Kabisch, S.; Linke, S., 2000:
Revitalisierung von Gemeinden in der Bergbaufolgelandschaft. Opladen: Leske & Budrich

Ring, I.; Klauer, B.; Wätzold, F.; Månsson, B. (Eds.), 1999:
Regional Sustainability. Applied Ecological Economics Bridging the Gap between Natural and Social Sciences. Heidelberg: Physica-Verlag

Kabisch, S.; Kindler, A.; Rink, D., 1996:
Sozialatlas der Stadt Leipzig. Leipzig: UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle GmbH

Kontakt

Prof. Dr. Bernd Hansjürgens, Sektionsleiter
UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle
Sektion Ökonomie, Soziologie und Recht
Permoserstr. 15, 04318 Leipzig
Tel.: +49 341 235-2517
E-Mail: hansjuer∂alok.ufz.de

Dr. Sigrun Kabisch
Tel.: +49 341 235-2366
E-Mail: kabisch∂alok.ufz.de

Internet: http://www.ufz.de