Nanotechnologie aus der Perspektive der Innovations- und Technikanalyse - Vorstudie des VDI

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Nanotechnologie aus der Perspektive der Innovations- und Technikanalyse

von Dr. Norbert Malanowski und Dr. Dr. Axel Zweck, VDI-Technologiezentrum, Düsseldorf

Schon kurz nach dem Wechsel vom 20. in das 21. Jahrhundert bestätigt sich, dass es sich bei der Nanotechnologie um eine Schlüsseltechnologie des neuen Jahrhunderts handelt. Insofern wundert es nicht, dass der internationale technologische Wettlauf um erfolgversprechende Märkte längst begonnen hat. In diesem Kontext ist es sinnvoll, bereits frühzeitig auch der Frage nachzugehen, welche Technikfolgen die Nanotechnologie auf verschiedene Bereiche unserer Gesellschaft und auch des Standortes Deutschland mit sich bringen kann. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hatte das VDI-Technologiezentrum Zukünftige Technologien damit beauftragt, eine empirisch gestützte Vorstudie zur Innovations- und Technikanalyse (ITA) im Bereich Nanotechnologie für diesen Bereich auszuarbeiten. Neben Fragen zur technischen und ökonomischen Dimension der Nanotechnologie wurden solche zu ökologischen, gesundheitlichen, individuellen und sozialen sowie zu politischen Aspekten berücksichtigt. In der Vorstudie ging es zum einen darum, das vielfältige Innovationspotenzial in Verbindung mit diesen Aspekten darzustellen. Zum anderen zielt sie darauf ab, weitere Technikfolgen im Kontext möglicher Risiken und Alternativen zu skizzieren. In einem abschließenden Teil werden offene ITA-relevante Fragestellungen für zukünftige ITA-Arbeiten erörtert.

Zur Sicherung des Standortes Deutschland ist es notwendig, zukunftsrelevante Technologieansätze frühzeitig aufzugreifen, zu analysieren und in Politik, Öffentlichkeit und auch in angrenzenden Gebieten der Wissenschaft bekannt zu machen und durch definierende und übersichtsorientierte Informationen zur Anerkennung zu verhelfen.

Im Rahmen der Arbeiten zur Technologiefrüherkennung hat die Abteilung Zukünftige Technologien des VDI-Technologiezentrums dies für die Nanotechnologie bereits zu Beginn der neunziger Jahre getan. Anfang 1994 erschien der Band "Technologieanalyse Nanotechnologie". Zur verbesserten Übersicht über die künftigen Anwendungsfelder folgte dann, neben Publikationen zu Einzelfeldern wie Rastersondentechniken oder Nanoröhren, 1998 der Band "Innovationsschub aus dem Nanokosmos". Ziel dieser Arbeiten war das Schaffen einer soliden Informationsbasis für fördernde und innovationsunterstützende Maßnahmen des BMBF.

Neben dem frühzeitigen Aufgreifen eines Themas spielen für das erfolgreiche Durchsetzen von Innovationen jedoch auch vorsorgende Aspekte eine zentrale Rolle. Zwar konnten im Rahmen der Technologiefrüherkennung erste Hinweise darauf gefunden werden, dass es Teilaspekte der Nanotechnologie gibt, die neben den ausführlich dargestellten Chancenpotenzialen risikenbehaftete Unsicherheiten oder nicht primär intendierte Potenziale enthielten. Einer vertieften Betrachtung aber konnte bei der Technologiefrüherkennung nicht nachgegangen werden.

Die nun vorgelegte Vorstudie für eine Innovations- und Technikanalyse zur Nanotechnologie greift diese Fragen auf. Ihr Ziel ist es, das Thema Nanotechnologie vor dem Hintergrund der VDI-Richtlinie 3780 zur Technikbewertung in verschiedenen Wirkungsdimensionen wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Lebens zu analysieren. Es soll die Frage beantwortet werden, wo vertiefter Bedarf an Vorsorge orientierten Maßnahmen oder technikfolgenabschätzenden Bewertungen besteht. Ziel der vorgelegten Studie war also nicht das Durchführen einer umfassenden Innovations- und Technikanalyse zum Thema Nanotechnologie, sondern das Aufbereiten von verfügbaren Informationen sowie die Berücksichtigung der Einschätzungen von Experten bezüglich erwarteter Nebeneffekte bei der Realisierung nanotechnologischer Produkte und Verfahren.

Vorgehen

In der Vorstudie erfolgte eine Fokussierung auf folgende Wirkungsdimensionen der ITA in Deutschland: 

Diese Wirkungsbereiche wurden wiederum unterteilt in vier zeitliche Entwicklungskorridore: kurz-, mittelfristig (bis 5 Jahre), langfristig (bis 10 Jahre), visionär (bis 30 Jahre) und Science Fiction (mehr als 30 Jahre bzw. nicht absehbare Realisierbarkeit). In einem abschließenden Teil wurden zudem noch nicht berücksichtigte Perspektiven und offene Fragen thematisiert. Zur weiteren Eingrenzung und besseren Bearbeitung des Themas erfolgte - neben der Problemorientierung - eine Konzentration auf folgende ausgewählte Bereiche der Nanotechnologie: 

Bei der Vorstudie konnte nicht, wie meist in größer angelegten ITA Studien, auf eine umfangreiche Sekundärliteratur für die Auswertung zurückgegriffen werden. Insofern dienten leitfaden-gestützte Expertengespräche vor allem der Primärerhebung, um ITA-relevante Aspekte im Bereich der Nanotechnologie frühzeitig zu erkennen. Die ausgewählten Experten waren Wissenschaftler der Nanotechnologie aus Universitäten sowie Abteilungs- und Laborleiter aus Unternehmen.

Ergebnisse

Die Nanotechnologie wird nach Expertenmeinung zu den Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts gehören, da sie ein vielfältiges Innovationspotenzial für Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft beinhaltet. Dessen Ausschöpfung steht jedoch gegenwärtig erst am Anfang, da sich diese Technologie - beispielsweise im Vergleich zur Biotechnologie - in einem frühen Stadium der Entwicklung befindet. Die technische Realisierung intelligenter selbstreplizierender Nanomaschinen wird nach Ansicht der im Rahmen dieser ITA-Vorstudie befragten Experten noch lange visionär oder gar Science Fiction bleiben. Bestehende physikalische Grenzen spielen immer noch eine umsetzungshemmende Rolle in der Entwicklung und z. Z. existieren wenig konkrete Vorstellungen, wie diese Barrieren überwunden werden können.

Schlagworte wie "Sanfte Chemie", "Nano-Umweltdetektive", "Mehr Sicherheit in der Produktion" und "Nano in der Medizin" weisen viel eher auf kurz- bis mittelfristige oder langfristige Innovationspotenziale hin, die wirtschaftliche Vorteile für den Standort Deutschland auch unter Berücksichtigung einer nachhaltigen Entwicklung erwarten lassen.

Um das Innovationspotenzial am Standort Deutschland, der gegenwärtig im internationalen Wettbewerb eine gute Position besetzt, hinreichend nutzen zu können, sind zum einen Handlungsweisen zur Vermeidung sogenannter Show Stopper frühzeitig zu erörtern, d. h. Innovationshemmnisse, die (z. T. unerwartet) auftreten und im Extremfall zur Unverkäuflichkeit einer Entwicklung bzw. eines Produktes führen können. Zum anderen dürfte ein regelmäßiges und differenziertes Monitoring des ökonomischen Potenzials Trends und Möglichkeiten aufzeigen, die Investitions- und Förderentscheidungen erleichtern. Ferner bietet es sich an, neben dem prognostizierten Wirtschaftspotenzial Wirkungen der Nanotechnologie auf Arbeitsmärkte zu analysieren. Darüber hinaus könnten Klein- und Mittelständische Unternehmen (KMU) eher zu einem stetigen Innovationsmotor für das Vorantreiben der Nanotechnologie werden, wenn die öffentliche Förderung noch gezielter und über einen mittelfristigen Zeitraum erfolgte.

Die Nanotechnologie verspricht zudem in Verbindung mit Aspekten der Nachhaltigkeit Nutzen mit sich zu bringen. Diese sind allerdings weitgehend noch nicht untersucht. Des Weiteren sind Fragen z. B. nach der Recyclebarkeit von Produkten basierend auf Nanotechnologie und Umweltverträglichkeit von Herstellungsverfahren noch offen.

Die Medizin der Zukunft wird sich durch den Einsatz nanotechnologischer Entwicklungen und Produkte deutlich wahrnehmbar verändern. Neue Diagnose- und Therapieverfahren bieten vielfältige Chancen für den Patienten ebenso wie für das Gesundheitssystem in Deutschland. Die vielfältige Nutzung des Chancenpotenzials in der Medizin ließe sich durch eine gezielte Analyse des breiten Spektrums neuer medizinischer Anwendungsmöglichkeiten und der Präventivmedizin in anderen Ländern anregen. Die Frage nach einem näher spezifizierten Optimierungspotenzial für das Gesundheitswesen durch nanotechnologische Entwicklungen und Produkte ist noch offen. Ein denkbares Gefahrenpotenzial könnte in der möglichen Toxizität von Nanopartikeln liegen. Dieser möglichen Gefahr kann frühzeitig begegnet werden, indem gebührende Untersuchungsschritte (z. B. Screening) in einem frühen Stadium des Innovationsprozesses unternommen werden.

Einerseits ist eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz in Bezug auf die Nanotechnologie zu erwarten. Dies auch, da es bereits Produkte gibt, die auf explizite gesellschaftliche Zustimmung und Nachfrage treffen (z. B. umweltverträgliche Holzschutzmittel, kratzfeste Kunststoffscheiben, Lasersysteme in CD-Playern). Anderseits muss die Nanotechnologie als ein Ensemble von Innovationen betrachtet werden, das fundamentale Neuerungen hervorbringen wird und überraschende Anwendungsmöglichkeiten verspricht. Damit ist zunächst grundsätzlich offen, wie bzw. mit welchen wissenschaftlichen Methoden der gesellschaftliche Bedarf in Bezug auf Nanotechnologie antizipierend ermittelt werden kann. Eine Option, gesellschaftliche Bedarfe und Vorbehalte auszuloten, bietet sich mit der Erörterung nanotechnologischer Entwicklungen und Produkte im Rahmen zu entwickelnder gesellschaftlicher Szenarien zur Nanotechnologie an. Damit zu verbinden sind auch Überlegungen zu möglichen Konsequenzen für die Produktwelt.

Von Interesse in diesem Zusammenhang ist auch, wie Informationen zur Nanotechnologie für Laien aufzubereiten sind und wie sich Experten aus dem Bereich der Nanotechnologie daran beteiligen können. In welcher Weise können besonders fruchtbare Brückenschläge zwischen Experten und der Bevölkerung gelingen? Zur Förderung des Nutzens der Nanotechnologie für die Gesellschaft vermögen staatliche Organe auf vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten zurückgreifen. Viele Fragen nach den Wirkungen der Nanotechnologie in speziellen Politikbereichen (z. B. Umweltpolitik, Sicherheitspolitik oder Sozialpolitik) wie auch bezüglich Fragen der Ethik sind offen.

Ungeklärt sind gegenwärtig insbesondere langfristige Auswirkungen im sozialen Bereich, wobei zu berücksichtigen sein wird, dass sich Nanotechnologie im Konzert anderer Technologien (u. a. Informationstechnik und Biotechnologie) entfalten wird und nicht isoliert als separate Technologie.

Ausblick

Internationale Abkommen gegen einen möglichen Technologiemissbrauch und entsprechende Sicherheitsvorkehrungen könnten ein Teil internationaler Kooperationen zur Nanotechnologie sein. Ein absoluter Schutz vor Missbrauch oder falscher Anwendung einer bestimmten Technologie bzw. eines technischen Hilfsmittels wird selbst in industrialisierten Gesellschaften kaum zu erreichen sein. Damit stellt sich - wie immer wieder in Verbindung mit der Entwicklung neuer Technologien, zu denen die Nanotechnologie gegenwärtig gehört - die Kernfrage: Wie kann der (gewissenhafte und zivilisierte) Mensch die Nanotechnologie in einer sinnvollen Weise nutzen und gleichzeitig das Risiko, andere Menschen zu schädigen, so gering wie möglich halten? Auch eine Innovations- und Technikanalyse (ITA) wird wahrscheinlich in absehbarer Zeit keine allgemeingültige Antwort auf eine solche Fragen finden. Sie vermag aber dazu beizutragen, das Chancen- und Risikopotenzial der Nanotechnologie in einem möglichst breiten Kontext rechtzeitig zu thematisieren und - wo notwendig - frühzeitig Gestaltungsalternativen zu formulieren, zu erörtern und anzubieten. Ein erster, wie wir hoffen, konstruktiver Beitrag für die anstehenden Diskussionen und notwendigen vertiefenden Arbeiten sollte mit den Erträgen der ITA-Vorstudie geleistet sein.

Kontakt

Dr. Norbert Malanowski
VDI-Technologiezentrum
Abteilung Zukünftige Technologien
Graf-Recke-Str. 84, 40239 Düsseldorf
Tel.: +49 211 6214-516
E-Mail: malanowski∂vdi.de
  oder
Dr. Dr. Axel Zweck
VDI-Technologiezentrum
Abteilung Zukünftige Technologien
Graf-Recke-Str. 84, 40239 Düsseldorf
Tel.: +49 211 6214-572
E-Mail: zweck∂vdi.de
Internet: http://www.zukuenftigetechnologien.de

Die "Vorstudie für eine Innovations- und Technikanalyse Nanotechnologie" ist als Band 35 in der Reihe Zukünftige Technologien des VDI-TZ erschienen und kann schriftlich bei den angegebenen Kontaktadressen angefordert werden.