Von der Forschung zum Markt: Innovationsstrategien und Forschungspolitik in der Biotechnologie (Rezension)

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SUSANNE GIESECKE: Von der Forschung zum Markt: Innovationsstrategien und Forschungspolitik in der Biotechnologie, Berlin: edition sigma, 2001. 275 S. DM 39,--. ISBN 3-89404-483-7

Rezension von Gabriele Abels, Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Bielefeld

Sozialwissenschaftliche Technikforschung ist zum Teil Innovationsforschung. Damit geht eine Veränderung der Perspektive einher, denn ins Blickfeld rücken die Bedingungen der Induzierung und Förderung von technischen Innovationsprozessen. Eine bislang vorwiegend wirtschaftswissenschaftliche Forschungsperspektive betrachtet die Herausbildung nationaler Innovationssysteme (national systems of innovation, NSI) in Bezug auf die Innovationsfähigkeit von Staaten. Anders als bei "technology push"-Ansätzen sind für Innovationsprozesse neben wissenschaftlichen sowie technologischen vor allem wirtschaftliche, politische und soziale Institutionen entscheidend. Durch diese institutionentheoretische Perspektive werden NSI-Ansätze auch für politikwissenschaftliche Fragestellungen anschlussfähig. Die Dissertation von Susanne Giesecke setzt hier an und fragt nach den Faktoren, welche die Innovationsfähigkeit bestimmen und beeinflussen sowie nach den Möglichkeiten ihrer staatlichen Steuerung. Im Unterschied zu anderen NSI-Studien nimmt Giesecke eine technologie- und darauf aufbauende branchenspezifische Fokussierung vor. Sie argumentiert zu Recht, dass solche Spezifika berücksichtigt werden müssen, um Innovationsprozesse - und vor allem unterschiedliche Verläufe - erfassen und erklären zu können. Untersucht wird die pharmazeutische ("rote") Biotechnologie im deutsch-amerikanischen Vergleich.

Methodisch hat die Autorin ein komplexes Design in der Untersuchung und Darstellung entwickelt. Gestützt auf eine reichhaltige Dokumentenanalyse und 30 Experteninterviews untersucht sie die Bedingungen für Innovationsprozesse auf der Mikroebene einzelner exponierter Unternehmen der Biotech- und Pharmaindustrie, auf der Mesoebene von Branchen und Regionen sowie auf der Makroebene der Forschungspolitik in den USA und in Deutschland. Sie legt hierfür einen multikausalen Untersuchungs- und Erklärungsansatz zugrunde, der auf eine ex-ante-Definition von abhängigen und unabhängigen Variablen verzichtet. Statt dessen werden über den empirischen Vergleich heuristisch die interdependenten Faktoren herausgearbeitet und mit Bezug auf die Frage nach ihrer politischen Gestaltbarkeit bewertet.

Implizites Wissen als Innovationsfaktor Nr. 1

Giesecke breitet eingangs knapp und verständlich die zentralen Fragestellungen und Thesen der NSI-Forschung aus. Hier stehen sich Verfechter einer These der Pfadabhängigkeit von Innovationsprozessen denjenigen gegenüber, die einen "one best way" und somit einen Zwang zur Konvergenz unterstellen. Giesecke liegt daran, diese Pole zu vereinbaren, und sie argumentiert für eine "Partikularität in der Konvergenz" (13).

Die Partikularität ergibt sich aus der Technologie und ihrer spezifischen Entwicklungsdynamik, die Strukturbildungsprozesse prägt (Kap. 2). So sei die Biotechnologie nicht durch technik-, sondern wissensbasierte Innovationen gekennzeichnet (20ff.). "Tacit knowledge" sei die zentrale Quelle von Innovationen. Dieses implizite Wissen sei jedoch "organisations-, prozess- und personengebunden"; dass es nicht einfach transferierbar sei, habe gravierende Folgen für den Innovationsprozess. Hierin läge der Grund, warum räumliche Innovationscluster in der Biotechnologie eine wesentliche Erfolgsbedingung seien.

Diese Technologiespezifika hätten Folgen für die Struktur der ökonomischen Verwertbarkeit (Kap. 3). Die Autorin beschreibt die Branchenstruktur sowohl der biotechnologischen als auch der pharmazeutische Industrie in den USA und in Deutschland. Als zentrale Unterschiede werden die Struktur der branchenspezifischen Kapitalmärkte und die Bildung von strategischen Allianzen identifiziert. Letztere sei in einer Differenzierung nach Phasen insbesondere für die Konsolidierung von Start-ups entscheidend. Hier bilde sich eine Arbeitsteilung heraus zwischen Start-ups, die primär für Forschung und damit Wissensproduktion zuständig seien, und den pharmazeutischen Konzernen, welche die Produktentwicklung und -zulassung sowie die Vermarktung übernähmen. Die Autorin stellt hier typische Unternehmensstrategien und -entwicklungen vor: Neben nationalen Reaktionsmustern und branchenspezifischen Gemeinsamkeiten erweisen sich firmenspezifische Anpassungsstrategien als zentral. Durch die Untersuchung der Mikrofaktoren auf der Unternehmensebene begegnet Giesecke der in NSI-Ansätzen verbreiteten Tendenz, nationale Unterschiede überzuinterpretieren. Sie konstatiert, dass in den USA die branchenspezifische "Anbindungsstruktur" für biotechnologische Innovationsprozesse besser geeignet gewesen sei als in Deutschland. Hierzulande werde erst in jüngster Zeit versucht, den Entwicklungsrückstand durch eine "Amerikanisierungsstrategie" aufzuholen.

Standortvorteile: Zufälliges oder geplantes Resultat staatlicher Steuerung?

Die eher skeptische Beurteilung der Erfolgsaussichten dieser Catch-up-Strategie liegt nicht zuletzt auf der Makroebene unterschiedlicher nationaler Forschungspolitiken begründet (Kap. 5). In den USA habe staatliches Handeln die Innovationstätigkeit insgesamt unterstützt durch langfristig angelegte, zieloffene, flexible und nicht-interventionistische Strategien. Im Mittelpunkt dieses Modells des "gesteuerten Zufalls" (211) stehe ein plurales Institutionensetting - so sehr den National Institutes of Health in der medizinischen Forschung auch eine herausragende Rolle zukommen mag -, und die Entstehung neuer Kooperationsformen zwischen Universitäten, Industrie und Staat. Demgegenüber sei die deutsche Forschungspolitik seit den 1950er Jahren im Kern durch eine interventionistische Politik und primär monetäre Instrumente gekennzeichnet. Angesichts der "Interventionsresistenz" (192) der Adressaten gegenüber der staatlichen Politik (Forschungsinstitute, Großindustrie) sei diese Strategie zum Scheitern verurteilt.

Das Kernproblem von Innovationssystemen ist die Verbindung von Staat, Hochschulen und Industrie (Kap. 6). Die Biotechnologie sei, so Giesecke, ein "neues Paradigma für Industrieforschung, die ohne die universitäre Forschung nicht denkbar wäre" (216). Dies werde durch die verschwommene Grenze zwischen Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung noch verstärkt. Die Ausgründung von Start-ups aus den Universitäten und die Doppelfunktion als Hochschullehrer und Unternehmer sei das zentrale Instrument des Wissenstransfers und ein wesentlicher Grund für die Führungsrolle der USA.

Im Hinblick auf die Ausgangsfrage nach der Rolle des Staates folgert Giesecke abschließend (Kap. 7), dass dieser "nur die Bedingungen für die Möglichkeit der Innovationsfähigkeit" (247) schaffen könne. Staatliche Steuerungsfähigkeit bedeutet dann, "die Bedingungen für Lern- und Anbindungsprozesse zu schaffen, das Lernen politischer Institutionen mit eingeschlossen" (249). Damit folgt die Autorin, bei aller Skepsis, dem Credo eines "gemäßigten Steuerungsoptimismus" (Georg Simonis), wie es in der Technikforschung überwiegt.

Grenzen der Innovationsfähigkeit in der Biotechnologie

Giesecke trägt mit ihrer detail- und kenntnisreichen Studie dazu bei, die Entwicklung der "roten" Biotechnologie nicht allein aus der "politischen Ökonomie der Gentechnik" (Ulrich Dolata) zu erklären, sondern auch aus der Eigendynamik der Technik. Im Einzelfall zum Teil durchaus bekannte Phänomene wie die Bedeutung von Risikokapitial werden von ihr plausibel in einen komplexen Erklärungsansatz eingebaut. Für die Technikforschung ist von besonderem Interesse, dass sie auf die Notwendigkeit technikspezifischer Differenzierungen verweist, ohne einem Technikdeterminismus das Wort zu reden, und sie hierdurch NSI-Ansätze für die Technikforschung öffnet. Allerdings liegen hier m. E. auch zwei Schwachstellen der Arbeit. Giesecke betont die Bedeutung von Wissen für die Innovationstätigkeit in der Biotechnologie. Zu kurz kommen jedoch die Probleme, die sich aus der damit einhergehenden Kapitalisierung von Wissen und Kommodifizierung von Wissenschaft ergeben, die zu einer grundlegenden Transformation im Verhältnis von Wissenschaft, Industrie und Staat führen. Die derzeitige Entwicklung in der Humangenom- und Stammzellforschung liefert aktuelle und instruktive Beispiele dafür, wie durch die Orientierung auf potenziell ökonomisch verwertbare Forschung (Stichwort Patente) die Wissensproduktion selbst beeinflusst wird.

Des Weiteren kritisiert Giesecke den klassischen Innovationsbegriff nach Schumpeter als zu eng; sie verweist nachdrücklich auf die Bedeutung nichtökonomischer Faktoren sowie politischer und sozialer Institutionen für die "Integration [von Innovationen] in den Wirtschaftskreislauf und deren Verstetigung als ökonomisches und marktfähiges Produkt" (236). Doch der Blick auf diese anderen, "weichen" Faktoren bleibt m. E. selbst wiederum begrenzt. Denn gerade in der Biotechnologie sind die Probleme der Rekontextualisierung von Anfang an erheblich und für ihren Markterfolg mitentscheidend gewesen. Dies ist, wie die Debatte um gentechnisch veränderte Lebensmittel zeigt, in der "grünen" Biotechnologie sicherlich ausgeprägter als in der "roten": Gentechnologische Medikamente genießen bislang eine hohe Akzeptanz. Gleichwohl verweisen die aktuellen Diskussionen über Biomedizin darauf, dass in diesem Anwendungsbereich "Akzeptanzprobleme" der "Konsumenten" nicht auszuschließen sind. Auch hinsichtlich ihrer Fähigkeit, Innovationsprozesse sozial- und demokratieverträglich zu gestalten, sind staatliche Akteure ebenso gefragt wie Wissenschaft und Industrie. Denn Innovationsprozesse sind erst dann abgeschlossen, wenn die Invention nicht nur erfolgreich und verstetigt in ökonomische, sondern auch in soziale Praktiken umgesetzt wird.