Klärschlammentsorgung in Europa (Tagungsbericht)

Veranstaltungen

Klärschlammentsorgung in Europa

Essen, 29.-30. August 2001

Tagungsbericht von Andreas Arlt, ITAS

Seit der "BSE-Krise" befindet sich auch die landwirtschaftliche Klärschlammentsorgung wieder stark in der öffentlichen und fachlichen Diskussion. Dabei stehen dem mit einer landwirtschaftlichen Verwertung des Klärschlamms bezweckten Ressourcenschutz und der Kreislaufführung von Nährstoffen Risiken für den Naturhaushalt, insbesondere für den Boden und das Grundwasser, gegenüber, die von den im Klärschlamm enthaltenen anorganischen und organischen Schadstoffen herrühren und deren Wirkmechanismen im Naturhaushalt weitgehend unbekannt sind.

Nordrhein-Westfalen hat die Klärschlammwirtschaft umfassend analysiert und eine ökobilanzierende Bewertung aller in NRW praktizierten Klärschlammentsorgungsverfahren vom Institut für Energie und Umwelt (IFEU), Heidelberg, durchführen lassen. Ausschlaggebend hierfür war die Erkenntnis, dass sich im Klärschlamm Nordrhein-Westfalens eine nahezu gleich große Schadstofffracht befindet wie im Siedlungsabfall des Landes.

Vor diesem Hintergrund veranstaltete das nordrhein-westfälische Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gemeinsam mit dem Umweltbundesamt den Kongress "Klärschlammentsorgung in Europa", auf dem auf folgende Fragen Antworten gesucht wurden: 

Vorsorgeorientierter Schutz landwirtschaftlicher Böden

Das Umweltbundesamt (UBA) hat Mitte dieses Jahres eine eindeutige Position zur stofflichen Verwertung von Klärschlamm auf landwirtschaftlichen Flächen bezogen. In der fachlichen Stellungnahme "Grundsätze und Maßnahmen für eine vorsorgeorientierte Begrenzung von Schadstoffeinträgen in landwirtschaftlich genutzte Böden" von Prof. Dr. Andreas Troge, Präsident des UBA, und Dr. Claus Bannick wird Klärschlamm eingeordnet in alle anderen bewirtschaftungsbedingten Stoffeinträge in das Umweltmedium "Boden", dessen vorsorgender Schutz in Art. 20a GG verankert ist und für dessen Schutz fachliche Maßstäbe im Bundesbodenschutzgesetz (1998) und der Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung (1999) gesetzlich festgelegt worden sind. Demnach haben alle Stoffeinträge in den Boden unabhängig davon, ob diese aus Wirtschaftsdüngern (Gülle), Mineraldüngern (u. a. Thomas-Phosphat), Bioabfallkomposten oder Klärschlamm stammen, dem vorsorgenden Bodenschutz zu genügen. Von vorsorgendem Bodenschutz kann gesprochen werden, wenn folgenden Handlungsoptionen genügt wird: 

Diese Anforderungen an den Bodenschutz ziehen zwingend nach sich, dass für Materialien, die heute zur Düngung eingesetzt werden und die bislang keiner gesetzlichen Regelung hinsichtlich ihrer Schadstoffgehalte unterliegen (Wirtschafts-, Mineraldünger), gleiche Maßstäbe wie für Bioabfall oder Klärschlamm angesetzt und Grenzwerte analog festgelegt werden.

Ökobilanzielle Betrachtung der Klärschlammentsorgung

Nordrhein-Westfalen versucht die Abfallwirtschaft und somit auch die Klärschlammentsorgung an der geltenden Abfallgesetzgebung (KrW-/AbfG) auszurichten, auch wenn Klärschlamm dem KrW-/AbfG nicht unterliegt. (Hierfür wäre eine Novelle des KrW-/AbfG und der Klärschlammverordnung erforderlich, die von NRW angestrebt wird.) Nach KrW-/AbfG genießt die Verwertung vor der Beseitigung Vorrang, jedoch entfällt nach §5 Absatz 5 KrW-/AbfG der Vorrang der Verwertung vor der Beseitigung, wenn die Beseitigung die umweltverträglichere Lösung darstellt. Die Ergebnisse der vom IFEU-Institut Heidelberg durchgeführten Untersuchung hinsichtlich der Frage, welche der Verwertungsmöglichkeiten - stoffliche Verwertung oder energetische Beseitigung - als ökologisch vorteilhafter zu bewerten ist, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Der Landschaftsbau schneidet von allen Entsorgungsvarianten am schlechtesten ab. Hierfür verantwortlich ist im Wesentlichen der hohe Schadstoffeintrag in den Boden, zumal für Rekultivierungsflächen die Klärschlammverordnung nicht greift und somit die Gehalte an Schadstoffen deutlich über den Werten der Klärschlammverordnung liegen können. Außerdem kann beim Landbau keine ökologische Gutschrift für die Substitution von Düngemitteln angesetzt werden. Dieser Entsorgungsweg sollte deswegen nicht länger beschritten werden.

Die landwirtschaftliche Verwertung bringt ebenfalls den Nachteil des Schadstoffeintrags in den Boden mit sich, auch wenn hier die Klärschlammverordnung greift und folglich die maximalen Eintragsfrachten festgelegt sind. Außerdem kann eine ökologische Gutschrift für die Substitution von Mineraldüngern angesetzt werden. Diese wirken sich im Ergebnis jedoch nur durch die Schonung des weltweit begrenzt verfügbaren Phosphaterzes aus. Somit überwiegt gegenüber der Verbrennung der Eintrag von Schadstoffen in den Boden, was zu dem Schluss führen muss, dass landwirtschaftlich nur noch Schlämme mit hohem Nährstoffgehalt (Phosphat) und niedrigem Schadstoffgehalt verwertet werden sollten.

Die Verbrennungsverfahren schneiden gegenüber den stofflichen Verwertungsverfahren durchgehend besser ab. Dabei zeigt die Co-Verbrennung in Kohlekraftwerken wegen der damit verbundenen hohen Quecksilberemissionen erhebliche Nachteile auf. Die flüchtigen Quecksilberverbindungen können nämlich aufgrund der fehlenden Abgasreinigungstechnik (Genehmigung nach 13. BImSchV) im Kohlekraftwerk nicht zurückgehalten werden. Aufgrund der für den Betreiber des Kraftwerks und für den Klärschlammbesitzer günstigen ökonomischen Bedingungen verzeichnet diese Entsorgungsvariante jedoch große Zuwächse.

Eindeutig am günstigsten schneidet unter ökologischen Gesichtspunkten die Beseitigung von Klärschlämmen in Monoverbrennungsanlagen und Müllverbrennungsanlagen (MVA) ab. Der Grund hierfür liegt in den hohen Anforderungen an die Abgasreinigung für derartige Anlagen (Genehmigung nach 17. BImSchV) und die dadurch ermöglichte Rückhaltung der toxischen Verbindungen, insbesondere Quecksilber. Mit Blick auf die Nutzung des energetischen Potenzials des Klärschlamms zeigen sich bei Monoverbrennungsanlagen und MVA jedoch Nachteile, da diese Anlagen nicht hinsichtlich des Wirkungsgrades optimiert sind, wie z. B. Kohlekraftwerke, und keine Abwärme zur Vortrocknung genutzt werden kann, sondern hierfür ein Teil des Heizwerts des Primärbrennstoffs verwendet werden muss.

Eine große Bedeutung innerhalb der ökobilanziellen Betrachtung spielt auch die Frage, in welcher Form (nass, entwässert, trocken) und über welche Distanzen der Klärschlamm bis zum Ort der Verwertung oder Beseitigung transportiert wird. Die ökologische Bewertung hat gezeigt, dass kein Verwertungs- oder Entsorgungsweg einen übermäßig weiten Transportweg rechtfertigt, - außer der Transport erfolgte auf der Schiene. Für entwässerten Schlamm sollte die Distanz auf der Straße auf maximal 100 km begrenzt bleiben, für Nassschlamm sogar auf 30 km.

Landesweite Erhebung der Schadstoffe im Klärschlamm

Das Landesumweltamt NRW untersucht in einer landesweiten Erhebung, die von Juni 2001 bis April 2002 durchgeführt wird, die Belastung der Klärschlämme mit vor allem organischen Schadstoffen, um herauszufinden, ob die Klärschlämme aus NRW prinzipiell in der Landwirtschaft verwertet werden dürfen, von welchen Frachten der einzelnen organischen Verbindungen auszugehen ist und ob z. B. eine Abhängigkeit der Belastung des Klärschlamms von der Kläranlagengröße gegeben ist. Innerhalb der Untersuchung werden alle Kläranlagen der Größenklasse 5 (> 100.000 EW) berücksichtigt sowie 92 Anlagen der anderen Größenklassen, die repräsentativ ausgewählt worden sind. Flächendeckend analysiert werden neben den Nährstoffgehalten und Schwermetallen ein Großteil der im Klärschlamm erwarteten 300 ökologisch relevanten, organischen Verbindungen, darunter PAK, Phthalate, Dioxine, Furane, Alkylbenzosulfonate, Nonylphenole, Polychlorierte Biphenyle, Chlorbenzole, Organozinnverbindungen, Chlorphenole, Mineralölkohlenwasserstoffe und Pflanzenschutzrückstände u. a. von Lindan und DDT.

Erste Ergebnisse haben gezeigt, dass sich nur bei einigen Stoffen eine Abhängigkeit der Konzentration im Klärschlamm von der Kläranlagengröße nachweisen lässt, wie z. B. bei den linearen Alkylbenzosulfonaten, jedoch nicht bei Stoffklassen wie den PAK. Sollten die Untersuchungen letztlich zu dem Ergebnis führen, dass auch in den Klärschlämmen kleiner Kläranlagen, die meist in ländlich strukturierten Gebieten liegen, ein erheblicher Anteil an toxikologisch relevanten, organischen Verbindungen zu finden sind, so würde dies nicht nur für eine Verschärfung der bestehenden Grenzwerte und Erweiterung der Klärschlammverordnung um Grenzwerte für organische Verbindungen sprechen, sondern auch gegen eine stoffliche Verwertung von Klärschlämmen aus dem ländlichen Raum in der Landwirtschaft.

Rückführung von Phosphor in den Stoffkreislauf

Mit der Frage, wie sich aus dem Klärschlamm der als Mangelressource geltende Phosphor rückgewinnen und in den Stoffkreislauf zurückführen lässt, ohne dabei den gesamten Klärschlamm auf die Felder ausbringen zu müssen, befasste sich Prof. Dohmann der RWTH Aachen. Die (theoretisch) möglichen Verfahren zur Phosphorrückgewinnung lassen sich in Verfahren einteilen, die 

Eine getrennte Erfassung von phosphathaltigen Teilen des Abwassers (Urin) scheint aufgrund der hierfür erforderlichen Neugestaltung des Kanalnetzes und der Abwasseranlagen aus Kostengründen unrealistisch. Die Rückgewinnung des Phosphors aus Aschen und Schlacken der Monoverbrennungsanlagen wird aus ökonomischen Gründen ebenfalls als unrealistisch eingestuft, zumal die Monoverbrennung aufgrund der Konkurrenz zur Co-Verbrennung in Kohlenkraftwerken nicht an Bedeutung gewinnen wird.

Somit erweisen sich die Verfahren, die auf die getrennte Gewinnung von Phosphorsalzen während des Klärprozesses abzielen, als am Erfolg versprechendsten. Diese lassen sich auch am leichtesten in die bestehende Anlagentechnik implementieren, da in der tertiären Stufe des Klärprozesses (der chemischen Stufe) die Phosphorelimination vorwiegend durch Fällreaktionen und nicht durch biologische Verfahren erfolgt. In teilweise realisierten Anlagenkonzepten wird entweder ein Teilstrom des Abwassers - nach der mechanischen und biologischen Reinigung - separat behandelt und daraus Phosphor zurückgewonnen. Gleichsam kann Phosphat auch aus dem separat abgezogenen Tertiärschlamm zurückgewonnen werden. In Pilotanlagen wurden Rückgewinnungsraten von bis zu 70 % der Phosphorfracht in die Kläranlage erzielt. Trotz dieser ersten, erfolgsversprechenden Ergebnisse besteht im Bereich der Phosphorrückgewinnung aus dem Abwasser noch ein erheblicher F&E-Bedarf.

Klärschlammentsorgung aus Sicht der Verbände und Kommunen

In NRW operieren, wie in keinem anderen Bundesland, große und einflussreiche Wasserverbände (Ruhr-Verband, Emscher Genossenschaft, Niers-Verband, Lippe-Verband, u. a.), die einen Großteil der Kläranlagen betreiben. Auch wenn die Vertreter der Verbände die zu erwartende Kostensteigerung bei einer ausschließlichen thermischen Entsorgung des Klärschlamms kritisieren, die nach Schätzungen bei ca. 0,1 DM/m3 behandeltem Abwassers liegen dürfte, stehen sie einer politisch gewollten, stärker am Grundsatz der Vorsorge orientierten Klärschlammwirtschaft prinzipiell aufgeschlossen gegenüber. Eingefordert wird jedoch seitens der Verbände eine langfristige Planungs- und damit Investitionssicherheit. Eine strenge und ehrgeizige, aber langfristig planbare, politische Zielvorgabe in Form von z. B. deutlich verschärften Grenzwerten der Klärschlammverordnung wird einem ständigen Nachbessern der politischen Rahmenbedingungen vorgezogen. Als positives Beispiel hierfür wäre in diesem Zusammenhang die von der EU über Jahre festgelegte und damit planbare Verschärfung der Abgasemissionswerte im Kraftfahrzeugverkehr zu nennen.

Klärschlammentsorgung in der EU

Im Gegensatz zu der zunehmend kritischen Bewertung der stofflichen Klärschlammverwertung in Deutschland (vgl. NRW, Bayern, Baden-Württemberg) besitzt die stoffliche Klärschlammverwertung auf EU-Ebene noch einen erheblichen Stellenwert. Insbesondere die südlichen Länder wollen auch weiterhin Klärschlamm, bedingt durch die klimatischen Bedingungen, als Humuslieferant und Bodenstrukturverbesserer einsetzen. So könnte nach Schätzungen der in Portugal anfallende Klärschlamm und Bioabfallkompost gerade die durch Erosion verursachten Humusverluste ausgleichen und somit einer Verkarstung der Böden vorbeugen. Im Gegensatz hierzu steht z. B. Holland, das sich so strenge Grenzwerte für die Aufbringung von Klärschlamm auf landwirtschaftliche Böden vorgegeben hat, dass eine stoffliche Verwertung faktisch nicht möglich ist und der Klärschlamm energetisch beseitigt werden muss. In Holland existieren darüber hinaus auch Grenzwerte für Wirtschaftsdünger.

Fazit

Die stoffliche Verwertung von Klärschlamm in der Landwirtschaft wird in ländlich strukturierten Gebieten in Deutschland auch noch über Jahre hinweg einen bedeutenden Entsorgungsweg darstellen. Es ist jedoch unter Vorsorgegesichtspunkten geboten - was die ökobilanzielle Betrachtung der Klärschlammentsorgung und die ersten Ergebnisse der landesweiten Erhebung zu den organischen Schadstoffen im Klärschlamm in NRW gezeigt haben - Klärschlämme zunehmend thermisch zu entsorgen. Dies sollte idealerweise in Anlagen erfolgen, die der 17. BImSchV genügen. Da die Kapazitäten dieser Anlagen nicht für die vorhandene Klärschlammmenge ausreichen, muss über eine Nachbesserung der Abgasreinigung der Kohlekraftwerke nachgedacht werden, die größere Mengen an Klärschlamm mitverbrennen, um einem erneuten Anstieg der Quecksilberhintergrundsbelastung in Deutschland vorzubeugen.

Kontakt

Andreas Arlt
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Postfach 3640, 76021 Karlsruhe