Methodische Ansätze zur Analyse und Auswertung betrieblicher und produktbezogener Stoffstromsysteme

Schwerpunktthema - Stoffstromanalysen

Methodische Ansätze zur Analyse und Auswertung betrieblicher und produktbezogener Stoffstromsysteme

von Mario Schmidt, Hochschule für Gestaltung, Technik und Wirtschaft, Pforzheim

Betriebliche Umweltbilanzen, Ökoeffizienz-Analysen, Ökobilanzen, Life Cycle Assessment, Materialflussanalysen, Stoffstrommanagement - was in der Praxis viele Namen hat, läuft methodisch auf das Gleiche hinaus: die Abbildung und das Verständnis von realen Stoff- und Energieflusssystemen. Was sind deren Auswirkungen auf die Umwelt? Welche wirtschaftliche Bedeutung haben sie? Wie, an welcher Stelle und zu welchem Zweck können sie beeinflusst werden? Der Beitrag geht auf die methodischen Aspekte ein, die bei der Stoffstromanalyse im Vordergrund stehen. Sie entscheiden darüber, welche Parallelen bzw. welche Unterschiede bei den verschiedenen Verfahren bestehen. Diese methodische Abgrenzung hilft u. a. bei der problemadäquaten Auswahl der Arbeitsinstrumente für die Praxis.

1     Einführung

Knapp ein Jahrzehnt, nachdem die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Schutz des Menschen und der Umwelt" sich ausführlich mit dem Umgang von Stoff- und Materialströmen beschäftigt hat (Enquete-Kommission 1993), gewinnen die Stoffstromanalysen in den Betrieben an Bedeutung. Um es vorweg zu sagen: Noch werden solche Instrumente eher zaghaft eingesetzt und ihre Bedeutung in der Praxis könnte gewiss größer sein.

Unübersehbar ist aber der Einfluss der europäischen EMAS- oder Öko-Audit-Verordnung, mit der in Unternehmen Umweltmanagementsysteme eingeführt werden und eine gewisse innerbetriebliche Transparenz an umweltrelevanten Stoff- und Materialströmen verlangt wird. Dazu kommt die Fertigstellung des Normengebäudes zum Life Cycle Assessment mit den internationalen Standards ISO 14.040 ff. Viele Praxisbeispiele stammen deshalb aus großen Unternehmen, die sich mit solchen Themen intensiv befasst haben. Kleine und mittlere Unternehmen tun sich dagegen noch schwer und scheuen den Aufwand von Stoffstromanalysen.

Hier setzen zahlreiche Veranstaltungen in der letzten Zeit an (z. B. LfU 2000, DECHEMA 2002, IAO 2002): Wie öffnet man das Thema für einen breiteren Anwenderkreis? Wie vermittelt man, welche Methoden und Instrumente für welche Zwecke in der Praxis geeignet sind?

An sich ist die Stoffstromanalyse ein "alter Hut" und innerhalb der Naturwissenschaften mit einfachen Erhaltungssätzen, Bilanzgleichungen und entsprechendem mathematischen Rüstzeug leicht zu formulieren: Die heutige Herausforderung besteht jedoch in der Forderung nach Praxisbezug und der interdisziplinären Anwendbarkeit. Die für solche Analysen erforderlichen Instrumente sind interessante Kombinationen aus natur- und ingenieurswissenschaftlichen sowie betriebswirtschaftlichen Methoden. Es fließen gleichermaßen Ansätze aus der Technik, den Umweltwissenschaften und der betriebswirtschaftlichen Kosten- oder Produktionstheorie ein - entsprechend dem Erkenntnisinteresse in der Praxis, das sich eben nicht nur auf naturwissenschaftliche Sachverhalte beschränkt.

Und so verwundert es kaum, dass in den Stoffstromanalysen und Methoden des Life Cycle Assessments u. a. Verfahren auftauchen, die in der Betriebswirtschaftslehre als Koopmansquot;sche Aktivitätsanalyse oder als Leontief-Modell seit vielen Jahrzehnten bekannt sind.

2     Zielsetzung im betrieblichen Kontext

Ein Unternehmen interessiert sich in diesem Zusammenhang für verschiedene Aspekte. Zum einen geht es um die Erfüllung gesellschaftlicher und insbesondere gesetzlicher Anforderungen. Zum anderen strebt ein Unternehmen im Rahmen seiner Tätigkeiten optimales Wirtschaften an, und schließlich sucht es Erfolgspotenziale zur Sicherung der Unternehmenszukunft.

Von gesellschaftlicher Seite her wird von den Unternehmen eine angemessene Berücksichtigung des Umweltthemas verlangt. Dies schlägt sich z. B. in einer Umweltberichterstattung nieder, in der gegenüber der Öffentlichkeit klar dokumentiert wird, wie sich das Unternehmen für den Umweltschutz engagiert. In Umweltberichten und -erklärungen werden inzwischen - zumindest in Deutschland - absolute Angaben über den Ressourcenverbrauch und die Emissionen des Unternehmens in einem Geschäftsjahr gemacht. Sie sind häufig Grundlage für selbst gesteckte Ziele und einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess quasi unter öffentlicher Aufsicht. Das Unternehmen erwartet dadurch natürlich einen Imagegewinn und setzt ein öffentliches Interesse für dieses Thema voraus, ggf. indirekt, etwa über die Berücksichtigung in Ratings und Rankings von börsennotierten Unternehmen.

Im Umweltrecht stand lange Zeit (und teilweise auch heute noch) die Gefahrenabwehr im Vordergrund und damit speziell die Vermeidung hoher Schadstoffbelastungen in den Umweltmedien. Folgerichtig orientierten sich rechtliche Regelungen und Grenzwerte an den Konzentrationswerten problematischer Stoffeinleitungen in die Umwelt. Das Auftreten von Stoff- und Materialströmen als "Massenphänomen" und die daraus folgenden Umweltprobleme werden vom Umweltrecht dagegen kaum berücksichtigt. Deshalb hat das Umweltrecht und seine Einhaltung derzeit keine sonderliche Bedeutung für ein Stoffstrommanagement. Von verschiedener Seite wird neuerdings die Weiterentwicklung zu einem Stoffstromrecht gefordert (Brand und Röckeisen 2000, Führ 2000).

Die Frage nach dem optimalen Wirtschaften ist die Domäne der betriebswirtschaftlichen Disziplinen. Ihre Analysen erfolgen typischerweise in dem monetären Wertsystem, durch Analyse der Erlöse und der Kosten und der Suche nach Einsparpotenzialen. Was nicht als kostenrelevant erscheint, fällt durch das Wahrnehmungsraster durch. Dazu gehören oft genug Stoffe und Materialien, die ökologisch als wichtig eingestuft werden müssen. Aber auch sonst: Die Stoff- und Materialströme haben in Zeiten der Rationalisierung gegenüber anderen Kostenanteilen wie z. B. den der Personalkosten eher geringe Bedeutung - zu Unrecht, wie jüngere Untersuchungen zeigen und in den Materialkosten deutliche Einsparpotenziale nachweisen. Etwa 1-3 % der Herstellkosten können in produzierenden Unternehmen eingespart werden (LfU 1999).

Die Suche nach zukünftigen Erfolgspotenzialen ist schließlich eng mit der Frage nach der Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen und ihrem Erfolg am Markt verknüpft. Bereits in der Produktplanung müssen ökologische Aspekte aufgegriffen werden. Im Vordergrund steht dabei - insbesondere in Zeiten geringer Fertigungstiefe - die Wirkung eines Produktes über den gesamten "Lebensweg" und die Auswirkungen auf die verschiedenen Umweltmedien.

3     Die Wahl des Modellansatzes

So vielfältig wie die Gründe für die Durchführung solcher Analysen sind, so verschieden können auch die Methoden und Instrumente sein.

Am einfachsten ist es, ein Unternehmen als Black Box zu betrachten, die Input- und die Outputströme zu erfassen, zu errechnen oder abzuschätzen und in geeigneter Gliederung als Umweltbilanz, d. h. als physische Bilanz von Stoffen, Materialien und Energien, auszuweisen. Die wesentliche Arbeit besteht dann in der Datenrecherche und -gliederung, z. B. mit einem Ökokontorahmen. Dieses Vorgehen reicht aus, um den Berichtspflichten etwa im Rahmen einer Umwelterklärung nachzukommen, und in der zeitlichen Fortschreibung Veränderungen oder Verbesserungen nachzuweisen. Es ist ein deskriptiver Modellansatz, der keinen Anspruch erhebt zu erklären, warum die Zahlen so ausfallen oder welche Änderungen eine bestimmte Maßnahme nach sich zieht.

Die Frage nach den Ursachen der Stoffströme führt zu präskriptiven Modellen, in denen die Produktionsstruktur und die Prozesse in ihrer Funktion analysiert und bekannt sind: Aus einer Black Box wird sozusagen eine White Box (vgl. Abb. 1). Damit wird deutlich, wo im Unternehmen, bei welchen Prozessen und warum die Stoffströme auftreten. Dies ermöglicht den Modelleingriff im Sinne von "Was-wäre-Wenn"-Annahmen, Szenarienbildung und Prognosen.

Abb. 1: Von der Black Box zur White Box: Detaillierung der Stoffströme und der Prozesse im Unternehmen

Abb. 1: Von der Black Box zur White Box: Detaillierung der Stoffströme und der Prozesse im Unternehmen

Noch einen Schritt weiter ginge man, wenn nicht nur die Ursachen geklärt werden, sondern mittels mathematischer Algorithmen auch Optimierungen vorgenommen werden. Unter verschiedenen Handlungsoptionen wird dann die optimale Lösung gesucht. Solche Entscheidungsmodelle werden zunehmend eingesetzt, etwa wenn staatliche Auflagen kostenminimierend eingehalten werden sollen wie z. B. beim Recycling von Elektronikschrott (Spengler et al. 2002).

4     Mengenebene als Erfassungsbasis

Wenn es innerhalb der Stoffstromanalysen eine Gemeinsamkeit gibt, dann ist es das Maßsystem, in dem bilanziert wird: Üblicherweise werden die Stoff-, Material- und Energiemengen in physischen Einheiten erfasst, also in kg, t, kJ oder kWh.

Was für den Ingenieur oder Techniker selbstverständlich ist, bleibt im betrieblichen Alltag, z. B. im Einkauf oder Vertrieb, oft die Ausnahme. Da wird die Menge gleich auf der Wertebene in Euro oder Dollar bilanziert. Manchmal sind noch Angaben in nicht eindeutigen Einheiten (Stück, Fässer, Gebinde...) verfügbar.

Die monetäre Maßeinheit spiegelt die Bedeutung der Stoffströme für die unternehmerische Tätigkeit wieder: Es sind meistens rein ökonomische Aspekte, die im Rechnungswesen oder Controlling den Ausschlag für ihre Erfassung und Bilanzierung geben. Es kostet an dieser Stelle viel Mühe, Betriebswirte - und erst recht im Einkauf - davon zu überzeugen, dass nicht die Wertebene, sondern die Mengenebene die fundamentalere ist. Will man neben einer monetären Bewertung jedoch auch eine ökologische vornehmen, so ist die genaue physische Mengenerfassung unerlässlich, da ein (i. d. R. naturwissenschaftlicher) Zusammenhang zu der Wirkung der Stoffströme in ökologischen Systemen etc. hergestellt werden muss.

Die Bewertung entscheidet auch darüber, welche Stoffe, Materialien und Energien im Unternehmen überhaupt erfasst und bilanziert werden. Die Materialtaxonomie ist eine andere, wenn ausschließlich Kostengesichtspunkte maßgeblich sind, als wenn ökologische Gesichtspunkte im Vordergrund stehen. Dies führt im betrieblichen Alltag dazu, dass die gängigen ERP-Systeme im Unternehmen zwar Auskunft über den kostenrelevanten Materialumsatz geben, nicht aber über die ökologisch relevanten Stoffe. In Produktionsplanungs- und Steuerungssystemen (PPS) werden meistens die Betriebs- und Hilfsstoffe nicht mitgeführt, obwohl sie unter Umweltaspekten besonders interessant sind, von den Emissionen ganz zu schweigen.

Deshalb ist es auch so schwer, ökologische Stoffstromanalysen auf bestehende ERP-Konzepte aufzusetzen: Die erforderlichen Informationen sind im System nicht oder unvollständig vorhanden und müssen umfangreich nacherhoben und geschätzt werden. Für den Dauerbetrieb müsste die Materialtaxonomie eines ERP-Systems erweitert werden, was zu einem Aufblähen des Systems führen kann (Möller 2000, 273) und den eigentlichen Einsatzzweck des ERP-Systems möglicherweise behindert.

Diese frühzeitige - rein ökonomische - Bewertung von Stoffen oder Materialien ist ein wesentlicher Grund für die Nichtbeachtung ökologisch relevanter Stoffströme in Unternehmen und spiegelt das Dilemma (kosten-) freier Umweltressourcen und Emissionen wider. Es wäre deshalb wünschenswert, die Auswahl der erfassten Stoffe und Materialien im Unternehmen von mehreren Wertsystemen - technischen, sozialen, ökologischen oder ökonomischen - abhängig zu machen, ihre Quantifizierung auf der physischen Mengenebene vorzunehmen und darauf eine oder mehrere Bewertungen - sei es eine monetäre oder eine ökologische - anzuwenden.

5     Bilanzbezug und Bilanzraum

Betrachtet man ein großes Stoffstromsystem mit mehreren Subsystemen oder Kompartimenten (z. B. mit verschiedenen Betrieben, Herstellungsprozessen etc.), so stellt sich die Frage, wie in diesem System bilanziert werden soll, welche Bilanzgrenzen zu wählen sind.

Dass überhaupt Bilanzgrenzen zu wählen sind, ist unerlässlich und liegt darin begründet, dass in der Realität jeder Herstellungsprozess und jedes Produkt letztendlich mit dem Gesamtsystem - der Weltwirtschaft - verbunden ist, wenngleich nur mit geringen Kopplungsstärken. Berücksichtigte man bei einem Produktionsprozess auch die Herstellung aller erforderlichen Hilfs- und Betriebsstoffe, ferner alle eingesetzten Betriebsmittel und dann wiederum die dort eingesetzten Mittel usw., so müsste man das Weltmodell abbilden, quasi in einer Art Fraktal mit immer geringer werdenden Mengen, aber praktisch unendlich groß (vgl. Hilty u. Schmidt 1997).

Was auf der monetären Wertebene noch lösbar wäre (nämlich über den Marktpreis), bleibt für die ökologische Bewertung weitgehend offen: Was sind die "ökologischen Rucksäcke" von Stoffen und Materialien, die in das System eingehen? Welche ökologischen Schäden verursacht ein scheinbar nebensächlicher Stoffstrom direkt und indirekt an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit? Hier kann nur von Einzelfall zu Einzelfall Erfahrungswissen weiterhelfen, das zu akzeptablen Abschneidekriterien für den Bilanzraum führt.

Relativ frei von diesen Fragen ist man, wenn nur eine Input-Output-Bilanz eines Betriebes - eine so genannte Gate-to-Gate-Bilanz - erstellt wird; oder die Umweltbilanz eines Unternehmens oder Konzerns, die einen oder mehrere Produktionsstandorte umfasst (vgl. Abb. 2).

Abb. 2: Mögliche Grenzziehung bei der Bilanzierung eines Stoffstromsystems*
* Vom einzelnen Herstellungsprozess über den Standort, das Unternehmen oder längs der Wertschöpfungskette von der Rohstoffentnahme ("Wiege") bis zur Abfalldeponierung ("Bahre").

Abb. 2: Mögliche Grenzziehung bei der Bilanzierung eines Stoffstromsystems*

Durch sinkende Fertigungstiefe ist die Aussagekraft solcher Bilanzen freilich begrenzt; die ökologische Relevanz wird erst deutlich, wenn mindestens bis zur Rohstoffentnahme aus der Umwelt - also bis zur Wiege - bilanziert wird. Dies wird sofort einsichtig, wenn man sich ein Unternehmen vorstellt, das bislang eine eigene (fossile) Stromerzeugung hatte und nun auf externe Stromlieferung aus dem Kohlekraftwerk nebenan umstellt. Der Strom kommt aus der Steckdose, der Rohstoffverbrauch fällt trotzdem an, die Emissionen entstehen woanders - aber die Ursache bleibt die gleiche: die Unternehmenstätigkeit.

Das Life Cycle Assessment (LCA) - auf deutsch Ökobilanz - bilanziert über den gesamten Lebensweg eines Produktes, von der Wiege - also der Rohstoffentnahme aus der Umwelt - bis zur Bahre - bis zum Eintrag von Schadstoffen und Abfällen in die Umwelt. Hier werden die Bilanzgrenzen i. d. R. überbetrieblich gezogen: Lieferanten, Stromerzeuger, Nutzer oder Kunden und Entsorger müssen berücksichtigt werden. Der Vorteil ist, dass sektorale Verlagerungen von Umweltproblemen, etwa von der Nutzungs- zur Herstellungsphase eines Produktes, erkannt werden können. Außerdem werden Belastungsverlagerungen zwischen verschiedenen Umweltmedien deutlich, also die Frage, ob eine Luftreinhaltemaßnahme mit einem größeren Abfall- oder Abwasserproblem erkauft wird.

Der wesentliche Unterschied zwischen betrieblicher Umweltbilanz und produktbezogenem LCA liegt in dem Bilanzbezug: Betriebliche Bilanzen erfassen die absoluten Stoffstrommengen einer Zeitperiode (meistens eines Geschäftsjahres). Neben den Input- und Outputströmen sind hier noch die Bestandsänderungen in dem System von Bedeutung. Diese absoluten Werte geben einen Hinweis auf die tatsächliche (ökologische) Bedeutung der wirtschaftlichen Tätigkeit am Standort.

Will man die Stoffströme auf die Leistung des Unternehmens, beispielsweise auf die Produktmenge beziehen, so findet man sich fast zwangsläufig in der Welt des LCA wieder. Die ermittelten Werte für die Umwelteinwirkungen werden von Raum und Zeit ihres tatsächlichen Auftretens abstrahiert, da über eine ganze Wertschöpfungskette bilanziert wird. Häufig redet man deshalb von Umweltwirkungspotenzialen. Dafür lassen sich hier nun produktbezogene Vergleiche hinsichtlich der Produktivität oder (Öko-) Effizienz anstellen. Im LCA werden die Stoff- und Energieströme stückbezogen bilanziert, in der LCA-Sprache redet man von der funktionellen Einheit, also jener Einheit, die den Nutzen oder die Dienstleistung des zu bilanzierenden Objektes möglichst treffend beschreibt.

Die Schwierigkeit besteht darin, dass die wenigsten Unternehmen nur ein Produkt herstellen. Meistens sind es viele verschiedene Produkte, so dass sich die Frage stellt, wie der Rohstoffeinsatz und die Umweltbelastungen des realen Produktionssystems auf die Produkte verteilt werden kann. Dieses Problem tritt verschärft bei echten Kuppelprozessen wie z. B. in der chemischen Industrie auf, de facto besteht es aber in jedem Unternehmen, in dem ein Teil der Stoff- und Energieströme lediglich über die Gemeinkosten abgerechnet werden oder sich der Herstellungsaufwand nicht eindeutig den Aufträgen und Produkten zuordnen lässt.

Das heißt, dass eine produktbezogene Bilanz nicht einfach eine Erweiterung der Betriebsbilanz um die vorgelagerten und nachgeschalteten Stufen des Wertschöpfungsprozesses darstellt. Vielmehr wird wieder nur ein Ausschnitt gewählt (vgl. Abb. 2). Das reale Produktionssystem wird so unter verschiedenen Blickwinkeln bilanziert und ergibt - je nach Bilanzperspektive - andere Aspekte. Man kann sich das als ein dreidimensionales Objekt vorstellen, durch das man unterschiedliche Schnittebenen legt (vgl. Abb. 3). Jeder Schnitt wird andere Ergebnisse liefern, aber doch das gleiche Stoffstromsystem beschreiben.

Abb. 3: Das reale System der Stoffströme kann aus unterschiedlichen Sichten oder mittels verschiedener Schnittebenen analysiert werden

Abb. 3: Das reale System der Stoffströme kann aus unterschiedlichen Sichten oder mittels verschiedener Schnittebenen analysiert werden

Auch die Datenverfügbarkeit ist in dem realen System unterschiedlich verteilt. Viele Angaben existieren auf der ökonomischen Wertebene. Sie werden aber bereits spärlich, wenn nicht die Gesamtleistung eines Unternehmens, sondern z. B. Teilleistungen einzelner Prozesse betrachtet werden. Im Unternehmen müssten dazu interne Verrechnungspreise erhoben werden, was selten trivial ist. Leichter ließen sich hier physische Angaben über den einzelnen Produktionsprozess machen.

Erst recht stellt sich das Problem der Datenverfügbarkeit, wenn unternehmensübergreifend eine LCA gemacht werden soll. Über die Herstellungsprozesse der Lieferanten liegen i. allg. keine detaillierten Informationen vor - zumindest nicht unter ökologischen oder stoffstrombezogenen Gesichtspunkten. Sie sind im großen Umfang auch nicht zu erwarten, so lange nicht innerhalb eines Unternehmens Klarheit über die Zurechnungsfragen bei mehreren Produkten herrscht.

6     Leistungsverrechnung und Allokation

Für die Preiskalkulation von Produkten stellt sich für ein Unternehmen die Frage, welche seiner Kosten den verschiedenen Kostenträgern (also den Produkten) in welcher Höhe zuzurechnen sind. Bei einigen Beiträgen lässt sich dies einfach bestimmen, z. B. die unmittelbaren Rohstoffe oder direkten Herstellungskosten für jedes Produkt. Was ist aber mit Infrastrukturleistungen innerhalb des Unternehmens, mit Heizung und Strom, Werkstatt und Kantine? Nach welchem Schlüssel wird der Stromverbrauch einer Anlage verteilt, auf der alle paar Stunden oder Tage ein anderer Auftrag läuft? Oder wie sollen die Wartungskosten umgelegt werden?

Man muss dieses Kernproblem der betrieblichen Kosten- und Leistungsrechnung nicht zwingend auf der Wertebene abhandeln, sondern kann es auch auf der physischen Ebene betrachten (Möller 2000). Dann erhält man eine allgemeine Beschreibung, in der zwischen dem materiellen Aufwand und dem materiellen Ertrag eines Stoffstromsystems unterschieden wird. Sie hat den Vorteil, weitgehend unabhängig von einer ökonomischen oder ökologischen Bewertung zu funktionieren. Sie wird sich einer Materialtaxonomie bedienen, die umfassender ist und auf der die unterschiedlichsten Bewertungsansätze aufsetzen können. Sie ist schließlich von einer methodischen Stringenz, mit der auch Kuppelproduktionen klar darstellbar sind und mit der sich die Stärken und Schwächen spezieller Verfahren, wie z. B. der so genannten Reststoffkostenrechnung gut aufzeigen lassen (Schmidt u. Keil 2002).

An dieser Stelle berühren sich - auf einer methodischen Ebene - das betriebswirtschaftliche Erkenntnisinteresse mit dem ökologischen: So wäre es interessant auch zu erfahren, wie die CO2-Emissionen oder das Abwasser des Unternehmens auf die verschiedenen Produkte umzulegen sind. Genau diese Informationen sind erforderlich, um für die produktbezogene Ökobilanzierung von den einzelnen Produktionsschritten - meistens in unterschiedlichen Unternehmen - belastbare und nachvollziehbare Aussagen zu erhalten.

Es handelt sich dabei keinesfalls nur um ein Allokationsproblem von Kuppelprozessen, was besonders schwierig zu lösen ist. Es ist grundsätzlicher das Problem einer verursachungsgerechten Aufwands- und Leistungsverrechnung, das immer auftritt, wenn ein komplexes und umfangreiches System mit einer Vielzahl an Erträgen nicht als Ganzes, sondern in Teilen ausgewertet werden soll.

7     Ausblick

Vor eben diesem Problem stehen wir bei der Stoffstromanalyse. Fast jeder Betrieb stellt ein komplexes Mehrproduktsystem dar; überbetrieblich wird es noch schwieriger. Im Extremen gibt es hier zwei Vorgehensweisen: Man erfasst und analysiert immer mehr und versucht das Gesamtsystem bis hin zum Weltmodell abzubilden. Damit hätte man implizit auch alle Teile erfasst, kann Änderungen in der Produktgestaltung durch Szenarienbildung am Gesamtsystem studieren. Ein solches Vorgehen ist nicht abwegig, sondern wurde z. B. bei der großen Ökobilanz für graphische Papiere des Umweltbundesamtes beschritten (UBA 2000). Es wurde versucht, den Papiermarkt und die Produktionsstrukturen in Deutschland und teilweise Europa abzubilden, um zu klären, wie hoch die Einsatzquote an Altpapier sein kann. Auch geographisch zugeschnittene Bilanzgrenzen, z. B. nationale oder regionale Bilanzen, gehen diesen Weg, wenngleich aus anderen Gründen.

Die andere Möglichkeit - und sicher die adäquatere für eine breite Anwendung in der Wirtschaft und in vielen mittelständischen Unternehmen - ist, ein besseres Fundament zu liefern, welche Stoffe und Materialien in Unternehmen berücksichtigt werden sollten und wie innerhalb des Unternehmens eine verursachungsgerechte Zurechnung erfolgen kann. Die Stoffstromanalyse darf sich hier nicht auf das Zeichnen bunter Bilder und das Ausweisen irgendwelcher Kostenbeträge erschöpfen, sondern bedarf einer fundierten methodischen Grundlage, wie das auch sonst innerhalb der Betriebswirtschaftslehre oder der Naturwissenschaften verlangt wird. Damit würde die Stoffstromanalyse vielleicht auch zu einem attraktiven Partner für das konventionelle Controlling in Unternehmen.

Um mit einem Modewort zu schließen: So wäre Nachhaltigkeit sogar auf einer methodischen Ebene gewährleistet, denn die gerechte Zurechnung des stofflichen Aufwandes und Ertrages interessiert gleichermaßen unter ökonomischen, ökologischen und sozialen (z. B. Arbeitsschutz) Gesichtspunkten. 

Literatur

Brandt, E.; Röckeisen, S., 2000:
Konzeption für ein Stoffstromrecht. UBA-Bericht 7/00. Berlin

DECHEMA, 2002:
Material- und Energieflussanalyse als Instrument zur ökonomischen und ökologischen Optimierung von Produktionsprozessen in der chemischen Industrie. Workshop 23./24. Januar 2002. Frankfurt

Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Schutz des Menschen und der Umwelt", 1993:
Verantwortung für die Zukunft - Wege zum nachhaltigen Umgang mit Stoff- und Materialströmen. Drucksache 12/5812, Bonn

Führ, M., 2000:
Stoffstromsteuerung durch Produktregulierung. Baden-Baden: Nomos

Hilty, L.; Schmidt, M., 1997:
Der fraktale Produktlebenszyklus. Umweltwirtschaftsforum 5 Jg., H. 3, S. 52-57

IAO - Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, 2002:
Stoffstrommanagement - Effizient produzieren nach Umwelt- und Kostenzielen. 4. Management-Symposium 20. Febr. 2002 in Stuttgart

LfU - Landesanstalt für Umweltschutz Baden Württemberg, 1999:
Betriebliches Material- und Energieflussmanagement. Karlsruhe

LfU - Landesanstalt für Umweltschutz Baden Württemberg, 2000:
Betriebliches Energie- und Stoffstrom-Management. Ressourcenschonung und Kostensenkung beim Mittelstand. Symposium am 16. Nov. 2000 in Karlsruhe

Möller, A., 2000:
Grundlagen stoffstrombasierter Betrieblicher Umweltinformationssysteme. Bochum: Projekt-Verlag

Schmidt, M.; Schorb, A., 1995:
Stoffstromanalysen in Ökobilanzen und Öko-Audits. Berlin/Heidelberg: Springer

Schmidt, M.; Keil, R., 2002:
Stoffstromnetze und ihre Nutzung für mehr Kostentransparenz sowie die Analyse der Umweltwirkung betrieblicher Stoffströme. Beiträge der Hochschule Pforzheim Nr. 103

Spengler, T.; Ploog, M.; Schröter, M., 2002:
Integrierte Recyclingprogrammplanung der Demontage und verfahrenstechnische Aufbereitung von Elektronikschrott. In: Geldermann, J.; Fichtner, W. (Hrsg.): Einsatz von OR-Verfahren zur techno-ökonomischen Analyse von Produktionssystemen. Bern (in Druck)

UBA - Umweltbundesamt, 2000:
Ökobilanz für Graphische Papiere. UBA-Texte 00/22. Berlin

Kontakt

Prof. Mario Schmidt
Hochschule für Gestaltung, Technik und Wirtschaft
- Fachhochschule Pforzheim
Tiefenbronner Str. 65, 75175 Pforzheim
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