Robotik in Betreuung und Gesundheitsversorgung

TA-Projekte

Robotik in Betreuung und Gesundheitsversorgung

von Heidrun Becker, ZHAW, und Adrian Rüegsegger, TA-SWISS

Roboter und autonome Geräte werden durch die Kombination mit der Informations- und Kommunikationstechnologie immer vielseitiger. Schon jetzt ist deren Einsatz in der Betreuung bedürftiger Menschen und in der Gesundheitsversorgung absehbar oder in der Testphase. In diesen Einsatzbereichen sind soziale Interaktionen mindestens ebenso wichtig wie Effizienz, weshalb neben technischen und ökonomischen auch gesellschaftliche, ethische und rechtliche Fragen von Bedeutung sind. Das Schweizer Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung TA-SWISS hat in einer interdisziplinären Studie untersucht, welche Gerätetypen es gibt, welche Bedürfnisse Betroffene und Akteure haben und welche Chancen und Risiken mit der Verwendung dieser Geräte verbunden sind.

1    Einleitung

Die demografische Entwicklung, der Mangel an Fachkräften und der steigende ökonomische Druck auf das Gesundheitswesen führen dazu, dass bei der Betreuung und Versorgung von Menschen zunehmend technische Lösungen in Betracht gezogen werden. Bislang stehen Roboter überwiegend in der Phase einer hauptsächlich technikgetriebenen Entwicklung und Erprobung. Mit dem Ziel einer breit abgestützten Analyse hat TA-SWISS im Dezember 2010 die Studie „Robotik und autonome Geräte im sozialen Bereich“ (mit Fokus auf die Bereiche Betreuung, Rehabilitation, Pflege und Therapie) öffentlich ausgeschrieben. Nach der Beurteilung der eingereichten Projektofferten ging der Auftrag an eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe unter der Leitung von Heidrun Becker (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften). Die Studie wurde im Jahr 2012 abgeschlossen und veröffentlicht (Becker et al. 2013).

2    Methodik

Um den Ist-Stand und Trends zu erfassen, stützt sich die TA-SWISS-Studie auf eine umfassende Literaturanalyse zu aktuellen Entwicklungen, Prototypen und deren Einsatz in der Praxis. Dazu wurden Datenbanken systematisch abgefragt sowie eine ergänzende Freihandsuche durchgeführt. Anhand dieses Literaturfundus wurden der Ist-Stand ausgewertet und eine Makrotrend-Analyse mittels des PESTEL-Verfahrens vorgenommen, bei welchem die folgenden sechs typischen makroökonomischen Bereiche unterschieden werden: Political, Economic, Sociocultural, Technological, Environmental, Legal. Unter diesen Aspekten wurde untersucht, welche Veränderungen und Entwicklungen im Zeitrahmen bis 2025 relevant sein könnten.

Für die Bedarfsanalyse wurden Akteure in drei Fokusgruppen befragt. Anhand der Resultate wurden Schlüsselfaktoren herausgearbeitet und Thesen formuliert, die Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Ethik, Technik und Recht im Rahmen eines Workshops anschließend diskutierten. Gestützt auf diese Erkenntnisse legt die TA-SWISS-Studie drei Szenarien zu möglichen Entwicklungen des Einsatzes der Robotik in Betreuung und Gesundheitsversorgung bis 2025 vor. Diese Szenarien verdeutlichen Chancen und Risiken, zeigen Handlungsbedarf und -optionen für die Politik auf und dienen als Grundlage für konkrete Empfehlungen für Entscheidungsträger.

3    Gerätetypen

Anhand der Anwendungsgebiete wurden die Geräte in drei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe umfasst Trainingsgeräte und Hilfsmittel zur Bewegungsausführung, Mobilität und Selbständigkeit. Diese unterstützen den Menschen darin, bestimmte Bewegungen und Handlungen zu trainieren oder auszuführen. Bei solchen Geräten spielt die soziale Interaktion keine Rolle. In der Rehabilitation werden Roboter schon verbreitet eingesetzt. Häufigste Einsatz- und Forschungsbereiche sind derzeit die Rehabilitation von Kindern mit zerebralen Lähmungen und Erwachsenen mit Bewegungsstörungen, z. B. nach einem Schlaganfall. Allerdings ist die Wirksamkeit und Effizienz dieser Geräte bisher kaum durch Studien belegt, zudem sind Anschaffungskosten immer noch hoch und das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist noch nicht überzeugend. Meist ist die Präsenz der Therapeuten während der Nutzung erforderlich. Es fehlt an Studien darüber, ob die Geräte, wenn sie technisch ausgereift sind, Therapieergebnisse alltagsrelevant verbessern und sich durch effizienten Personaleinsatz amortisieren. Trainingsgeräte für zu Hause befinden sich in der Markteinführung. Sie stehen in Konkurrenz zu den weit verbreiteten Spielkonsolen (z. B. Nintendo Wii), welche ebenfalls zur Bewegungstherapie eingesetzt werden können, und müssen ihre Vorteile erst noch beweisen. Exoskelette (Außenskelette) übernehmen eine stabilisierende und stützende Funktion bei Personen, die wegen einer Lähmung nicht aus eigener Kraft aufrecht gehen oder sich bewegen können. Bei den Exoskeletten und anderen Geräten für die Mobilitätsassistenz sind erste Produkte im Handel erhältlich. Der Einbezug von Nutzern in die Entwicklung der Geräte ist sehr wichtig, um die Alltagstauglichkeit und Akzeptanz der Produkte sicherstellen zu können. Es ist damit zu rechnen, dass in Zukunft solche Produkte in die übliche Versorgung integriert werden, wenn ihre Finanzierung geklärt wird.

Zur zweiten untersuchten Gruppe von Geräten gehören Telepräsenz- und Assistenzroboter. Diese ersetzen die Anwesenheit eines Menschen, z. B. einer Pflegekraft, einer Ärztin oder eines Therapeuten, oder unterstützen eine Person in der Ausführung von Handlungen. Sie haben damit direkten Einfluss auf die soziale Interaktion von Menschen, indem sie entweder als Medium zur Interaktion dienen, diese ersetzen oder ergänzen. In den USA wird Telepräsenz von Ärzten bereits erfolgreich angewendet. Ein Grund für deren Erfolg ist der zunehmende Mangel an Spezialisten in kleineren Krankenhäusern. Dank diesen Robotern kann ein Spezialist bei verschiedenen Spitälern gleichzeitig seinen Rat einbringen. Bei intensiver Nutzung könnte hier ein Risiko zum Arbeitsplatzabbau bestehen. Im Bereich der Pflegeassistenz wird ein großes Marktpotenzial erkannt, insbesondere für Krankenhäuser, Alters- und Pflegeheime, aber erst einzelne Produkte sind praktisch erprobt, vor allem in Japan. Barrieren bestehen in der Interaktion zwischen Nutzern und Robotern, der Akzeptanz der Geräte und den hohen Kosten. Für die persönliche Assistenz, also die Unterstützung der Patienten zu Hause, kommen eher Geräte mit Überwachungs- bzw. Sicherheitsfunktionen in Frage. Es sind allerdings erst wenige Systeme auf dem Markt erhältlich. Bei Systemen für die persönliche Assistenz muss darauf geachtet werden, dass sie intuitiv bedienbar sind und zweckmäßig in bestehende Versorgungsstrukturen integriert werden.

Die Geräte der dritten Gruppe, die sozial-interaktiven Roboter, sollen Menschen als Begleiter oder Gefährten dienen. Der soziale Aspekt steht dabei im Vordergrund. Mit großem Aufwand wird im Bereich von äußerlich menschenähnlichen bzw. humanoiden Robotern geforscht. Marktfähige Geräte im Stile des „Asimo“ von der Firma Sony sind allerdings in den nächsten Jahren nicht zu erwarten. Robotertiere hingegen erfreuen sich insbesondere in Asien bereits einer großen Verbreitung. In den kulturell anders geprägten westlichen Staaten ist die Akzeptanz tiefer. Da diese Art von Robotern häufig bei Kindern sowie alten und dementen Personen eingesetzt wird, stellen sich viele ethische Fragen. Der Einfluss des Kontakts mit Robotertieren auf die Entwicklung von Kindern ist noch kaum erforscht. Aufgrund der z. T. relativ einfachen Geräte und der breiten Anwendungsmöglichkeiten sowie der Chancen für die Spielzeugindustrie weist dieser Markt großes Potenzial auf. „Roboter-Nannys“ können Kinder sowohl unterhalten, zum Lernen anregen wie auch überwachen. Erste Produkte sind auf dem Markt. Neben ethischen Fragen bestehen Sicherheitsbedenken und das Risiko, dass langfristig Entwicklungsstörungen aus dem Gebrauch resultieren.

4    Chancen und Risiken

Zu den Chancen des Einsatzes von Robotik im Gesundheitswesen gehört die Entlastung professioneller, aber auch nichtprofessioneller Nutzer, wie zum Beispiel pflegender Angehöriger. Für Patienten und deren Familien können technische Innovationen einen Gewinn an Autonomie und Mobilität darstellen, die Integration verbessern und die Lebensqualität erhöhen. Auf institutioneller Ebene kann die Robotik dazu beitragen, organisatorische und logistische Prozesse zu rationalisieren. Gesamthaft gesehen dürfte sich, bei einer gleichzeitigen Entlastung der Pflegefachkräfte und Linderung des Fachkräftemangels, die Qualität der Versorgung von Patienten und pflegebedürftigen Personen verbessern lassen.

Zu den Risiken zählt, dass durch den Einsatz von Robotern die direkten Kontakte zwischen den Patienten und dem Gesundheitspersonal abnehmen. Das könnte sich negativ auf das Wohlbefinden und den Genesungsprozess der Patienten auswirken oder sogar zu deren Vereinsamung führen. Gleichzeitig würden auch die Pflege- und andere Gesundheitsberufe zunehmend unattraktiver, was den Fachkräftemangel zusätzlich verstärken könnte. Ein weiteres Risiko besteht bei besonders vulnerablen Personen, welche selbst kein Einverständnis zum Einsatz von Robotern geben können. Heikel ist auch das Missbrauchspotenzial der von den Geräten gesammelten Daten. Ungeklärt ist weiter, wer bei Schäden haftet, welche (semi-)autonom agierende Roboter verursachen. Auf institutioneller Ebene ist zu befürchten, dass der wirtschaftliche Druck zum bevorzugten Einsatz von Geräten führen könnte, die ökonomisch zwar vorteilhaft sind, aber für die Betroffenen Nachteile, wie z. B. Kontaktverlust bringen und möglicherweise zum Abbau von Arbeitsplätzen führen könnten. Da es kaum Kosten-Nutzen-Analysen für Roboter im Gesundheitswesen gibt, besteht schließlich das Risiko, dass ihr Einsatz zu einer Kostensteigerung führen könnte.

5    Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Die Studie kommt zum Schluss, dass unzureichende Regelungen, z. B. im Haftungsrecht, im Datenschutz und in ethischen Fragen, bereits jetzt zu Risiken für Menschen führen, die mit der Forschung, Erprobung und Anwendung von Robotern und autonomen Geräten in Betreuung und Gesundheitsversorgung zu tun haben. Eine proaktive und steuernde Politik scheint am besten geeignet, Risiken zu mindern und gleichzeitig sinnvolle Anwendungen zu fördern.

Die Autorinnen und Autoren empfehlen einerseits notwendige Grundvoraussetzungen und andererseits weiterführende Maßnahmen: Notwendige Grundvoraussetzungen umfassen rechtliche Anpassungen bezüglich der Haftung und des Datenschutzes. Telepräsenz-, Assistenz- und Serviceroboter erheben oftmals auch Daten aus der Umgebung ihres Nutzers. Daher muss der Datenschutz für diese nicht gesundheitsbezogenen Daten bereits heute geklärt werden. Allenfalls gilt es, zusätzliche Regulierungen zu erlassen. Es sind Voraussetzungen zu schaffen, um die Einführung des elektronischen Patientendossiers verknüpft mit einer Datenschutzregelung in der Schweiz zu ermöglichen. Ferner ist zu prüfen, ob die vorhandenen ethischen Richtlinien – insbesondere in Bezug auf nicht einwilligungsfähige Personen – für den Einsatz von Robotern ergänzt werden müssen. Als weiterführende Maßnahme wird u. a. empfohlen, die interdisziplinäre, angewandte Forschung zu fördern unter Einbezug der Nutzer und der von der Nutzung betroffenen Personen. Damit soll verhindert werden, dass die Entwicklung von Robotern und Unterstützungssystemen an deren Bedürfnissen vorbeizielt.

Literatur

Becker, H.; Scheermesser, M.; Früh, M. et al., 2013: Robotik in Betreuung und Gesundheitsversorgung. Zürich; http://www.vdf.ethz.ch/vdf.asp?isbnNr=3520 (download 5.3.13)

Kontakt

Prof. Dr. phil. Heidrun Becker
Forschung & Entwicklung Ergotherapie
Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW)
Technikumstraße 71, 8401 Winterthur, Schweiz
Tel.: +41 58 934-6477
E-Mail: heidrun.becker∂zhaw.ch