Informationstechnik und Geschlechterhierarchie - eine bewegende Beziehung

Schwerpunktthema - Genderforschung und Technikentwicklung

Informationstechnik und Geschlechterhierarchie - eine bewegende Beziehung

von Gabriele Winker, Fachhochschule Furtwangen

Die Informationstechnik ist Teil und Ergebnis sozialer Prozesse; sie wird von der herrschenden Geschlechterhierarchie beeinflusst und wirkt auf diese zurück. Da die hierarchische Geschlechterordnung beim Entwurf von informationstechnischen Anwendungen ignoriert wird, tauchen Anforderungen, die mit weiblichen Arbeits- und Lebensrealitäten verbunden sind, als Gestaltungsoption nicht auf. Der Beitrag setzt sich mit diesem Problem auf der Ebene des ungleichen Zugangs von Frauen und Männern zur Informatik, unzureichenden Internet-Inhalten und fehlenden Netzanwendungen für den Reproduktionsbereich sowie ungenügender Flexibilität bei der Umsetzung von alternierender Telearbeit auseinander. Gleichzeitig werden Ansatzpunkte für eine geschlechtersensitive Gestaltung von Informationssystemen aufgezeigt.

1     Soziale Konstruktion von Informationstechnik und Geschlecht

1.1     Theoretische Konzepte im Wandel

Vorwiegend Männer gestalten in ihrer Berufsrolle als Informatiker und Programmierer Informationstechnik, die Auswirkungen auf Arbeitsbereiche hat, die aufgrund der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung von Frauen ausgeführt werden. So nehmen Männer z. B. als Systemverantwortliche auch in frauentypischen Berufsbereichen oft einflussreiche und gut bezahlte informationstechnische Positionen ein, selbst wenn sie keine ausgebildeten Techniker sind (Winker 1995). Auch sind männliche IT-Fachkräfte - in der Regel selbst freigestellt von alltäglicher Hausarbeit - verantwortlich für informationstechnische Entwicklungen im Bereich von häuslichen Alltagsanforderungen, die primär von Frauen erledigt werden.

Diese Asymmetrie führte zu Beginn der Auseinandersetzung der Frauenforschung mit Technik in den achtziger Jahren zu schnellen und zu kurz greifenden Schlüssen, die allerdings auf einer populärwissenschaftlichen Ebene auch heute in der politischen Diskussion noch eine Rolle spielen. Frauen wurde mit differenztheoretischen Positionen, die von einer grundlegenden Verschiedenartigkeit von Frauen und Männern ausgehen, eine andere Zugangsweise zu Technik und Computern zugesprochen, die anwendungsorientierter und für Problemlösungen angemessener sei (vgl. Winker 1995, S. 52 ff.). Dieses Konzept einer weiblichen Zugangsweise blockierte die Wahrnehmung von Differenzen unter Frauen. Neuere Untersuchungen verdeutlichen dagegen, dass Technikerinnen und Informatikerinnen in ihren Technikhaltungen deutlich mehr Gemeinsamkeiten mit ihren männlichen Fachkollegen haben als mit Frauen z. B. in sozialwissenschaftlichen Fachkulturen (u. a. Walter 1998).

Gleichzeitig wurde in der frühen Phase der Frauenforschung vor allem die Frage nach den Auswirkungen der Informationstechnologie auf Frauenarbeitsplätze und weibliches Alltagsleben untersucht. Rationalisierungseffekte und Dequalifizierungstendenzen an typischen Frauenerwerbsarbeitplätzen standen im Fokus des wissenschaftlichen Interesses. Positive Veränderungschancen wurden damals kaum gesehen. Informationstechnik schien so weitgehend von geschlechtshierarchischen Strukturen geprägt, dass keine alternativen Technikpfade für realisierbar gehalten wurden und damit Auswirkungen weiblicher Lebensrealitäten auf die Gestaltung der Informationstechnik kaum zur Diskussion standen (vgl. Wajcman 2000). Diese Sichtweise passte zu den damaligen Ansätzen in der Technikfolgenabschätzung, die primär die Auswirkungen einer Technik im Blick hatten und sich wenig um Prozesse der Technikgenese kümmerten (vgl. Degele 2002).

Im letzten Jahrzehnt wurden die Fragestellungen in mehrfacher Hinsicht differenzierter, damit allerdings auch die Antworten offener. Mit der feministischen Debatte rund um das Buch von Judith Butler (1991) wird das Augenmerk verstärkt auf Differenzen unter Frauen gelegt und abhängig von u. a. Ethnien, sozialen Milieus und sexuellen Identitäten die kulturelle Vielfalt von Frauen betont. Es fand eine Entwicklung von der Frauenforschung zur Genderforschung statt. Mit dem Konzept des doing gender wird auf den permanenten interaktiven sozialen Herstellungsprozess von Geschlecht und damit auf die subjektiven Seiten menschlichen Handelns verwiesen. "Geschlecht ... ist nicht etwas, was wir ‚haben' oder ‚sind', sondern etwas, was wir tun" (Hagemann-White 1993, S. 68). Und auch die Technik wird nicht mehr als Blackbox gesehen, sondern es wird die soziale Gestaltbarkeit von Technik betont. Technik wird nicht einmalig hergestellt, sondern ist veränderbar und wird auch von den herrschenden Geschlechterarrangements geprägt. Technisches und Soziales greifen ineinander, sind miteinander verwoben. Aufgabe der Forschung ist es, diese Verwobenheit zu rekonstruieren.

Dabei spielt die Informationstechnik eine wichtige Rolle, da bei dieser Technik besonders deutlich wird, dass sie nicht nur während ihrer Entwicklung, sondern auch während ihrer Nutzung beeinflussbar ist. Sie muss nicht in der vorgesehenen Form von den Nutzern und Nutzerinnen adaptiert werden, sondern kann noch in der Anwendung angepasst und gestaltet werden. Auf die Entwicklungspfade von Hard- und Software nehmen verschiedenartigste gesellschaftliche Gruppen Einfluss. Das können z. B. auch Frauennetzwerke sein, die allerdings in der Regel mit wenig Machtressourcen ausgestattet sind. Damit wird gerade die Informationstechnik von der Frauenforschung nicht mehr als männliches Unterdrückungswerkzeug gesehen. Donna Haraway (1995) plädiert sehr weitgehend dafür, feministische Utopien mithilfe der Technik Wirklichkeit werden zu lassen.

Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass sowohl Informationstechnik als auch das Geschlecht sozial konstruiert sind, sich in permanenter Veränderung und Bewegung befinden und sich gegenseitig beeinflussen. Informationstechnik wird in vergeschlechtlichten Zusammenhängen gestaltet und entwickelt und hat in unterschiedlichen Bereichen Einfluss auf die Geschlechterverhältnisse.

1.2     Dimensionen der Kategorie "Geschlecht"

Allerdings können mit diesem konstruktivistischen Herangehen alleine technische Innovation und sozialer Wandel nicht beschrieben werden, da damit u. a. Macht und Geschlechterhierarchien nicht umfassend analysiert werden können. Deswegen beziehe ich mich auf ein Konzept von Sandra Harding (1991), das sie in der Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis der Wissenschaften entwickelt hat und das drei Dimensionen des sozialen Geschlechts unterscheidet. Danach wird auf der strukturellen Dimension die vergeschlechtlichte Struktur der Arbeitsteilung, auf der symbolischen Ebene die herrschenden Geschlechterstereotype beobachtet und auf der individuellen Dimension die je individuellen Geschlechtsidentitäten von Männern und Frauen. Die drei Dimensionen des sozialen Geschlechts sind in der Realität eng miteinander verwoben, insofern sie sich gegenseitig stützen, aber auch in Gegensatz zueinander geraten können (Harding 1991, S. 53 ff.). Analytisch lassen sie sich trennen und erleichtern damit die Suche nach den Zusammenhängen von Geschlechterordnung und Technikentwicklung.

Unter Berücksichtigung dieser drei Dimensionen der Kategorie "Geschlecht" werde ich im Folgenden die Frage, welche Beziehungen es zwischen der hierarchischen Geschlechterordnung und Entwicklungen der Informationstechnologie gibt, auf vier Ebenen betrachten:

Auf allen vier Ebenen werde ich an einigen wenigen konkreten Beispielen erläutern, welche neuen Perspektiven sich für die Gestaltung der Informationstechnik durch das Einbeziehen der Kategorie "Geschlecht" ergeben können.

2     Ausgrenzung weiblicher Lebensrealitäten

2.1 Unterrepräsentanz von Frauen in der Informationstechnik

Frauen sind in den informationstechnischen Bildungsbereichen und Berufen deutlich unterrepräsentiert. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts liegt der Frauenanteil in der Informatik bundesweit zurzeit knapp über 15 %. Mit einem Frauenanteil von 14 % sieht es bei den neu geschaffenen informationstechnischen Ausbildungsberufen nicht anders aus. Im vergleichbaren Berufsfeld sind nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit 21 % der Datenverarbeitungsfachleute weiblich.

Für diese sich hartnäckig haltende Unterrepräsentanz von Frauen in der Informatik werden die dichotomen Geschlechterstereotype verantwortlich gemacht, die aufgrund ihrer kulturellen Verwurzelung ausgesprochen langlebig und schwer veränderbar sind. Immer wieder wird deutlich, dass Stereotype der Weiblichkeit sich diametral zu den kulturellen Bildern von Technik bewegen. Sozial akzeptierte weibliche Identitätskonzepte gelten somit als inkompatibel mit technischem Handeln. Technikkompetenz wird dagegen der dominanten Form von Männlichkeit zugeschrieben und mit Macht verbunden.

Konkret bedeutet dies, dass Männlichkeit für eine Zentrierung auf Maschinen und Weiblichkeit für eine Zentrierung auf Menschen steht. Präsent ist auch der Dualismus, wonach "harte" Technik (Hardware, Betriebssysteme, Netzwerke) der Männlichkeit zugeordnet wird und "weiche Technik" (Anwendungsprogramme, Usability) sich eher mit Weiblichkeit verbinden lässt. Ferner wird der Männlichkeit eine objektive Rationalität zugesprochen, die mit einem abstrakten, reduktionistischen Zugang zu Problemlösungen verbunden ist. Dagegen steht Weiblichkeit für eine eher subjektive Rationalität, die mit einer konkreten, empirischen und ganzheitlichen Problemlösungsfähigkeit verknüpft ist (Faulkner 2000). Allerdings kann die konkrete inhaltliche Ausgestaltung der Geschlechterstereotypen durchaus je nach Kontext variieren. Entscheidend ist, dass durchgehend das dichotome System aufrechterhalten und damit ein Distanz- und Dominanzverhältnis zugunsten von Männlichkeitsbildern stabilisiert wird.

Diese vorherrschenden Stereotype dürfen allerdings nicht mit individuellen Fähigkeiten von Frauen und Männern verwechselt werden. Dies ist ein populärwissenschaftlicher Kurzschluss, der sich hartnäckig hält, auch wenn durch Studien bekannt ist, dass es Leistungsprofile bei jungen Frauen und Männer gibt, die weit davon entfernt sind, diesen Stereotypen zu entsprechen. So kommen z. B. Ulrike Vogel und Christiana Hinz (2000, S. 36 f.) bei Schülern und Schülerinnen der 12. Klasse zu dem Ergebnis, dass nur ein kleiner Teil der Untersuchungsgruppe tatsächlich die gesellschaftlich zugeschriebenen Unterschiede zwischen sprachlich-kommunikativer Begabung der Mädchen einerseits und technisch-praktischer Begabung der Jungen andererseits realisiert. An diesen beiden Polen ist die Repräsentanz der beiden Geschlechter tatsächlich den gesellschaftlichen Stereotypen entsprechend. Aber immerhin 2/3 aller untersuchten Mädchen und Jungen haben Leistungsprofile, in denen Mädchen und Jungen etwa gleich stark vertreten sind. Gleichzeitig wird daran deutlich, dass bei einer ganzen Reihe von Schülerinnen von ihren technisch-mathematischen Fähigkeiten und Neigungen her ein "latentes Potenzial" für ein technisches Studium vorhanden ist, das allerdings meistens nicht realisiert wird (Minks 2000).

Auch für Studentinnen, die den Weg in ein Informatikstudium gefunden haben, bleiben die bipolaren Geschlechterstereotype weiterhin wirksam. Sie scheinen dafür verantwortlich zu sein, dass Frauen sich deutlich weniger technische Kompetenz zuschreiben, selbst wenn sie im Studium gleiche Leistungen wie ihre männlichen Kommilitonen erzielen und selbst dann noch, wenn sie von Mitstudierenden als Expertinnen gesehen werden (Henwood 2000). Eine dauerhafte Bindung an ein Informatikstudium und anschließend auch an einen informationstechnischen Beruf scheint für Frauen nur dann möglich zu sein, wenn sie die Herausforderung bewältigen, die Inkompatibilität von Technikkompetenz und geschlechtsstereotyper Weiblichkeit auszubalancieren (Walter 1998).

Deswegen halte ich das Konzept der Sommerhochschule für Frauen in der Informatik, wie es jährlich in Bremen ( http://www.informatica-feminale.de)
und an wechselnden Standorten in Baden-Württemberg
( http://www.netzwerk-fit.de/informatica)
umgesetzt wird, für richtungweisend. Die Informatica Feminale unterstützt durch ihr monoedukatives Angebot Frauen in ihrem Selbstverständnis als Informatikerinnen und trägt dazu bei, Stereotype zu durchbrechen. Studentinnen und Praktikerinnen können sich auf hohem informationstechnischen Niveau weiterqualifizieren und dabei die weiblichen Dozentinnen als Vorbilder wahrnehmen. Auch ermöglicht diese Sommerhochschule den Studentinnen, mit IT-Praktikerinnen aus unterschiedlichen Bereichen ins Gespräch zu kommen, Vernetzungsmöglichkeiten wahrzunehmen und damit insgesamt eigene Karrierechancen zu erhöhen.

Neben den Stereotypen mit ihren Auswirkungen auf das individuelle Handeln von Frauen und Männern dürfen allerdings auch strukturelle Gegebenheiten nicht unberücksichtigt bleiben. So schreiben z. B. Informatikstudiengänge in ihren Curricula die herrschenden Stereotype fest. Dort steht noch allzu häufig vor allem Technikorientierung in Verbindung mit einem nüchternen, emotionslosen Umgang mit technischen Problemstellungen im Vordergrund. Auch orientieren sich viele Studiengänge an technikzentrierten Hackern, die ohne Anwendungskontext nach immer neuen technischen Lösungen suchen und darüber hinaus eine zeitlich und inhaltlich sehr ausgeprägte und weitgehende Beziehung mit ihren Computern pflegen (Håpnes und Rasmussen 1991).

Deswegen ist eine Studienreform in den informationstechnischen Studiengängen an Hochschulen überfällig, die den Anwendungsbezug, den Nutzen und die kritische Reflexion der Informationstechnik umfassend aufnimmt und darüber hinaus neue kooperative und kommunikative Lernformen praktiziert. Dass eine curriculare Erneuerung erfolgreich sein kann, zeigt das Beispiel der renommierten School of Computer Science der Carnegie Mellon University. Dort wurde aufgrund eines forschungsgeleiteten Reformkonzepts innerhalb von 5 Jahren die Studienanfängerinnenquote in der Informatik von 7 % (1995) auf 42 % (2000) erhöht (Margolis und Fisher 2002).

2.2     Einseitige Informationsangebote im World Wide Web

In diesem Abschnitt wende ich mich dem über die Informationstechnik transportierten inhaltlichen Angebot am Beispiel des Internets zu. Zunächst ist auffallend, dass in der Frauen- und Genderforschung das Hauptaugenmerk derzeit nicht auf die Inhalte der Webseiten gerichtet ist, sondern die netzvermittelte Kommunikation im Vordergrund steht. Die Tatsache, dass im Internet anonym und körperlos kommuniziert werden kann, wird mit Vorstellungen eines spielerischen Identitätenwechsels verbunden, der eine Loslösung von dichotomen Geschlechterrollen erlaube. Allerdings zeigt sich, dass mehr Männer als Frauen und insgesamt wenige Netz-Nutzende das Gender Swapping für sich in Anspruch nehmen (Wajcman 2000) und auch in der Netzkommunikation wiederum geschlechtstypische Kommunikationsstile erkennbar sind (vgl. Funken und Winker 2002). So ist die vielbeschworene Dekonstruktion der bipolaren Geschlechterordnung Vision statt Realität.

Mir erscheint es wichtig, sich in Zukunft intensiver mit den Inhalten im Internet zu beschäftigen, da dort die ökonomische Zukunft des Internets vermutet wird. Um die Qualität von Informationssystemen im WWW zu beurteilen, ist es wichtig, die unterschiedlichen Lebenslagen zu berücksichtigen, in denen sich Frauen in unserer Gesellschaft befinden. Daraus können Informationsbedarfe, die für einzelne Gruppen von Frauen besonders interessant sein können, abgeleitet und entsprechend dem Prinzip des Gender Mainstreaming in das WWW-Angebot integriert werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass im Systementwurf Fraueninteressen überhaupt mitgedacht werden. In diesem Zusammenhang wurde für Informationsangebote im WWW das Qualitätskriterium Geschlechtersensitivität mit folgenden zwei Dimensionen entwickelt (Winker und Preiß 2000):

Die Umsetzung dieser Kriterien im Sinne des Gender Mainstreaming steckt z. B. in öffentlichen Internet-Portalen noch in den absoluten Anfängen. So zeigt eine Studie der Autorin zu den Internetauftritten der bundesdeutschen Landeshauptstädte (Winker und Preiß 2000), dass Fraueninteressen im bisherigen deutschsprachigen Angebot kaum mitgedacht werden. Diese Studie kommt zum Ergebnis, dass die virtuelle Abbildung der Städte noch weitaus schlechter ist als die städtische Realität, die bei der Unterstützung von Frauenbelangen ebenfalls noch viel zu wünschen übrig lässt.

Auch beim Aufbau von häufig benutzten Schlagwortkatalogen fällt auf, dass weibliche Lebensrealitäten nicht umfassend wahrgenommen werden bzw. bereits überwunden geglaubte Weiblichkeitsstereotype aufs Neue bedient werden. So tauchen zum Beispiel auf den Startseiten von AOL unter Women die Kategorien Love & Sex, Fashion, Beauty, Food sowie Kids & Teens auf. Damit erscheinen Frauen als das Besondere, das dem Bereich Familie oder - moderner ausgedrückt - Lifestyle zugeordnet wird. Es wird das alte Bild rekonstruiert, wonach Frauen für das Private, die Beziehungen, das Schöne und das Familiäre zuständig sind. Gerade diese Absonderung von Frauen als spezifische Gruppe und ihre Zuordnung zu einem einzigen Bereich des vielfältigen menschlichen Lebens bilden die Grundvoraussetzung für die Abwertung von Frauen in unserer Gesellschaft. Andere Webkataloge haben begonnen, frauenrelevante Themen in vielfältigen Bereichen such- und findbar zu machen, allerdings bestehen dabei enorme Lücken in der Durchsetzung des Gender Mainstreaming. So ist bei Web.de oder auch bei Yahoo die Auswahl der Kategorien, in denen Frauenrealitäten berücksichtigt werden, oft willkürlich. Werden Subkategorien gebildet, sind sie kaum mit Inhalten gefüllt.

Diese Beispiele zeigen exemplarisch, dass das WWW noch weit davon entfernt ist, tatsächlich verschiedenartigen Informationsbedürfnissen gerecht zu werden. Nach wie vor wird das WWW-Angebot primär von den Interessen junger, gut qualifizierter Männer mit ihren ausgeprägten Freizeitinteressen im Bereich Auto, Computer, Sport und leider auch Pornographie geprägt. Gerade öffentliche Einrichtungen sollten darauf verpflichtet werden, Frauenrealitäten auf ihren Internetseiten qualitativ hochwertig, den Möglichkeiten des Mediums entsprechend abzubilden und damit für Frauen wissenswerte Informationen bereitzustellen. Denn nur so kann es gelingen, dass auch Frauen mit vielfältigen alltäglichen Aufgaben das Internet in Zukunft in höherem Maße nutzen als dies bisher der Fall ist und gleichzeitig die Präsenz von Frauen in der kommunalen Öffentlichkeit erhöht wird.

2.3     Fehlender Einsatz vernetzter Systeme im Alltag

Der Alltag von Frauen unterscheidet sich in der Regel noch immer recht deutlich vom typischen Männeralltag. Nach wie vor sind vor allem Frauen für die unbezahlte Haus- und Sorgearbeit zuständig. Die Bewältigung dieses Alltags - zunehmend verbunden mit paralleler Erwerbsarbeit - wird aufgrund vielschichtiger Individualisierungsprozesse in unserer Gesellschaft immer komplexer. Damit gewinnen alltagsorientierte Systeme, die zu einer Erleichterung des Alltags beitragen können, an Bedeutung. 

Der Schwerpunkt vorhandener Anwendungen über das Netz liegt allerdings immer noch in der Erwerbsarbeit, z. B. bei der Entwicklung vielfältiger Groupware für verteilt arbeitende Projektgruppen. Dagegen gibt es noch deutlich zu wenig Überlegungen, um vernetzte Systeme für Arbeitserleichterung im Haushaltsbereich und für Verbesserungen bei der Integration unterschiedlicher Arbeitsbereiche nutzbar zu machen.

Zu einer Erleichterung im Alltag könnte z. B. Online-Shopping beitragen. Damit ließen sich Wegezeiten reduzieren und der Aufwand einschränken, unterschiedliche Anforderungen zeitlich zu synchronisieren. Doch neben vielfältigen logistischen Problemen der Lieferung ist bis heute weder eine Hardware realisiert, die von der Größe und Bedienbarkeit in eine Küche passt, noch gibt es überzeugende softwaretechnische Lösungen, die einerseits die Überwachung alltäglich benötigter Lebensmittel unterstützen und andererseits eine schnelle Bestellung für die Realisierung bestimmter Essensrezepte erleichtern. Auch fehlt es an einem informationstechnisch ausgefeilten "Feger", der die häuslichen Putzarbeiten reduziert, stattdessen gibt es vielfältige technische Spielereien wie z. B. eine Dunstabzugshaube, die 23 Sprachen versteht. Auffallend ist, dass die Debatte um das vernetzte Haus primär aus Sicht von Singles geführt wird, die auch bei langer Abwesenheit wegen überlanger Erwerbsarbeitszeiten ihren Wohnraum unter Kontrolle halten möchten.

Darüber hinaus sind auch viele netzbasierten Anwendungen blind gegenüber den Anforderungen der Integration unterschiedlicher Arbeits- und Lebensbereiche. So gibt es z. B. bei elektronischen Terminplanern ausgereifte Funktionen, um unterschiedlichste berufliche Termine zu planen und mit KollegInnen zwecks Terminabsprachen zu verknüpfen. Die zweite Arbeitsrealität - das unbezahlte Tätigsein im Bereich der Haus- und Sorgearbeit - ist diesen elektronischen Terminkalendern in der Regel gerade einmal einen Button wert. Hier wird von Softwarespezialisten vergessen, dass sich Zeitbedarfe aus den verschiedenen Arbeitswelten in ihren Formen unterscheiden. Gerade in der Informationsgesellschaft müssen vor allem Frauen mit Kindern unterschiedliche Zeitstrukturen synchronisieren und mit unterschiedlichsten Zeitordnungen leben: der eigenen flexibilisierten Erwerbsarbeitszeit und derjenigen des oder der PartnerIn, den Kindergarten- und Schulzeitplänen, den Freizeit- und Sportterminen der Kinder, den unterschiedlichsten Zeiten in der Stadt von der Ladenöffnung bis zu den Sprechzeiten von ÄrztInnen und Behörden. Es ist durchaus eine Software vorstellbar, mit der vielfältige Verpflichtungen und Zeitstrukturen berücksichtigt werden können.

Bei den hier nur angedeuteten informationstechnischen Entwicklungsmöglichkeiten besteht ein großer Forschungs- und Handlungsbedarf. Es sollten zügig die Bedürfnisse der unterschiedlichen Nutzerinnengruppen empirisch ermittelt werden. Darauf aufbauend könnten gezielt und bedarfsorientiert technische Lösungsvarianten für vielfältige Alltagsprobleme entwickelt werden. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass diese Leerstellen kein Zufall sind. Dahinter steht die strukturelle Tatsache, dass Haushaltstätigkeit unbezahlte Frauenarbeit darstellt und deshalb wenig Beachtung findet.

2.4     Kein individueller Anspruch auf Telearbeit

Mit der Informationstechnik lassen sich auch über neue Organisationsformen der Erwerbsarbeit weitergehende Unterstützungsmöglichkeiten für zeitlich und örtlich flexible Kooperationen realisieren. U. a. kann die IT-basierte alternierende Telearbeit ein mögliches Hilfsmittel sein, um berufliche und familiäre Arbeitswelten besser zu integrieren und gerade auch vielen Frauen mehr Gestaltungsspielräume für das je eigene Leben zu ermöglichen.

Aus einer von der Autorin aktuell abgeschlossenen empirischen Studie zum Thema "Telearbeit - Chancen für eine bessere Integration beruflicher und familiärer Lebensbereiche" (Maus und Winker 2001) lässt sich ein Einfluss der alternierenden Telearbeit auf die innerfamiliale Arbeitsteilung in Ansätzen erkennen. Die Hauptlast und die Verantwortung für die Hausarbeit und die Sorge für die Kinder bleiben zwar auch bei alternierender Telearbeit weitgehend den Frauen überlassen. Es gibt in dieser empirischen Untersuchung allerdings erste Hinweise darauf, dass telearbeitende Väter, obwohl ihr Hauptgrund für Telearbeit nicht die Nähe zur Familie war, sich dennoch mehr um ihre Kinder kümmern. So geben über die Hälfte der telearbeitenden Väter an, dass sie im Vergleich zu früher häufiger Gespräche mit ihren Kindern führen. Auch Tätigkeiten wie Hausaufgaben betreuen, gemeinsam spielen oder Sport treiben und die Kinder ins Bett bringen haben mit der Telearbeit bei den Vätern deutlich mehr zugenommen als bei den Müttern, die diese Aufgaben schon immer wahrgenommen haben. Insgesamt haben über 80 % der telearbeitenden Väter eine Zunahme in dem einen oder anderen Bereich der Kinderbetreuung festgestellt. Weniger deutlich als bei der Kinderbetreuung sind die Veränderungen bei der Mitarbeit telearbeitender Männer im Bereich der Hausarbeit. Aber immerhin über 60 % der Männer geben an, dass sie sich mehr an der Hausarbeit beteiligen als vor Aufnahme ihrer Telearbeit.

Auch wenn es ein großes Interesse der Beschäftigten - trotz der gleichzeitig feststellbaren Gefahr der Selbstausbeutung - an dieser neuen Arbeitsform gibt, geht die Realisierung von alternierender Telearbeit in den Unternehmen nur schleppend voran. Im Vordergrund steht nach wie vor die beschäftigteninduzierte Telearbeit, die von Beschäftigten mühsam und individuell erkämpft wird, während die unternehmensinduzierte Telearbeit, die auf Initiative von Unternehmen als betriebliche Strategie entsteht, noch selten vorkommt.

Um das Interesse der Beschäftigten an alternierender Telearbeit ernst zu nehmen und die Realisierung nicht allein dem Wohlwollen von Unternehmen zu überlassen, sollte das Konzept eines individuellen Anspruchs auf alternierende Telearbeit in die gesellschaftspolitische Diskussion gebracht werden. Dahinter steht die Idee einer individuellen Ortssouveränität in Anlehnung an das Prinzip der individuellen Zeitsouveränität. Ähnlich wie unter individueller Zeitsouveränität die Einflussmöglichkeiten der Beschäftigten auf die Dauer, Lage und Verteilung der persönlichen Arbeitszeit verstanden werden, bedeutet individuelle Ortssouveränität, dass die Beschäftigten auch den beruflichen Arbeitsort - zu Hause, beim Kunden, im Büro, im Telecenter - eigenständig bestimmen können (Winker 2001).

Dabei wird es unter den Rahmenbedingungen kapitalistischen Wirtschaftens immer nur um ein Mischungsverhältnis von autonomer und betrieblicher Bestimmung der individuellen Arbeitszeiten oder des individuellen Arbeitsorts gehen. Voraussetzung für eine Zeit- bzw. Ortssouveränität ist allerdings, dass die Gestaltung zeit- und ortsflexibler Erwerbsarbeit nicht nur Unternehmenslogiken unterworfen bleibt, sondern auch entlang individueller Interessen und Planungen von Beschäftigten erfolgen kann und in diesen Verhandlungsprozessen auch die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung diskutiert wird.

3     Ausblick

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bipolare Stereotypisierungen dazu beitragen, Frauen von der Entwicklung und Gestaltung von Informationstechnik auszuschließen. Gleichzeitig schlagen sich die herrschenden Geschlechterarrangements auf die Auswahl der Technikfelder und die Richtung der Entwicklung nieder. Die Orientierung an Lebensmodellen, die von der männlichen Normalbiographie geprägt sind, wird deutlich. Dies ist nicht verwunderlich, da eine im sozialen Prozess entstandene Computertechnologie nicht die grundlegenden Rahmenbedingungen geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung aufbrechen kann. Allerdings ist die Zukunft der Informationstechnik gestaltbar, da sie von gesellschaftlichen Prozessen beeinflusst wird. Vernetzte Computertechnologie könnte - das sollte an einigen wenigen Beispielen deutlich geworden sein - den Informationsbedürfnissen und Koordinierungsanforderungen Rechnung tragen, die sich aus den vielfältigen weiblichen Arbeitsaufgaben ergeben. Wie also müsste eine Technikforschung und -entwicklung aussehen, die das Gestaltungspotenzial der Informationstechnik umfassend nutzt? Aus der Frauen- und Genderforschung lassen sich folgende Aufgaben ableiten: 

Für all diese angesprochenen Maßnahmen bedarf es Frauen und auch Männer, die sich Genderkompetenz und informationstechnische Kompetenz aneignen und damit geschlechtersensitive Gestaltungskompetenz erlangen. In Bewegung ist heutzutage nicht nur die Informationstechnik, sondern auch viele Frauen und Männer in ihrer Auseinandersetzung mit der je eigenen Geschlechtsidentität. So liegen bewegende Zeiten vor uns und es lohnt sich u. a. für InformatikerInnen, GenderexpertInnen, TechniksoziologInnen und engagierte Laien, sich an der Zukunftsgestaltung zu beteiligen.

Literatur

Butler, J., 1991:
Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt/Main: Suhrkamp

Degele, N., 2002:
Einführung in die Techniksoziologie. München: Fink

Faulkner, W., 2000:
The Power and the Pleasure? A Research Agenda for "Making Gender Stick" to Engineers. In: Science, Technology & Human Values, Vol. 25, No. 1, S. 87-119

Funken, C.; Winker, G., 2002:
Online-Aktivitäten von und für Frauen im deutschsprachigen Internet. In: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Dokumentation der Konferenz "Women on the Web" vom 8. bis 10. März 2001 in Hamburg, S. 25-38

Hagemann-White, C., 1993:
Die Konstrukteure des Geschlechts auf frischer Tat ertappen? Methodische Konsequenzen einer theoretischen Einsicht. In: Feministische Studien, Jg. 11, Heft 2, S. 68-78

Håpnes, T.; Rasmussen, B., 1991:
The Production of Male Power in Computer Science. In: Eriksson, I. et al. (eds.): Women, Work and Computerization. Amsterdam: North Holland, S. 395-406

Haraway, D., 1995:
Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften. In: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt/Main; New York: Campus, S. 33-72

Harding, S., 1991:
Feministische Wissenschaftstheorie. Zum Verhältnis von Wissenschaft und sozialem Geschlecht. 2. Aufl., Hamburg: Argument

Henwood, F., 2000:
From the Woman Question in Technology to the Technology Question in Feminism. Rethinking Gender Equality in IT Education. In: The European Journal of Women´s Studies, Vol. 7, S. 209-227

Margolis, J.; Fisher, A., 2002:
Unlocking the Clubhouse. Women in Computing. Cambridge, Mass.: MIT Press

Maus, B.; Winker, G., 2001:
Bewegliche Geschlechterarrangements bei Telebeschäftigten. In: Winker, G. (Hrsg.): Telearbeit und Lebensqualität. Zur Integration von Beruf und Familie. Frankfurt/Main, New York: Campus, S. 17-60

Minks, K.-H., 2000:
Studienmotivation und Studienbarrieren. In: HIS Kurzinformation A8/2000, S. 1-12

Shneiderman, B., 2000:
Universal Usability. Pushing human-computer interaction research to empower every citizen. In: Communications of the ACM, Vol. 43, No.5, S. 85-91

Vogel, U.; Hinz, C., 2000:
Zur Steigerung der Attraktivität des Ingenieurstudiums. Erfahrungen und Perspektiven aus einem Projekt. Bielefeld: Kleine

Wajcman, J., 2000:
Reflections on Gender and Technology Studies: In What State is the Art? In: Social Studies & Science, Vol. 30, No.3, S. 447-464

Walter, C., 1998:
Technik, Studium und Geschlecht. Was verändert sich im Technik- und Selbstkonzept der Geschlechter? Opladen: Leske + Budrich

Winker, G., 1995:
Büro. Computer. Geschlechterhierarchie. Frauenförderliche Arbeitsgestaltung im Schreibbereich. Opladen: Leske + Budrich

Winker, G., Preiß, G., 2000:
Unterstützung des Frauen-Alltags per Mausklick? Zum Potenzial elektronischer Stadtinformationssysteme. In: Zeitschrift für Frauenforschung und Geschlechterstudien, Heft 1+2/2000, S. 49-80

Winker, G., 2001:
Individuelle Ortssouveränität als Perspektive. In: Telearbeit und Lebensqualität. Zur Integration von Beruf und Familie. Frankfurt/Main, New York: Campus, S. 209-226

Kontakt

Prof. Dr. Gabriele Winker
Fachhochschule Furtwangen
Jakob-Kienzle-Str. 17, 79054 Villingen-Schwenningen
Tel: +49 7720 307-248
E-Mail: winkerRcs9∂fh-furtwangen de
Internet: http://www.fh-furtwangen.de/~winkerg