Robotik. Perspektiven für menschliches Handeln in der zukünftigen Gesellschaft

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Robotik. Perspektiven für menschliches Handeln in der zukünftigen Gesellschaft

von Michael Decker, Europäische Akademie Bad Neuenahr-Ahrweiler

Ende 2001 wurde das Projekt "Robotik. Optionen der Ersetzbarkeit des Menschen" der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH abgeschlossen. Eine interdisziplinär besetzte Expertengruppe entwickelte insgesamt 16 Handlungsempfehlungen für eine gesellschaftlich akzeptable Nutzung moderner Robotersysteme. Die Ergebnisse der zweijährigen Projektarbeit sind in dem Buch "Robotik. Perspektiven für menschliches Handeln in der zukünftigen Gesellschaft" veröffentlicht, das von der Projektgruppe in gemeinsamer Autorenschaft veröffentlicht wurde.

1     Einführung

Roboter sind zu den seltenen technischen Systemen zu zählen, die in ihren Konstruktions- und Wirkungsmöglichkeiten schon umfassend beschrieben und diskutiert wurden, bevor sie tatsächlich gebaut wurden. Berücksichtigt man allerdings die Entwicklung der letzten zehn Jahre, dass wesentlich mehr Mikroprozessoren als so genannte Mikrokontroller außerhalb von Computern eingesetzt werden (nämlich in Autos, Flugzeugen, Häusern, Maschinensteuerungen, Satelliten, Mobiltelefonen, Waschmaschinen, Spielautomaten, Kameras, etc.), dann kann man von einer Roboterisierung der menschlichen Umwelt sprechen. Diese Entwicklung geht einher mit größerer Leistungsfähigkeit, "Miniaturisierung" und breiter Verfügbarkeit in anderen Bereichen: Motoren, Getriebe, Batterien, Materialien, Verbindungen, Sensoren. Die allgemeine Robotik hat inzwischen einen Stand erreicht, der die Beschäftigung mit Robotern nicht mehr zwangsläufig zu einer Odyssee durch diverse Disziplinen wie Maschinenbau, Elektrotechnik, Regelungstechnik, Softwaretechnik und Algorithmik mit unzähligen unfreiwilligen Zwischenstopps macht; es kann vielmehr von einer (Mindest-)-Verfügbarkeit und Stabilität der Komponenten in Hardware und Software ausgegangen werden, und die Systeme können ingenieursgemäß und systematisch aufgebaut werden.

Diese Entwicklungen der Robotikforschung ermöglichen den Einsatz von Robotern in bisher nicht technisierten Anwendungsbereichen. Roboter agieren dann in Handlungszusammenhängen, in denen bisher ausschließlich Menschen handelten. In diesen Handlungszusammenhängen werden Menschen durch Roboter ersetzt. Der Bezug auf konkrete Handlungszusammenhänge ist dabei von besonderer Bedeutung, denn eine generelle Ersetzung des Menschen durch Roboter wird nicht angestrebt.

2     Zentrale Fragestellungen des Projektes

In dem vorliegenden Projekt wurde beurteilt, in welchen Handlungszusammenhängen Roboter statt menschlicher Agenten eingesetzt werden können oder sollen, bzw. nicht eingesetzt werden sollen. Dabei verpflichtete man sich den Prinzipien der Rationalen Technikfolgenbeurteilung (Decker, Grunwald 2001), nach denen nur wohl begründete Aussagen als Basis der Beurteilung herangezogen werden. Die Frage nach der Ersetzbarkeit des Menschen in konkreten Handlungszusammenhängen ist sehr allgemein formuliert. Sie soll daher in mehreren Teilfragen genauer skizziert werden, wobei auch der interdisziplinäre Charakter der Fragestellung offensichtlich wird.

Zunächst stellt sich die Frage nach der technischen Ersetzbarkeit. Man wird einen Roboter nur dann einsetzen, wenn er technisch dazu in der Lage ist, Handlungen auszuführen, die es für das Erfüllen einer bestimmten Aufgabe zu erledigen gilt. Ein Roboter wird technisch immer in einem Zweck-Mittel-Zusammenhang beurteilt. Dabei tritt er in Konkurrenz zu eventuell vorhandenen anderen Mitteln, die ebenfalls zur Erreichung eines Zweckes eingesetzt werden können. Die technischen Kriterien für den Einsatz von Robotern werden aus diesem Zweck-Mittel-Zusammenhang gewonnen. In einem nächsten Schritt stellt sich dann die Frage, ob sich diese Kriterien generalisieren lassen und somit größere Einsatzbereiche identifiziert werden können, in denen eine technische Ersetzung menschlicher Handlungen möglich oder eben nicht möglich ist.

Sehr schnell kommt man bei solchen Zweck-Mittel-Betrachtungen an einen Punkt, an dem man den Nutzen von Robotern bewerten muss (ökonomische Ersetzbarkeit). Dabei geht es nicht nur um strenge Kosten-Nutzen-Überlegungen im ökonomischen Sinne, denn dabei bleiben Aspekte eines weiter gefassten Nutzenbegriffes häufig unberücksichtigt. Offensichtlich wird dies bei der Beurteilung so genannter Service-Roboter. Denn mit Service werden immer auch schwer bewertbare Aspekte wie Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Aufmerksamkeit, Zuvorkommenheit verbunden. Wie sind diese "soft skills" in der Beurteilung zu berücksichtigen? Wie lässt sich das Recht der Nachfrageseite auf diese zusätzlichen Dienstleistungsaspekte begründen?

Die Position der Nachfrage, der Kunden, muss auch aus anderer Perspektive erörtert werden. Beispielsweise gilt es zu prüfen, ob sich durch das Einbringen von Robotern als Handelnde Veränderungen aus juristischer Sicht ergeben (rechtliche Ersetzbarkeit). Auf der einen Seite sind an dieser Stelle sicherlich Haftungsfragen von Interesse. Wer haftet für einen vom Roboter verursachten Schaden? Andererseits stellen sich auch Fragen des Verbraucherschutzes. Denn in den zukünftigen Roboter-Szenarien werden auch Robotik-Laien mit Robotern zusammentreffen. Müssen Roboter für diese "unverhofften" Begegnungen besonders ausgerüstet sein? Müssen umgekehrt Menschen auf die Möglichkeit solcher Begegnungen vorbereitet werden? Sind bei "lernenden" Robotern zusätzliche Aspekte zu berücksichtigen?

Ein besonderes Augenmerk wurde auf Anwendungsbereiche in der Medizin gelegt. Zum einen, da sich hier sowohl aus technischer Sicht eine Vielzahl von Prototypen und Anwendungsszenarien finden lassen, zum anderen, da auch aus reflektierender Perspektive reizvolle Problemstellungen auftreten. Beispielsweise ist der Gesundheitssektor aus ökonomischer Sicht interessant, da es sich um einen speziellen Markt handelt, der typischerweise stark reglementiert und in Deutschland sogar budgetiert ist. Der Einsatz von Robotern im Gesundheitssektor birgt die Gefahr, dass Pflegebedürftige in ethisch bedenkliche Betreuungssituationen geraten (ethische Ersetzbarkeit). Hier gilt es beispielsweise zu fragen, ob Pflegebedürftige einen Roboter in ihrem Umfeld akzeptieren müssen, wenn dieser in die gesetzliche Regelversorgung aufgenommen wurde. Oder soll dem Patienten ein Veto-Recht eingeräumt werden? Wie sind Roboter als Hilfsmittel in der Pflege zu beurteilen?

3     Zusammensetzung der Projektgruppe

Für die Lösung dieser interdisziplinären Problemstellung (siehe Graue Reihe Nr. 8) mit der Ausrichtung auf medizinische Anwendungen wurde eine Projektgruppe zusammengestellt, in der die verschiedenen Disziplinen durch die folgenden Experten vertreten wurden: Prof. Dr. Gerd Hirzinger und Prof. Dr. Gerhard Schweitzer (Robotik), Prof. Dr. Thomas Christaller (Künstliche Intelligenz Forschung, Vorsitz), Prof. Dr. J.M. Gilsbach (Neurochirurgie), Prof. Dr. Dr. E. Schweighofer (Rechtswissenschaft), Prof. Dr. D. Sturma (Philosophie) und Prof. Dr. Dr. K. Lauterbach (Gesundheitsökonomie). Von Seiten der Europäischen Akademie GmbH wurde die Gruppe von Dr. Michael Decker (Technikfolgenabschätzung) geleitet. Die Ergebnisse der Projektgruppe wurden während und nach der Projektlaufzeit von ebenfalls interdisziplinär besetzten Expertengruppen evaluiert (siehe Graue Reihe Nr. 16). Darüber hinaus wurden im Auftrag der Projektgruppe verschiedene ergänzende Studien angefertigt, die sich mit der Schnittstelle Mensch-Maschine, mit Konzepten der natürlichen Intelligenz und mit dem Rechtsvergleich verschiedener Europäischer Länder befassten (siehe Graue Reihe Nr. 29). Über die Möglichkeiten der direkten Ankopplung an das Nervensystem von Lebewesen informierte sich die Projektgruppe in einem Fachgespräch mit Professor Dr. H. Scheich (Neurobiologie).

4     Ergebnisse und Handlungsempfehlungen

Die Ergebnisse der Studie wurden am 29. November 2001 in Berlin veröffentlicht. Am 30. April 2002 fand eine Präsentation im BMBF mit einer Begrüßung durch Staatsekretär Dr. U. Thomas statt. Die Ergebnisse der Projektgruppe sind durch die Widergabe der Handlungsempfehlungen in dem Kasten auf den Seiten 110-113 zusammengefasst.

Die Handlungsempfehlungen werden von zwei Grundgedanken geleitet:

Der gegenwärtige Stand der Robotik bietet günstige Bedingungen, eine Diskussion auf den Weg zu bringen, die Vor- und Nachteile abwägt und zukünftige Anwendungsperspektiven thematisiert. Experten in vielen Fachgebieten, Wirtschaftsunternehmen, Forschungs- und Wirtschaftspolitik, die Medien und die Bevölkerung sind für eine derartige Diskussion bereits sensibilisiert. Die Handlungsempfehlungen der Projektgruppe sollen dazu beitragen, auf wesentliche Bewertungsaspekte der Robotik aufmerksam zu machen. Sie lassen sich in sechs Komplexe gliedern: 

In der nachfolgenden Zusammenstellung werden die von der Projektgruppe erarbeiteten Handlungsempfehlungen in den sechs Komplexen bzw. Bereichen detailliert aufgeführt.

Handlungsempfehlungen

Technologie
1. Robotik als Schlüsseltechnologie
  Die Robotik ist eine Schlüsseltechnologie für das 21. Jahrhundert.

Es wird daher eine nachhaltige Förderung empfohlen. Die Förderung sollte eine ethische, rechtliche, ökonomische und soziale Analyse und Bewertung im Sinne einer Technikfolgenbeurteilung einschließen.

Dabei stehen sowohl die Zwecke des Robotereinsatzes als auch die Mittel zur Disposition, wenn der technische Nutzen bzw. der Zusatznutzen, wenn konkurrierende Mittel existieren, bewertet wird. Dieser Nutzen ist den Kosten gegenüberzustellen.

Im Rahmen der Kostenrechnung sollten die vergleichsweise hohen Entwicklungskosten nur bedingt berücksichtigt und die sich über die Zeit hinweg verringernden Kosten für Hardware in Rechnung gestellt werden.

Diese Art der Kostenbewertung kann als Beitrag zur Kultur künftiger Generationen gerechtfertigt werden.

2. Neue Technologien und der Arbeitsmarkt
  Durch verstärkten Robotereinsatz wird die bisherige Vorstellung von Fertigungsprozessen sowie von Dienstleistungen in Frage gestellt. Die menschliche Arbeit und ihre Randbedingungen werden verändert. Insbesondere ist zu erwarten, dass in zunehmendem Maße bei Fertigungsprozessen Roboter den Menschen ablösen werden, weil sie dort in Zukunft effizienter, zuverlässiger und ausdauernder arbeiten als er. Die Robotik wird zu einer grundlegenden Änderung im Arbeitsmarkt von rein produzierenden hin zu höher qualifizierten steuernden bzw. administrativen menschlichen Tätigkeiten führen.

Damit diese Chancen für die Menschen genutzt werden können, wird empfohlen, Qualifizierungsmaßnahmen in Aus- und Weiterbildung zu schaffen.

(Siehe auch Handlungsempfehlung Nr. 4 "Kosten Nutzen-Analyse")

3. Erweiterung des menschlichen Aktionsradius durch so genannte Expansionsroboter
  Expansionsroboter versetzen Menschen in die Lage, Handlungsbarrieren zu überwinden und ‚telepräsent' zu sein, also an einem nicht direkt zugänglichen Ort handeln zu können. Die Unzugänglichkeit ergibt sich durch große Entfernungen, wie im Weltraum, durch Größenverhältnisse, wie im Mikro- und Nanometerbereich, und physische Barrieren. So können Telepräsenzkonzepte in der minimal-invasiven Medizin dazu dienen, die Handbewegungen des Operateurs intuitiv nachvollziehbar und angemessen auf Instrumente zu übertragen. Auch die Gefährdung des Menschen kann eine Barriere darstellen, welche die Telepräsenz überwinden hilft - beispielsweise Tiefsee, Sprengmittelentschärfung, AKW-Inspektion und AKW-Demontage, medizinische Bestrahlung.

Diese Anwendungen sollen als Basis der Roboterentwicklung betrachtet werden, von der technische Neuerungen in andere Anwendungsbereiche einfließen. Es wird eine umfassende Forschungsförderung in diesen Expansionsbereichen empfohlen.

4. Kosten-Nutzen-Analysen obligat
  Im Rahmen des Zweck-Mittelzusammenhangs werden Robotersysteme relativ zu ihren Alternativen beurteilt. Dabei spielt die Kosten-Nutzen-Analyse eine zentrale Rolle. In vielen Anwendungsbereichen kann diese Analyse dem Markt überlassen werden. Die Ergebnisse des Vergleichs von Telematik und Robotik in der Medizin zeigen, dass eine pauschale Kosten-Nutzen-Analyse für diese Techniken nicht ausreichend ist. Stattdessen gilt es, das Kosten-Nutzen-Verhältnis in den konkreten Einzelfällen zu bestimmen, wobei der Nutzen unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes zu bewerten ist.

In Bereichen, in denen die öffentliche Hand als Förderer auftritt, bzw. in besonderen Märkten, wie ihn beispielsweise das Gesundheitssystem darstellt, wird empfohlen, Kosten-Nutzen-Analysen in jedem Falle durchzuführen.

 
       Wirklichkeit und Utopie
5. Potenzial für öffentliche Diskussion nutzen
  Bis heute werden Roboter fast ausschließlich in industriellen Umgebungen eingesetzt. Ihr Einsatz gründet dort auf Rationalisierungs- und Qualitätsüberlegungen. Außerhalb solcher Umgebungen gibt es eine Vielzahl von weiteren Einsatzszenarien, deren Nutzen und Akzeptanz sich noch nicht in ein klares Bild fügen.

Allerdings existieren in der Öffentlichkeit bereits Vorstellungen von meist utopischen Robotern aus Literatur und Filmen der Science Fiction. Durch Science Fiction wird das kulturelle Selbstverständnis des Menschen angesprochen und potenziell verändert. Auch wenn solche utopischen Vorstellungen nie technisch realisiert werden können, so haben sie doch das Interesse der breiteren Öffentlichkeit für konkrete Sachinformationen vorbereitet.

Dieses Interesse sollte durch eine öffentliche Diskussion über realistische Anwendungen der Robotik verfolgt werden, um so zu einer sachlichen, transparenten, konsensfähigen Meinungsbildung zu kommen.

6. Sprachspiele in der Künstlichen Intelligenzforschung und Robotik
  Aufgrund der wechselseitigen Bedingungsverhältnisse von Sprache und Handlung muss der semantische Umgang mit Künstlicher Intelligenz und Robotik einer Überprüfung unterzogen werden, denn Begriffsprägungen sind auch in technologischen Bereichen keineswegs wertneutrale Etikettierungen. Vielmehr präformieren sie unmittelbar die Wahrnehmung, Interpretation und Behandlung von Sachverhalten. In der Robotik legt die unbegründete Verwendungsweise von Ausdrücken wie ,Wissen', ,Intelligenz', ,Repräsentation', ,Intentionalität', ,Agent', ,Autonomie', ,humanoide Roboter' und entsprechender Verbformen nahe, dass von menschlichen Fähigkeiten und Eigenschaften die Rede ist.

Dementsprechend wird empfohlen, das Sprachspiel der Robotik von genuin anthropologischen Bestimmungen deutlich abzugrenzen.

Die Klärung und Überprüfung des fachspezifischen Vokabulars hat in den erweiterten semantischen Kontexten der Alltagssprache zu erfolgen. Diese Erweiterung wird für Handlungstransparenz sorgen und ist zudem prohibitiv für Annahmen einer selbstverständlichen Vorrangstellung des Expertenvokabulars.

 
Manipulationsszenarien
7. Roboter im Kinderzimmer
  Roboter können von außen wie Lebewesen wirken und in konstruierten Bewegungsabläufen Schlüsse auf Einstellungen nahe legen, denen nichts in den internen Zuständen der Maschine entspricht. Im Ausbildungs- und Unterhaltungsbereich gibt es Hinweise auf instrumentalistische Nivellierungen und ökonomisch motivierte Überschreitungen der Grenzen zwischen natürlicher Art und Maschine. Vor allem bei Kindern, die gerade die Unterschiede zwischen Lebewesen und Nicht-Lebewesen lernen, sollte ein Roboter nicht irritierend wirken. Die Vorbehalte gegenüber derartigen Robotern widersprechen nicht generell der Möglichkeit, dass Anwendungsformen von KI und Robotik in der kindlichen Bildung eingesetzt werden können. Das gilt vor allem für die Formen des ‚Edutainment', in denen ohne den Umweg über Manipulationsszenarien spielerisch Maschinen konstruiert werden, wie etwa bei Roboter-Baukästen.

Es wird empfohlen, bei der Begutachtung von Spielzeug diese funktional unterschiedlichen Typen von Robotern im Kinderzimmer auseinander zu halten und vor allem auf manipulative Aspekte zu achten.

 
       Roboter und Recht
8. Roboter als Sachen
  Roboter sind Sachen und keine Personen im Rechtssinne. Roboter können automatisiert Nachrichten der Willenserklärung des Roboterbesitzers abgeben. Eine Diskussion um qualitative Kriterien für die Anerkennung des Roboters als künstlichen Mensch und damit als beschränkte Rechtsperson ist derzeit noch verfrüht.

Aus rechtlicher Sicht ist das System der EU-Wirtschaftsordnung mit Vorrang des Privatrechts und bei Festlegung von wesentlichen Sicherheitsanforderungen und Prinzipien des Verbraucherschutzes für Roboter als ausreichend zu betrachten, um unerwünschte Technikfolgen durch Roboter zu vermeiden. Verschuldenshaftung und Produkthaftung verhindern den Einsatz fehlerhafter Roboter durch Schadenersatzpflichten. Es wird empfohlen, die privatrechtlichen Haftungsvorschriften für die Zurechnung von Roboterhandlungen zukünftig zu verschärfen.

(Siehe auch Handlungsempfehlung Nr.10 "Lernende Roboter")

9. Haftung für Roboter
  Der Roboterhalter haftet grundsätzlich nur bei eigenem Verschulden oder dem seiner Gehilfen für durch den Roboter verursachte Schäden. Dieses Fehlverhalten liegt insbesondere vor bei mangelhafter Organisation, Bedienung und Wartung durch den Roboterhalter.

Der Roboterproduzent hat für Fabrikations-, Konstruktions- und Instruktionsfehler im Rahmen der Produkthaftung einzustehen.

Der Roboterhalter sollte die Undurchschaubarkeit des mechatronischen Systems für Dritte durch Beweislastumkehr für Verschulden und Ausreichen des Nachweises der Anscheinskausalität mitverantworten.

Es wird empfohlen, dass Gerichte im Rahmen bestehender Gesetze die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen erleichtern, die durch Roboter verursacht werden.

 
       Autonome Roboter
10. Umgang mit lernenden Robotern
  Lernende Roboter sollten von nicht-lernenden Robotern unterschieden werden können, da durch die Verwendung von Lernalgorithmen die Haftung für Schäden zwischen Hersteller und Halter beeinflusst wird.

Es wird empfohlen, den Lernprozess für den Roboterhalter bzw. Dritte transparent zu machen. Das Installieren einer nicht veränderbaren Black Box zur laufenden Dokumentation der wesentlichen Ergebnisse der Lernprozesse bzw. Sensorik (vgl. Handlungsempf. Nr. 8) kann in diesem Zusammenhang hilfreich sein.

11. Ausstattung autonom agierender Roboter
  Maschinell autonome Serviceroboter werden in Zukunft auch in der Lebenswelt von Menschen agieren, die keine Roboterexperten sind.

Es wird empfohlen, die Aktionen des Roboters von außen erkennbar und vorhersagbar zu machen, damit sein Gefährdungspotenzial auch von Laien wahrgenommen und reduziert werden kann.

Die Morphologie des Roboters sollte etwa so gestaltet sein, dass man daraus auf den Aktionsradius und die Bewegungsrichtung schließen kann. Vorstellbar wäre auch, den Roboter die Aktionspläne vor sich hin sagen zu lassen. Bezüglich der Identifizierbarkeit ist in den Räumlichkeiten bzw. Grundstücken des Roboterhalters die Herstellungsnummer ausreichend. Auf öffentlichen Verkehrswegen sollte der Roboter eine Identifikation tragen, die Auskunft über den Roboterhalter gibt - beispielsweise ein Nummernschild.

12. Position des Menschen in der Steuerungshierarchie
  In den Kontexten der Robotik ist an der Zwecksetzungskompetenz von Personen grundsätzlich festzuhalten. Das damit verbundene Instrumentalisierungsverbot ist bei der Einrichtung der jeweiligen Entscheidungshierarchien zu berücksichtigen.

Bei der technischen Umsetzung der Entscheidungskompetenz kommt der Ausgestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle bzw. Programmsteuerung große Bedeutung zu. Damit Menschen die Verantwortung für das Funktionieren von Robotern übernehmen können, müssen diese im Sinne von Durchschaubarkeit, Vorhersehbarkeit und Beeinflussung kontrollierbar sein.

Es wird empfohlen, dass in allen Fällen, in denen Roboter eigene Entscheidungsspielräume erhalten, die betroffenen Personen darüber aufgeklärt werden und ihre ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung geben müssen. Insbesondere bei medizinischer Behandlung und Pflege soll die Verweigerung dieser Zustimmung eine Vetofunktion haben.

 
Roboter in der Medizin
13.   Robotik in der operativen Medizin
  Roboter werden die weitere Verbreitung minimal-invasiver Eingriffe wesentlich fördern. Soweit die technischen und computertechnischen Entwicklungen zu übersehen sind, bleiben zwar autonome Operationsroboter auf absehbare Zeit dem Operationssaal fern. Mit der Verbesserung der navigatorischen Kontrolle von Instrumenten und Geräten und der Integration und intraoperativen Aktualisierung der Bildgebung können aber immer mehr Teilschritte von Operationen oder Operationsassistenzen durch computer-assistierte Apparate und Systeme unterstützt und gegebenenfalls ersetzt werden.

Es wird empfohlen, diesen Teilaspekt der Robotik als eine zukunftsträchtige Entwicklung zur Verbesserung und Erhaltung der Gesundheit zu fördern.

Künftige Kostenabrechnungsgesetze sollten diese wünschenswerte Entwicklung fördern, indem sie zum Beispiel eine schonendere Eingriffstechnik und schnellere Genesung angemessen belohnen. Auch die Rehabilitationsbestimmungen der Krankenkassen sollten schonendere Operationstechniken berücksichtigen.

14. Assistenzroboter in Pflegebereichen
  Beispiele für den Einsatz von Robotern in der Medizintechnik sind computerunterstützte Beatmungsgeräte, neuartige Hilfen beim Umbetten eines Patienten, Assistenzsysteme zur Rehabilitation der menschlichen Bewegungsfähigkeit sowie Assistenzroboter, um Alten und Behinderten ein selbständiges Leben zu erleichtern.

Beim Einsatz von Robotern in Pflegebereichen ist zu beachten, dass die Pflege am Menschen in verantwortlicher Weise nur von Menschen durchgeführt werden sollte. Pflegebedürftige Menschen dürfen nicht zur Sache gemacht werden, indem aus ihrem Umfeld durch den Einsatz von Robotern menschliches Pflegepersonal entzogen wird.

Es wird empfohlen, Roboter entsprechend nur als Werkzeuge bzw. als technische Assistenz in der Pflege und zur Aufrechterhaltung der Autarkie des Pflegebedürftigen im häuslichen Umfeld einzusetzen.

15. Medizintechnische Robotik und Prothetik
  Mit Konzepten der Mechatronik und Robotik lassen sich Prothesen und Implantate entwickeln, die sich in intelligenter Weise dem Menschen anpassen. Beispiele sind aktive Prothesen für Glieder und Gelenke, künstliche innere Organe wie Blase oder unterstützende Herzpumpe und tragbare oder implantierte Medikamentenpumpen. Der Gebrauch von solchen Techno-Implantaten wird vermutlich weniger Einschränkungen ethischer Art unterliegen als die Xenotransplantation oder das menschliche Organspenden. Auch die Chancen der Realisierung, unter Beachtung von technischen und medizinischen Schwierigkeiten, Kosten, Zeit und Verfügbarkeit, erscheinen höher.

Es wird empfohlen, Techno-Implantate vorbehaltlich einer Analyse des Patientennutzens zu fördern.

16. Entgeltsysteme in der Medizin und gesundheitlicher Nutzen
  Das derzeitige Entgeltsystem in den Krankenhäusern basiert auf der Pauschalvergütung für bestimmte medizinische Prozeduren. Fallpauschalen und Sonderentgelte wurden auf Basis der Kosten für das derzeitige Standardbehandlungsverfahren bei definierten Diagnosen kalkuliert. Neue Technologien finden keine Berücksichtigung in der Höhe der Pauschale. Auch das in Deutschland vorgesehene rein diagnosebasierte Entgeltsystem (DRG - diagnosis related groups) ist in dieser Hinsicht unflexibel. Das Entgeltsystem muss in der Lage sein, neue Technologien, die einen evidenzbasierten medizinischen Nutzengewinn liefern und eine gute Kosten-Nutzen-Analyse aufweisen, in die Regelversorgung ohne unvertretbaren Verzug aufzunehmen. Die zunächst pauschal durchgeführte Kosten-Nutzen-Analyse der telematischen und robotischen Anwendungen deutet an, dass einige neue Techniken das Potenzial haben, einen evidenzbasierten Nutzengewinn zu erzielen.

Es wird empfohlen, für jedes Forschungsvorhaben und für neue Verfahren vor der Einführung in die Regelversorgung begleitende Kosten-Nutzen-Analysen unter Berücksichtigung volkswirtschaftlicher Aspekte sowie der Auswirkungen auf die Prognose und Lebensqualität der Patienten durchzuführen.

Literatur

Decker, M., Grunwald, A., 2001:
Rational Technology Assessment as Interdisciplinary Research. In: Decker, M. (ed.): Interdisciplinarity in Technology Assessment. Implementations and its Chances and Limits. Berlin, Heidelberg: Springer

Decker, M., 1997:
Perspektiven der Robotik. Überlegungen zur Ersetzbarkeit des Menschen. Europäische Akademie Bad Neuenahr-Ahrweiler, Graue Reihe Nr. 8

Decker, M. (Hrsg.), 1999:
Robotik. Einführung in eine interdisziplinäre Diskussion. Europäische Akademie Bad Neuenahr-Ahrweiler, Graue Reihe Nr. 16

Christaller, T., Decker, M. (Hrsg.), 2001:
Robotik. Perspektiven für menschliches Handeln in der zukünftigen Gesellschaft. Materialienband. Europäische Akademie Bad Neuenahr-Ahrweiler, Graue Reihe Nr. 29

Christaller, T., Decker, M., Gilsbach, J.M., Hirzinger, G., Lauterbach, K., Schweighofer, E., Schweitzer, G., Sturma, D., 2001:
Robotik. Perspektiven für menschliches Handeln in der zukünftigen Gesellschaft. Berlin, Heidelberg: Springer

Kontakt

PD Dr. Michael Decker
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Karlstr. 11, 76133 Karlsruhe
Tel.: +49 721 608-23007
E-Mail: michael decker∂kit edu