Diskussionsforum: Partizipation als konzeptionelles Strukturprinzip von TA
Einführung
Partizipation als konzeptionelles Strukturprinzip von TA
Zur Verabschiedung von Fritz Gloede
von Bettina-Johanna Krings und Armin Grunwald, ITAS
Der Gedanke der Partizipation als eine Möglichkeit der Mitwirkung und/oder Mitbestimmung von Individuen und Organisationen in Entscheidungsprozessen zu Technikentwicklungen findet sich in der Technikfolgenabschätzung (TA) schon seit den 1970er Jahren. Diese weite Definition zeigt schon an, dass die Umsetzung von Partizipation in unterschiedliche politische Kulturen viele Möglichkeiten und Modelle zulässt. Dies zeigt sich empirisch seit den 1980ern in international durchaus sehr vielseitigen Ausprägungen sowie in unterschiedlicher Intensität. In Deutschland beispielsweise war die Stuttgarter TA-Akademie (1992–2003) eigens zu dem Ziel gegründet worden, Dialog und Diskurs als ein Strukturprinzip von Partizipation im Kontext des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zu führen und zu fördern. Gleichwohl, so richtig auf der institutionellen Ebene angekommen scheint der Anspruch auf Partizipation in Deutschland erst seit wenigen Jahren. In den vergangenen Jahrzehnten hat zwar vielfach sozialer Widerstand gegen große technische Infrastrukturprojekte die Aufmerksamkeit auf diesen Anspruch gelenkt. Auf diese Form zivilen Protestes kann sich die Reflexion über Partizipation in der TA-Forschung jedoch nicht länger beschränken. Viele Bürger/innen sind heute weniger denn je bereit, ihr demokratisches Selbstverständnis auf die Teilnahme an Wahlen zu beschränken. Besonders wenn es um Angelegenheiten „vor der Haustür“ geht, wollen sie frühzeitig eingebunden werden. Umgekehrt ist der „Wutbürger“ zum Symbol dafür geworden, dass das Geschäft für Politiker, Manager und Planer schwieriger geworden ist. Hier bestehen teilweise naive Erwartungen, man müsse nur „die Menschen mitnehmen“, um die Akzeptanz für die eigene Interessenslogik sicherzustellen.
So treffen sich in dem normativen Anspruch auf Partizipation unterschiedliche und teilweise auch unvereinbare Erwartungen, die nicht selten unversöhnt nebeneinander stehen. Diese Situation stellt häufig einen Kontrast zwischen der demokratisch fundierten Weiterentwicklung unseres Gemeinwesens sowie der Einsicht dar, dass der technische Fortschritt Teil dieses Gemeinwesens sein sollte. Und die TA befindet sich in dieser Gemengelage mitten drin.
Schon seit Jahrzehnten befasst sie sich konzeptionell mit dem Thema der Partizipation und eben diesem Anspruch, kreative Impulse für die Förderung dieses Grundverständnisses zu eröffnen. Die Erfahrung hat allerdings gezeigt, dass dieses Vorhaben nicht trivial ist und TA auf verschiedene methodologische Spannungsfelder verweist.
So bewegen sich diese konzeptionell geprägten Debatten zu TA auf unterschiedlichen analytischen Ebenen, stellen unterschiedliche Fragen in den Mittelpunkt und beinhalten auch unterschiedliche disziplinäre Perspektiven auf TA. Gemeinsam scheint diesen Debatten bekanntermaßen eine Spannung zugrunde zu liegen, die mit den Polen „Verwissenschaftlichung“ und „Politikberatung“ bezeichnet werden kann.
Auf der einen Seite geht es darum, mit den methodischen Instrumentarien der Wissenschaften Technikfolgen zu erforschen, zu analysieren und deren vielfältige Problemorientierungen für gesellschaftliche Entwicklungen aufzuzeigen. Auf der anderen Seite hat sich TA historisch vor einer Reihe von inhaltlichen Postulaten (Frühwarnung, differenzierte Darstellung der Folgen, Entscheidungsorientierung, Partizipation) entwickelt, die dem Ansatz sowie seiner konzeptionellen Verortung ein spezifisches Profil verliehen haben. Die institutionelle Durchsetzung des Konzeptes mit der Erwartung einer „Politikberatung“ in verschiedenen Ländern rückte das Konzept in unmittelbare Nähe der Politik und verlieh ihm Modellcharakter. Diese Modelle (v. a. Formen der parlamentarischen TA) sind inzwischen an die jeweiligen institutionellen Rahmenbedingungen und politischen Kulturen der unterschiedlichen Länder angepasst.
Diese „Nähe“ zur Politik reproduziert ein Spannungsfeld, mit dem sich historisch alle konzeptionellen Ansätze auseinandergesetzt haben (s. exemplarisch Gibbons/Gwin 1986), denn an den „Auftrag“ der Beratung werden multiple Erwartungen an TA gestellt, die notwendigerweise in die Generierung des Wissens einfließen. Gleichzeitig sind gerade diese Erwartungen an TA ausschlaggebend dafür, die üblichen Standards von Wissenschaftlichkeit und damit die Gütekriterien wissenschaftlichen Arbeitens ernst zu nehmen, um nicht von den Erwartungen aus der Politik vereinnahmt und zum Mitspieler politischer Interessen zu werden.
Vor diesem Hintergrund kann es kein Idealkonzept von TA geben (Paschen/Petermann 1992), sondern TA kann aufgrund des hohen Erwartungsdrucks sowie der sich permanent im Wandel befindenden Rahmenbedingungen lediglich ein heuristisches Konzept sein. Dieses bedarf jedoch der ständigen Reflexion in zweierlei Weise: in einer (inter-)disziplinär ausgerichteten Weise auf einen konkreten Forschungsgegenstand sowie auf die Möglichkeiten der Bedingungen, TA überhaupt durchzuführen.
Fritz Gloede hat sich im Laufe seines Arbeitslebens immer zu beiden Formen der Reflexion bekannt. Dem Zusammendenken dieser beiden Ebenen galt und gilt noch immer sein Engagement, das er im Rahmen von Projekten und Publikationen weiterentwickelt hat. Ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch seine Arbeiten zieht, ist der Begriff der „Partizipation“, den er gegen jedwede Vereinnahmungen durch praxisferne und diffuse Mitbestimmungsmodi verteidigt hat.
Der Anlass dieses Diskussionsforums ist zum einen, die Verabschiedung von Fritz Gloede in den Ruhestand zu begleiten. Zum anderen stellt es eine ausgezeichnete Gelegenheit dar, mit Hilfe einer „Neubesichtigung“ einiger ausgewählter Arbeiten Gloedes, den Stand der Theoriedebatte um TA zu vergegenwärtigen, und um alte und neue Debatten konstruktiv zu verknüpfen und weiterzuführen.
Weil sich die Rahmenbedingungen für TA in den letzten 25 Jahren sichtbar verändert haben und wegen der neuen Qualität der gesellschaftlicher Auseinandersetzung um (neue) Technologien könnten Gloedes Analysen wieder dahingehend fruchtbar gemacht werden, TA als reflexives wissenschaftliches Konzept zu verstehen, das auf Grund der Eruierung gesellschaftlicher Problemlagen nicht umhin kommt, selbstreflexive Deutungsversuche zu unternehmen und mindestens den Rahmen auszuweisen, vor dem sie ihre Reflexionen anlegt. Eine Art theoretische Standortbeschreibung für TA also, die – der eigenen Wurzeln durchaus bewusst – vorwärtsgewandt angesichts aktueller Fragestellungen das Verhältnis von Theorie und Praxis neu auslotet.
Dies müsste, ganz im Sinne von Gloede, notwendigerweise bedeuten, das Verhältnis von TA und ihren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen neu zu benennen und sie theoretisch zu verorten. Es wäre auch zu diskutieren, was es heute bedeuten kann, TA als „Subjekt wie Objekt“ einer „reflexiven Verwissenschaftlichung“ zu erkennen, die „sich doppelt reflexiv auf das Verhältnis objektiver Problemlagen und politisch-gesellschaftlicher Problemwahrnehmungen beziehen“ (Gloede 1992, S. 314; Hervorhebung Krings/Grunwald) und eine entsprechende Methodologie ausbilden müsste. Dieser Anspruch wurde Anfang der 1990er formuliert und es scheint, als hätte er seine Aktualität im Hinblick auf die theoretischen Implikationen der TA noch nicht eingebüßt.
Wir freuen uns, dass Thomas Saretzki und Stefan Böschen der Einladung gefolgt sind, im Rahmen dieses Diskussionsforums den kurz angeschnittenen Fragen auf den Spuren von Fritz Gloede nachzugehen und seine Ansätze im Licht der heutigen Anforderungen an TA und Partizipation zu reflektieren. Weitere Beiträge für die folgenden Hefte der TATuP sind herzlich willkommen!
Literatur
Gibbons, J.H.; Gwin, H.L., 1986: Technik und parlamentarische Kontrolle. Zur Entstehung und Arbeit des Office of Technology Assessment. In: Dierkes, M.; Petermann, Th.; von Thienen, V. (Hg.): Technik und Parlament. Technikfolgen-Abschätzung. Konzepte, Erfahrungen, Chancen. Berlin, S. 239–275
Gloede. F., 1992: Rationalisierung oder reflexive Verwissenschaftlichung? Zur Debatte um die Funktionen von Technikfolgen-Abschätzung von Technikpolitik. In: Petermann, Th. (Hg.): Technikfolgen-Abschätzung als Technikforschung und Politikberatung. Frankfurt a. M., S. 299–328
Paschen, H.; Petermann, Th., 1992: Technikfolgen-Abschätzung – Ein strategisches Rahmenkonzept für die Analyse und Bewertung von Techniken. In: Petermann, Th. (Hg.): Technikfolgen-Abschätzung als Technikforschung und Politikberatung. Frankfurt a. M., S. 19–42
Kontakt
Bettina-Johanna Krings
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Karlstr. 11, 76133 Karlsruhe
Tel.: +49 721 608-26347
E-Mail: bettina-johanna krings∂kit edu