M. Dusseldorp, R. Beecroft (Hg.): Technikfolgen abschätzen lehren – Bildungspotenziale transdisziplinärer Methoden

Rezensionen

Einheit in der Vielfalt? Technology Assessment in der Lehre

M. Dusseldorp, R. Beecroft (Hg.): Technikfolgen abschätzen lehren – Bildungspotenziale transdisziplinärer Methoden. Wiesbaden: Springer VS 2012, 394 S., ISBN 978-3-531-17908-7, € 59,95

Rezension von Alfons Bora, Universität Bielefeld

Technikfolgenabschätzung ist heute in der Wissenschaft wie in der Politikberatung etabliert und in der Lehre breit vertreten. Deshalb erscheint es durchaus angebracht, sich über Bedingungen und Formen der Lehre auf dem Gebiet der Technikfolgenabschätzung und -bewertung Gedanken zu machen. Es ist das unbestreitbare Verdienst der Herausgeber, die zuvor auf einzelnen Tagungen betriebenen Bemühungen um eine Reflexion der Lehre nunmehr in diesem Band gebündelt zur Diskussion zu stellen. Insgesamt liegt hier, soviel sei gleich vorausgeschickt, ein gelungener und aktueller Band vor, der viele Facetten der TA-Lehre vorstellt und damit der TA-Community wichtige Anregungen für die weitere Diskussion gibt.

In der Einführung beschreiben Dusseldorp und Beecroft TA als „transdisziplinäres Forschungsfeld“. Vor dem Hintergrund dieser Ausgangsannahme ist es dann plausibel, „transdisziplinäre Methoden“ auch als “Schlüssel zur Lehre“ zu charakterisieren (S. 19). Damit kann man an ein relativ verbreitetes, methodenbezogenes – gewissermaßen handwerkliches, an Kunstlehren eher als an Wissenschaftstheorie erinnerndes – Verständnis von TA anschließen, das die Herausgeber dann im Kern als Teil eines gesellschaftlichen Bildungsprozesses auffassen (S. 20). Dieser ist fächerübergreifend und umfassend. Er zielt letztlich darauf ab, an bestehende akademische Hauptfächer anknüpfend, kritische Reflexion von Technik in einem umfassenden Sinne anzuleiten (S. 22ff.).

1    Ausgangspunkt Nachhaltigkeit

Der Band ist in drei Teile gegliedert. Der erste ist überschrieben mit „Nachhaltige Entwicklung und Verantwortung als Begründungsrahmen von TA-Lehre“ und enthält fünf Beiträge. René von Schomberg entwickelt einen allgemeinen Bezugsrahmen für verantwortliche Forschung und Innovation, v. a. mit Bezug auf die politischen Entscheidungsebenen der Europäischen Union. Michael F. Jischa blickt in die Entstehungszeit des Technology Assessment zurück, in welcher er den engen Zusammenhang von TA und Nachhaltigkeit hervorhebt, vor dem dann die Lehre der TA im Ingenieurstudium am Beispiel der TU Clausthal dargestellt wird. Stefan Albrecht setzt bei der Komplexität wissenschaftlich-technologischer Entwicklungen an, um dann sechs Ziele der Hochschullehre zu formulieren, welche die Rolle Wissenschaft in der Moderne, die Entscheidungsabhängigkeit von Entwicklungspfaden, materiale Fragen der Gerechtigkeit sowie prozedurale Aspekte ebenso betreffen wie den Appell, außerwissenschaftliche Kriterien zur Überprüfung des wissenschaftlichen Handelns heranzuziehen. Mahshid Sotoudeh entwickelt aus dem Bezugspunkt nachhaltiger Entwicklung neue Maßstäbe für die ingenieurwissenschaftliche Lehre, die allerdings organisatorische Innovationen voraussetzen, insbesondere was die Verknüpfung von Lehre und Forschung mit außerwissenschaftlichen Bedürfnissen betrifft. Nachhaltigkeit als allgemeines Ziel der Hochschulbildung und dessen Relevanz für die TA-Lehre stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Gerd Michelsen und Maik Adomßent. Das Konzept der Gestaltungskompetenz stellt den Schlüssel für eine TA-Lehre dar, in welcher Inter- und Transdisziplinarität, komplexe Problemstellungen, die Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein und Persönlichkeitsbildung die zentralen Elemente bilden. Mit diesen Mitteln kann TA-Lehre als Beitrag zur Bildung für nachhaltige Entwicklung und zu einer entsprechenden gesellschaftlichen Transformation beschrieben werden.

2    Fallstudien methodenbasierter TA-Lehre

Der zweite Teil des Buches enthält unter der Überschrift „Fallstudien methodenbasierter TA-Lehre: Transfer, Simulation und Integration“ neun Beiträge, die nach den Bezugspunkten „Transfer“, „Simulation“ und „Integration“ geordnet sind.

Manuel Gottschick und Hans Schäfers beschäftigen sich unter dem Stichwort „Transfer“ mit partizipativer Modellierung, bei der in Gestalt eines Szenario-Workshops Argumente und Werte geklärt, systemische Zusammenhänge eruiert, Gestaltungsmöglichkeiten entwickelt und auf dieser Basis Beratungsempfehlungen abgegeben werden. Richard Beecroft und Jan C. Schmidt wenden sich vor dem Hintergrund allgemeiner bildungstheoretischer Überlegungen dem Bildungspotenzial der Szenariomethode genauer zu und demonstrieren an einem Fallbeispiel aus der Lehre die Vorteile der Methode. Michael Decker arbeitet die Vorzüge des stärker wissenschaftsorientierten Vorgehens der „Rationalen Technikfolgenbeurteilung“ heraus. Stefan Böschen plädiert dafür, die Möglichkeiten sog. „Stoffgeschichten“ für die TA-Lehre nutzbar zu machen. Mit diesen Geschichten könne insbesondere der für TA wichtige Systemblick entwickelt und gefördert werden.

Unter dem zweiten Stichwort „Simulation“ stellen Volker Beusmann und Regine Kollek ein vorlesungsbegleitendes Blockseminar vor, auf dem eine Konsensuskonferenz zu prädiktiven genetischen Tests simuliert und von den Studierenden ausgewertet wurde. Die Veranstaltung ermöglichte „aktives, experimentelles und auf die Studierenden zentriertes Lernen“ (S. 222), war allerdings auch mit außergewöhnlich hohem Vorbereitungsaufwand verbunden. Ein weiteres Simulationsverfahren stellt Marc Dusseldorp anhand des „Planspiels Technikfolgenabschätzung“ vor, das in verschiedenen Veranstaltungen in Karlsruhe und Darmstadt angeboten wurde und das sich mit Blick auf Themen wie Institutionen breit variieren lässt. Ortwin Renn und Marlen Schulz beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit dem Gruppen-Delphi in der TA-Lehre. Ambivalenz, Komplexität und Unsicherheit beeinträchtigten die Güte jeder Vorhersage. Delphi-Verfahren hätten sich nach Ansicht der Autoren im Umgang mit diesen Schwierigkeiten besonders bewährt. Für die Lehre eigneten sich besonders Gruppen-Delphis, die in einem ein- bis zweitägigen Workshop durchgeführt und in der Lehre leicht simuliert werden könnten, wie an einem Beispiel gezeigt wird.

Das Thema „Integration“ wird in dem Beitrag von Rolf Meyer über Szenario-Workshops in der Lehre als Integration von Methodenentwicklung und Lehre interpretiert. An einem Beispiel wird deutlich, wie Szenario-Workshops in der Lehre eingesetzt werden können. Michael Stauffacher und Roland W. Scholz beschäftigen sich mit „transdisziplinärer Lehrforschung“ an der ETH Zürich. In entsprechenden Projekten erwerben Studierende TA-Kompetenzen an realen Fällen, die sie kooperativ, wissenschaftlich begleitet und praxisorientiert bearbeiten.

3    TA-Lehre im Curriculum

Im dritten Teil des Bandes geht es in sechs Beiträgen um die institutionelle und curriculare Einbettung von TA-Lehre. Günter Ropohl setzt sich mit den didaktischen Herausforderungen auseinander, die transdisziplinäres Wissen mit sich bringt. Einer TA-Lehre, die sich lediglich als Annex zu einem Fachstudium versteht, stellt er das positive Modell einer Integration transdisziplinärer Gesichtspunkte in die fachliche Lehre gegenüber und veranschaulicht dieses Modell am Beispiel des Maschinenbaus. Ellen von Oost erörtert den konkreten Bedarf an didaktischem Material in der TA-Lehre und schlägt verschiedene Module für ein solches „TA-Textbook“ vor. Mit „Technology Governance“ in der Lehre beschäftigt sich Georg Simonis. Er skizziert Themenfelder und die Modulstruktur eines entsprechenden Studiengangs. Björn Helbig und Bernd Stegmann führen in den neu eingerichteten Masterstudiengang „Zukunftsforschung“ der FU Berlin ein. António B. Moniz stellt ein portugiesisch-deutsches Promotionsprogramm „Technology Assessment“ vor, dessen Potenzial und Schwierigkeiten zugleich in der Notwendigkeit begründet sind, in der internationalen Kooperation zwischen Hochschulen inter- oder multidisziplinäre Inhalte in den bestehenden organisatorischen Strukturen zu vermitteln, die stark disziplinäre geprägt sind. Armin Grunwald stellt – ausgehend von der Prämisse, dass die Mitwirkung an Innovationsprozessen notwendigerweise auch die Verantwortung für die daraus resultierenden Innovationen begründe – die Rolle von TA an einer technischen Universität (KIT) dar.

4    Fazit

Der Band ist insgesamt ansprechend gestaltet und – wenn man von dem, freilich geringfügigen, Ärgernis fehlender Sach- und Personenregister absieht – gut lesbar. Wie eingangs erwähnt, verfolgen die Herausgeber das Ziel einer systematischen Reflexion der TA-Lehre vor dem konzeptionellen Raster transdisziplinärer Forschung und Bildung. Ob und inwiefern diese Reflexion überhaupt gelingen kann, lässt sich an den insgesamt sehr heterogenen Beiträgen dieses Sammelbandes recht gut studieren. Denn diese Heterogenität bildet am Ende in sehr authentischer Weise die Multiperspektivität – um nicht zu sagen: Multidisziplinarität – des Feldes der TA ab. Eine darauf hin ausgerichtete reflexive Theoriebildung ist kaum zu erwarten und wird auch in den vorgelegten Beiträgen nicht angeboten. Wenn darin geradezu ein Wesensmerkmal der TA zum Ausdruck kommt, nimmt es nicht Wunder, dass jeder Systematisierungsversuch schwierig bleibt, wenn nicht gar zum Scheitern verurteilt ist. Das zeigt eben auch der vorliegenden Band in seiner Gänze sehr deutlich. Die einführende Trias von Transdisziplinarität, Forschung und Bildung wird in den einzelnen Beiträgen allenfalls am Rande aufgegriffen und erweist sich in mehrfacher Hinsicht als problematisch. Schon der Gebrauch der Transdisziplinaritäts-Semantik ist ja weder in der TA-Community noch gar in der allgemeinen Wissenschaftstheorie geklärt. Auch die Festlegung auf Forschung bleibt theoretisch unausgewiesen und wird durch die Beiträge nicht mit Leben gefüllt. Viel eher wird sichtbar, dass TA eben ein Konglomerat aus Forschung, Lehre, Beratung und politischem Engagement darstellt, das nicht in der Charakterisierung als transdiziplinäre Forschung aufgeht. Ähnliches ließe sich für den Bildungsbegriff sagen, der in vergleichbarer Weise nur in einigen der zahlreichen Beiträge angemessene Resonanz findet. Alles in allem sieht man einmal mehr und in der an und für sich sehr schönen Zusammenstellung unterschiedlichster Perspektiven mit besonderer Deutlichkeit, dass TA nicht über eine Theorie verfügt, die ihr eine angemessene Form der Selbstbeschreibung ihres Gegenstandsbereichs, ihrer spezifischen Fragestellungen und ihrer begrifflich-konzeptionellen Gestalt zur Verfügung stellen könnte. Mit anderen Worten: Der für einen Sammelband wohl unerlässliche Versuch einer konzeptionellen Integration erscheint eher problematisch und insgesamt etwas überambitioniert – es hätte durchaus ein bisschen weniger sein dürfen!

Andererseits erfüllt der Band trotz dieser Kritikpunkte jedoch die überaus verdienstvolle Aufgabe, an die in vieler Hinsicht noch unerledigte Aufgabe der Integration des Feldes erinnert zu haben. Diese Aufgabe wird gerade in der Breite und Heterogenität unseres Themengebietes in der Lehre sichtbar, welche der vorliegende Band in ganz ausgezeichneter Weise abbildet. Insbesondere der zweite Teil enthält darüber hinaus viele wertvolle Anregungen und sehr anschauliche Beispiele von hohem didaktischem Nutzen. In der Lehre wird man vermutlich von diesen Beispielen am stärksten profitieren. Auch wenn er also seinem selbst erklärten theoretischen Anspruch nicht in vollem Umfang gerecht werden kann, stellt der Band doch in den eher praktischen Teilen unverzichtbares Material für die weitere Diskussion über TA-Lehre bereit. Ob generell ein höheres Maß an Integration in der Debatte erreicht werden kann, darf man getrost bezweifeln. Zu offenkundig bleibt gerade auch in dem vorliegenden Überblick über die Breite der Lehrangebote der multidisziplinäre Charakter von TA.