Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung - Plädoyer für einen trans- und interdisziplinären Dialog zwischen Rechts- und Technikwissenschaft

TA-Konzepte und TA-Methoden

Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung - Plädoyer für einen trans- und interdisziplinären Dialog zwischen Rechts- und Technikwissenschaft

von Wolfgang Hoffmann-Riem [1]

Wie das Beispiel der Technikforschung zeigt, ist die Notwendigkeit eines trans- und interdisziplinären Dialogs allgemein unbestritten, seine Realisierung aber häufig weiter ein Desiderat. Dies gilt insbesondere auch für den Einbezug rechtlicher Fragestellungen. In der neueren Rechtswissenschaft gibt es jedoch eine Reihe von Ansätzen, die den trans- und interdisziplinären Dialog aufnehmen.
Die Notwendigkeit zum Disziplinen übergreifenden Dialog ergibt sich insbesondere für eine Rechtswissenschaft, die die Rolle des Rechts im Hinblick auf dessen Problemlösungsfähigkeit zu bestimmen sucht. Ein solcher Ansatz ist insbesondere in Feldern mit hohem Innovationsbedarf gefragt. Die Gefährdung der Umwelt, Herausforderungen der Informations- und Wissensgesellschaft, Umwälzungen im Energiemarkt oder anwendungsorientierte Erfindungen etwa in der Gen- und Biotechnologie bieten Chancen für einen gestaltenden Beitrag des Rechts zur Ermöglichung von Innovationen, erfordern aber auch eine gleichzeitige Vorsorge für die Beachtung von Gemeinwohlinteressen. Gefordert ist eine teilweise Neubestimmung der Rechtswissenschaft. In dem Beitrag wird der Weg hin zu einer "rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung" skizziert, die auf die Ermöglichung technischer, sozialer und kultureller Innovationen durch Recht zielt, ohne den zugleich gebotenen Schutz für nachteilig betroffene Rechtsgüter zu verweigern.

Die Notwendigkeit eines trans- und interdisziplinären Dialogs ist allgemein unbestritten, seine Realisierung aber häufig weiterhin ein Desiderat. Am Beispiel der Technologieforschung lässt sich beobachten, dass es viele gute Ansätze, auch einzelne Erfolge gibt, dass der trans- und interdisziplinäre Dialog aber mühsam ist, von wechselseitigen Missverständnissen begleitet wird und sich keineswegs selbstverständlich und leicht Folgen einstellen, die als unbestrittener Beleg für die Richtigkeit eines solchen Vorgehens dienen können. Werden die vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) aktuell durchgeführten Forschungsprojekte als Indikator genommen, dann deutet dies darauf hin, dass der Dialog zwischen Technikern, Ökonomen und sogar Sozialwissenschaftlern als weniger problematisch gilt als der mit Rechtswissenschaftlern. Jedenfalls kommen rechtliche Perspektiven in dem Design der Forschungsprojekte nur sehr begrenzt vor und rechtswissenschaftlicher Beistand wird nur ausnahmsweise gesucht. Das muss aber nicht so bleiben.

1     Berührungsängste und Berührungsnotwendigkeiten

1.1     Scheu vor dem Recht

Die Scheu vor dem Dialog mit den Juristen dürfte Ursachen auch in der Rechtswissenschaft selbst haben. Rechtswissenschaft versteht sich herkömmlich als Normwissenschaft im Traditionszusammenhang einer hermeneutisch ausgerichteten Geisteswissenschaft. Natürlich gehören zu ihrem Gegenstand auch technologiebezogene Normen und zum Regelungsprogramm des Gesetzgebers zählt der rechtliche Umgang mit Technologiefolgen (Roßnagel 1993). Die Rechtswissenschaft ist aber jedenfalls in ihrer geisteswissenschaftlichen Ausrichtung nur begrenzt geeignet, den Zugang auf die technologisch geprägte Realität so zu finden, dass gemeinsame Problemwahrnehmungen zwischen Technik- und Rechtswissenschaftlern leicht möglich werden. Allerdings gibt es in der neueren Rechtswissenschaft eine Reihe von Ansätzen, die den trans- und interdisziplinären Dialog aufnehmen und versuchen, die Rechtswissenschaft auszuweiten. Anknüpfungsmöglichkeiten bieten insbesondere neuere steuerungswissenschaftliche Ansätze in der Rechtswissenschaft, die sich vorrangig mit den Wirkungen des Rechts in der Realität befassen und nach Voraussetzungen fragen, unter denen Recht die vom Gesetz angestrebten Ziele erreichen kann und unter denen unerwünschte Wirkungen vermieden werden (Schuppert 1993; Schmidt-Aßmann 1998, S. 18 ff.; Hoffmann-Riem 2001, S. 31 ff.).

1.2     Problemorientierte Rechtswissenschaft

Die Notwendigkeit zum disziplinenübergreifenden Dialog drängt sich insbesondere für eine problemorientierte Rechtswissenschaft auf, die die Rolle des Rechts im Hinblick auf dessen Problemlösungsfähigkeit zu bestimmen sucht und dabei insbesondere durch Beobachtungen in Problembereichen stimuliert wird, die neue rechtliche Ansätze geradezu herausfordern. Die Diskussionen um die Gefährdung der Umwelt, die Herausforderungen der Informations- und Wissensgesellschaft, Umwälzungen im Energiemarkt oder anwendungsorientierte Erfindungen etwa in der Biotechnologie fordern Rechtswissenschaftler heraus, die den gestaltenden Beitrag des Rechts zur Ermöglichung von Innovationen, aber auch zur Bewältigung (Verhinderung) gemeinwohlschädlicher Folgen betonen. Der Gesetzgeber befindet sich ohnehin in der Notwendigkeit, sein Recht auf solche Problemfelder zu beziehen, in denen die Gesellschaft eine staatliche Problemwahrnehmung fordert.

Die vom Gesetzgeber - mit und ohne rechtswissenschaftlichen Rat - erlassenen Gesetze werden von vielen Akteuren der von ihnen betroffenen Sozialbereiche allerdings nicht nur als Hilfe, sondern häufig als lästig oder gar störend empfunden. Recht wird von manchen als bürokratische Gängelung von Kreativität, als Hemmnis für Innovationen und als Störenfried beim Markterfolg für neue Technologien verstanden. Der ausgebaute Rechtsstaat des Grundgesetzes wird von manchen sogar als negativer Standortfaktor im internationalen Wettbewerb verbucht (statt vieler: Bundesministerium des Innern 1996).

1.3     Angewiesensein auf Recht

Allerdings lässt sich auch beobachten, dass die gleichen Akteure in den Ruf nach dem Recht einstimmen, wenn sich irgendwo Fehlentwicklungen erweisen. Die BSE-Krise, die Futtermittelskandale, die Schwierigkeiten bei der atomaren Entsorgung oder bei der Bewältigung von Gefahren, die von Mülldeponien oder anderen kontaminierten Standorten ausgehen, geben Anschauungsmaterial. Hier wird der Staat als Verantwortlicher gefragt und sein Recht als Ausfallbürge im Umgang mit Fehlentwicklungen gefordert. Dann wird allen wieder bewusst, dass der Staat mit seiner Rechtsordnung Vorsorge und Schutz gewähren soll, dass Recht auch zur Nebenfolgenbegrenzung dienen muss und Hilfe bei einer gesellschaftlich verantworteten Zukunftsgestaltung zu geben hat.

Recht erfüllt eine Reihe von Funktionen, so Bereitstellungs-, Schutz-, Konfliktbewältigungs- und Lernfunktionen (Hoffmann-Riem 2000, S. 166 ff.). Soweit Recht als Schutzrecht wirkt, geht es vorrangig um den Schutz von Schwachen, wie sich etwa an den Beispielen des Verbraucher-, Gesundheits- und Umweltschutzrechts beobachten lässt. Die ökonomisch, politisch oder sozial Machtstarken brauchen das Recht nicht in gleicher Weise. Recht als Schutzrecht für andere beengt sie bei der eigenen (Macht-)Entfaltung, auch bei der Innovation neuer Güter und Leistungen und deren Vermarktung - man denke etwa an die Arzneimittelindustrie - oder beim Aufbau neuer Machtpositionen, etwa zur Erzielung von "Monopolrenten" in einem vermachteten Markt. Es wäre jedoch falsch, Recht nur als Schutzrecht für Schwache einzuordnen. Auch die Machtstarken benötigen Recht, beispielsweise zur Minimierung von Risiken ihres Handelns. Haftungsbeschränkungsrecht ist ein Beispiel dafür. Aber auch zur Sicherung der ökonomischen Verwertbarkeit der am Markt angebotenen Güter und Leistungen nutzen sie das Recht, so neben dem allgemeinen Bürgerlichen Recht (BGB) etwa das Urheber- und Patentrecht. Auch wünschen sie regelhaft Planungssicherheit und vor allem politische Stabilität. Diese soll auch dann gesichert sein, wenn neuere (auch technologische) Entwicklungen zu Problemen führen, etwa zur Freisetzung von Arbeitskräften auf Grund technologisch induzierter Rationalisierungen. Dann soll der Staat durch sein Sozialrecht zumindest Auffangpositionen bereithalten, um die politische Sprengkraft aus instabilen Situationen zu nehmen.

Dies alles betrifft auch den Bereich technologischer Innovationen. Recht ist kein geborener Feind von Innovationen, da es Verhaltenssicherheit auch für die Innovateure schafft und ihnen möglicherweise Risiken abnimmt, die sie sonst davon abhalten müssten, wagemutig zu sein. Ein Problem ist aber ein für den Innovationsprozess blindes oder gar ein innovationsfeindliches Recht.

2     Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung

Ein konstruktiver Dialog zwischen denen, die für die Setzung und Anwendung des Rechts Verantwortung tragen, und denen, die durch ihr außerrechtliches Verhalten Probleme schaffen, die letztlich doch auch mit Hilfe des Rechts bewältigt werden müssen, kommt am ehesten zustande, wenn er auf die Entstehung von Recht zielt, das den jeweiligen Problembereichen angemessen ist. Dazu gehört auch Recht, das auf die Ermöglichung technischer, sozialer und kultureller Innovationen zielt, wenn es den zugleich gebotenen Schutz nicht verweigert. Ein Blick auf die Rechtswissenschaft zeigt allerdings, dass sie sich zwar auch mit technologischem und sozialem Wandel beschäftigt, dass es aber anders als in anderen Wissenschaftsdisziplinen (wie Soziologie, Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaft und vor allem Betriebswirtschaftslehre) keine Unterdisziplin der "Innovationsforschung" in der Rechtswissenschaft gibt.

Um einen Ansatzpunkt zur Behebung dieses Mangels zu schaffen, ist an der Universität Hamburg Mitte der 90er Jahre die "Forschungsstelle Recht und Innovation" gegründet worden, die sich der "rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung" als einer neu zu begründenden Unterdisziplin der Rechtswissenschaft zuwendet und die vor allem ein Forum für einen entsprechenden Dialog bereitstellen will. Ihr Gegenstand ist das innovationserhebliche Recht, also das Recht, das auf Innovationsprozesse einwirkt, sei es als allgemein geltendes Recht, sei es als ein speziell auf innovationsgeneigte Problemfelder bezogenes Recht (Hoffmann-Riem 1998; Eifert, Hoffmann-Riem 2002). Zum Gegenstand der Forschung gehören Überlegungen zur Absicherung der Möglichkeit von Innovationen, aber zugleich zur Vorsorge für deren Gemeinwohlverträglichkeit und gegebenenfalls zur Begleitung von Innovationsprozessen bis hin zur Anwendung der aus ihnen hervorgehenden Produkte und Dienstleistungen. Gegenstand dieser rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung sind nicht Innovationen in der Rechtsordnung (also der Wandel im Recht), sondern die rechtlichen Einwirkungen auf außerrechtliche Innovationsprozesse. Dies schließt es selbstverständlich nicht aus, dass die Beschäftigung mit diesem Gegenstandsbereich Anregungen vermittelt, die auch auf Änderungen im Recht zielen.

3     Innovationsoffenheit und Innovationsverantwortung

Diese Aufgabenumschreibung verweist auf ein normatives Vorverständnis der rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung. Sie geht nicht davon aus, dass es gesellschaftlich sinnvoll ist, Innovationen im Interesse der Risikovermeidung im Zweifel zu unterbinden. Vielmehr unterstellt sie, dass moderne Gesellschaften unter erheblichem Innovationsdruck stehen und dass es sinnvoll ist, diesen zu akzeptieren und möglichst konstruktiv aufzugreifen, aber in eine Richtung zu lenken, die auch Gemeinwohlbelange berücksichtigen hilft. Schlagwortartig ist eines ihrer Leitbilder die Sicherung der Innovationsoffenheit des Rechts, ein anderes aber auch die Absicherung von Innovationsverantwortung durch Recht. Mit beidem soll das aufgefangen werden, was in früheren Diskussionen häufig unter dem Schlagwort der Gesellschaftsverträglichkeit von Innovationen behandelt wurde. Sowohl der positive Beitrag von Innovationen zur gesellschaftlichen Entwicklung als auch die Eröffnung von Entwicklungspfaden, die normativ erwünschte Ziele erreichen helfen und unerwünschte Wirkungen vermeiden, gehören in diesen Bereich (Sauer, Lang 1999).

4     Zugang zum Realbereich des Rechts

Jeder Zweig der Rechtswissenschaft muss sich an den Standards orientieren, die in der Rechtswissenschaft allgemein anerkannt sind - es sei denn, es gibt Anlass, sie wegen ihrer Unzulänglichkeit zu überwinden. Die Eigenständigkeit der Rechtswissenschaft als spezifischer Normwissenschaft zeigt sich daran, dass sie sich auf die im Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip verankerten Vorgaben rechtsnormativer Bindung einzulassen hat (Gesetzesvorbehalt). Diese Vorgaben mögen kritisiert werden, soweit es aber um die Anwendung von Recht auf konkrete Streitfälle gibt, sind sie nicht disponibel. Daher muss Ausgangspunkt auch der rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung sein, das spezifisch Rechtsnormative zu respektieren und in den Erkenntnisinteressen und Methoden widerzuspiegeln.

Dies schließt eine trans- und interdisziplinäre Ergänzung einer solchen an sich monodisziplinären Blickrichtung von Rechtswissenschaft nicht aus. Transdisziplinär muss Rechtswissenschaft schon deshalb sein, weil Rechtsnormen auf einen Ausschnitt von sozialer, ökonomischer, technologischer, kultureller u. ä. Realität bezogen sind, in dem das Problem verankert ist, für dessen Lösung Recht benötigt wird. Dabei kann es sich zum einen um einen konkreten Sachverhalt handeln, der zu einem Rechtsgüter- und Interessenkonflikt geführt hat, zu dessen Lösung Recht herangezogen wird. Die Erfassung eines solchen Sachverhalts ist die "klassische" Aufgabe der administrativen und richterlichen Rechtsanwendung. Normen verweisen aber auch in allgemeiner und typisierender Weise auf Realbereiche - das Medienrecht etwa auf Medien in ihrem jeweiligen Entwicklungsstand, das Arzneimittelrecht auf den Gesundheitsmarkt, aber auch auf den Stand pharmazeutischer Entwicklungen u. ä. Auch diese Realbereiche der Normen sind Gegenstände der Rechtswissenschaft, und zwar solche, zu deren Erfassung auch andere Wissenschaften beitragen können (vgl. Müller, Christensen 2002, die insoweit aber vom "Normbereich" sprechen).

Soweit Normen - wie regelhaft - (positiv) Ziele verwirklichen oder (negativ) Gefahren abwehren wollen, nehmen sie Folgen der Rechtsgeltung bzw. der Anwendung von Normen in den Blick (Deckert 1995; Sommermann 2002). Wie weit auch Sekundär- und Tertiärfolgen rechtlich bedeutsam sind, ist zwar häufig streitig; die betriebswirtschaftliche Diskussion um die Folgendimensionen Output, Outcome und Impact (Nullmeier 2001, S. 357 ff.) hat Anregungen für die Rechtswissenschaft geschaffen, unterschiedliche Folgendimensionen zu identifizieren und sich verstärkt mit der Auswahl rechtlich relevanter Folgen zu beschäftigen. Dabei ist die Frage einzubeziehen, ob und wie weit auch sonstige, vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich angestrebte Folgen - etwa arbeitsmarktpolitische Konsequenzen von Industrieansiedlungen - in den Blick der Rechtsanwender genommen werden dürfen.

Die unabweisbaren Blicke in den von Normen erfassten Realbereich und in den Folgenbereich lassen sich mit den typischen rechtswissenschaftlichen Methoden nicht bewältigen, denn diese bieten dafür fast keine Hilfen, nicht einmal handwerkliche Rüstzeuge. Deshalb benötigt die Rechtswissenschaft zumindest die Hinzuziehung auch von Wissen (Methoden, Erfahrungen u. ä.) aus anderen, nämlich realwissenschaftlich orientierten Wissenschaften. Weil Rechtswissenschaft insofern defizitär ist, bieten sich auch Überlegungen dazu an, ob es erfolgversprechend ist, über die bloße Hinzuziehung des Wissens anderer Disziplinen hinaus an einer Neukonzeption von Rechtswissenschaft, nämlich in Richtung auf eine interdisziplinäre Rechtswissenschaft, zu arbeiten (Giehring u. a. 1990). Ziel wäre es, den Gegenstandsbereich der Forschung mit dem Blick auch auf den anderer Wissenschaften zu bestimmen, die Wissensbestände anderer Disziplinen zusammenzutragen und auf ihre Verwendbarkeit im rechtswissenschaftlichen Kontext zu besehen und gegebenenfalls Ziele und Instrumente rechtswissenschaftlicher Vorgehensweisen neu zu definieren.

5     Zugang der Technikwissenschaft zum Recht

Aber auch in umgekehrter Richtung gibt es eine Herausforderung, nämlich den Einbau der rechtlichen und rechtswissenschaftlichen Perspektive in die Praxis anderer Wissenschaften, wie etwa der Technikwissenschaft (Roßnagel 1993).

Interdisziplinärer Dialog fordert die Bereitschaft zur Kooperation und den Aufbau kooperationsgeeigneter Kommunikation. Dazu gehört die Vorsorge für eine wechselseitige Sprach-(kommunikations-)fähigkeit, die Bereitschaft zu wechselseitiger Lernfähigkeit, aber auch eine Verständigung darüber, welche Integrationstiefe angestrebt werden soll. Ausgehend von der Begrenztheit der Möglichkeit interdisziplinärer Kooperation ist es wichtig, Auswahlkriterien zu finden, also über einen auf den interdisziplinären Dialog und die mögliche interdisziplinäre Neubestimmung der eigenen wissenschaftlichen Disziplin ausgerichteten Satz von Relevanzkriterien verfügen zu können [2] .

5.1     Brücken- und Schlüsselbegriffe

Bei der trans- und interdisziplinären Verständigung kann es hilfreich sein, sich auf Brücken- und Schlüsselbegriffe zu konzentrieren, die von vornherein auf eine integrative Problembeschreibung und damit die Möglichkeit der integrativen Problembewältigung verweisen. Bei der Suche nach solchen zur wechselseitigen Verständigung tauglichen Begriffen (Voßkuhle 2001) und dem Versuch zu ihrer Definition wird sich herausstellen, dass ihr alltagssprachlicher Sinn regelhaft von dem fachsprachlichen Gehalt abweicht und dass die unterschiedlichen Disziplinen unterschiedliche fachsprachliche Definitionen verwenden. Anzustreben ist nicht zwingend eine Vereinheitlichung der Begriffsverwendung, wohl aber die Herausarbeitung zentraler Begriffselemente - gegebenenfalls in den jeweiligen Disziplinen -, um bei der Begriffsverwendung jedenfalls Irrtümer über das Gemeinte zu minimieren. Beispiele für Brücken- und Schlüsselbegriffe, die sowohl die Rechtswissenschaft als auch die verschiedenen Technikwissenschaften angehen können, sind: Nachhaltigkeit; Information; Sicherheit; Wettbewerb; Netzwerk.

5.2     Leitbilder

Eine weitere sinnvolle und gebotene Möglichkeit der Verständigung ergibt sich, wenn die jeweils zu Grunde gelegten Leitbilder kommuniziert werden. Gemeint sind regulative Ideen, Visionen oder leitende Konzepte, an denen sich Wissenschaftler oder Anwender orientieren (Karstens 2002; Neveling, Bumke, Dietrich 2002). Solche Leitbilder kann es auf unterschiedlichen Ebenen geben. Auf einer Makroebene wären etwa die Begriffe der Informationsgesellschaft oder der Wissensgesellschaft zu nennen. Wichtiger aber ist eine Verständigung über Leitbilder auf einer eher mittleren Ebene praktischer Problembewältigung oder für konkrete Handlungsaufgaben. Beispielhaft zu nennen sind etwa folgende Leitbilder für Handlungsziele: urbane Stadt; fünf Liter-Auto; papierloses Büro; Kreislaufwirtschaft. Dies sind regulative Ideen, die in einem Bild (einer Metapher) aufgefangen werden und auf Grund der bildhaften Sprache Kommunikation erleichtern sollen - zugleich aber wegen der meist gegebenen Konturenunschärfe solcher Bilder auch höchst unterschiedliche Assoziationen wecken können. Da solche Leitbilder etwas Erwünschtes bildhaft verkörpern, sind ihnen normative Elemente eigen, ohne dass damit schon vorgeklärt ist, ob sie auch real wirkungsmächtig werden. Verkoppelt mit ihrem theoretischen oder praktischen Bezugsrahmen können Leitbilder Orientierungs-, Koordinations- und Motivationsfunktionen erfüllen; sie werden eingesetzt, um den Entscheidern Unsicherheit zu nehmen, aber vor allem, um über den visionären Charakter des Leitbilds Kreativität zu provozieren und die Bereitschaft zur Mitarbeit an einem gewünschten Ergebnis zu stimulieren.

Solche Leitbilder sind schon in ihrem Entstehungsprozess an Wertannahmen gekoppelt und können im Laufe ihrer weiteren Konkretisierung offen für ergänzende oder modifizierte Wertungen sein. Wenn aber normative Elemente notwendig in die Leitbilder einbezogen sind, wäre es leichtfertig, Leitbilder nur aus sozialnormativer Perspektive und ohne Blick auf rechtliche Vorgaben zu erarbeiten. Leitbilder, die den Bereich rechtsnormativer Möglichkeiten verlassen oder rechtsnormativ erhebliche Folgen ausblenden, greifen nämlich notgedrungen zu kurz. Insofern empfiehlt es sich, in den Prozess der Entwicklung von Leitbildern auch die rechtliche und - in methodischer Hinsicht - die rechtswissenschaftliche Sichtweise einzubeziehen. Da Leitbilder als regulative Ideen an die zu ihrer Verwirklichung aufgeforderten Akteure herangetragen werden, bieten sie eine Möglichkeit, in ihrem Gewande auch die rechtsnormativen Vorgaben - gewissermaßen in einer Parallelverwertung durch den juristischen Laien - zu transportieren.

Der Grundgedanke eines normativen Dialogs kann auch über den Leitbildbereich hinaus verallgemeinert werden: Da der Prozess der Technikgenese und -verwertung unweigerlich von normativen Elementen begleitet und geprägt wird, ist es wichtig, sich nicht nur an sozialnormativ erheblichen Werten zu orientieren, sondern zumindest deren Kompatibilität mit rechtsnormativen Bewertungen zu sichern, besser noch: rechtsnormative Vorgaben von vornherein konstruktiv einzubauen.

6     Rechtsmacht zu verbindlicher Entscheidung

Schon eingangs wurde erwähnt, dass Rechtswissenschaft als normbezogene Wissenschaft ein auf rechtsnormative Bindungen ausgerichtetes Erkenntnisinteresse und einen entsprechenden Verwendungszusammenhang kennt. Das Besondere rechtsnormativer Vorgaben besteht in ihrer hoheitlichen Legitimation. Die Ankoppelung an das demokratische Gesetz und die demokratisch legitimierten Instanzen der Rechtsanwendung geben rechtsnormativen Vorgaben eine andere Qualität als rein sozialnormative Wertungen. Die hoheitliche Legitimation der Vorgaben ist zugleich gekoppelt mit einer hoheitlich begründeten Rechtsmacht der Rechtsanwender zur verbindlichen Entscheidung. Je nach der betroffenen Instanz kann es sich bei der zu treffenden Entscheidung um eine zwar für die Adressaten verbindliche, aber noch kontrollierbare Entscheidung handeln oder um eine letztverbindliche, also keiner weiteren Kontrolle unterliegende.

Die Rechtsmacht, ja zum Teil das Monopol der Rechtsanwender zu bindenden Entscheidungen mag für andere Akteure unerwünscht, lästig oder ärgerlich sein. Es entspricht aber dem für einen Rechtsstaat typischen Gesichtspunkt, dass Rechtssicherheit und Rechtsfrieden nur erreicht werden können, wenn Konflikte (jedenfalls irgendwann) einem Ende zugeführt werden können und wenn es Möglichkeiten hoheitlicher (notfalls zwangsweiser) Umsetzung verbindlicher Entscheidungen gibt.

7     Anforderungen an modernes Recht

7.1     Aufgabenwandel des Staates

In den letzten Jahrzehnten ist das Bewusstsein dafür gewachsen, dass der Staat nicht all das leisten kann, was von ihm erwartet wird bzw. was zu erfüllen er verspricht (Jaenicke 1986; Ellwein, Hesse 1997; Dierkes, Zimmermann 1996; Grimm 1990). Dabei ist es schon falsch, von "dem Staat" zu sprechen und ihn als eine Art black box zu behandeln. Hinter dem Begriff des Staates verbergen sich höchst unterschiedliche Akteure, Aufträge, Kompetenzen und damit verbunden: Schwierigkeiten der Aufgabenerfüllung. Die Heterogenität und Fragmentierung der Gesellschaft (Heitmeyer 1997) geht einher mit einer Pluralisierung von Zielen und Verwirklichungsmöglichkeiten, die sich auch auf das Handeln hoheitlicher Akteure auswirken. Schon vielfach ist beobachtet worden, dass mit Vetopositionen in pluralen Demokratien die besten Verwirklichungschancen verbunden sind oder anders formuliert: dass es leichter ist, etwas zu verhindern als positiv zu gestalten (Scharpf 1970, 1991). Von Hoheitsträgern werden aber häufig positive Gestaltungen - nämlich Lösungen für noch nicht bewältigte Probleme - erwartet. Nicht nur die hoheitlich geprägten Entscheidungsprozesse sind dafür nur begrenzt geeignet, sondern auch die für die Rechtsdurchsetzung verfügbaren Instrumente.

Da heute kaum noch bezweifelt wird, dass Ge- und Verbote nur begrenzt zur Steuerung von Verhalten taugen, ist das hoheitliche Instrumentarium immer mehr ausdifferenziert worden (Schmidt-Aßmann 1998, S. 258 ff.; 1993, S. 71 ff.). Auch haben die Staatsorgane sich veranlasst gesehen, vorsichtiger mit Leistungsversprechen zu sein. In der jüngeren wissenschaftlichen Diskussion ist dementsprechend die Rede davon, dass eine Abkehr vom "erfüllenden Leistungsstaat" zum "Gewährleistungsstaat" zu beobachten sei (Hoffmann-Riem 2001). Gemeint ist, dass der Staat erwünschte Wirkungen nicht oder nicht vorrangig durch Eigenleistungen (Ge- und Verbote, Gewährungen) erbringt, sondern auf Dritte vertraut, also auf gesellschaftliche Handlungsträger. Das Recht schafft einen Rahmen dafür und stellt insbesondere Spielregeln für privatautonomes Handeln bereit und sorgt für Sicherheits- und Auffangnetze für den Fall des Versagens privater (gesellschaftlicher) Selbstregulierung (Schuppert 2000).

7.2     Hoheitlich regulierte gesellschaftliche Selbstregulierung

Zwar gibt es weiterhin einen Bedarf für "hartes", nämlich regulatives Recht, etwa in Form von Grenzwertsetzungen für Verschmutzungen, Mindestanforderungen an gefahrenauslösende Technologien u. ä. Dieses ist regelhaft "begrenzendes" Recht. Hinzu tritt aber das "ermöglichende" Recht, das Rechtsformen bereitstellt oder Korridore rechtlich erlaubten Verhaltens markiert, das Verhalten im Einzelnen aber darüber hinaus nicht prägt (Schuppert 1993, S. 96 ff.). Typisch für moderne rechtliche Steuerung ist das zunehmende Vertrauen auf Konzepte dezentraler Selbstregulierung, der Anreizsteuerung und der Kontextsteuerung (Hoffmann-Riem 1993, S. 135 ff.). Dahinter steckt die Erfahrung, dass es nicht oder nur begrenzt gelingt, Zwecke mit Hilfe des Rechts zu erreichen, die den Interessen der Regulierten zuwider laufen. Selbst imperatives (mit Ge- und Verboten arbeitendes) Recht kann unterlaufen, umgangen oder schlicht missachtet werden. Modernes Recht ist daher bemüht, Anreize für die Rechtsbefolgung zu setzen; der Erfolg setzt regelhaft voraus, dass die rechtliche Regulierung den betroffenen Interessen nicht oder jedenfalls nicht vollständig zuwiderläuft, sondern sie einzufangen versucht. Staatliche Forschungsförderung ist ein typisches Beispiel; die Lockerung von an sich geltenden rechtlichen Anforderungen im Zusammenhang mit der Innovationsförderung (innovation waiver) ist ein anderes Beispiel. Vor allem aber ist die schon erwähnte Einflussnahme auf Rahmensetzungen und Spielregeln als Typ der Kontextsteuerung prägend für einen wesentlichen Teil des modernen Rechts.

Für ein auf gesellschaftliche Selbstregulierung vertrauendes, aber rechtliche Vorgaben einbauendes hoheitliches Konzept hat sich in jüngerer Zeit der Begriff der regulierten Selbstregulierung eingebürgert (Die Verwaltung 2001). Die dafür nutzbaren Konstruktionen sind höchst unterschiedliche. Beispielhaft nenne ich die Subvention von F&E-Vorhaben, verbunden mit Auflagen; die Verbindung von Ziel- und Konzeptvorgaben mit regulatorischen Auffangnetzen bei der Zielverfehlung (Beispiel: das duale System in der Abfallversorgung) (Finckh 1998). Auch gibt es eine Reihe von "Freigaben" zur gesellschaftlichen Selbstregelung, die aber im Schatten der Drohung mit regulativem Einschreiten für den Fall verbunden sind, dass die gesellschaftliche Selbstregelung die erwünschten Ziele nicht erreichen hilft. Ein Beispiel sind Selbstverpflichtungen der Wirtschaft bzw. Selbstbeschränkungsabkommen (Köpp 2001).

7.3     Optionenorientiertes Recht

Solche "weichen" Steuerungsansätze sind insbesondere in Bereichen unabdingbar, in denen Innovationen erwünscht sind. Recht, das auf Innovationen bezogen ist, will ja in irgendeiner Weise das Neue regeln, bevor es Wirklichkeit geworden ist. Dies soll zugleich in einer Weise geschehen, die die Entstehung des Neuen nicht unterdrückt. Derartiges ist für Recht eine sehr ungewöhnliche Aufgabe. Sein typischer Regelungsgehalt ist der Umgang mit bekannten Problemen und die Herstellung von Rechtssicherheit bei ihrer Bewältigung. Es bedeutet eine Paradoxie innovationsbezogener Regulierung, dass sie etwas zu beeinflussen sucht, das es noch gar nicht gibt (Sauer, Lang 1999); die fehlende Klarheit über die Gegenstände und mögliche Ergebnisse der Regulierung fordern ein entsprechendes "offenes" Recht.

Insofern muss es diesem Recht vorrangig darum gehen, Innovationskorridore offen zu halten, sie aber auch so zu begrenzen, dass gesellschaftliche Innovationsverantwortung gewahrt wird. Dies kann dadurch geschehen, dass in dem Bereich des Korridors für Anreize gesorgt wird, dass gewissermaßen im Huckepackverfahren auch "öffentliche Interessen" mitverwirklicht werden. Jedenfalls muss dieses Recht weitestgehend durch das Denken in Möglichkeitsräumen (nicht in Ver- und Geboten) geprägt sein, kann aber mit der Abfederung durch Auffangordnungen für den Fall des regulativen Versagens gekoppelt werden. Recht dieser Art ist auf Optionen ausgerichtet. Ein optionenorientiertes (optionales) Recht (Voßkuhle 2003) respektiert die Grenzsetzungen für den Korridor. Es belässt aber ein hinreichend breites Spektrum für Verhalten, damit genügend Spielraum für Innovationen verbleibt. Möglich sind auch programmatische Vorgaben (Orientierungspunkte) für das Verhalten im Korridor. Die in jüngerer Zeit immer häufiger genutzten normativen Programmierungen mit Hilfe von Ziel- und Konzeptvorgaben deuten auf eine solche Vorgehensweise.

7.4     Richtigkeitsdimensionen des Rechts

Eine Modifikation im staatlichen Aufgabenverständnis und in der rechtlichen Steuerung fordert ein Umdenken bei der Definition dessen, was rechtlich als "richtig" verstanden wird. Zur Rechtswidrigkeit i. e. S. treten insbesondere die Optimalität, Akzeptabilität und Implementierbarkeit hinzu. Es genügt nämlich nicht, dass ein Verhalten legal ist, also keine rechtlichen Fehler erkennen lässt. Die Rechtsordnung zielt vielmehr darüber hinaus auf eine Optimalität bei der Verwirklichung bzw. Balancierung unterschiedlicher Interessen (etwa Innovationsermöglichung im Interesse wirtschaftlicher Verwertung innovativer Güter bei gleichzeitiger Gefahrenvorsorge). Die Rechtsordnung ist ferner um Akzeptanz bemüht. Zum einen geht es darum - man denke etwa an biotechnologische Innovationen -, Akzeptanz bei den Regelungsadressaten zu gewinnen, also etwa den Innovationsakteuren, aber auch bei den möglicherweise durch Verhalten anderer nachteilig Betroffenen. Ein derartiges Bemühen um Akzeptanz kann sich auf den Einzelfall der Rechtsanwendung beziehen, aber auch auf die gesamtgesellschaftliche Problemwahrnehmung und damit die Ermöglichung von gesellschaftlicher und politischer Stabilität. Zu den Richtigkeitsgaranten des Rechts gehört aber auch seine Vollzugstauglichkeit - soweit stattdessen nicht allein auf eine reine Symbolfunktion des Rechts vertraut wird [3] .

7.5     Einbau des Rechts in innovationsbezogene Wirklichkeitskonstruktionen

Ein auf derartige Richtigkeitsdimensionen bezogenes und neue Instrumente rechtlicher Steuerung nutzendes Recht lässt sich in Prozesse der Genese und Anwendung von Innovationen integrieren. Anknüpfungspunkte gibt es viele. Erwähnt wurde schon der Einbau der rechtlichen Perspektive in die Entwicklung von Leitbildern. Wichtig ist auch die Rücksichtnahme des Rechts auf Marktbedingungen, da Innovationen in einer privatwirtschaftlichen Ordnung immer noch am ehesten durch die Aussicht auf die wirtschaftliche Verwertung stimuliert werden. Sinnvoll ist der Einbau rechtlicher Rücksichtnahmen in Innovationsnetzwerke mit ihren diversen Rückkoppelungsprozessen: Je besser bei den verschiedenen Netzwerkakteuren gleiche oder zumindestens kompatible normative Orientierungen bekannt und anerkannt sind, umso leichter wird die Berücksichtigung des Rechts gesichert werden können. Erstrebenswert ist es, die rechtliche Orientierung in die Innovationsbahnen bzw. Entwicklungspfade einzubauen, die für die jeweiligen Innovationen typisch sind. Kurz und zusammenfassend formuliert: Es sollte darum gehen, die rechtliche Perspektive in die Konstruktion innovationsbezogener Wirklichkeiten einzubauen, also in einen Prozess, an dem höchst unterschiedliche Innovationsakteure mitwirken.

8     Auf dem Weg zu einer Neuen Rechtswissenschaft

Soll dies nicht nur eine Forderung an die jeweils anderen Wissenschaften sein, sondern auch die Rechtswissenschaft selbst betreffen, fordert dies deren teilweise Neubestimmung. Insofern ist es kein Zufall, dass die Gründung der oben (2.) erwähnten "Forschungsstelle Recht und Innovation" im Zusammenhang übergreifender Bemühungen zu einer Reform des (Verwaltungs-) Rechts steht, die im letzten Jahrzehnt von einer Reihe von Wissenschaftlern ergriffen worden sind (Überblick bei Voßkuhle 1999). Die rechtswissenschaftliche Innovationsforschung versteht sich insofern als eine Unterdisziplin einer modernen Rechtswissenschaft, die sich auch auf die Innovationstauglichkeit des Rechts und die Innovationsverantwortung der Akteure bezieht. Insofern können die von Innovationsprozessen ausgehenden Herausforderungen an die Rechtswissenschaft auch dazu führen, dass Innovationen im Recht erforderlich werden, um den geschilderten Anforderungen angemessen begegnen zu können.

Die zu entwickelnde Neue Rechtswissenschaft kann die in der Technikwissenschaft vorherrschende problemzentrierte Perspektive aufgreifen. Sie geht dann problemorientiert vor und fragt - meist in Weiterentwicklung vorhandener Konzepte -, welches problemangemessene Lösungen sind. In der neuen rechtswissenschaftlichen Diskussion spiegelt sich diese Vorgehensweise z. B. darin wider, dass die auf solche Problemfelder bezogenen Rechtsgebiete als "Referenzbereiche" der rechtswissenschaftlichen Diskussion (Schmidt-Aßmann 1993, S. 14 ff.) verstanden und analysiert werden. Zu solchen besonders gut auf den trans- und interdisziplinären Dialog verweisenden Referenzbereichen gehören z. B. das Umweltrecht, das Recht von Information und Kommunikation, das Gen- und Biotechnologierecht, aber auch - insofern selbstbezüglich auf Rechtsanwendungsakteure ausgerichtet - das Recht der Verwaltungsmodernisierung. In solchen Bereichen hat der Gesetzgeber - nicht zuletzt angestoßen durch internationale Entwicklungen und vor allem die Impulsfunktion der Kommission der Europäischen Gemeinschaften - zum Teil neue rechtliche Instrumente entwickelt. Diese werden analysiert und es wird versucht, die in den Referenzbereichen beobachtbaren neuen Steuerungsansätze nicht nur auf ihre Steuerungstauglichkeit zu besehen, sondern auch auf die Verallgemeinerbarkeit im Hinblick auf andere Problemfelder. Insofern besteht ein Ziel auch darin, Anregungen für evolutionäre Veränderungen im Recht allgemein zu gewinnen und zu versuchen, die Einsichten auch in "Allgemeinen Lehren" oder gar in "Allgemeinen Teilen" für bestimmte rechtliche Regelungskonzepte zu bündeln. Darauf bezogenes Lernen ist unverzichtbar für eine Neue Verwaltungsrechtswissenschaft. Deren Entwicklung ist durch die gegenwärtig beobachtbaren Modernisierungsprozesse und den steigenden Innovationsbedarf der Gesellschaft überfällig geworden.

9     Risiko als Chance

Neue Entwicklungen sind nicht nur in der Technikwissenschaft, sondern überall riskant. Andererseits gibt es erfahrungsgemäß keinen (technischen oder anderen) Fortschritt ohne Risiko. Innovationsbezogenes Recht versucht, die mit technikbezogenen Innovationen u. ä. verbundenen Risiken rechtlich verantwortbar zu halten. Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung muss sich aber ihrerseits dem Risiko aussetzen, in der Rechtswissenschaft nicht akzeptiert zu werden oder zu Konzepten oder gar Empfehlungen zu kommen, die sich letztlich nicht durchsetzen. Durch Anknüpfung an den bisherigen Fundus der Rechtswissenschaft, gekoppelt mit der Bereitschaft zur Weiterentwicklung, können die Risiken aber vermindert werden. Allerdings wäre es ebenfalls riskant, sich stets an der etablierten Wissenschaft rückversichern zu wollen, da sie häufig gerade keine Anknüpfungspunkte für Neuansätze enthält. Insofern muss die Bereitschaft, Irrtümer zu begehen und notfalls auch zu scheitern, als Kreativitätsreserve erhalten bleiben. Sie kann mit dem Vertrauen in die Produktivität (auch) unberechenbarer Diskurse gekoppelt werden, die jedenfalls dann folgenreich werden können, wenn sie problemangemessene Antworten in Bereichen erarbeiten helfen, die durch eine traditionelle oder auch monodisziplinäre Betrachtung zu Unrecht nicht oder nur verzerrt in den Blick kommen.

Anmerkungen

[1] Richter des Bundesverfassungsgerichts, Karlsruhe, und Professor für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft der Universität Hamburg, Forschungsstelle Recht und Innovation

[2] Grunwald, 2000, S. 218 f. verweist für die "integrative Technikforschung" darauf, dass es in problemorientierter Forschung nicht auf Vollständigkeit, sondern auf Relevanz ankomme, dies auch im Hinblick auf einzubeziehende Folgen- und Wirkungsketten u. ä. Die Risiken einer Ausgrenzung möglicherweise relevanter Aspekte müssten minimiert, aber unnötig überhöhte Sicherheitsansprüche, die auch mit erhöhten Kosten verbunden seien, müssten ausgeschlossen werden.

[3] Solche symbolischen Funktionen des Rechts sind nicht von vornherein als widersinnig abzutun, siehe dazu Hoffmann-Riem 2001a, S. 354 ff. Siehe auch die Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof, Deutscher Bundestag, Drucksache 15/60 vom 18. November 2002, S. 112 ff. (zum Symbolcharakter der Beschleunigungsgesetzgebung).

Literatur

Bundesministerium des Innern (Hrsg.), 1996:
Unnötiger Aufwand durch Vorschriften (II). Zweiter Bericht und Empfehlungen der Unabhängigen Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung des Bundes zur Entlastung der Unternehmen, Bürger und Verwaltungen von administrativen Pflichten. Bonn

Deckert, M.R., 1995:
Folgenorientierung in der Rechtsanwendung. München: Beck

Die Verwaltung, 2001:
Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept des Gewährleistungsstaates. Beiheft 4, Die Verwaltung

Dierkes, M.; Zimmermann, K. (Hrsg.), 1996:
Sozialstaat in der Krise. Frankfurt a.M.: Frankfurter Allgemeine Zeitung

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Kontakt

Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem
Richter des Bundesverfassungsgerichts
Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe
E-Mail: BVerfG∂bundesverfassungsgericht.de