Schwerpunktthema - Systemanalyse und Technikfolgenabschätzung als Politikberatung in Deutschland. Versuch einer Würdigung von Reinhard Coenen
Die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) als Instrument der Entscheidungsvorbereitung
Die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) als Instrument der Entscheidungsvorbereitung
von Juliane Jörissen, ITAS *
Technikfolgenabschätzung (TA) und Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) stellen miteinander verwandte Konzepte dar. Beide sind Ende der sechziger Jahre in den USA entstanden als Reaktion auf die zunehmende Sensibilisierung der Öffentlichkeit gegenüber den negativen Begleiterscheinungen der technologischen Entwicklung, verbunden mit einem wachsenden Unbehagen an den traditionellen Entscheidungsverfahren. Beide streben eine engere Verknüpfung von wissenschaftlicher Erkenntnis und politisch-administrativer Entscheidung an, mit dem Ziel, Technik- und Umweltpolitik effizienter und konsensfähiger zu gestalten. Während die TA schon immer ein zentrales Aufgabengebiet von AFAS/ITAS war, sowohl was die Entwicklung von Methoden und Konzepten als auch was die Durchführung konkreter Studien zu verschiedenen Technologien anbetrifft, bildete die Beschäftigung mit der UVP einen eher temporären Arbeitsschwerpunkt in den Jahren 1986-1991. Anlass dafür war die Verabschiedung der EG-Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten und deren Umsetzung in nationales Recht.
1 Einführung
Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist ein am Vorsorgeprinzip orientiertes Instrument zur Vorbereitung von Entscheidungen über umweltrelevante Vorhaben. Sie soll gewährleisten, dass die voraussichtlichen Umweltauswirkungen solcher Vorhaben in einem geordneten, möglichst transparenten Verfahren, an dem sich die Öffentlichkeit und andere Behörden beteiligen können, umfassend und systematisch ermittelt und bewertet werden, bevor über deren Zulassung entschieden wird. Schon diese kurze Definition macht deutlich, dass es zwischen TA und UVP zahlreiche Parallelen gibt. Die gemeinsame Zielrichtung der beiden Instrumente lässt sich anhand von vier grundlegenden Postulaten verdeutlichen:
Präventive Orientierung
Sowohl TA- wie UVP- Studien sollen potentielle Auswirkungen antizipieren, damit negative Folgen von vornherein vermieden oder zumindest gemindert und ggf. Alternativen eingeleitet werden können. Dies impliziert, dass beide möglichst früh im Entscheidungsprozess ansetzen müssen, bevor z. B. durch bindende Zusagen oder umfangreiche Investitionen Sachzwänge geschaffen werden, die den Handlungsspielraum des Entscheidungsträgers einengen.
Integrierte Betrachtungsweise
Sowohl in TA- wie in UVP-Studien sollen Folgen nicht isoliert, bezogen auf einen bestimmten Bereich (z. B. Wirtschaft) oder ein bestimmtes Umweltmedium (z. B. Wasser), sondern bereichsübergreifend ermittelt und zu einer Gesamtbilanz zusammengefasst werden. Besondere Aufmerksamkeit ist dabei kumulativen, synergistischen, indirekten und nicht quantifizierbaren Auswirkungen zu widmen. Ein Unterschied zwischen beiden Instrumenten liegt darin, dass das Spektrum der zu berücksichtigenden Folgen bei der TA im Prinzip unbegrenzt ist, während sich die Folgenanalyse bei der UVP auf die physische Umwelt beschränkt, wobei von einem weit gefassten Umweltbegriff auszugehen ist. Zu untersuchen sind die Auswirkungen auf Menschen, Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima, Landschaft, Kultur und sonstige Sachgüter (§ 2 Abs. 1 UVPG).
Partizipation
Sowohl in den TA- wie in den UVP-Prozess soll ein möglichst großer Kreis betroffener Individuen und gesellschaftlicher Gruppen einbezogen werden, um vorhandenes Wissen zu nutzen, unterschiedliche Standpunkte und Einschätzungen zu dokumentieren sowie Konfliktpunkte aufzudecken.
Transparenz
Sowohl TA- wie UVP-Studien sind mit erheblichen Unsicherheiten hinsichtlich der Prognose und Bewertung von möglichen Folgen behaftet. Daraus ergibt sich für beide die Forderung, dass Wissenslücken und Erkenntnisdefizite explizit dargelegt werden. Annahmen, Werturteile und deren Begründung sollen offen gelegt werden, um die Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit der Untersuchung zu gewährleisten.
Obwohl TA und UVP insofern die gleichen Prämissen teilen, unterscheiden sie sich doch im Hinblick auf die Art und Weise ihres Einsatzes und die Nähe zur Entscheidung. Während es bei der TA ganz allgemein um die verstärkte Einbindung wissenschaftlichen Sachverstandes in Entscheidungsprozesse geht, soll die UVP gewährleisten, dass die Belange der Umwelt im Verwaltungsverfahren angemessen berücksichtigt werden. Während die UVP der Vorbereitung von konkreten, rechtlich genau fixierten Entscheidungen dient, geht es bei der TA eher um die Frage, ob bezüglich einer Technologie bzw. eines sich abzeichnenden gesellschaftlichen Problems langfristig ein Entscheidungsbedarf besteht.
Dementsprechend unterschiedlich ist ihr Formalisierungsgrad: Bei der UVP handelt es sich um ein rechtsstaatlich geordnetes Verfahren, mit einer vorgegebenen Abfolge von Schritten, die an bestimmte Fristen gebunden sind, während es für die TA kein einheitliches oder gar zwingend vorgeschriebenes Verfahren gibt. Während die UVP auch in formaler Hinsicht eine notwendige Voraussetzung für die Entscheidung ist (sofern für ein UVP-pflichtiges Vorhaben keine UVP durchgeführt wurde, kann die Genehmigung nicht erteilt werden), handelt es sich bei der TA um ein Beratungsinstrument. Welchen Gebrauch der Entscheidungsträger von den Ergebnissen einer TA-Studie macht, liegt völlig in seinem Ermessen. [1]
In Anbetracht der ähnlichen Zweckbestimmung zwischen TA und UVP lag es nahe, dass sich ein Institut wie ITAS, dessen zentrales Aufgabengebiet die TA darstellt, auch mit dem Instrument der UVP beschäftigt. Konkreter Anlass dafür war die Verabschiedung der EG-Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vom 27. Juni 1985 (85/337/EWG), die innerhalb von drei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden musste. Gegenstand der ITAS-Arbeiten war nicht die Durchführung konkreter Umweltverträglichkeitsstudien, sondern die Auseinandersetzung mit theoretisch-konzeptionellen Fragen wie: Welche Erfahrungen wurden mit dem Instrument der UVP in den USA gesammelt? Welche Schlussfolgrungen und Empfehlungen lassen sich daraus für die Umsetzung der EG-Richtlinie in Deutschland ableiten? Welche Strategien zur Implementation der UVP werden in anderen Mitgliedstaaten der EU verfolgt? Welche Rolle spielt die UVP im Entscheidungsprozess?
2 Die Umweltverträglichkeitsprüfung in den USA
Die Umweltverträglichkeitsprüfung wurde in den USA durch den National Environmental Policy Act (NEPA) eingeführt, der am 1. Januar 1970 in Kraft trat. Anlass für die Verabschiedung von NEPA war eine wachsende Unzufriedenheit mit dem Entscheidungsverhalten der Bundesbehörden hinsichtlich umweltpolitischer Belange. Obwohl damals bereits ein dichtes Netz sektoraler Umweltschutzgesetze existierte, kam es immer wieder zu Entscheidungen, die unter Umweltgesichtspunkten als Fehlentscheidungen einzustufen waren. Dies wurde in erster Linie auf die bestehende Zersplitterung der Entscheidungskompetenzen und die fehlende Zuständigkeit der Behörden für bestimmte Umweltbereiche zurückgeführt. NEPA ist darauf angelegt, solche Defizite auszugleichen, indem es die Behörden verpflichtet, bei allen bedeutenderen Maßnahmen des Bundes, welche die Beschaffenheit der menschlichen Umwelt erheblich beeinflussen, einen Bericht (Environmental Impact Statement) über die voraussichtlichen Umweltauswirkungen der geplanten Aktivität und ihrer Alternativen zu erstellen.
Die relativ vage formulierten Anforderungen des Gesetzes sind in den ersten zehn Jahren nach seiner Verabschiedung in erheblichem Umfang konkretisiert worden, wobei der entscheidende Einfluss auf die Ausgestaltung der gesetzlichen Regelungen von der Rechtsprechung ausging. Die wichtigste Ursache für diese Bereitschaft der Gerichte, die führende Rolle bei der Implementation der UVP zu übernehmen, wird darin gesehen, dass NEPA zu einer Zeit erlassen wurde, in der die Gerichte generell nach Möglichkeiten suchten, ihre Aufsicht über die behördlichen Entscheidungsprozesse zu verschärfen. Die zahlreichen Versuche von Bürgerinitiativen und Umweltverbänden, die Erforderlichkeit und Angemessenheit der UVP durch die Gerichte überprüfen zu lassen, fand daher eine breite Unterstützung in der Rechtsprechung. Unbestritten ist, dass die intensiven gerichtlichen Auseinandersetzungen zu einer wesentlich extensiveren Auslegung des Gesetzes geführt haben als es der Kongress vorhergesehen oder vielleicht sogar intendiert hatte. In enger Anlehnung an die zuvor ergangene Rechtsprechung hat der Council on Environmental Policy 1978 Verwaltungsvorschriften erlassen, die den organisatorischen und zeitlichen Ablauf des UVP-Verfahrens bindend festlegen.
In einer im Auftrag des Umweltbundesamtes (Berlin) durchgeführten Studie hat ITAS die amerikanischen Erfahrungen bei der Durchführung der UVP analysiert und deren Relevanz für die Implementation der EG-Richtlinie in der Bundesrepublik Deutschland geprüft. Auf der Grundlage von verfahrensmäßigen Vorschriften, wichtigen Gerichtsurteilen und Erfahrungsberichten von Behörden wurde die Entwicklung der UVP-Praxis in den USA von den Anfängen bis 1988 nachgezeichnet. Dabei wurden insbesondere der Geltungsbereich der UVP, die Verantwortung für ihre Durchführung, Zeitpunkt, Inhalt und Umfang, die Funktion der Öffentlichkeit, die Nachkontrolle sowie die Stellung der UVP im Entscheidungsprozess behandelt. Zu jedem der genannten Aspekte wurde ein Vergleich mit den Bestimmungen der EG-Richtlinie vorgenommen. Der Vergleich zeigt, dass die Anforderungen der EG-Richtlinie in vielen Punkten, z. B. was die Prüfung von Alternativen oder die Öffentlichkeitsbeteiligung angeht, deutlich hinter dem amerikanischen Vorbild zurückbleiben.
Die Erfahrungen in den USA lehren auch, dass die meisten Befürchtungen, die bei Einführung der UVP geäußert wurden, nicht eingetreten sind. Die UVP-Pflicht hat weder zu einer ungebührlichen Verlängerung der Genehmigungsverfahren noch zu erheblichen Kostensteigerungen geführt. Empirische Untersuchungen belegen, dass die Kosten der UVP in der Regel nur einen geringen Teil der Projektkosten (unter 1 %) ausmachen und nur ein verschwindend kleiner Teil von Vorhaben aufgrund von UVP-Studien tatsächlich blockiert worden ist. Dafür hat die Durchführung einer UVP in vielen Fällen dazu beigetragen, günstigere Alternativen zu entwickeln, die ursprüngliche Planung zu verbessern, Widerstände abzubauen und die Akzeptanz der Entscheidung zu erhöhen.
Ingesamt hat sich die UVP in den USA als ein effizientes Instrument zur Vorbereitung von Entscheidungen über umweltrelevante Vorhaben bewährt. Um dies auch für Deutschland sicherzustellen, empfahlen die Autoren der Studie bei der Umsetzung der EG-Richtlinie in nationales Recht über die europäischen Mindestanforderungen hinauszugehen (vgl. Jörissen, Coenen und Franz 1988).
3 Die Implementation der UVP in den Mitgliedstaaten der EU
Obwohl die EG das Thema der Umweltverträglichkeitsprüfung schon Mitte der 70er Jahre aufgriff, nachdem in den USA erste Erfahrungen mit diesem Instrument vorlagen, konnte die Richtlinie zur UVP erst 1985 nach schwierigen, teilweise sehr kontrovers geführten Verhandlungen verabschiedet werden. Der endgültige Text der Richtlinie stellte einen Kompromiss dar, der im Vergleich zu dem Richtlinienentwurf von 1980 deutliche Abschwächungen enthielt. Die Richtlinie beschränkte sich im Wesentlichen auf Mindestanforderungen und überließ die konkrete Ausgestaltung des Verfahrens in den meisten Punkten den Mitgliedstaaten.
Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die EG-Richtlinie in nationales Recht zu überführen, war der Anlass für eine weitere Studie von ITAS, die ebenfalls im Auftrag des Umweltbundesamtes durchgeführt wurde. Ziel der Untersuchung war es, den aktuellen Stand der Implementation der UVP in den Mitgliedstaaten zu erfassen und deren Erfahrungen für die Umsetzung der Richtlinie in der Bundesrepublik Deutschland zu nutzen. Im Teil I der Studie wurden die in den einzelnen Ländern getroffenen bzw. geplanten Regelungen in Bezug auf zentrale Aspekte wie Einbindung der UVP in das bestehende Rechtssystem, Anwendungsbereich, Verantwortlichkeit, Inhalt der UVP, Beteiligung anderer Behörden und der Öffentlichkeit, Verknüpfung von UVP und Entscheidung, administrative Nachkontrolle, gerichtliche Überprüfbarkeit analysiert und mit den Mindestanforderungen der EG-Richtlinie verglichen. Teil II der Studie enthielt die ausführlichen Länderberichte der zehn untersuchten Staaten (vgl. Coenen und Jörissen 1989).
Wie die Untersuchung zeigt, haben die Mitgliedstaaten bei der Verankerung der UVP im bestehenden Rechtssystem sehr unterschiedliche Wege beschritten, die von einer untergesetzlichen Regelung über Verwaltungsvorschriften, Richtlinien und Erlasse über die Novellierung bestehender Fachgesetze bis hin zur Verabschiedung eines eigenständigen UVP-Gesetzes reichen. Deutlich wurde, dass die Art der Umsetzung nicht nur von den jeweiligen rechtlichen Voraussetzungen abhängt, sondern auch den umweltpolitischen Stellenwert widerspiegelt, der dem Instrumente der UVP in den einzelnen Ländern eingeräumt wird.
Zweifellos kommen den Regelungen in den Niederlanden, die sowohl hinsichtlich Inhalt als auch Ausführlichkeit weit über die europarechtlichen Anforderungen hinausgehen, dem Idealkonzept der UVP am nächsten. Einschränkend ist anzumerken, dass der Anwendungsbereich der UVP, zumindest in der Anfangsphase, auf wenige Großprojekte beschränkt war. Die Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, Großbritannien und Irland haben dagegen, dem Beispiel Frankreichs folgend, versucht, die UVP mit einem Minimum an verfahrensmäßigen und institutionellen Veränderungen zu implementieren. Mehr oder weniger prononciert wurde in diesen Ländern der Standpunkt vertreten, dass die bestehenden Verfahren zur Genehmigung umweltrelevanter Vorhaben bereits den Ansprüchen einer UVP genügen.
Im Gegensatz dazu wurde die Einführung der UVP in den südeuropäischen Mitgliedstaaten Italien, Spanien, Portugal und Griechenland als eine Möglichkeit begrüßt, die Regelungs- und Vollzugsdefizite des vorhandenen Umweltrechts zu kompensieren. Diese Länder haben daher relativ anspruchsvolle Umsetzungsstrategien verfolgt. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, nun nach über zehnjähriger Praxis mit dem Vollzug der UVP empirisch zu untersuchen, inwieweit sich diese Erwartungen erfüllt haben.
4 Internationale Tagung zur Rolle der UVP im Entscheidungsprozess
Vor dem Hintergrund der anstehenden Umsetzung der EG-Richtlinie zur UVP in nationales Recht fand im August 1987 eine internationale Arbeitstagung über die Rolle der UVP im Entscheidungsprozess statt. Eingeladen war ein ausgesuchter Kreis von internationalen UVP-Fachleuten aus Verwaltung, Wissenschaft und Praxis, insbesondere aus solchen Ländern, die damals bereits über langjährige Erfahrungen im Vollzug einer rechtlich vorgeschriebenen UVP verfügten: Australien, Frankreich, Kanada, Neuseeland, die Niederlande und die USA. Ziel der Tagung war es, diese Erfahrungen für die Implementation der UVP in der Bundesrepublik Deutschland zu nutzen.
Im Zentrum der inhaltlichen Auseinandersetzungen stand die Frage nach den rechtlichen, verfahrensmäßigen, methodischen und inhaltlichen Faktoren, die die Stellung der UVP im Entscheidungsprozess in positiver und negativer Weise beeinflussen können. Intensiv diskutiert wurde, welche Bedeutung die Art der rechtlichen Verankerung der UVP, deren verfahrensmäßige Ausgestaltung, Qualität und Inhalt der Analysen, die Öffentlichkeitsbeteilung und deren Handhabung sowie Ausmaß und Form der inneradministrativen Prüf- und Konsultationsprozesse für die Nutzung der Ergebnisse der UVP bei der Entscheidung haben.
Die Tagung wurde vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Forschung und Technologie veranstaltet und getragen. Die Organisation erfolgte durch das Umweltbundesamt. Die wissenschaftliche Betreuung der Tagung und die Auswertung der Ergebnisse lagen in den Händen von ITAS. Die Ergebnisse sind in zwei Bänden dokumentiert (vgl. Umweltbundesamt 1989; Paschen1989).
5 Ausblick
Wie aus den Beratungen ersichtlich ist, die der Verabschiedung der EG-Richtlinie über die UVP bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten von 1985 vorausgingen, wurde der Anwendungsbereich der UVP seinerzeit aus eher pragmatischen Gründen auf konkrete Projekte, wie die Errichtung von Anlagen oder sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft, begrenzt. Schon damals vertrat der Rat der Europäischen Gemeinschaft die Auffassung, dass auch Pläne und Programme einer UVP unterzogen werden sollten, wie dies in Staaten mit langer UVP-Tradition wie den USA oder Kanada praktiziert wurde. Schon damals kündigte der Rat seine Absicht an, die UVP-Pflicht schrittweise auf alle entscheidungsrelevanten Planungsstufen auszudehnen.
Die Einführung einer solchen „Strategischen Umweltprüfung" (SUP) erwies sich jedoch als ein noch schwierigeres Unterfangen als die Durchsetzung der projektbezogenen UVP und stieß bei den Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen auf erbitterten Widerstand. Insbesondere die wirtschaftlichen Probleme in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts standen den umweltpolitischen Anstrengungen entgegen, so dass der erste Vorschlag einer „EG-Richtlinie über die UVP bei Politiken, Plänen und Programmen" von 1990 aus den Beratungen zurückgezogen wurde, bevor er überhaupt den Status eines offiziellen Entwurfs der EG-Kommission erreichte. Fünf Jahre später unternahm die EG-Kommission einen erneuten Versuch zur Einführung einer Strategischen Umweltprüfung und legte am 4. Dezember 1996 einen neuen Vorschlag für eine Richtlinie vor (vgl. dazu ausführlich Jacoby 1996). Erst nach langwierigen Verhandlungen konnte schließlich am 27. Juni 2001 die „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme" (2001/42/EG) verabschiedet werden, die bis zum 21. Juli 2004 in nationales Recht umzusetzen ist.
In diesem Zusammenhang wurde in Deutschland eine Unabhängige Expertenkommission zur Novellierung des Baugesetzbuches einberufen, deren vornehmliche Aufgabe darin bestand, Vorschläge zur Umsetzung der Richtlinie in das Bauplanungsrecht zu entwickeln. Dabei sollten insbesondere auch Möglichkeiten der Verfahrensvereinfachung und der Vermeidung von Doppelprüfungen sowie der Weiterentwicklung planungsrechtlicher Steuerungsmöglichkeiten aufgezeigt werden (vgl. BMVBW 2002). Auf der Grundlage des Berichts der Unabhängigen Expertenkommission hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen einen Gesetzesentwurf zur Einführung der SUP in das Bauplanungsrecht (BMVBW 2003) vorgelegt, der sich zurzeit in der parlamentarischen Beratung befindet. [2]
Vielleicht könnte der Umstand, dass nunmehr eine weitere UVP-Richtlinie der EU in nationales Recht überführt werden muss, ein geeigneter Anlass für ITAS sein, sich wieder mit dem Thema UVP zu beschäftigen. Vor dem Hintergrund der alten Erfahrung wäre es sicher eine lohnende Aufgabe, die Umsetzungsstrategien der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Strategische Umweltprüfung einem internationalen Vergleich zu unterziehen. Leider würde sich dabei die bewährte, erfolgreiche und harmonische Zusammenarbeit mit Reinhard Coenen, der an allen UVP-Projekten von ITAS in maßgeblicher Weise beteiligt war, nicht weiter fortsetzen lassen.
* | Seit 1980 wiss. Mitarbeiterin im ITAS (damals noch AFAS); zeitweise Mitarbeit im Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). |
Anmerkungen
[1] Auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen TA und UVP kann hier nicht weiter eingegangen werden, vgl. dazu ausführlicher Bechmann und Jörissen 1992.
[2] Zu dem Gesetzentwurf des BMVBW liegen zahlreiche Stellungnahmen vor, etwa seitens des Bundesrates, des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen, der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekten, des BUND u. a., die zeigen, dass der Entwurf in zahlreichen Punkten umstritten ist. Am 8. März 2004 hat der Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen des Deutschen Bundestages eine öffentliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf durchgeführt.
Literatur
Bechmann, G.; Jörissen, J., 1992:
Technikfolgenabschätzung und Umweltverträglichkeitsprüfung: Konzepte und Entscheidungsbezug. Vergleich zweier Instrumente der Technik- und Umweltpolitik. In: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Heft 2, S. 140-171
BMVBW / Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, 2002:
Novellierung des Baugesetzbuchs. Bericht der Unabhängigen Expertenkommission. Berlin, August
BMVBW / Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, 2003:
Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau - EAG Bau), Entwurf vom 3. Juni 2003
Coenen, R.; Jörissen, J., 1989:
Umweltverträglichkeitsprüfung in der Europäischen Gemeinschaft. Derzeitiger Stand der Umsetzung der EG-Richtlinie in zehn Staaten der EG. Beiträge zur Umweltgestaltung, Band A 115, Berlin: Erich Schmidt Verlag
Jacoby, Ch., 1996:
Vorschläge für eine EU-Richtlinie über die Strategische Umweltverträglichkeitsprüfung (SUP)1990-1995. In: Zeitschrift für angewandte Umweltforschung. Sonderheft 7/1996, S. 209-242
Jörissen, J.; Coenen, R.; Franz, P., 1988:
Die Umweltverträglichkeitsprüfung in den USA. Analyse US-amerikanischer Erfahrungen und deren Relevanz für die Implementation der UVP-Richtlinie der EG in der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zur Umweltgestaltung, Band A 103, Berlin: Erich Schmidt Verlag
Paschen, H. (Hrsg.), 1989:
Die Rolle der Umweltverträglichkeitsprüfung im Entscheidungsprozess. Bericht über Kurzvorträge, Diskussionen und Gesamtschlussfolgerungen einer internationalen Arbeitstagung im August 1987 in Heidelberg. Beiträge zur Umweltgestaltung, Band A 113, Berlin: Erich Schmidt Verlag
Umweltbundesamt (Hrsg.), 1989:
The Role of Environmental Impact Assessment in the Decisionmaking Process. Proceedings of an International Workshop held in Heidelberg, August 1987. Beiträge zur Umweltgestaltung, Band A 109, Berlin: Erich Schmidt Verlag
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