TA-Institutionen und TA-Programme
„Technologie und Gesellschaft“: Neue Abteilung der EMPA in St. Gallen
„Technologie und Gesellschaft“: Neue Abteilung der EMPA in St. Gallen
Von Lorenz M. Hilty, Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, St. Gallen, Schweiz
Seit Anfang des Jahres bündelt die Abteilung „Technologie und Gesellschaft“ Aktivitäten der EMPA, die sich mit den Auswirkungen neuer Technologien und mit Fragen der nachhaltigen Entwicklung befassen. Die EMPA als „Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt“ mit 800 Mitarbeitenden an drei Standorten gehört zum ETH-Bereich und damit zu den führenden Technologie-Institutionen in der Schweiz.
1 Einleitung
Das Veränderungspotenzial neuer Technologien wie z. B. Nanomaterialien hat die Direktion der EMPA bewogen, eine Abteilung „Technologie und Gesellschaft“ zu schaffen. Die neue Abteilung „Technologie und Gesellschaft“ der EMPA in St. Gallen ist durch eine thematische und personelle Erweiterung der früheren Abteilung „Nachhaltige Informationstechnologie“ entstanden. Neben Informationstechnologie werden in Zukunft insbesondere auch Nanomaterialien und Materialien für den Energiebereich auf ihre sozialen und ökologischen Chancen und Risiken hin untersucht. Leitidee der Forschungsaktivitäten ist die nachhaltige Entwicklung, verstanden als eine auf Dauer menschen- und umweltgerechte Nutzung von technisch geschaffenen Handlungsspielräumen.
Die neue Abteilung hat drei Wurzeln: Die langjährige Erfahrung der EMPA im Life Cycle Assessment (Analyse von Produktlebenswegen, Ökobilanzen), die Aktivitäten der EMPA in der Technologiekooperation mit Schwellen- und Entwicklungsländern und als jüngste Aktivität das Forschungsprogramm „Nachhaltigkeit in der Informationsgesellschaft“ (2001-2005), das der ETH-Rat im Rahmen seiner Innovations- und Kooperationsprojekte an der EMPA mitfinanziert. Die EMPA ist eine der vier Forschungsanstalten, die neben den beiden Technischen Hochschulen (ETH Zürich und EPF Lausanne) den so genannten ETH-Bereich in der Schweiz bilden.
Durch die Bündelung der genannten Aktivitäten und unter der neuen Anforderung, sich verstärkt mit den möglichen Folgen der Nanotechnologie auseinanderzusetzen, ist die Abteilung „Technologie und Gesellschaft“ entstanden. Sie umfasst zurzeit 22 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon rund die Hälfte mit externen Mitteln finanziert.
2 Organisation
Die Abteilung ist nach methodischen Kriterien in vier Gruppen gegliedert, die in interdisziplinären Projekten zusammenarbeiten.
2.1 ITA - Innovations- und Technikanalyse (Leitung: Hans G. Kastenholz)
Die Gruppe Innovations- und Technikanalyse untersucht wissenschaftlich-technische Innovationen und Entwicklungen mit dem Ziel, Felder des gesellschaftlich erwünschten technologischen Fortschritts zu identifizieren und Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Schwerpunkte sind die Analyse und Bewertung von technologischen Innovationsfeldern, Untersuchungen zur Technik- und Risikoakzeptanz sowie die Risikokommunikation und das Risikomanagement.
Ein weiterer Schwerpunkt der ITA-Gruppe ist die Weiterentwicklung von TA-Methoden, insbesondere in Hinblick auf die Anforderungen der neueren Anwendungsgebiete Informationstechnologie und Nanotechnologie. Projekte in diesen Anwendungsfeldern tragen zur Validierung und Weiterentwicklung der Methoden bei.
2.2 LCA - Life Cycle Assessment (Leitung: Roland Hischier und Hans-Jörg Althaus)
Für die Abschätzung der Auswirkungen von Materialien sind lebenszyklusweite Betrachtungen der Stoff- und Energieflüsse, die mit einem Endprodukt oder einer Dienstleistung verbunden sind, von zentraler Bedeutung. Die LCA-Gruppe, die zugleich die schweizerische Datenbank für Ökoinventare (ecoinvent; http://www.ecoinvent.ch) betreibt, bringt diese Methodik in die Projekte der Abteilung ein. Dabei stehen die Anwendungsgebiete Energie, Bauwesen, Mobilität und Informationstechnologie im Vordergrund.
Weitere Schwerpunkte der LCA-Gruppe sind die Weiterentwicklung der LCA-Methodik für die Analyse nicht-umweltbezogener Aspekte der Nachhaltigkeit und die internationale Harmonisierung von Life Cycle Inventory (LCI)-Daten, aufbauend auf den Erfahrungen mit der Datenbank.
2.3 ISM - Informationssysteme und Modellierung (Leitung: Rainer Zah)
Die Gruppe ISM befasst sich mit dem Aufbau von Informationssystemen (wie z. B. Umweltinformationssystemen), die Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten können, und analysiert soziotechnische Systeme mit den Mitteln der Modellbildung und Simulation. Die Ergebnisse der Systemanalysen fließen wiederum in Informationssysteme zur Planung, Implementierung und Optimierung von technischen Systemen ein.
Der Raumbezug von Daten und die Verarbeitung geographischer Informationen bilden einen methodischen Schwerpunkt: Durch Analyse von Satellitenbildern, räumliche und dynamische Modellierung sowie die Verarbeitung raumbezogener Daten mit geographischen Informationssystemen (GIS) werden jene Projekte unterstützt, in denen die räumliche Verteilung von Stoff- und Energieflüssen und anderen Prozessen bei der Beurteilung der Auswirkungen eine Rolle spielt.
2.4 SusTeC - Nachhaltige Technologiekooperation mit Nicht-OECD-Ländern (Leitung: Heinz W. Böni)
Im Auftrag des schweizerischen Staatssekretariates für Wirtschaft (seco) engagiert sich die EMPA seit den neunziger Jahren für Cleaner-Production-Programme in Entwicklungs- und Schwellenländern. Weitere Projekte betreffen die nachhaltige Tropenholzbewirtschaftung.
Die Gruppe Sustainable Technology Co-operation (SusTeC), die diese Programme durchführt, wird sich in Zukunft vermehrt mit Technologien befassen, die an der EMPA entwickelt werden, und diese im globalen Nord/Süd-Kontext analysieren bzw. nach innovativen Anwendungsfeldern suchen, die auch der globalen Dimension der Leitidee nachhaltige Entwicklung gerecht werden.
In einer globalisierten Wirtschaft ist Technologieentwicklung mit Fragen der Nord/Süd-Kooperation untrennbar verbunden, unter anderem aufgrund der Tatsache, dass die Lebenswege technischer Produkte häufig in Ländern des globalen Südens beginnen und enden. In einem Projekt zum Thema Elektronikschrott (siehe unten) wird beispielhaft das Recycling von Elektronikprodukten im informellen Sektor in drei ausgewählten Regionen in Indien, China und Südafrika untersucht mit dem Ziel, Verbesserungen für die Human- und Umweltverträglichkeit dieser zu einer beträchtlichen „Schattenindustrie“ herangewachsenen Aktivitäten zu erreichen.
3 Aktuelle Projekte
Die folgenden Projekte vermitteln einen Eindruck von der Tätigkeit der Abteilung. In der Regel sind mehrere Gruppen an einem Projekt beteiligt.
3.1 Das Vorsorgeprinzip in der Informationsgesellschaft
Im Auftrag des schweizerischen Zentrums für Technologiefolgenabschätzung (TA-SWISS, siehe http://www.ta-swiss.ch) hat die EMPA gemeinsam mit dem Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) in Berlin die Chancen und Risiken des Pervasive Computing für Gesundheit und Umwelt identifiziert und bewertet. Neben Gesundheits- und Umweltaspekten im engeren Sinne wurden dabei auch soziale Auswirkungen einbezogen: Datenschutzaspekte, die Folgen unbeherrschbarer Komplexität informationstechnischer Systeme und die zunehmende Abhängigkeit der Gesellschaft von diesen Systemen.
3.2 The future impact of ICT on environmental sustainability
Im Auftrag des Institute for Prospective Technological Studies der EU (IPTS, Sevilla) untersucht ein internationales Projektteam, wie sich die Informations- und Kommunikationstechnologien des Jahres 2020 auf gegebene Indikatoren für ökologische Nachhaltigkeit auswirken können. Das IZT in Berlin, das dieses Projekt leitet, hat die verfügbaren Daten recherchiert. Darauf aufbauend hat das Forum for the Future in London Szenarien möglicher Entwicklungen entworfen, die an der EMPA in quantiative Simulationsmodelle umgesetzt wurden. Der bei diesem Zeithorizont sehr hohen Unsicherheit der Aussagen wurde durch (bezogen auf die Umweltwirkungen) best-case und worst-case Simulationsläufe Rechnung getragen.
Das International Institute for Industrial Environmental Economics (IIIEE) an der Universität Lund erarbeitet auf dieser Grundlage Politikempfehlungen.
3.3 West Bengal jute project
In Zusammenarbeit mit der indischen Regierung, dem Remote Sensing Laboratory (RSL) der Universität Zürich und weiteren Forschungsstellen entwickelt die EMPA ein Verfahren zur satellitengestützten Ernteprognose für den Anbau von Jute und verwandten Faserrohstoffen. Aufgrund der stark schwankenden Quantität und Qualität der Ernten ist dies eine Voraussetzung für den Aufbau von Lieferketten, die westlichen Industriestandards genügen. Zugleich hat die EMPA neue Verfahren zur Verarbeitung der Fasern entwickelt.
Nach der Streichung eines indischen Gesetzes, das den Gebrauch von Jute als Verpackungsmaterial teilweise vorschreibt, soll dieses Projekt dazu beitragen, neue Absatzmärkte für den nachwachsenden Rohstoff zu erschließen.
3.4 Knowledge partnerships with developing and transition countries in e-waste recycling
Im Auftrag des schweizerischen Staatssekretariates für Wirtschaft (seco) analysiert die EMPA, wie in Entwicklungs- und Schwellenländern große Mengen von Elektronikschrott mit einfachsten Mitteln und unter hohen Gesundheits- und Umweltbelastungen rezykliert werden. Beispielsweise lassen sich mit Bunsenbrenner und Säurebädern aus einem PC rund fünf Gramm Gold gewinnen. Diese Form der Gewinnung von Gold und anderen wertvollen Materialien schafft bereits ein Einkommen für hunderttausende von Menschen und hat zugleich Böden und Grundwasser ganzer Landstriche unbrauchbar gemacht.
Mit lokalen Partnern (Regierungs- und Nichtregierungsstellen) werden nachhaltige Lösungen entwickelt. In einer zweiten Projektphase wird eine Region ausgewählt werden, in der exemplarisch ein Recyclingsystem implementiert wird, das für die Beteiligten profitabel bleibt und Gesundheit und Umwelt weniger belastet.
Das in diesem Projekt erarbeitete Wissen über Elektronikschrott-Recycling in Nord und Süd wird in einem Internet-basierten E-waste Guide laufend veröffentlicht und zur Diskussion gestellt (siehe http://www.ewaste.ch).
4 Ausblick
Die Forschung der EMPA wird sich in Zukunft an strategischen Forschungsprogrammen orientieren: Nanotechnologie, Adaptive Werkstoffsysteme, Technosphäre-Atmosphäre und Materialien für Energietechnologien.
Entsprechend wird die neue Abteilung Technologie und Gesellschaft ihren Fokus auf diese Themen richten, darunter primär Nanotechnologie und Energietechnologien (speziell wasserstoffbasierte Mobilität). Informations- und Kommunikationstechnologien bzw. Informationsgesellschaft werden als ein Themenschwerpunkt der Abteilung erhalten bleiben.
Kontakt
Abteilung 293 Technologie und Gesellschaft
EMPA
Lerchenfeldstr. 5, CH-9014 St.Gallen, Schweiz
Fax: +41 7127 47-862
Internet: http://www.empa.ch/atg
Prof. Dr. Lorenz M. Hilty (Abteilungsleiter)
Tel.: +41 7127 47-500
E-Mail: lorenz.hilty∂empa.ch
Dr. Hans G. Kastenholz (Gruppenleiter ITA)
Tel.: +41 7127 47-859
E-Mail: hans.kastenholz∂empa.ch