Workshop: NanoVision - Materialwissenschaftler, Toxikologen und Technikforscher suchen gemeinsame Fragestellungen und offene Forschungsthemen (Karlsruhe, 8. Dezember 2003)

Tagungsberichte und Tagungsankündigungen

Nanopartikel unter der Lupe

Ein Bericht über den Workshop „NanoVision - Materialwissenschaftler, Toxikologen und Technikforscher suchen gemeinsame Fragestellungen und offene Forschungsthemen“ am 8. Dezember 2003 im Forschungszentrum Karlsruhe

von Ulrich Fiedeler, Torsten Fleischer und Michael Decker, ITAS

1     Konzeption des Workshops

Während viele Konzepte und Vorhaben auf dem Gebiet der Nanotechnologie noch weit von der Anwendung entfernt sind, sind die Entwicklungen bei Nanomaterialien schon recht weit fortgeschritten. Einige davon werden, wie Beispiele von Speziallacken, Kosmetika und speziellen Verbundmaterialien zeigen, schon als Bestandteil kommerzieller Produkte auf dem Markt angeboten. Die meisten dieser Produkte erhalten ihre besonderen Eigenschaften aufgrund der Beimengung von Nanopartikeln. Wegen vermuteter Gesundheits- und Umweltrisiken sind gerade die Nanopartikel in letzter Zeit in das Zentrum der Debatte über die Risiken der Nanotechnologie gerückt. So forderte die kanadische Umweltorganisation „etc-Group“ im Frühjahr 2003 ein Moratorium, demzufolge auf die Vermarktung von Nanopartikeln und nanopartikelhaltigen Produkten so lange verzichtet werden solle, bis zweifelsfrei die Unbedenklichkeit der Nanopartikel erwiesen sei. Vor diesem Hintergrund veranstaltete das Netzwerk „NanoMat“ [1] zusammen mit dem Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse des Forschungszentrums Karlsruhe am 8. Dezember 2003 eine Informations- und Diskussionsveranstaltung unter dem Titel „NanoVision - Materialwissenschaftler, Toxikologen und Technikforscher suchen gemeinsame Fragestellungen und offene Forschungsthemen“.

Ziel war es, Forscher aus den genannten drei Disziplinen zusammenzubringen, um sich gegenseitig über den Wissensstand zu diesem Thema zu informieren und gemeinsam relevante Forschungsfragen zu identifizieren. Die Veranstaltung bot darüber hinaus die Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit potentiellen Partnern, um Kooperationen zur Bearbeitung dieser interdisziplinären Fragestellungen zu diskutieren.

Um eine intensive interdisziplinäre Kommunikation zwischen den ca. 60 Teilnehmern zu ermöglichen, hatten sich die Veranstalter für eine Mischung aus Plenarvorträgen (vormittags) und Arbeitsgruppendiskussionen (nachmittags) entschieden.

Nach einer Begrüßung und Einführung durch das Vorstandsmitglied des Forschungszentrums, Prof. Dr. R. Maschuw, der die Auseinandersetzung mit den möglichen Risiken der Nanotechnologie schon in einer frühen Phase der noch jungen Disziplin befürwortete und begrüßte, stellten Kollegen aus den drei vertretenen Fachgebieten (Dr. M. Pridöhl, Degussa; PD Dr. H. Krug, Institut für Toxikologie und Genetik, Forschungszentrum Karlsruhe und Prof. Dr. A. Grunwald, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, Forschungszentrum Karlsruhe) jeweils in einem kurzen Einführungsvortrag das eigene Gebiet und dessen spezifische Perspektive auf die Erwartungen an den Einsatz von Nanomaterialien, die Chancen und potentiellen und faktischen Risiken von Nanopartikeln vor. Dabei war es weniger Ziel, den Stand der Forschung des Fachgebietes hinsichtlich der Nanopartikel zu referieren, als vielmehr den Vertretern der anderen Disziplinen die fachspezifische Herangehensweise an die oben erwähnte Thematik zu erläutern.

Nach diesen Einführungsvorträgen wurden im Rahmen von sechs Impulsreferaten jeweils die spezifische Perspektive einer Disziplin auf eine der beiden anderen vorgestellt und jeweils Fragen an diese formuliert. Aus Sicht der Toxikologie fragten PD Dr. Marianne Geiser (Universität Bern) und Dr. N. Krüger (Degussa). Für die Materialwissenschaftler übernahmen Dr. J. Rieger (BASF) und Dr. M. Pridöhl (Degussa), der sich dankenswerterweise spontan bereit erklärt hatte, für den wegen Krankheit kurzfristig verhinderten Prof. Dr. H. Fissan (Universität Duisburg-Essen) einzuspringen, die Rolle der Fragesteller. Die Technikforscher wurden durch Dr. W. Luther (VDI-ZTC) und Dipl.-Ing. Stefan Reschke (FhG-INT) vertreten. Am Ende hatte so nicht nur jedes Fachgebiet einen Einblick in die Erwartungen der anderen Fachgebiete, deren Fragestellungen und Erkenntnisinteressen gewonnen; durch die unterschiedliche institutionelle Einbindung der Referenten (Universitäten, außeruniversitäre Forschung, Beratung, Industrie) flossen zudem auch akteursspezifische Fragen und Sichtweisen in die Diskussion ein.

Die in den vormittäglichen Plenumspräsentationen aufgeworfenen Fragen konnten am Nachmittag in drei Workshops diskutiert und in ihrer Priorität gewichtet werden. Deren Themen orientierten sich jeweils an den neuen Herausforderungen für die jeweiligen Fachgebiete. Um hier eine interdisziplinäre Mischung beizubehalten, wurden die Workshop-Teilnehmer im Losverfahren zugeordnet.

2     Fragen an die Technikfolgenabschätzung

Im ersten Workshop, der die Fragen an die Technikfolgenabschätzung behandelte, wurden folgende Fragen als die wichtigsten identifiziert:

Im Zusammenhang mit der ersten Frage wurde diskutiert, inwiefern die Wissenschaftlichkeit und damit die Zuverlässigkeit von Technikfolgenabschätzung gewährleistet werden kann. Unterschieden wurde in diesem Zusammenhang zwischen der Risikobewertung und dem Risikomanagement.

Die Diskussion um die zweite Frage behandelte Themen wie Akzeptanz der Nanotechnologie, rückwirkende Diskreditierung von bereits etablierten Produkten und die Notwendigkeit der Differenzierung innerhalb der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die Bedeutung der Nanotechnologie. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass eine allgemein akzeptierte Definition der Nanotechnologie zwar für die gesellschaftliche Auseinandersetzung um die Bedeutung der Nanotechnologie wünschenswert wäre, dass es aber eine solche Definition nicht gibt [2] . Notwendigerweise muss eine einfache, griffige Definition zu breit, eine engere aber zu komplex und damit nicht mehr anwendbar werden.

Das Ergebnis der Diskussion um die dritte Frage war, dass es zwar schon viele Regularien bezüglich neuer Stoffe gäbe, dass diese aber nur bedingt auf die Nanotechnologie übertragbar wären, da diese auf der chemischen Zusammensetzung der Stoffe, nicht aber auf der Größe und Form der betreffenden Partikel basiere. Aufgabe der Technikfolgenabschätzung wäre es in diesem Zusammenhang, anhand einer Untersuchung der gültigen Regulierungen bestehender Substanzen Empfehlungen für neue Regulierungen und neue Untersuchungen zu entwickeln.

Eine der Fragen, die sich daraus ergeben, dass Nanotechnologie eine „enabling technology“ ist, sie also in den meisten Fällen nur als Komponente in einem komplexen Produkt auftritt, ist die Frage nach der Verantwortung für die Veranlassung und Finanzierung der evtl. notwendigen toxikologischen Untersuchungen. Liegt dies in der Verantwortung des Staates (als Initiator und Förderer der Materialforschung wie als Hüter des Gemeinwohls), oder ist dies Aufgabe der Wirtschaft? Und wenn letzteres, auf welcher Stufe der Wertschöpfungskette: Beim Hersteller des Endproduktes oder schon beim Hersteller der nanotechnologischen Vorprodukte? Zum einen hängen „Nanotechnologie“-Risiken eines Produktes wesentlich von der Art ab, wie die nanotechnologischen Vorprodukte in das endgültige Produkt integriert wurden und in welcher Umgebung und auf welche Weise das Produkt letztendlich genutzt wird. Zum anderen sind die spezifischen Erträge entlang der Wertschöpfungskette ungleich verteilt. Aus Sicht der Industrie stellt sich mithin die Frage, wie die „Zulassungskosten“ neuer Nanomaterialien gerecht(er) verteilt werden können.

3     Fragen an die Toxikologen

In dem Workshop zu den Fragen an die Toxikologen wurden folgende Schlüsselfragen identifiziert:

Ausgehend von der ersten Frage wurde im Workshop über die Möglichkeit diskutiert, allgemeingültige Parameter zu identifizieren, die es dann erlauben, Voraussagen für neue Materialen zu machen.

Für die Marktzulassung ist vor allem die Frage interessant, ob es einen Schwellenwert gibt, unterhalb dem der Körper gar nicht auf die Partikel reagiert. Interessant in diesem Zusammenhang scheint auch, ob sich die Teilchen im Körper akkumulieren, wohin sie wandern und ob sie wieder ausgeschieden werden. Hier scheinen die analytischen Methoden noch nicht weit genug entwickelt zu sein, um dies im Körper und auch in den Ausscheidungen zweifelsfrei nachweisen zu können.

Um relevanten Fragen in diesem Zusammenhang nachzugehen, muss zunächst geklärt werden, in welcher Form Nanopartikel nach ihrer Freisetzung vorliegen. Bleiben sie als Einzelpartikel bestehen oder agglomerieren sie? Falls letzteres, unter welchen Bedingungen geschieht dies, und bleibt das Agglomerat stabil? Da diese Fragen bereits teilweise von Aerosolphysikern untersucht werden, ist es sinnvoll, deren Ergebnisse in die Untersuchung mit einzubeziehen.

Aus toxikologischer Sicht gibt es eine Reihe von methodischen Problemen: Hoch-Dosis Experimente sind nötig, um schnell zu Resultaten zu gelangen. Ob jedoch die Wirkung linear herunterskalierbar ist, ist ungewiss. Unklar ist auch, wie die Existenz und die Höhe eines Schwellwertes zu bestimmen sind. Die Übertragung der Untersuchungsergebnisse an Tieren auf den Menschen ist ein drittes Problem. Eine weitere spezifische Herausforderung scheint der Nachweis der Verteilung der Partikel im Körper zu sein. Die Markierung der Partikel mit radioaktiven Markern ist hierbei keine Lösung, weil unklar ist, ob der Marker an dem Partikel gebunden bleibt.

4     Fragen an die Materialforschung

Die Diskussion im dritten Workshop sollte sich auf die Fragen an die Materialforschung konzentrieren, ging aber schnell darüber hinaus. Für besonders wichtig wurden seitens der Teilnehmer folgende Fragen gehalten:

Weitere Fragen betrafen den Entwicklungsstand und den Stellenwert von regulatorischen Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene, die ihnen zugrunde liegenden Kriterien (Grenzwerte) und Methoden, sowie das Vertrauens- und Kooperationsverhältnis zwischen toxikologischer Forschung und Materialentwicklung.

In diesem Zusammenhang wurden zwei grundsätzliche Problemstellungen deutlich: Eine betrifft die zeitliche Korrelation zwischen der Materialentwicklung und der toxikologischen Forschung. Letztere erfolgt in der Regel reaktiv oder ist - selbst bei entwicklungsbegleitender Planung - so zeitaufwendig, dass sie sich nur schwer mit industrieüblichen Innovationsgeschwindigkeiten synchronisieren lässt. Hinzu kommen systemische Probleme bei der Bestimmung von Niedrigdosen- und Langzeiteffekten.

Ein zweites Problem betraf die Finanzierung der toxikologischen Forschung zu Nanopartikeln. Schon für große Unternehmen ist dies aufwändig und Materialinnovation insoweit - je nach Regelungsdichte - eine Frage von Kosten-Nutzen-Erwägungen. Für kleinere materialentwickelnde Unternehmen und insbesondere „startups“ sind toxikologische Prüfungen oder gar Forschung aus eigenen Mitteln kaum zu leisten. Hier tut sich ein diffiziles Abwägungsproblem zwischen Innovationsförderung, Risikomanagement und der Gefahr von „stranded investments“ der FuE-Förderung auf, das weiter zu diskutieren ist.

Eine letzte Frage betraf die bessere Information von Wissenschaft und Materialentwicklung, Medien und interessierter Öffentlichkeit über die vorliegenden Ergebnisse zu Gesundheits- und Umwelteffekten von Nanopartikeln und deren Interpretation. Hierzu wurden Ideen der DECHEMA kurz vorgestellt und diskutiert.

5     Fazit

Als Fazit kann festgehalten werden, dass nach Meinung vieler Teilnehmer sowohl die Thematik der Tagung als auch die Idee, die drei Disziplinen zusammenzubringen, ein wichtiger Schritt hin zu einer Versachlichung der Debatte um die Risiken von Nanopartikeln waren. Sie hat zum einen das große Interesse an Informationen zur Toxizität und zu Umweltwirkungen von Nanopartikeln, zum anderen aber auch die Hoffnung der Toxikologen auf Unterstützung bei der Strukturierung und Auswahl der Fragestellungen seitens der anderen beiden Disziplinen offenbart.

Von den Veranstaltern wurde das große Informationsbedürfnis der Teilnehmer etwas unterschätzt. Die Konzentration der Diskussion auf weiterführende Fragen setzte ein hohes Maß an Hintergrundwissen voraus. Dessen Vorhandensein wurde seitens der Organisatoren weitgehend vorausgesetzt. Jedoch hatten viele Teilnehmer ihrerseits erhofft, dies auf dem Workshop vermittelt zu bekommen. Insoweit traf die Veranstaltung bei manchem Teilnehmer nicht ganz dessen Erwartungen. Deutlich wurde auch, dass dieser Informationsaustausch ein längerer Prozess ist, der nicht nur eines Anstoßes, sondern auch der Verstetigung bedarf. In diesem Zusammenhang kann die Veranstaltung als eine erste Annäherung hin zu einer engeren Kooperation der drei beteiligten Disziplinen bezüglich der Bearbeitung dieser Thematik angesehen werden.

Anmerkung

[1] NanoMat ist ein überregionales Netzwerk für Materialien der Nanotechnologie; weitere Informationen unter http://www.nanomat.de.

[2] Im Rahmen des Projektes „Small Dimensions and Material Properties - A Definition of Nanotechnology“ der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH wurde sich explizit dieses Themas angenommen.