Handlungsspielräume und Modernisierungserfordernisse nationaler Technologie- und Innovationspolitik

Schwerpunktthema - Nationale Politiken unter den Bedingungen der Globalisierung

Handlungsspielräume und Modernisierungserfordernisse nationaler Technologie- und Innovationspolitik

von Frieder Meyer-Krahmer, Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) Karlsruhe, und Université Louis Pasteur, Strasbourg

Der Beitrag geht der Frage nach, welche Konsequenzen die zunehmende Internationalisierung der Wirtschaft, verbunden mit neuen Ansätzen im FuE-Management global tätiger Unternehmen für die Handlungsspielräume und Modernisierungserfordernisse der nationalen Technologie- und Innovationspolitik haben. Auch unter dem Regime der Globalisierung, so die These, verfügt die nationale Politik noch über Handlungsspielräume, die freilich drastische Veränderungen ihres Designs und ihrer Instrumente voraussetzen: insbesondere einen Wechsel von der direkten Förderung neuer Technologien zu einer politischen Gestaltung komplexer Innovationsprozesse und -umfelder, die weit in wirtschaftliche, rechtliche, soziale und gesellschaftliche Räume hineinreicht.

1     Internationalisierung industrieller Forschung und Entwicklung

Die wachsende Integration vieler Länder in eine weltweite Arbeitsteilung, der Abbau von Handelsbarrieren und nationaler Regulierungen sowie eine zunehmende Mobilität der Produktionsfaktoren werden heute in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion mit dem Begriff „Globalisierung“ beschrieben, um eine neue Qualität der Internationalisierung der Wirtschaft hervorzuheben. Auf dieser allgemeinen Ebene umfasst die Globalisierung der Industrie die grenzüberschreitenden Operationen von Unternehmen zur Ausgestaltung ihrer Forschung und Entwicklung, ihrer Produktion, ihres Bezugs von Vorleistungen, ihres Marketings und ihrer finanzwirtschaftlichen Aktivitäten. Als wesentliches Kennzeichen - oder neue Qualität - wird dabei die Aufteilung verschiedener Unternehmensaktivitäten auf verschiedene Länder angesehen. Dieser Umstand unterscheidet die Globalisierung von bisherigen Formen der Internationalisierung, bei denen ein Unternehmen zwar in verschiedenen Ländern agiert, aber noch eindeutig einem Land zugeordnet werden kann. Heute wird es zunehmend schwieriger, international (global) operierende Unternehmen mit einem nationalen Etikett zu versehen. So fand traditionell die internationale Expansion von Unternehmen hauptsächlich über den Außenhandel statt, dem dann unter bestimmten Voraussetzungen Direktinvestitionen im Ausland folgten. Diese Internationalisierung der Produktion durch Direktinvestitionen hat seit den achtziger Jahren ein starkes Wachstum erfahren. Parallel dazu haben sich die traditionellen Vorgehensweisen bei der Durchführung von Forschung und Entwicklung (FuE) geändert und die Generierung von technologischen Innovationen wird zunehmend durch den allgemein attestierten Trend zur Globalisierung beeinflusst. Multinationale Unternehmen internationalisieren also nach dem Absatz und der Produktion auch ihre FuE. Dies hat Konsequenzen für Handlungsspielräume und Modernisierungserfordernisse nationaler Technologie- und Innovationspolitik.

2     Überholte Prämissen nationaler Politik

Die theoretische Literatur über mögliche Begründungen staatlicher Technologiepolitik ist begrenzt. Für die Bundesrepublik Deutschland ist es charakteristisch, dass in diesem Feld eine intensive ordnungspolitische Debatte entbrannt ist, die sich überwiegend damit beschäftigt, die Argumente gegen eine klassische Industriepolitik (die primär der Erhaltung gefährdeter traditioneller Industriezweige wie Kohle und Landwirtschaft dient) auf die Förderung von Technologien zu übertragen. In der internationalen Diskussion findet sich - mit wenigen Ausnahmen - diese Debatte nicht. Die bisherigen Ansätze beruhen primär auf der public choice-Theorie, der Industrieökonomik, evolutionären Ansätzen und der neuen Wachstumstheorie.

Jeder nationalen Technologie- und Innovationspolitik liegen bestimmte, meist implizite Prämissen über das Innovationsgeschehen, das Verhalten der Akteure und die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen zugrunde. In vielen OECD-Staaten findet sich auch gegenwärtig noch eine überwiegend „nationale“ Fiktion von Politik. Es ist fraglich, ob diese Prämissen mit Globalisierung verträglich sind. Eine der häufigsten und wichtigsten Prämissen geht davon aus, der Nutzen der öffentlichen Ressourcenallokation in Forschung, Entwicklung und Innovation fließe überwiegend der nationalen Volkswirtschaft zu. Es herrscht die Vorstellung, nationale Technologie- und Innovationspolitik verursache primär positive Effekte für das eigene Land. Eine zweite Prämisse schlägt sich darin nieder, dass in einer Reihe von Ländern ausländische Unternehmen und Forschungsteams von nationalen Förderprogrammen bestenfalls als selbstfinanzierte, mitwirkende Partner toleriert werden. Die zugrunde liegende Prämisse ist, dass der Abfluss von Know-how durch die Involvierung solcher Akteure der nationalen Technologie- und Innovationsförderung in höherem Maße gegeben ist als im Falle ihres Ausschlusses. Dagegen ist es fraglich, ob ein solcher Know-how Abfluss primär durch Nationalität des Hauptsitzes - so die Prämisse -, oder nicht vielmehr durch den Internationalisierungsgrad der beteiligten Akteure und Unternehmen bestimmt wird. Eine letzte wichtige Prämisse einer Politik, die einer nationalen Fiktion folgt, ist schließlich die Vorstellung, dass der Kompetenzgewinn durch nationale Wissensproduktion aus wirtschaftlicher, technologischer, militärischer o. ä. Sicht günstiger als die Nutzung extern verfügbaren Know-hows zu beurteilen ist. Angesichts der Tatsache, dass z. B. im Falle der Bundesrepublik Deutschland rund 90 % des weltweit erzeugten Wissens außerhalb Deutschlands produziert werden, ist auch diese Prämisse in Frage gestellt. Aus diesem Grunde wird im folgenden Abschnitt diskutiert, ob auf dem Hintergrund der neueren Entwicklungen im FuE-Management international tätiger Unternehmen die technologie- und innovationspolitischen Konzepte noch von realitätsgerechten Prämissen ausgehen bzw. welche Veränderungen dieser Konzepte in das gewandelte Umfeld passen.

3     Wandel der staatlichen Technologiepolitik: Der Wechsel von der Technik zum Innovationsumfeld

In den letzten Jahrzehnten war in vielen OECD-Staaten die Forschungs- und Technologiepolitik vornehmlich auf den Entstehungsprozess neuer Techniken konzentriert, zunehmend ergänzt durch Technologietransfer und Unterstützung der Diffusion dieser Techniken. Erst in jüngster Zeit ist ein sehr deutlicher Wechsel von der Technik zum Innovationsumfeld hin zu beobachten: Organisation der Produktion, Qualifikation der Beschäftigten, Aus- und Weiterbildung, Wagniskapital, (Re-) Regulierung, Technikakzeptanz, die engere Verbindung von gesellschaftlichen Problemen (Verkehr, Gesundheit, Umwelt) und technischen, organisatorischen und sozialen Innovationen. Die Literatur hierzu ist außerordentlich umfangreich. Ich möchte beispielhaft anhand sog. Vorreiter-Märkte (Lead-Märkte) den „Wechsel von der Technik zum Innovationsumfeld“ schildern. Dieser Wechsel erhöht zweifellos auch die Relevanz der Geistes- und Sozialwissenschaften und ihrer Beiträge zu den sich dadurch aufwerfenden Fragen. Untersuchungen des ISI zu internationalen FuE-Strategien von Großunternehmen mögen als Grundlage für meine folgenden Ausführungen gelten.

Die Analyse der Innovationstätigkeit transnationaler Unternehmen zeigt, dass diese zunehmend in integrierten Prozessketten denken und ihre Wertschöpfung nicht primär dorthin verlagern, wo allein die besten Bedingungen für die Forschung vorliegen. Für die FuE-Standortentscheidungen spielt offenbar die Nachfrageseite eine wichtigere Rolle als die Angebotsfaktoren. Die Unternehmen gehen bei ihren transnationalen Investitionsaktivitäten demgemäß nach folgendem Entscheidungsmuster vor: Wo sind die attraktiven, zukunftsweisenden Märkte, in denen von Anwendern gelernt werden kann und ein genügend hoher Ertrag für aufwendige Produktentwicklungen generiert wird? Wo können diese Märkte durch hoch entwickelte Produktions-, Logistik- und Zulieferstrukturen bestmöglich bedient werden? Wo lohnt sich infolgedessen der Aufbau von Wertschöpfung am Ort? In welchen Ländern fallen attraktive Märkte, hoch entwickelte Produktionsstrukturen und exzellente Forschungsbedingungen in einer Weise zusammen, so dass innovative Kernaktivitäten dort gebündelt werden können? Hier ist eine Wirtschaftspolitik gefragt, die auf „multisektorale Innovationscluster“ abhebt.

Vor diesem Hintergrund der strategischen Entscheide in multinationalen Unternehmen werfen diese Bestimmungsfaktoren und Motive folgende Fragen für die Technologiepolitik auf:

  1. In welchen End-User-Märkten gilt die Bundesrepublik als Trendsetter auch im europäischen bzw. internationalen Rahmen?
  2. Wo sind regionale Produktionsstrukturen und Zuliefernetze auf einem derart hohen Entwicklungsstand, dass hochwertige Wertschöpfung langfristig am Standort Deutschland gesichert werden kann?
  3. Welche Bereiche des regionalen Forschungs- und Technologiesystems sind weltweit auf Spitzenniveau und können zugleich Verstärkungswirkungen auf deutsche und europäische Lead-Märkte und Produktionsstrukturen auslösen?
  4. Wo werden durch Beteiligung an Forschungs- und Normierungsverbünden oder an national bzw. regional inszenierten komplexen Lernprozessen für Innovationen „dominante technologische Designs" mit beeinflusst, die anschließend zu Vorsprüngen im weltweiten Innovationswettbewerb führen?
  5. Welche relative strategische Bedeutung hat der deutsche Markt und Produktionsstandort aus Sicht der Unternehmen in der Europäischen Union und in anderen Handelsblöcken?

Durch Herstellung effektiver Verknüpfungen dieser Kompetenzfelder und durch Ausbau von „Forward-Backward-Linkages“ kann es gelingen, schwer transferierbare Leistungsverbünde zu schaffen, die im weltweiten Maßstab einzigartig sind. Erst durch die Kombination von exzellenter Forschung mit hoch entwickelten europäischen Lead-Märkten oder von Forschung mit hoch entwickelten Produktionsstrukturen kann sich die Bundesrepublik Deutschland als Standort für international nicht ohne weiteres transferierbare Kernkompetenzen positionieren.

Eine wesentliche neue Erkenntnis aus dieser Untersuchung ergibt sich in der Bedeutung so genannter Vorreiter-Märkte (Lead Markets). Auch kleine Länder können sehr innovativ sein und als Vorreiter-Märkte funktionieren. Beispiele hierfür sind die Schweiz für den Fall der medizinischen Implantate und klinischen Instrumente sowie die skandinavischen Länder im Falle der Standardsetzung beim Mobilfunk. Was sind die Kennzeichen von Vorreiter-Märkte? Für sie treffen eines oder mehrere der folgenden Kennzeichen zu:

  1. eine Nachfragesituation, die durch hohe Einkommens- und niedrige Preiselastizitäten oder ein hohes Pro-Kopf-Einkommen geprägt ist;
  2. eine Nachfrage mit hohen Qualitätsansprüchen, großer Bereitschaft, Innovationen aufzunehmen, Innovationsneugier und hoher Technikakzeptanz;
  3. gute Rahmenbedingungen für rasche Lernprozesse bei Anbietern;
  4. Zulassungsstandards, die wegweisend für Zulassungen in anderen Ländern sind (z. B. Pharmazeutik in den USA);
  5. ein funktionierendes System des Explorationsmarketing (Lead-User-Prinzipien);
  6. spezifischer, innovationstreibender Problemdruck;
  7. offene, innovationsgerechte Regulierung.

Die Attraktivität des deutschen (und des europäischen) Innovationssystems wird aus dieser Perspektive weniger von komparativ-statischen Wettbewerbsfaktoren wie Kosten und Löhne bestimmt, sondern von seiner „dynamischen Effizienz“ (die Wirtschaftstheorie unterscheidet zwischen statischer Effizienz - bezogen auf einen Zeitpunkt - und dynamischer Effizienz - bezogen auf eine längerfristige Entwicklung). Statische und dynamische Effizienz können durchaus im Widerspruch stehen. Letztere ist weitgehend vom Ausmaß der sozialen und organisatorischen Intelligenz beim Finden und Durchsetzen neuer Strukturen und Märkte abhängig. Werden in Deutschland komplexe Systeminnovationen (wie Road Pricing, Produkt-/ Dienstleistungspakete, Kreislaufwirtschaftskonzepte, neue Anwendungen der Informationstechnik) erarbeitet, die weltweit Anwendungsmöglichkeiten finden? Offensives Lernen durch vielfältige Feldversuche und Pilotvorhaben zum Finden technischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und sozialer Lösungen ist wesentlich. Solche Lernprozesse benötigen oft Jahre. Das Innovationssystem, das diese komplexen Lösungen zuerst beherrscht, ermöglicht den beteiligten Unternehmen Wettbewerbsvorsprünge und weist eine höhere internationale Attraktivität für Investoren auf.

Die Aufgaben, die sich hier stellen, gehen weit über die bisherigen Formen und Instrumente - wie Technologieexport oder wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit - hinaus. Komplexe Innovationsprozesse, die Technik, Organisation, Recht, Steuersystem, Verhaltensstile von Herstellern und Anwendern sowie Konsumenten betreffen, müssen durch einen systemaren Ansatz „inszeniert" werden.

Als Fazit ist festzuhalten, dass die Globalisierung die nationale und europäische Technologiepolitik zwingt, den Fokus von der Technikförderung auf das Initiieren von komplexen Innovationen zu verändern, die weit in wirtschaftliche, rechtliche, soziale und gesellschaftliche Räume reichen. Auch hier kommt es auf das Tempo des Lernens und das Beherrschen neuer Lösungen an. Nicht nur Spitzenforschung, sondern auch die Erschließung neuer Märkte durch frühe und zukunftsorientierte Pilotvorhaben bestimmen entscheidend die internationale Attraktivität des deutschen Innovationssystems („die Nase vorn auf der Lernkurve“).

4     Rolle der Regionen und Zusammenspiel unterschiedlicher Akteursebenen

Das Zusammenspiel von regionaler, nationaler und europäischer Entwicklung sowie die räumliche Verteilung von industrieller FuE ist in europäischen Ländern durch zwei Aspekte charakterisiert: Neben einem klaren Nord- Südgefälle zwischen den europäischen Ländern findet sich ein ausgeprägtes Zentrums-/Peripheriegefälle innerhalb der Länder. Man kann grob drei unterschiedliche Arten räumlicher Konzentrationsmuster von FuE ausmachen: Mono-zentrale Konzentration, die sich in den meisten europäischen Ländern zeigt (Schwerpunkt überwiegend in der Agglomeration um die Hauptstadt, z. B. Frankreich, Großbritannien). Oligo-zentrale Konzentration, in der sich das FuE-Potenzial auf wenige Agglomerationen verteilt, z. B. in den Niederlanden, Belgien, Italien, Spanien und Schweden. Multi-zentrale Konzentrationen, die sich in föderalen Ländern wie Deutschland und USA finden.

Wie in einer Reihe anderer Politikbereiche findet eine Entwertung der nationalen Ebene auch im Bereich der Technologie- und Innovationspolitik statt zu Gunsten der regionalen und der europäischen Ebene. Das föderale System Deutschlands fördert diese Entwicklung. Insgesamt kann man in vier Ebenen unterscheiden: supranational (Europäische Union), national, subnational (Bundesländer), regional. Diese verschiedenen Akteursebenen sind mittlerweile stark miteinander verwoben. Die Europäische Union ist mit verschiedensten Programmen auf regionaler Ebene und der Ebene der Bundesländer tätig. Umgekehrt haben sich Regionen und Bundesländer darauf eingestellt, intensiv auf die politische Willensbildung im Bereich der Technologie- und Innovationspolitik nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf europäischer Ebene Einfluss zu nehmen. Diese Zunahmen der Komplexität und Vernetzung von Akteuren ist nicht nur für die hier beschriebenen Bereiche charakteristisch, sondern praktisch für den gesamten Bereich der Innovationspolitik und der Vielfalt sich herausbildender Innovationssysteme.

5     Steuerungsfähigkeit nationaler Technologiepolitik - und was davon übrig geblieben ist

In seinem Buch über die Netzwerkgesellschaft und Probleme gesellschaftlicher Steuerung gibt Messner bereits 1995 („Die Netzwerkgesellschaft - Wirtschaftliche Entwicklung und internationale Wettbewerbsfähigkeit als Probleme gesellschaftlicher Steuerung“, Weltforum Verlag) einen ausgezeichneten Überblick über Möglichkeiten und Grenzen der politischen Steuerung heutiger Volkswirtschaften. Dogmenhistorisch zeigt er den Weg von der Reform- und Planungseuphorie in Deutschland Anfang der 70er Jahre und ihre Desillusionierung, über den dichotomischen Streit „Markt versus Staat“ mit liberalen Minimalstaatskonzepten (in den 80er Jahren) bis zum sich etablierenden Konzept der Netzwerkgesellschaft auf. Aus seiner Sicht überwiegt zumindest in jüngster Zeit in den Sozialwissenschaften die Vorstellung, dass jeder Versuch der gezielten Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse an der Komplexität derselben scheitern muss, und daher die Vorstellung von der Verzahnung von Markt- und politischer Steuerung illusorisch ist. Die Vorstellung vom Staatsversagen der 80er Jahre wandelt sich angesichts der Globalisierung zum Bild des ohnmächtigen Nationalstaates der 90er Jahre. Welche Konsequenzen lassen sich aus den in diesem Beitrag dargestellten Aspekte angesichts solch schier übermächtiger Desillusion ziehen? Fünf wesentliche Schlussfolgerungen sollen hier zum Abschluss thesenhaft formuliert werden.

Erstens: Die Befunde zu den absehbaren Veränderungen des Innovationssystems und zu den internationalen FuE-Strategien von Unternehmen stützen eindrücklich die These von der Vielfalt beteiligter Akteure und Institutionen im öffentlichen, privaten und halböffentlichen Bereich sowie die Bedeutung ihrer Vernetzung und Selbstorganisation. Es lassen sich die Richtungen aufzeigen, in die sich der Selbstorganisationsgrad und das noch unausgeschöpfte Vernetzungspotenzial der relevanten Akteure in den nächsten Jahren vermutlich entwickeln werden. Die Befunde legen darüber hinaus nahe, dass auch die Problemlösungskapazität einer Gesellschaft in hohem Maße mit dem Grad der Ausdifferenzierung, Selbstorganisation und Vernetzung ihrer institutionellen Vielfalt korreliert.

Eine zweite wesentliche Konsequenz ist, dass auch unter dem Regime der Globalisierung nationale Politik noch Handlungsspielräume hat, auch wenn sie zu drastischen Änderungen ihres Designs gezwungen wird. Das Konzept eines Staates, der die Technikentwicklung „steuert“, hat in den geschilderten Befunden genauso wenig Berechtigung wie das Minimalstaatsmodell. Der Staat ist weiterhin einer der Akteure, der im Rahmen seiner Netzwerkbeziehungen durchaus über noch sehr wirksame Instrumente verfügt. Grundlegend ist jedoch der notwendige Wandel von Ansatzpunkten und Instrumenten. Es gilt nicht mehr, allein Technik zu fördern, sondern in verstärktem Maße einen Lernprozess und das Beherrschen neuer Lösungen anzustoßen oder zu begleiten. Gewicht und Einfluss der nationalstaatlichen Rolle variiert hierbei in verschiedenen Technologiegebieten und Märkten und ist nicht zuletzt von der gegenwärtig zunehmenden Arbeitsteilung zwischen regionalen und supraregionalen staatlichen Akteuren abhängig.

Drittens: Nicht nur Spitzenforschung, sondern auch die Erschließung neuer Vorreiter-Märkte durch frühe und zukunftsorientierte Pilotvorhaben bestimmen entscheidend die internationale Attraktivität eines Innovationssystems. Gerade unter dynamischen Globalisierungsprozessen gewinnt die Verbesserung der gesellschaftlichen Problemlösungskapazität damit eine besondere Bedeutung für eine nationale Innovationspolitik im Wettbewerb der Standorte. Weder die Dominanz überschäumender Marktprozesse noch der starke autoritäre Staat sind nach diesen Befunden Erfolgsmodelle in einer globalisierten Weltwirtschaft, sondern die „lernende Gesellschaft“. Nationale Forschungs-, Technologie- und Standortpolitik kann eine wichtige Rolle spielen. Die institutionellen Designs sind zwar nicht vollständig beschrieben, aber zumindest lassen sich einige wichtige Kennzeichen benennen.

Viertens: Wie viele andere Länder befindet sich die deutsche Volkswirtschaft auf dem Weg in eine wissensintensive Wirtschaft. Besonders dynamisch sind gegenwärtig die sog. wissensintensiven Dienstleistungen, die gleichzeitig Beschäftigung erzeugen. Dienstleistungsunternehmen spielen im Innovationsgeschehen inzwischen keinesfalls mehr eine Nebenrolle. Vieles spricht dafür, dass in Deutschland mit seiner stark ausgeprägten industriellen Basis die Entwicklung von Industrie und Dienstleistung in hohem Maß vernetzt und voneinander abhängig ist und es auf die engmaschige Kooperation ankommt. Ein ausschließliches Setzen auf den vermeintlichen Hoffnungsträger „Dienstleistungen“ ist nicht hilfreich. Ähnliches gilt für die so genannte „new economy“. Auch hier dürfte die Integration von „new“ und „old“ zentral für Deutschland sein. Auf einen solchen integrativen Ansatz haben sich Politik, Wirtschaft und Wissenschaft noch nicht ausreichend eingestellt.

Technologiepolitik ist in vielen OECD-Ländern traditionell auf Forschung und Technologie fixiert. Man nennt dies technology push. Es kommt aber auch darauf an, neue Märkte zu eröffnen, die quasi als Sogkräfte wirken. Das kommende Jahrzehnt wird voraussichtlich eine „Dekade der neuen Märkte“ sein, die sich vielfältig in Bereichen wie Gesundheit und Alter, Kommunikation, Energie und Umwelt, Bauen und Wohnen, Kreislaufwirtschaft und innovative Infrastrukturen entwickeln werden.

Fünftens: Das Einbeziehen der Nutzer- und Verbraucherperspektive in Innovationsprozesse wird immer wichtiger. Der Dialog mit den Nutzern eröffnet neue Möglichkeiten gesellschaftlicher Partizipation. Die staatliche, nationale wie europäische Innovationspolitik kann durch eine intelligente Mischung von klassischer Forschungsförderung, Stimulierung der Nachfrage, günstigen Rahmenbedingungen und langfristig stabilen Signalen für Wissenschaft und Wirtschaft einen wichtigen Beitrag dazu leisten.

6     Ausblick: Konsequenzen für TA

Für die TA ergeben sich daraus folgende Punkte, die hier nur äußerst knapp angerissen werden können. Wenn diese Entwicklung tatsächlich eintritt, wie hier geschildert, wird (erneut) die Ganzheitlichkeit (Technik, Organisation, Management, Rahmenbedingungen) verstärkt nachgefragt werden. Sehr früh einsetzende TA, eine frühzeitige Reflexion über die Genese und die Anwendungsbedingungen wird bedeutsamer. Ein weiterer Aspekt betrifft die Unterscheidung zwischen probleminduzierter und technikinduzierter TA, die oft als gegensätzlich behandelt werden. Ich meine dagegen, dass eine enge Verzahnung der beiden Ansätze notwendig ist. Die Integration von probleminduzierter und technik-induzierter TA steht als Aufgabe an.

Eine weitere Konsequenz stellt der Shift von der Staatszentrierung zur Multi-Akteurs- oder Gesellschaftsorientierung dar. Auch die Unternehmensrelevanz wird m. E. zunehmen. TA wird sich wachsend der Frage stellen müssen, in welchem Verhältnis und in welcher Weise sie mit Unternehmen kooperiert, wobei es Berührungspunkte (und -ängste) beider Seiten gibt. Mein letzter Punkt ist schließlich: Es gibt verschiedene Wissensgemeinden, die noch zu weit voneinander entfernt sind. Es gibt die Gemeinde der TA, aber auch die Gemeinde des Technology Foresight. Die Akteure sind wenig miteinander verbunden, die Grenzen sind bisher größer als die Verbindungen. Und schließlich gibt es die Gemeinde der Politikevaluatoren. Politik ist eine wesentliche Kontextvariable für Technikentwicklung und -verbreitung. TA, Evaluation und Technology Foresight müssen stärker vernetzt werden; das ist eine wichtige Aufgabe, um methodisch-konzeptionell weiterzukommen.

Die Konzeption für 2003 - 2008 des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) wurde nicht zuletzt deshalb um diese neuen Aspekte erweitert (s. TAB-Brief Nr. 25/2003). Folgende Berichte sollen dies leisten:

In der Globalisierungs- und Standortdebatte wird häufig der Eindruck verbreitet, es komme auf eine quasi ohnmächtige Anpassung bei bestimmten Standortfaktoren an: Kosten, Bürokratieabbau, Deregulierung werden am meisten genannt. Ich hoffe gezeigt zu haben, dass neuere Einsichten darauf hinweisen, dass es auf ganz andere Standortfaktoren ankommt: Neue Standards finden, die Forschungssysteme optimieren, hochwertige Ausbildung in der Breite erreichen, Innovationstreiber einbauen, experimentelle Politik wagen, stabile Signale setzen, auf die sich Unternehmen und Wissenschaft langfristig einstellen können. Institutionelle Änderungen sind in vielen Bereichen wichtiger als die Verteilung von Subventionen. Globalisierung führt zu einer Renaissance der Standortpolitik mit völlig neuen Ansätzen und Perspektiven. Diese Entwicklung wird für die Rolle, die Bedeutung und für die Themen von TA nicht ohne Folgen bleiben.

Anmerkung

[1] Dieser Beitrag wurde als Essay verfasst, Hinweise auf die umfangreiche Literatur zu diesem Thema finden sich in Meyer-Krahmer, F. (2004): Innovations- und Technologiepolitik. In: Gerlach, F.; Ziegler, A. (Hrsg.) „Neue Herausforderungen der Strukturpolitik“, Marburg: Schüren Verlag, S. 181 ff.

Angaben zum Autor

Prof. Dr. Frieder Meyer-Krahmer ist seit 1990 Leiter des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe und Professor für Innovationsökonomik an der Universität Louis Pasteur in Strasbourg. Er ist Mitglied des Scientific Board des Maastricht Economic Research Institute of Innovation and Technology (MERIT) und des Advisory Board der Science Policy Research Unit (SPRU) der Universität Sussex sowie Mit-Herausgeber referierter internationaler Zeitschriften (Research Policy, GAIA, Jahrbuch für Regionalwissenschaft). Seit 1. Februar 2004 ist Prof. Dr. Frieder Meyer-Krahmer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, zuständig für Forschung und Innovation.