Handlungsspielräume und Modernisierungserfordernisse der deutschen Technologie- und Innovationspolitik im internationalen Kontext

Schwerpunktthema - Nationale Politiken unter den Bedingungen der Globalisierung

Handlungsspielräume und Modernisierungserfordernisse der deutschen Technologie- und Innovationspolitik im internationalen Kontext

von Wolf-Michael Catenhusen, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung

Seit 1998 hat die Bundesregierung neue Schwerpunkte in der Forschungspolitik auf nationaler und internationaler Ebene gesetzt. Neben einer Zunahme der Investitionen in Bildung und Forschung wurden auch die Strukturen modernisiert. Das BMBF fördert in den Bereichen Wissenschaft und Wirtschaft den Kompetenzaufbau in Schlüsseltechnologien und erschließt damit wichtige neue Wachstumsfelder, die sowohl für die Schaffung von Arbeitsplätzen als auch für die Verbesserung der Lebensqualität eine große Rolle spielen.

Globalisierung und demographische Veränderungen forcieren einen wirtschaftlichen Strukturwandel, der Folgen für jede und jeden Einzelnen hat. Die Situation in Deutschland ist gegenwärtig von einigen dominanten Faktoren gekennzeichnet. Die veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen der Unternehmen machen sich für den Einzelnen bemerkbar in Reformen der sozialen Sicherungssysteme, veränderten Qualifikationsanforderungen im Beruf und nicht zuletzt in einem Druck auf Löhne und Gehälter zur Sicherung von Arbeitsplätzen.

Für diesen Wandel gibt es verschiedene Gründe, die in der öffentlichen Debatte nicht immer in angemessener Weise wahrgenommen werden. Eine Reihe von Ländern haben in den Bereichen Forschung und Innovation eine sehr dynamische Entwicklung vollzogen und im internationalen Technologiewettbewerb aufgeholt. Der gegenwärtige Wert des Dollars ist nahe an dem Schwellenwert, jenseits dessen für die deutsche Exportwirtschaft erhebliche Nachteile zu befürchten sind. Die schwache Konjunktur der letzten Jahre sowie das Ende des New-Economy-Börsenbooms erschweren Unternehmen in Deutschland die Innovationsfinanzierung. Hierdurch haben sich auch für überzeugende Unternehmensideen die Chancen auf eine Wagniskapitalfinanzierung wesentlich verschlechtert. Zugleich führen steigende Energie- und Rohstoffpreise zu Kosteneffekten bei der Produktion, die den Druck auf die Innovationsfähigkeit wie auf die Lohnkosten zusätzlich erhöhen.

Auch die Rolle der Technologie- und Forschungspolitik unter diesen Rahmenbedingungen wird nicht immer sachgerecht eingeschätzt. Einerseits sollte klar sein, dass Investitionen in Forschung längerfristig erhebliche Arbeitsmarkteffekte auslösen können, nur selten kurzfristig aber Arbeitsplätze schaffen. Die Zurückhaltung mancher Unternehmen gegenüber innovativen Technologielinien entsteht aus dem Bewusstsein, dass Innovation auch das Ende eingefahrener Wege bedeuten und mit dem Verlust einer erreichten Position verbunden sein kann. Andererseits besteht ohne Forschung und Innovation jedoch nicht die geringste Aussicht, mit neuen Produkten und Verfahren an neuen Märkten zu partizipieren, langfristig Gewinne zu erwirtschaften und natürlich auch neue Arbeitsplätze zu schaffen. Voraussetzung dafür ist, dass über neue Produkte und Dienstleistungen neue Märkte erschlossen werden können bzw. über eine höhere Wettbewerbsfähigkeit aufgrund innovativer Verfahren entsprechende Marktanteile hinzugewonnen werden. Ohne Forschung und Innovation kann es keine neuen Produktionsverfahren geben, in denen Rohstoffe effizienter eingesetzt werden. Ohne Forschung und Innovation schließlich kann Arbeit in Deutschland nicht die Produktivität erreichen, durch die Produkte und Dienstleistungen aus Deutschland qualitativ und ökonomisch konkurrenzfähig sind gegenüber den Billiglohnländern dieser Welt. So zeigen Analysen für verschiedene Länder denn auch, dass zwischen Investitionen in Forschung und Entwicklung und Wirtschaftswachstum im Durchschnitt ein positiver und signifikanter Zusammenhang besteht (vgl. z. B. OECD 2004, Understanding Economic Growth, Paris, S. 30 ff.).

Außer zum Wirtschaftswachstum tragen die Ergebnisse von Forschung und Innovationen auch zur Verbesserung der Lebensqualität der Menschen bei, sei es über die Vermeidung von Umweltbelastungen durch umweltschonende Produkte und Verfahren oder verbesserte Methoden in den Bereichen Medizin und Gesundheit.

Forschungs- und Technologiepolitik verfolgt daher immer Ziele, die einem gesamtstaatlichen Interesse dienen. Mit der „Agenda 2010“ [1] hat die Bundesregierung einen umfassenden Reformprozess eingeleitet, der auf zwei Säulen aufbaut. Es geht zum einen um die Anpassung unserer sozialen Sicherungssysteme, um diese bezahlbar und zukunftstauglich zu machen. Zum anderen - dies ist in der öffentlichen Diskussion bisher immer noch zu kurz gekommen - geht es aber darum, Freiräume für Investitionen in die Zukunft zu schaffen. Das Interesse der Bundesregierung ist es, Deutschland als Produktionsstandort in einer wissensintensiven globalisierten Wirtschaft und damit zugleich die wirtschaftliche Prosperität und soziale Sicherheit zu erhalten und auszubauen. Dies kann nur über Investitionen in Wissen, Forschung und Bildung erreicht werden. Deshalb sind Forschungs-, Bildungs- und Innovationspolitik zentrale Handlungsfelder der Zukunftsgestaltung.

1     Ausgangslage: Schwerpunkte der deutschen Forschungs- und Technologiepolitik

Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass viele Länder die Chancen der heraufziehenden „Wissenswirtschaft“ ebenso entschlossen wie wir ergreifen, zum Teil entschlossener. Investitionen in Bildung und Forschung wurden in den vergangenen Jahren weltweit verstärkt ausgebaut. Die Dynamik, mit welcher die Gewichte sich verschieben, ist atemberaubend: Die USA haben beim Ausbau ihrer Industrieforschung in der zweiten Hälfte der 90er Jahre einen rasanten Zwischenspurt eingelegt. Im Jahr 2002 ist ihre Industrieforschung, insbesondere im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), aber deutlich eingebrochen. Gleichzeitig setzt sich der beschleunigte Ausbau von FuE-Kapazitäten in Südost-Asien, aber auch in den nordeuropäischen Staaten fort.

Klar ist, Deutschland startet von einer guten Position aus: Deutschland ist nicht nur „Exportweltmeister“. „Made in Germany“ und „German Engineering“ haben weltweit einen guten Ruf. Deutsche Unternehmen der Automobilbranche, des Maschinenbaus, der Chemie, der Energie- und Umwelttechnik belegen mit innovativen Produkten international Spitzenränge. Auf Zukunftsfeldern wie der Bio- oder der Nanotechnologie ist es gelungen, Rückstände aufzuholen und mit der internationalen Konkurrenz gleichzuziehen.

Deutschland ist auch heute eines der attraktivsten Zielländer für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ausländischer Unternehmen. Unter den OECD-Staaten [2] hat Deutschland nach den USA mit 15,6 % den zweithöchsten Weltmarktanteil bei forschungsintensiven Gütern. Deutsche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen liegen mit ihren wissenschaftlichen Publikationen im weltweiten Vergleich auf Platz drei hinter den USA und Japan. Mit 130 weltmarktrelevanten Patenten je 1 Million Einwohner weist Deutschland im Vergleich der größeren Industriestaaten nach Japan die zweithöchste Patentintensität auf [3] .

Zu dieser guten Position im internationalen Wettbewerb der Forschungs- und Innovationsstandorte hat wesentlich die zielgerichtete Politik der Bundesregierung beigetragen, durch die seit 1998 neben beachtlichen Steigerungen der Ausgaben für Bildung, Forschung und Entwicklung auch notwendige strukturelle Reformen eingeleitet wurden [4] .

Die FuE-Ausgaben in Deutschland sind von 44,7 Mrd. € im Jahr 1998 auf 53,2 Mrd. € im Jahr 2003 gestiegen. Dies entspricht einem Zuwachs um mehr als 19 %. Die gestiegene Forschungsdynamik seit Ende der 90er Jahre ist eine wesentliche Voraussetzung für die Trendumkehr bei der Entwicklung des Anteils der FuE-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt.

Die Bundesregierung selbst hat spürbar die Ausgaben für Forschung und Entwicklung von 8,1 Mrd. € im Jahr 1998 um eine Mrd. € auf über 9 Mrd. € im Jahr 2003 gesteigert. Allein im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wurden diese von 1998 bis 2003 um mehr als 17 % auf gut 6 Mrd. € erhöht, trotz des Beitrages des BMBF zum Konsolidierungskurs des Bundeshaushaltes.

Damit es gelingt, alle vorhandenen Potenziale optimal auszuschöpfen, müssen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft enger zusammenarbeiten. Daher hat die Bundesregierung vor gut einem Jahr die Initiative „Partner für Innovation“ [5] ins Leben gerufen. Unternehmen, Wissenschaftsorganisationen und Gewerkschaften beraten gemeinsam mit der Politik darüber, wie Deutschland seine Spitzenstellung in vielen Forschungssektoren und auf den internationalen Technologiemärkten behaupten und ausbauen kann, z. B. in den Bereichen Mobilität und Logistik, Medizintechnik oder der Vernetzung unserer Informationsgesellschaft. Markterfolge von morgen erfordern schon heute Investitionen.

Innovation findet nicht statt in abgeschotteten Einrichtungen der Grundlagenforschung, der angewandten Forschung und der Produktentwicklung. Innovation funktioniert nur durch das Vernetzen aller wichtigen Einrichtungen. Von der Ausbildung, über Forschungseinrichtungen bis zu Produktionsstätten entstehen Netzwerke aller Träger des Innovationsprozesses.

Zur Weiterentwicklung des außeruniversitären Forschungssystems zu mehr Flexibilität und Wettbewerb, hat die Bundesregierung durch die Einführung von Budgetierung, Globalhaushalten und der programmorientierten Förderung beigetragen. Der den großen Forschungs- und Wissenschaftsorganisationen vom Bund und den Ländern vorgeschlagene „Pakt für Forschung und Innovation“ soll zudem Planungssicherheit geben. Er sieht bis 2010 einen jährlichen Mittelzuwachs von mindestens 3 % vor. Im Gegenzug erwartet die Bundesregierung von den Forschungs- und Wissenschaftsorganisationen zusätzliche Maßnahmen zur weiteren Steigerung von Qualität, Effizienz und Leistungsfähigkeit.

Deutschland hat viele gute Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Es fehlen aber Einrichtungen mit internationaler Ausstrahlung, die in der Liga der weltbesten Hochschulen ohne weiteres mithalten können. Die Bundesregierung plant daher, zusammen mit den Ländern einen Wettbewerb zur Förderung von Spitzenuniversitäten, Exzellenzclustern und Graduiertenschulen zu starten, um den Wissenschaftsstandort Deutschland nachhaltig zu stärken. Für diese Exzellenzinitiative ist bis 2011 ein Finanzvolumen von 1,9 Milliarden Euro vorgesehen. Davon übernimmt der Bund 75 %.

Die von der Bundesregierung in Gang gebrachten strukturellen Veränderungen in der Hochschullandschaft - von der Änderung des Dienstrechts und der Einführung der Juniorprofessur über die Stärkung der Hochschulautonomie bei der Auswahl der Studierenden und die Umstellung der Studiengänge auf ein EU-weit anerkanntes zweistufiges System aus Bachelor- und Masterabschlüssen bis zur gezielten Förderung von Spitzenuniversitäten - sind im Vergleich zu den erforderlichen Schritten nur erste Ansätze der notwendigen Reform. Die Länder sind hier gefordert, die Hochschulen auf zukünftige Erfordernisse vorzubereiten. Der Bund hat dazu zahlreiche Angebote gemacht.

Zusammengefasst lässt sich zur Ausgangslage sagen, dass Deutschland mittelfristig keine andere Chance auf hohe Einkommen bei hohem Beschäftigungsstand hat, wenn nicht weiterhin intensiv in Bildung und Wissenschaft, Forschung und Technologie investiert wird.

Die technologische Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist hoch: ein sichtbarer Ausdruck ist der Außenbeitrag des FuE-intensiven Sektors. Die Wirtschaftsstruktur stimmt, die Richtung des Strukturwandels stimmt, aber viele andere Länder sind dynamischer und ziehen nach und auch an uns vorbei. Die Hauptgründe liegen in einer zunehmenden Knappheit im Angebot Hochqualifizierter und in einer über einen langen Zeitraum hinweg verhaltenen Neigung zu Zukunftsinvestitionen in Forschung, Entwicklung und Bildung. Die erfreulichen Kursänderungen der letzten Jahre konnten diese Entwicklung bisher nicht aufwiegen.

2     Deutschland in der Europäischen Union: Ausbau gemeinsamer Forschungsanstrengungen

Forschung und Entwicklung sind hochgradig kapital- und wissensintensiv. Kein Land der Welt verfügt über genügend hoch qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und das für die Forschung notwendige Kapital, um in allen Zukunftstechnologien Forschung und Entwicklung auf eigene Faust betreiben zu können. Die weitere Ausdifferenzierung von Technologielinien bedeutet, nicht mehr in allen Bereichen gleich weit vorne sein zu können. Die sich abzeichnenden technologischen Konvergenzen in verschiedensten Teilbereichen der Informations-, Bio- und Nanotechnologien erfordern, eigene Stärken geschickt mit denen anderer Regionen zu verkoppeln. Für die Forschung in Deutschland liegt der größte Vorteil solcher internationalen Kooperationen im Ausbau gemeinsamer Forschungsanstrengungen gerade innerhalb der EU.

Die Regierungschefs der Europäischen Union haben daher auf dem Europäischen Rat von Lissabon [6] das Ziel formuliert, bis 2010 die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen und dabei den internationalen Wettbewerb in den Fokus gestellt. Ziele auf diesem Weg sind die Erhöhung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung in der EU und die Schaffung eines „Europäischen Forschungsraumes“ (European Research Area/ERA), um die Aufsplitterung der Forschungspolitik in Europa zu überwinden und zu einer neuen Qualität der Integration, Koordinierung und Strukturierung der Forschung in der Union zu kommen.

Das stärkere, abgestimmte Zusammenwirken zwischen nationalen und europäischen Forschungsanstrengungen ist wesentliches Element des „Europäischen Forschungsraumes“. Wir sind in Europa in der glücklichen Lage, mit den europäischen Forschungsrahmenprogrammen über ein Instrument zu verfügen, das über die nationalen Grenzen hinweg Kooperationen fördert. Über das laufende 6. EU-Forschungsrahmenprogramm (2002-2006) [7] - mit einem Volumen von 20 Mrd. € das größte Forschungsprogramm der Welt - hinaus wird dies die Leitvision für das kommende 7. Rahmenprogramm (2006-2010) sein.

In einem intensiven Abstimmungsprozess mit Wissenschaft und Wirtschaft wurde ein nationales Positionspapier für das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm [8] vorbereitet. In ihm schlägt die Bundesregierung solche Themen als Prioritäten vor, die auf Zukunftstechnologien ausgerichtet sind, also wachstumsträchtige Schlüsseltechnologien wie die Lebenswissenschaften, Nano-, Kommunikations-, Energie- und Umwelttechnologien, Luftfahrt. Die europäischen Forschungsrahmenprogramme tragen durch die Förderung von zeitlich befristeten Forschungsprojekten zu einer zunehmenden europäischen Vernetzung der Forschung bei. Die aus der gemeinsamen Zusammenarbeit bei EU-geförderten Vorhaben resultierenden Kontakte werden von den beteiligten Forschern oft als wesentlicher Vorteil einer Projektbeteiligung bewertet und über das Ende dieser Projekte fortgesetzt.

Neben dem Ausbau der Mobilitätsmaßnahmen für Nachwuchswissenschaftler und Forscher zur intensiveren Vernetzung der nationalen und europäischen Wissenschaftslandschaft, rückt die Förderung der Grundlagenforschung als zentraler Ideengeber für Innovationen ins Zentrum des Interesses.

Der neue Weg, der in der EU gegangen wird, muss gekennzeichnet sein durch die Vergabe von Mitteln des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms im europaweiten Wettbewerb, die Exzellenz der Forschungsvorhaben als alleiniges Auswahlkriterium sowie schnelle und flexible, forschungsfreundliche Entscheidungsabläufe in weitgehender Eigenverantwortung der Wissenschaft.

Die Bundesregierung wird sich in den Verhandlungen in Brüssel dafür einsetzen, dass die Ausgestaltung des 7. Forschungsrahmenprogramms den Zielsetzungen des Europäischen Rates von Lissabon gerecht wird.

Das Interesse Deutschlands liegt dabei nicht in einer Vorabdefinition und Aufteilung von nationalen Themen einerseits und europäischen andererseits, sondern in einer flexiblen Arbeitsteilung, wodurch die gewünschten Synergieeffekte erreicht werden. Primär ist in den Mitgliedstaaten die nationale Forschungspolitik und Forschungsförderung gefordert sowie eine engere, grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf Basis der nationalen Programme.

3     Internationale Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung

Die Aufteilung zwischen nationaler und internationaler Forschung und die dieser Festlegung zugrunde liegenden Überlegungen lassen sich an der Entwicklung in besonders wichtigen Zukunftsfeldern nachzeichnen. Seit längerer Zeit wird die Forschung in Bereichen wie Raumfahrt, Genomforschung, Astronomie oder physikalische Grundlagenforschung bereits in hohem Ausmaß in europäischer Zusammenarbeit durchgeführt.

3.1     Beispiel Raumfahrt: Ökonomische Hintergründe europäischer Kooperation

Ohne eine Begründung aus sicherheitspolitischer Perspektive bindet die Raumfahrt Mittel in einem solchen Umfang, dass sich zivile Anwendungen und daraus entstehende Produkte für die einzelnen EU-Staaten erst auf einer Ebene als tragfähig erweisen, die nach Möglichkeit weit über den EU-Raum hinaus gehen. Beim Treffen des Weltraumrates im November 2004 legte der Ministerrat der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) daher gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union in Brüssel die Grundlagen für ein europäisches Weltraumprogramm. Damit soll die Raumfahrt für wichtige Bereiche der europäischen Politik wie Umwelt, Informationsgesellschaft oder Außen- und Sicherheitspolitik besser genutzt werden.

Aktuelle Beispiele für europäische Raumfahrtprojekte sind das Navigationssystems Galileo - die zivile europäische Alternative zum amerikanischen GPS-System - und ein System zur globalen Umwelt- und Sicherheitsüberwachung (GMES). Mit dem GMES steht ein Beobachtungssystem zur Verfügung, dass politischen Entscheidungsträgern Daten aus den Bereichen Umwelt, Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung, aber auch für humanitäre Hilfe, Entwicklungshilfe und sicherheitsrelevante Themen zur Verfügung stellt.

3.2     Beispiel Bio- und Gentechnik: Ethische und normative Hintergründe internationaler Kooperationen

Internationale Kooperationen sind aber auch aus Gründen notwendig, die zunächst nicht primär ökonomisch begründet sind, sich aber mittelfristig als Standortvorteile erweisen können. Die im Zusammenhang mit den Lebenswissenschaften, der Biomedizin und der Gentechnik bestehenden und neu entstehenden ethischen und rechtlichen Probleme erfordern immer stärker Lösungen auch im internationalen Rahmen. Wissenschaftliche Forschung ist in der globalen Informations- und Wissensgesellschaft nicht mehr auf einen nationalen Kulturkreis mit gleichen ethischen Vorstellungen und rechtlichen Rahmenbedingungen beschränkt, sondern findet in internationaler Zusammenarbeit statt und ist auf diese angewiesen. Nationale Regelungen können daher auch nur noch eingeschränkt die konkreten Entscheidungen über die Anwendung neuer Methoden und Verfahren beeinflussen. Ethische und rechtliche Standards gewinnen umso mehr an Wirkkraft, je mehr Staaten diese Standards teilen und mittragen. Gerade die Vielzahl der internationalen Erklärungen und Abkommen z. B. im Bereich der Menschenrechte und der Medizin belegen, dass auch in einer modernen pluralistischen Gesellschaft die Ausbildung allgemein verbindlicher Standards möglich ist.

Im Bereich der Biomedizin bildet aus meiner Sicht nach wie vor das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates die Grundlage für eine europaweite Einigung. Es versteht sich von selbst, dass ein solches Rahmenabkommen aufgrund der verbliebenen Auffassungsunterschiede oftmals nur gemeinsame Minimalstandards festlegen kann. Doch ist es ein Erfolg, dass für wichtige Bereiche der biomedizinischen Forschung und Anwendung überhaupt gemeinsame Standards festgelegt werden konnten.

Auf internationaler Ebene knüpft gegenwärtig die UNESCO mit der Erarbeitung einer internationalen Erklärung zu bioethischen Normen an ihre mit der Humangenomerklärung von 1997 begonnenen erfolgreichen Bemühungen um internationale Regelungen an. Eine solche Erklärung kann einen wichtigen Beitrag zur weiteren internationalen Harmonisierung bioethischer Standards leisten und für zahlreiche Staaten ohne eigene Regelungen die erforderliche Orientierungshilfe für nationale Gesetzgebungen bieten.

Ein Beispiel für die Grenzen internationaler Konsensfindung ist die Initiative für ein weltweites Verbot des Klonens von Menschen bei den Vereinten Nationen. Trotz Übereinstimmung im Hinblick auf ein Verbot des reproduktiven Klonens standen die unterschiedlichen Auffassungen zum Forschungsklonen einer verbindlichen internationalen Regelung bisher entgegen. Es ist bedauerlich, dass sich die internationale Staatengemeinschaft auch nach mehrjährigen Verhandlungen nicht auf ein Verhandlungsmandat für eine umfassende Verbotskonvention einigen konnte. Die nun zur Debatte stehende politische Erklärung soll Anfang 2005 abgestimmt und dann von der UN-Generalversammlung angenommen werden. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, die Forderung nach einer weltweiten Konvention zum Verbot des Klonens in dieser Erklärung zu verankern.

Im Bereich der Grünen Gentechnik geben europäische und internationale Regelungen mitunter sehr detaillierte Bestimmungen für den nationalen Gesetzgeber vor. Das Regelwerk für gentechnische Laborarbeiten, Freisetzung und Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen ist durch die entsprechenden EU-Richtlinien und EU-Verordnungen vorgegeben, so dass dem nationalen Gesetzgeber nur ein eingeschränkter Gestaltungsspielraum verbleibt. Die Novellierung des deutschen Gentechnikgesetzes zur Umsetzung der europäischen Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EG) ist deshalb trotz ergänzender Regelungen im Detail eng an die EU-Richtlinie angebunden.

Das Cartagena-Protokoll [9] über die Biologische Sicherheit beim grenzüberschreitenden Verkehr mit gentechnisch veränderten Organismen ist ein internationales Regelwerk für den sicheren Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen bei grenzüberschreitenden Verbringungen. Durch den Aufbau von Kompetenzen und die Bereitstellung von Mechanismen wirkt dieses Abkommen stark auf die europäische und nationale Ebene zurück und beeinflusst die Entscheidungen massiv. Dies gilt auch für die konkrete Ausführung der Bestimmungen zum Vorteilsausgleich (Access & Benefit-Sharing) im Rahmen der Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) und der Food and Agriculture Organization der Vereinten Nationen (FAO). Diese Bestimmungen müssen im Spannungsverhältnis zwischen internationalen Interessen des Umweltschutzes und des Vorteilsausgleiches einerseits und den Interessen eines innovationsorientierten Schutzes der Bestimmungen zum Geistigen Eigentum andererseits gesehen werden.

In allen europäischen und internationalen Foren ist es das Bestreben der Bundesregierung, die ethischen und rechtlichen Herausforderungen im internationalen Rahmen einer dauerhaft tragfähigen Lösung zuzuführen. Mit einer möglichst weitgehenden Annäherung der ethisch-rechtlichen Rahmenbedingungen wird auch die internationale Forschungszusammenarbeit dauerhaft gesichert.

3.3     Beispiel Informations- und Kommunikationstechnologie: Kooperationen jenseits der EU

Deutschland ist nicht nur vom Weltmarkt abhängig, es muss sich weltweit immer neu positionieren. Der rasch wachsende Handel mit FuE-intensiven Gütern ist gleichbedeutend mit einer permanenten Intensivierung des Transfers von produktintegrierter Technologie zwischen den Volkswirtschaften. Importeure und Exporteure machen sich die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung zu nutze. Der internationale Handel mit forschungsintensiven Waren bietet deutschen Unternehmen die größten Wachstumspotenziale. Er hat sich besonders dynamisch entwickelt und damit für eine Belebung im deutschen Innovationssystem gesorgt.

Diese Globalisierung insbesondere der Hochtechnologiemärkte macht eine zunehmende Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung notwendig. Die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Forschung flankiert die intensiven Wirtschaftsbeziehungen deutscher Unternehmen zum Ausland. Sie steigert durch FuE-Kooperationen und die dadurch bewirkte Präsenz und Sichtbarkeit deutscher Wissenschaft und Forschung die Attraktivität des Produktions- und Forschungsstandorts Deutschland, wodurch Anreize für Investitionen aus dem Ausland geschaffen werden. Damit leistet sie einen wesentlichen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.

Eine verstärkte Internationalisierung der Forschung im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) und deren Anwendungen soll der Funktion dieses Forschungsbereichs als Motor für die IKT-Wirtschaft weitere Leistungspotenziale entlocken. Die für die internationale Zusammenarbeit zur Verfügung stehenden Instrumente reichen von dem innerhalb der EU initiierten EU-Rahmenprogramm für Forschung, technologische Entwicklung und Innovation, über multilaterale Kooperationen (EUREKA, COST und OECD) bis zu bilateralen Kooperationen.

Die strategische Ausrichtung der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der IKT-Forschung und deren Anwendungen erfordert einen differenzierten Einsatz dieser Instrumente und somit eine - von der jeweiligen FuE-Aufgabenstellung abhängige - unterschiedliche Herangehensweise. Neben einer von Forschungseinrichtungen und Wirtschaft getragenen Verankerung der wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit, ist es für den Wissenschafts- und Innovationsstandort Deutschland entscheidend, mit den besten Partnern weltweit zusammenzuarbeiten und aktiver Teil internationaler Exzellenznetzwerke zu sein.

Insbesondere in wissensgestützten Industriebranchen wie der IKT bedarf es heute vor allem einer verstärkten Fokussierung auf bi- oder multilateral getragene strategische Projekte, die zielorientiert Kräfte bündeln und auf eine arbeitsteilige Ergebnisverwertung ausgerichtet sind. Die damit bewirkte Schaffung von Strukturen im Sinne „kritischer Massen“, die den zahlreichen, auch - insbesondere im Vergleich mit der Unternehmensstruktur in den USA - kleinen Unternehmen in diesem Sektor helfen, einen erreichten Vorsprung im Wettlauf um die Zukunftstechnologien zu sichern, ist ein wesentliches strategisches Element. Diese internationale Zusammenarbeit muss letztlich jedoch von europäischen und nationalen forschungs- und wirtschaftspolitischen Zielen getragen sein.

Eine wichtige Rolle, vor allem im Software- und Internetbereich spielen Kooperationen mit dem Ziel, gemeinsam Standards zu entwickeln. Nur wer erfolgreich FuE betreibt, kann in dem sich schnell entwickelnden IKT-Markt Standards beeinflussen und setzen. Nationale Alleingänge sind in Europa schon allein aufgrund der kleinen Binnenmärkte wenig Erfolg versprechend.

Im Rahmen von EUREKA gibt es hierfür mit MEDEA+ und ITEA erste Ansätze, durch „Umbrella“ bzw. Cluster-Projekte eine solche Bündelung nationaler FuE-Anstrengungen der einzelnen Partner zu erreichen. Dies gilt es weiter auszubauen. Die mit dem 6. EU-Forschungsrahmenprogramm eingeführten sog. „integrierten Projekte“ sind ein geeignetes Instrument, die eingangs als Ziel beschriebene stärkere strategische internationale Ausrichtung der IKT-Forschung weiter zu befördern. Es gilt den Vorteil, den Deutschland aufgrund seiner - auf vernetzte, interdisziplinäre Zusammenarbeit in Projekten ausgerichtete - Förderstrukturen hat, für eine stärkere strategische Orientierung der europäischen Forschung im IKT-Bereich zu nutzen. Dazu gehört auch die Bereitschaft deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen, innerhalb der europäischen Projekte häufiger die Federführung zu übernehmen.

Aber auch bilateralen, außereuropäischen Kooperationen kommt eine herausragende strategische Bedeutung zu. Vor allem dort, wo - wie in der Mikroelektronik (z. B. Sematech) - Roadmaps der Technologieentwicklung existieren, brauchen wir neben einer Arbeitsteilung in Europa zudem strategische Allianzen mit anderen Wirtschafts- und Forschungsregionen - z. B. mit den USA -, um so die erforderliche kritische Masse zu erzielen und zugleich Zugang zu Fertigungstiefe und System-Know-how in Breite zu gewinnen und verwerten zu können. Entsprechendes gilt für die internationale Kooperation mit den asiatischen Wachstumsmärkten, wie am Beispiel der Kommunikationstechnik (z. B. bilaterale Kooperation mit China im Bereich Mobilfunk) offensichtlich wird.

Ein zentrales Instrument im Rahmen dieser „Internationalisierungs“-Strategie ist der Auf- und Ausbau der Forschungsnetze weltweit. Die enormen Anstrengungen der EU-Mitgliedstaaten aufgreifend ist es eine wichtige Herausforderung für das im 6. EU-Forschungsrahmenprogramm verankerte GEANT-Projekt, ein leistungsfähiges europäisches Forschungsnetz aufzubauen und mit den weltweit verteilten Forschungsstandorten zu vernetzen, um durch die integrativen Wirkungen einer solchen Infrastruktur die Strategien der internationalen Zusammenarbeit zu befördern.

4     Internationalisierung und nationale Ziele der Forschungs- und Technologiepolitik

Forschungs- und Technologiepolitik lässt sich nicht ausschließlich in nationalen Alleingängen betreiben. In vielen Technologiefeldern ist auch eine europäische Ausrichtung nicht ausreichend. Dennoch sind nationale gesellschaftliche und soziale, ökonomische und ökologische Ziele die Triebfeder Forschung voranzutreiben.

Forschung und Entwicklung werden zum Teil begrenzt durch die dafür notwendigen Investitionen. Die 90er Jahre, der Boom in der IT-Branche und der Mangel an Fachkräften sollten jedoch zumindest zu der Erkenntnis geführt haben, dass für den Klassenerhalt in der Riege der Hochtechnologienationen außerordentliche Qualifikationsanstrengungen unerlässlich sind. Relativ simple Rechnungen von Wirtschaftsforschern zeigen, dass mehrere hunderttausend Hochqualifizierte als zusätzliches FuE-Personal in Deutschland erforderlich werden, um das von der EU gesetzte Dreiprozentziel für Forschungsinvestitionen zu erreichen. Deutschland konkurriert deswegen international um die besten Köpfe.

Im Bereich Forschung und Entwicklung findet eine merkliche Internationalisierung statt. Dabei investieren ausländische Unternehmen mit 11,5 Mrd. € in etwa die gleiche Summe in FuE in Deutschland wie deutsche Unternehmen im Ausland (11,9 Mrd. € in 2001). Damit stammt ungefähr jeder vierte Euro, den Unternehmen in Deutschland in FuE investieren, von ausländischen Tochterunternehmen. Deutschland ist z. B. für US-amerikanische Unternehmen der zweitwichtigste FuE-Auslandsstandort. Darüber hinaus haben deutsche Unternehmen mit FuE im Ausland auch hierzulande eine höhere FuE-Intensität. Dies beweist die hohe Attraktivität des Forschungsstandorts Deutschland.

Der Vergleich Deutschlands mit anderen Hochtechnologieländern zeigt, welchen Modernisierungserfordernissen das Forschungs- und Innovationssystem Deutschlands gegenübersteht und welche Gestaltungsoptionen existieren. Der Handlungsspielraum nationaler Forschungs- und Technologiepolitik ist dabei kaum geringer geworden, er hat jedoch stärker zu berücksichtigen, dass die Vielfalt technologischer Entwicklungen und forschender Organisationen und Akteure größer ist als jemals zuvor. Die internationale Kooperation in Forschung und Technologie ist der beste Weg, diese Vielfalt für Deutschland zu nutzen.

Anmerkungen

[1] http://www.bundesregierung.de/Themen-A-Z/-,9757/Agenda-2010.htm

[2] http://www.oecd.org/document/63/0,2340,en_2649_37417_33995839_1_1_1_37417,00.html

[3] http://www.bmbf.de/pub/bufo2004.pdf

[4]
http://www.technologische-leistungsfaehigkeit.de/_downloads/tlf_2002_zusammenfassung.pdf;
http://www.bmbf.de/pub/technologie_und_qualifikation_fuer_neue_maerkte.pdf;
http://www.technologische-leistungsfaehigkeit.de/_htdocs/tlf_62.php

[5] http://www.innovationsinitiative-deutschland.de/

[6] http://www.europarl.eu.int/summits/lis1_de.htm

[7] http://www.rp6.de/

[8] http://www.rp6.de/inhalte/rp7

[9] http://www.umweltbundesamt.at/umwelt/gentechnik/internationales/cartagenaprotokoll/

Kontakt

Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen
Bundesministerium für Bildung und Forschung
Büro des Staatssekretärs
Hannoversche Straße 28-30, 10115 Berlin
E-Mail: Wolf-Michael.Catenhusen∂bmbf.bund.de