Europäische Rechtsetzung: Die Auseinandersetzungen zur Europäischen Chemikalienpolitik REACH und die Rolle nationaler Regierungen und Akteure im Policy-Prozess

Schwerpunktthema - Nationale Politiken unter den Bedingungen der Globalisierung

Europäische Rechtsetzung: Die Auseinandersetzungen zur Europäischen Chemikalienpolitik REACH und die Rolle nationaler Regierungen und Akteure im Policy-Prozess

von Klaus Jacob und Axel Volkery, Forschungsstelle für Umweltpolitik, FU Berlin

In dem Beitrag wird der politische Entscheidungsprozess um den Richtlinienvorschlag zur Neufassung der Chemikalienkontrolle in der Europäischen Union nachgezeichnet. Dabei zeigt sich, dass wirtschaftliche Interessenverbände nicht nur über direktes Lobbying in Brüssel, sondern auch indirekt über Regierungen erfolgreich Einfluss auf den Entscheidungsprozess genommen haben. Letztlich ist auf Druck verschiedener EU-Mitgliedstaaten die Federführung für den Richtlinienvorschlag von DG Umwelt und dem Umweltministerrat zu DG Enterprise und dem Wettbewerbsfähigkeitsrat verlagert worden.

Die horizontale Fragmentierung (in verschiedenen Ressorts der Kommission und den unterschiedlichen Ratsformationen) und die vertikale Fragmentierung mit mehreren Vetospielern auf den unterschiedlichen Ebenen des Mehrebenensystems erlaubt ein komplexes venue shopping der Interessenverbände. Diese können bei den Akteuren intervenieren, bei denen sie am ehesten eine Interessenkongruenz erwarten.

1     Die Chemikalienkontrolle in der EU

Ziel der bisherigen europäischen Chemikalienpolitik ist die Erfassung von Gesundheits- und Umweltrisiken durch die Herstellung und die Verwendung von Chemikalien, womit eine Grundlage für weitere risikomindernde Maßnahmen (Kennzeichnungen, Verwendungseinschränkungen usw.) geschaffen werden soll. Ein zentrales Merkmal der Chemikalienkontrolle ist die Unterscheidung zwischen Altstoffen und Neustoffen. Altstoffe sind solche Stoffe, die im Jahr 1981 bereits auf dem Markt befindlich waren, Neustoffe solche Stoffe, die erst danach vermarktet wurden. Altstoffe machen in der EU den mengenmäßig größten Anteil der auf dem Markt vorhandenen Stoffe aus, doch nur für Neustoffe gelten Prüfpflichten zur vorsorglichen Risikoabschätzung, die je nach der auf den Markt gebrachten Menge eines Stoffes variieren.

Der weitgehende Verzicht auf Prüfpflichten für Altstoffe hat dazu geführt, dass kein ausreichendes Wissen für ein umfassendes Risikomanagement der überwiegenden Mehrzahl aller verwendeten Stoffe vorliegt. Daran hat auch eine Reihe von Selbstverpflichtungen der Europäischen Chemiewirtschaft wenig geändert. Die entsprechenden Verpflichtungen zur Zusammenstellung von Datensätzen wurden nur schleppend umgesetzt. Knapp 20 Jahre nach Einführung der Chemikaliengesetzgebung war nur für eine geringe Zahl der rund 100.000 Altstoffe eine Risikoabschätzung vorhanden (Jacob 1999).

2     Der Anstoß zur Reformdebatte in der EU

Der entscheidende Anstoß für eine Diskussion um die Reform der Europäischen Chemikalienpolitik kam von Seiten einiger Mitgliedstaaten. Anfang 1998 legten Österreich, Dänemark, Finnland, die Niederlande und Schweden ein Papier vor, das Defizite der Chemikalienkontrolle analysierte und insbesondere das Fehlen umfassender Umweltschutzziele kritisierte. Das Papier definierte grundlegende Prinzipien für eine Reform der Chemikalienkontrolle. Für notwendig befunden wurden:

Als ein erster Schritt wurde eine Bestandsaufnahme der bisherigen Chemikalienkontrolle durch die Kommission vorgeschlagen. Das Papier wurde auf dem informellen Umweltministerrat im April 1998 diskutiert. Die Mitgliedstaaten begrüßten das Papier und regten die Entwicklung einer Rahmenrichtlinie an. Die Kommission wurde aufgefordert, bis zum Jahresende einen Bericht über die Defizite bestehender Regulierungen vorzulegen (Schörling 2004, S. 56). Das Europäische Parlament unterstützte diesen Beschluss und forderte im Oktober 1998 von der Kommission ein besseres Risikomanagement von Chemikalien mit endokrinen Eigenschaften.

Im November 1998 legte die Kommission ihren Bericht mit einer Bewertung der bisherigen Instrumente der Chemikalienpolitik dem Umweltministerrat vor (SEC(1998) 1986 final, http://europa.eu.int/comm/environment/chemicals/pdf/report-4-instruments_en.pdf). Als besonders reformbedürftig wurden die Regulierungen zu Altstoffen angesehen. Die Kommission schlug deshalb vor, Chemikalien künftig auch auf der Basis inhärenter Eigenschaften regulieren zu können, etwa der Fähigkeit zur Bioakkumulation, der Persistenz oder der Toxizität. Auf diese Weise, so die Kommission, sollte der Aufwand für die Risikoabschätzung reduziert werden. Zudem wurde vorgeschlagen, die Beweislast umzukehren und Herstellern die Aufgabe der Bereitstellung von Daten zur Risikoabschätzung zu verantworten.

Der Umweltministerrat begrüßte auf seinem Treffen im Dezember 1998 diese Bewertung und das Ansinnen der Kommission, die Chemikalienregulierung zu reformieren (http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/en/envir/13854.EN9.html). Ab dem Februar 1999 wurden verschiedene Anhörungen durchgeführt. Im Juni 1999 forderten dann die Staats- und Regierungschefs auf dem Europäischen Rat von Köln eine neue integrierte und kohärente Chemikalienpolitik (Schörling 2004).

Die Kommission präsentierte im Dezember 1999 einen ersten Entwurf für eine Reform der Chemikalienpolitik, zuerst im Binnenmarktrat, einige Tage später dann auch im Umweltministerrat (http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/docs/ pressData/en/envir/13854.EN9.html). Der Fokus lag dabei auf Stoffen mit problematischen Eigenschaften (persistent, bioakkumulierend oder toxisch) sowie auf der Handhabung der Altstoffe. Explizit adressierte die Kommission das Thema der Verantwortung von Industrie und von Behörden bei der Durchführung von Risikoabschätzungen und stellte dabei die Verteilung der Beweislasten heraus. Die Kommission kündigte die Vorlage eines Weißbuchs für den Sommer 2000 an, die Veröffentlichung verzögerte sich aber bis zum Februar 2001.

3     Der Reformvorschlag der Europäischen Kommission

Das Weißbuch der Europäischen Kommission „Strategien für eine zukünftige Chemikalienpolitik“ (COM(2001) 88 final, http://europa.eu.int/comm/environment/chemicals/pdf/0188_en.pdf) definiert die Grundsätze einer Reform der Europäischen Chemikalienkontrolle. Im Kern sieht es die Gleichstellung von Alt- und Neustoffen vor. Die Risikobewertung soll innerhalb eines einheitlichen Systems der Registrierung, Evaluation und Autorisierung von Chemikalien (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals - REACH) durchgeführt werden. Die Pflichten zur Durchführung von stoffbezogenen Untersuchungen sind abgestuft nach Exposition, Gefährdung und Produktionsmenge, dabei sind vier verschiedene Prüfstufen je nach vermarkteter Menge vorgesehen. Eine Lockerung der Prüfvorschriften wird für Stoffe vorgeschlagen, von denen keine Exposition zu erwarten ist und bei solchen Stoffen, zu denen bereits umfassende Informationen vorliegen. Eine unabhängige Bewertung durch die Behörden soll ab einer jährlichen Produktionsmenge von 100 t/a erfolgen, bei geringeren Mengen erfolgt die Bewertung grundsätzlich durch die Industrie.

Stoffe mit besonders gefährlichen Eigenschaften, insbesondere krebserzeugende oder erbgutverändernde Stoffe sollen nur für bestimmte Anwendungen zugelassen werden. Das Risikomanagement für die weiteren Stoffe basiert auf einer vorläufige Bewertung durch die Hersteller. Diese Bewertung soll Teil des Datensatzes werden und Empfehlungen für risikomindernde Maßnahmen einschließen. Eine Kontrolle der Datensätze und Bewertungen soll stichprobenweise erfolgen. Im Gegensatz zur bisherigen Chemikalienregulierung sollen Risikobewertungen nur auf bestimmte Anwendungen bezogen werden. Wenn darüber hinaus weitere Anwendungen erschlossen werden, sind für diese Anwendungen ebenfalls Daten zu sammeln und zu bewerten. Zusätzlich zu der Aufhebung des Unterschiedes zwischen Alt- und Neustoffen ist die Ausweitung der Untersuchungspflichten auf die Anwender von Chemikalien (so genannte Down-Stream User) ein weiteres Merkmal des Reformvorschlags. Die Anwender von Chemikalien sollen Angaben über Verwendungsbereiche an die Hersteller weitergeben oder sollen eigene Stoffdaten erheben müssen, wenn Anwendungen erschlossen werden, die durch die bisherige Registrierung und Bewertung nicht abgedeckt sind.

Schließlich wird die Beweislast für Stoffverbote umgekehrt: Nunmehr sollen alle Stoffe solange verboten sein, bis der Hersteller mit der Beibringung der Daten die Unbedenklichkeit nachweisen kann. Die Fristen zur Bereitstellung der Daten für bisher vermarktete Stoffe sind zeitlich gestaffelt nach Exposition und vermuteten Gefährdungsmerkmalen. Für diejenigen Stoffe, die am ehesten Anlass zur Besorgnis geben, sollen Datensätze innerhalb von fünf Jahren erhoben werden. Die Erarbeitung von Registrierungsdossiers soll abgeschlossen werden für Stoffe mit Produktionsmengen >1000 t/a bis Ende 2005, >100 t/a bis Ende 2008 und >1 t/a bis Ende 2012.

Derzeit sind auf dem europäischen Markt ca. 100.000 Altstoffe registriert. Davon werden ca. 90% vermarktet, davon 30.000 Stoffe in der registrierungspflichtigen Menge >1 t/a. Aus diesen überschreiten 10.000 Stoffe die Menge von 10 t/a und 2.500 Stoffe 1000 t/a. Ein Zulassungsverfahren wegen besonders bedenklicher Eigenschaften soll nach den Vorstellungen der Kommission im Weißbuch für ca. 1.400 Stoffe erfolgen.

4     Reaktionen auf das Weißbuch

Der Europäische Rat befasste sich auf seiner Sitzung in Göteborg im Juni 2001 mit dem Weißbuch der Kommission und begrüßte das Vorhaben. Er verwies aber auf die Notwendigkeit einer Stärkung von Umweltbelangen im REACH-Verfahren und mahnte Strategien zur Reduzierung der Kosten an. Hierzu wurde eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, etwa eine Vereinfachung der Testanforderungen. Im Oktober 2001 begrüßte auch das Europäische Parlament das Weißbuch der Europäischen Kommission und verwies wie der Europäische Rat auf die Notwendigkeit einer Stärkung der Umweltdimension des Systems.

Wirtschafts- und Industrieverbände wie der deutsche BDI, DIHK oder VCI warnten dagegen, der Kommissionsvorschlag führe zu erheblichen Mehrkosten und berge eine Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit insbesondere von kleineren Unternehmen auf Seiten der Hersteller und in der Kette der Anwender von Chemikalien. So seien die Registrierungskosten zu hoch für diese Gruppe von Unternehmen, die dann gezwungen seien, die Produktion aufzugeben. Nichteuropäische Unternehmen würden dann die Herstellung übernehmen. Weiterhin könnten nichteuropäische Hersteller ihre Produkte schneller auf den Markt bringen und dadurch Vorteile erzielen. Der VCI befürchtet, dass 20-40% der heutigen Angebotspalette entfallen, der VCH geht sogar von 50% aus (VCI 2002, http://www.vch-online.de/display.asp?menu=030302&ID=46). Dabei könnte es sich allerdings auch um Stoffe handeln, die zwar im gegenwärtigen Altstoffverzeichnis EINECS (European Inventory of Existing Commercial Substances) angemeldet sind, aber nicht mehr produziert werden. Weiterhin wurde in denselben Stellungnahmen kritisiert, dass Doppelregistrierungen auftreten könnten und dass Anreize für Gemeinschaftsregistrierungen fehlten. Dies sei nicht nur aus Gründen der Kostenreduktion für einzelne Hersteller geboten, sondern auch zur Vermeidung von Tierversuchen. Gegen eine Kooperation bei Registrierungen sprechen ungelöste Fragen in Bezug auf die Eigentumsrechte für die Registrierungsdaten und die Befürchtung, dass durch eine Offenlegung der Anwendungsbereiche Rückschlüsse auf Herstellungsprozesse gezogen werden können und damit Geschäftsinteressen tangiert werden. Diese Hemmnisse könnten durch die Einführung einer Vorregistrierungspflicht beseitigt werden, bei der Unternehmen die Absicht mitteilen, einen Stoff zu registrieren, wodurch die Möglichkeit geschaffen würde, dass mehrere Unternehmen die Kosten untereinander aufteilen. Weiterhin könnte eine neutrale europäische Instanz die Daten zu Verwendungen sammeln, so dass Daten unter Umständen anonymisiert weitergegeben werden können.

5     Bewertung des Weißbuchs

Das vorgeschlagene REACH-System verringert die Kosten für die Registrierung von Neustoffen. Dies ist ein wichtiger Aspekt der Neuregelung, da das bisherige Recht die Altstoffe gegenüber Neustoffen deutlich privilegiert hat, weswegen die Zahl der Neustoffanmeldungen unter den Erwartungen geblieben ist. Nunmehr werden Anreize gesetzt, Neustoffe zu entwickeln, wenn es um die Erschließung neuer Anwendungen geht. Damit verbindet sich die Hoffnung auf eine Zunahme von Innovationen und damit eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit (Nordbeck and Faust 2002, Berkhout et al. 2003).

Das REACH-System setzt weiterhin Anreize für die Bereitstellung von Informationen über Umwelt- und Gesundheitsrisiken, da andernfalls die Erlaubnis zur Herstellung oder Verwendung erlischt. Vergleichbare Anreize bestehen bisher nur im Bereich der Neustoffe. Im Bereich der Altstoffe liegt die Pflicht zur Informationsbeschaffung im Wesentlichen bei den Behörden. Die bisherige Altstoff-Verordnung und eine deutsche und eine europäische freiwillige Erklärung der Industrieverbände, solche Daten bereit zu stellen, haben sich als unzureichend erwiesen, weil Hersteller davon profitierten, indem sie die dafür notwendigen Informationssammlungen nur langsam durchführen. Mit der Einführung von REACH verliert ein Stoff die Zulassung zur Herstellung und Verwendung, wenn die notwendigen Daten fehlen. Damit besteht ein zwingender Anreiz für Hersteller und Verwender, diese Daten zu erheben und mitzuteilen.

Diese Vorgaben können komplementär zu Vorgaben des Haftungsrechts wirken, die vor allem in den USA von Bedeutung sind. Das dortige System der Produkthaftung zwingt Hersteller dazu, toxikologisch relevante Informationen in ihren Stoffbewertungen zu berücksichtigen, wenn diese verfügbar sind. Allerdings werden wenige Anreize gegeben, weitere Informationen zu beschaffen. Eine systematische Datenerhebung zu gefährlichen Eigenschaften kann sogar dem Interesse des Herstellers zuwiderlaufen, da zusätzliche Haftungsrisiken entstehen. Setzt man nun eine öffentliche Verfügbarkeit von Stoffdaten voraus, die im Kontext des REACH-Systems gesammelt werden, hätten US-Hersteller diese Informationen auch für ihren nationalen Markt zu berücksichtigen, um die Risiken haftungsrechtlicher Klagen zu minimieren. Dadurch könnten andere, weniger risikoreiche Stoffe begünstigt werden. Diese Substitute müssen nicht notwendig von europäischen Herstellern entwickelt werden. Allerdings könnte sich hier die Gleichbehandlung von Alt- und Neustoffen vorteilhaft auswirken. Um Registrierungskosten von Altstoffen zu vermeiden, könnten Produzenten mögliche Substitute bevorzugt unter Neustoffen suchen.

Diese Komplementarität umweltpolitischer Instrumente (Anreize zur Informationsbeschaffung in Europa und Anreize zur Nutzung dieser Informationen zur Minderung von Haftungsrisiken in den USA) könnte - je nach Ausgestaltung der Chemikalienregulierung - dazu führen, dass die europäischen Neuregelungen eine Wirkung auch auf dem nordamerikanischen Markt entfalten und dort Suchprozesse nach risikoärmeren Stoffen ausgelöst werden. Ob dabei in Europa entwickelte Substitute erfolgreich wären, ist offen. Die Entwicklung von Neustoffen im Kontext des Europäischen Marktes wird allerdings begünstigt.

6     Die Kostendiskussion in der Vorbereitungsphase des Verordnungsentwurfs

Für die Vorbereitung eines Verordnungsentwurfs auf der Basis des Weißbuches führte die Kommission eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung durch und setzte Arbeitsgruppen zu verschiedenen Problemfeldern ein. Nicht nur die betroffenen Industrieverbände haben sich zu Wort gemeldet, sondern auch mehrere Staaten, die nicht Mitglied der EU sind. Am prominentesten war die Stellungnahme der Regierung der USA, die sich gegen die Einführung von REACH wandte, weil sie eine erhebliche Beeinträchtigung des Handels mit Chemikalien und mit Fertigprodukten, die Chemikalien enthalten, befürchtete. Weiterhin wurde von der US-amerikanischen Regierung die Befürchtung geäußert, dass andere außereuropäische Regierungen entsprechende Regelsysteme einführen könnten (Schörling 2004).

Die Wirtschafts- und Industrieverbände, insbesondere der deutsche VCI und BDI sowie der europäische Dachverband CEFIC (European Chemical Industry Council), legten in rascher Folge mehrere Auftragsstudien vor, mit denen erhebliche Kostenmehrbelastungen der Chemischen Industrie mit daraus resultierenden weit reichenden negativen volkswirtschaftlichen Folgeeffekten nachgewiesen werden sollten.

Die Abschätzung der voraussichtlich durch REACH entstehenden Kosten avancierte zum Hauptdiskussionsthema. Im Weißbuch hatte die Kommission die Kosten für die Zusammenstellung der Datensätze für existierende Chemikalien auf 2,1 Mrd. EUR beziffert, verteilt auf 12 Jahre.

Die Kommission gab dann eine umfassende Politikfolgenabschätzung (Impact Assessment) in Auftrag. Diese Studie ermittelte die direkten Kostenbelastungen in einem Bereich von 1,4 bis 7 Mrd. EUR bis 2012, abhängig von der Ausgestaltung der Verordnung mit einem wahrscheinlichsten Wert von 3,7 Mrd. EUR (Risk and Policy Analysis and Statistics Sweden 2002). CEFIC schätzte die direkten Kosten dagegen auf 7 - 10 Mrd. EUR (CEFIC 2002). Eine Studie für das britische Transport- und Umweltministerium bezifferte diese Kosten auf knapp 9 Mrd. EUR (Institute for Health and Environment 2001) und stufte die Einhaltung des Zeitplans für alle zu testenden Stoffe bis 2012 als unrealistisch ein. Der deutsche Sachverständigenrat für Umweltfragen verwies in einer Stellungnahme allerdings darauf, dass selbst die in pessimistischen Szenarien ermittelten Kosten nur einen Bruchteil des Gesamtumsatzes der Chemischen Industrie ausmachten und die mittelfristigen Nutzen die kurzfristigen Kosten der Reform übersteigen würden (German Advisory Council on the Environment 2003).

Zusätzlich zu den direkten Kosten für die Chemische Industrie galt ein besonderes Augenmerk den indirekten Kosten, die entstünden, wenn Stoffe vom Markt genommen werden und dadurch Produktionsverluste in nachgelagerten Industriezweigen entstehen. Besonders einflussreich für die Diskussion wurde eine Studie von Arthur D. Little im Auftrag des BDI (Arthur D. Little 2002). Diese Studie prognostizierte je nach Szenarium Produktionsverluste im produzierenden Gewerbe von 2,7 - 3,3%. Allein in Deutschland sei mit einem Verlust von 1 - 1,35 Mio. Arbeitsplätzen zu rechnen, so Arthur D. Little. In Frankreich wurde etwa zeitgleich eine ähnliche Studie von Mercer veröffentlicht, die ähnliche Verwerfungen für die französische Volkswirtschaft in Aussicht stellte (Mercer Management Consulting 2003).

Obwohl diese Studien für ihre methodischen Mängel heftig kritisiert wurden, waren sie insoweit politisch erfolgreich, als dass die Diskussion um REACH kaum noch auf die sachliche Notwendigkeit aufgrund der offenkundigen Defizite der Chemikaleinkontrolle bezogen wurde, sondern nur noch unter dem Aspekt der Kostenwirkungen geführt wurde (German Advisory Council on the Environment 2003; Ostertag et al. 2004).

In Deutschland gaben die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Baden Württemberg und Bayern eigene Studien in Auftrag, die zum Teil erhebliche Belastungen für Unternehmen ermittelten (NRW 2003; Bayrisches Staatsministerium für Umwelt Gesundheit und Verbraucherschutz 2004; Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg 2004). Auf Bundesebene reagierte das Umweltbundesamt mit einer Studie, die zu gemischten Ergebnissen hinsichtlich der Wirtschaftsverträglichkeit kam (Ostertag et al. 2004). Die langwierige Diskussion um die Kosten nahm die niederländische Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2004 zum Anlass, eine vergleichende Studie aller Folgenabschätzungen zu vergeben. Diese Studie ermittelte insgesamt 36 Studien zu REACH (Witmond et al. 2004). Die Vielzahl dieser Studien trug dazu bei, dass der Reformvorschlag der Kommission breit auf der Ebene der Mitgliedstaaten diskutiert wurde und die Kommission unter erheblichen Anpassungsdruck gesetzt wurde.

7     Verordnungsentwurf der Kommission

Im Mai 2003 wurde der Entwurf einer Richtlinie zur Neufassung der Chemikalienkontrolle der Öffentlichkeit per Internet-Konsultation vorgestellt. Der Vorschlag sah eine grundlegende Revision des europäischen Chemikalienrechts vor: 40 bestehende Richtlinien und Verordnungen sollten ersetzt werden, weswegen der Entwurf 1200 Seiten Text umfasste, die allerdings zum Großteil wenig veränderte Annexe des alten Chemikalienrechts enthielten. Die Konsultationen dauerten von Mai bis Juli 2003, insgesamt wurden 6.500 Erklärungen abgegeben.

Nach dem Verordnungstext ist vorgesehen, dass alle Stoffe, die in einer Menge von > 1t/a produziert werden, REACH-pflichtig sind. Umstritten war die Frage, inwieweit interne Zwischenprodukte und Polymere ebenfalls Gegenstand der Regulierung werden sollten. Im Verordnungsentwurf sind diese von den Prüfpflichten ausgenommen. Insgesamt sind damit etwa 30.000 Chemikalien betroffen. Diese müssen je nach Vermarktungsmenge in 3 bis 11 Jahren nach Inkrafttreten mit einem definierten Satz von Informationen bei einer zentralen EU Behörde registriert werden. Der Umfang der Datensätze über die Stoffeigenschaften richtet sich wiederum grundsätzlich nach dem Marktvolumen des jeweiligen Stoffs; dieser kann aber modifiziert werden, wenn eine besonders hohe oder eine niedrige Exposition zu erwarten ist.

Gegenstand der Auseinandersetzungen zu dem Vorentwurf und dem endgültigen Entwurf der Kommission vom Oktober 2003 waren vor allem die Pflichten zur Durchführung von Expositionsabschätzungen und Risikocharakterisierungen. Dem endgültigen Entwurf zufolge soll für zwei Drittel der zu registrierenden Stoffe darauf verzichtet werden und bei Stoffen oberhalb von 10 t/a nur für gefährliche Stoffe gelten. Strittig war auch die Handhabung der 40.000-240.000 Polymere. Diese sind zunächst ganz von der Registrierungspflicht ausgenommen worden, bis eine Lösung für eine effiziente Handhabung gefunden ist.

Eine Reihe von Mechanismen soll den Austausch von Testergebnissen fördern, so die Durchführung einer Vorregistrierung, die Einrichtung einer Internetplattform zum Austausch von Stoffinformationen zwischen Herstellern und Importeuren gleicher Stoffe, und Kriterien zur Anerkennung vorhandener Daten. Damit soll auch die Durchführung von Tierversuchen minimiert werden.

Bei Stoffen, die in einer Menge > 10 t/a vermarktet werden (ca. 11.000 Stoffe) muss eine Chemikaliensicherheitsbewertung (CSA) durchgeführt werden. Die Sicherheitsanalyse wird grundsätzlich vom Hersteller bzw. Anwender durchgeführt und verantwortet. Eine Prüfung durch Behörden ist nicht obligatorisch, kann aber nach Ermessen erfolgen. Wenn ein Stoff als gefährlich eingestuft wird, muss zusätzlich eine Bewertung der Exposition und eine Charakterisierung des Risikos für alle Stufen des Produktlebenszyklus durchgeführt werden. Daraus müssen Vorgaben für die sichere Stoffhandhabung für die Kunden abgeleitet werden und in das Sicherheitsdatenblatt des Stoffes aufgenommen werden. Wenn ein Kunde von den Vorgaben abweicht, geht die Pflicht der Sicherheitsanalyse auf diesen über. Der Richtlinienentwurf sieht zudem Regeln für die Kommunikation zwischen Herstellern und Importeuren und ihren Kunden vor.

Stoffe können auch als Bestandteil von Produkten importiert werden. Sie werden grundsätzlich rechtlich gleichgestellt und durch REACH erfasst, sofern die Mengenschwelle von 1 t/a pro Hersteller und Produkt überschritten wird. Mit einer Frist von 11 Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung sind die Importeure von Produkten verpflichtet zu prüfen, ob unbeabsichtigt Stoffe in risikorelevanten Mengen freigesetzt werden und darüber die Europäische Chemikalienagentur zu informieren. Weiterhin müssen die Bestandteile registriert werden, wenn eine Freisetzung von Stoffen in dem Produkt intendiert ist.

Für besonders gefährliche Chemikalien kann von der Kommission ein generelles Anwendungsverbot mit einem Zulassungsvorbehalt ausgesprochen werden.

Zusammenfassend setzt der Richtlinienentwurf die Aufhebung der bisher ungleichen Behandlung von Alt- und Neustoffen aus. Die Registrierung bezieht sich auf bestimmte Anwendungsbereiche. Werden neue Anwendungen erschlossen, muss die Risikoabschätzung wiederholt werden. Dabei werden auch die down-stream-Anwender in die Pflicht genommen. Der Import von Chemikalien auch als Bestandteil von Produkten fällt nunmehr ebenfalls in weiten Bereichen unter das Regime der Chemikalienkontrolle.

8     Einflussnahme der Mitgliedstaaten auf den Entscheidungsprozess

Noch bevor der Konsultationsprozess abgeschlossen war, meldeten sich vor allem die Mitgliedstaaten zu Wort, in denen eine bedeutende Chemieindustrie beheimatet ist. Dies betraf insbesondere Deutschland, aber auch Frankreich und England. Der deutsche Bundeskanzler hielt im Juni 2003 während der laufenden Internetkonsultation eine Rede vor der Generalversammlung von CEFIC, in der er die Aktivitäten des Verbandes lobte und forderte, dass der Kommissionsentwurf überarbeitet wird.

Die Regierungschefs von Großbritannien, Frankreich und Deutschland brachten Bedenken gegenüber dem Entwurf auch in einem gemeinsamen Brief im September 2003 an Kommissionspräsident Prodi zur Geltung: Der Entwurf sei zu bürokratisch und nicht umsetzbar, eine Prioritätensetzung bei den Substanzen, die hauptsächlich Anlass zur Sorge geben, fehle und insgesamt seien erhebliche Nachteile für die Wettbewerbsfähigkeit der Branche zu erwarten.

CEFIC zeigte sich zufrieden mit Verbesserungen, die in dem endgültigen Entwurf vorgesehen wurden, auch wenn nicht alle Forderungen erfüllt worden seien. Der Vorschlag nehme auch nicht auf, was die Regierungschefs Chirac, Schröder und Blair in ihrem Scheiben an Kommissionspräsident Prodi gefordert hätten. Ähnlich äußerten sich die Verbände in Großbritannien, Frankreich und den USA. Der US Verband stellte in Frage, ob der Entwurf mit den WTO Regeln konform sei.

Dagegen protestierten Umweltverbände gegen eine Verwässerung des ursprünglichen Entwurfs. Sie wurden unterstützt durch ein Gutachten der Royal Commission on Environmental Pollution in Großbritannien ( http://www.rcep.org.uk/chemicals/ch00-rep.pdf). Diese im Juni 2003 veröffentlichte Studie kam zu dem Ergebnis, dass es erhebliche Probleme durch die Freisetzung von persistenten und bioakkumulierenden Substanzen gäbe und das gegenwärtige System der Chemikalienkontrolle diese Folgen nicht adressieren würde. Auch REACH wäre unzureichend, weil aufgrund der umfangreichen Bewertungsverfahren die Beendigung der Produktion und der Verwendung dieser Chemikalien zu lange dauern würde.

Die Interventionen der Regierungschefs führten schließlich zu einer Verlagerung des Entscheidungsprozesses in den Wettbewerbsrat der Union. In der Folge der Verabschiedung der Lissabon-Strategie war durch den Europäischen Rat mit dem Wettbewerbsrat eine neue Ratsformation gebildet worden, die vor allem aus den Ministern für Industrie und Energie bestand. Ab dem Frühjahr 2003 wurden Forderungen laut, diese Ratsformation verstärkt neben dem Umweltrat an dem Prozess zu beteiligen. Der Europäische Rat äußerte sich im März 2003 entsprechend, die Forderung wurde von Bundeskanzler Schröder in seiner Rede vor der Hauptversammlung des CEFIC wiederholt und in dem gemeinsamen Brief von Schröder, Blair und Chirac an den Kommissionspräsidenten Prodi unterstrichen. Auf dem Europäischen Rat im Oktober 2003 wurde dann beschlossen, dass der Wettbewerbsrat die Federführung für den Entwurf der Richtlinie erhalten sollte. Auch im Europäischen Parlament wurde im Herbst 2003 versucht, die Verantwortung an den Wirtschaftsausschuss zu delegieren. Dies scheiterte jedoch an dem Widerstand des Umweltausschusses.

9     Ausblick

Der Europäische Rat hat die Kommission aufgefordert, ein weiteres Impact Assessment vorzulegen, in dem die Auswirkungen der Gesetzgebung auf KMU und auf die Beitrittsländer untersucht werden sollen. Dieses dritte Impact Assessment wird von der Industrie co-finanziert und von einem Beirat begleitet, in dem Kommission, Unternehmensverbände und Umweltverbände vertreten sind. Damit ergeben sich neue Zugangschancen zu dem Entscheidungsprozess, die von der Chemischen Industrie offensichtlich genutzt werden. Die Umweltverbände haben sich aus dem Beirat mittlerweile mit der Begründung zurückgezogen, dass die bisherigen Arbeiten einen Bias zugunsten der Industrieinteressen aufwiesen und die Wahl der Methoden nichts weiter als eine verzerrte Kostenschätzung ermögliche (ENDS Daily vom 15. Oktober 2004)

Trotz der strittigen politischen Auseinandersetzungen ist zu beobachten, dass sich die Diskussion immer stärker auf konkrete Fragen der Verbesserung der Umsetzung von REACH konzentriert. So haben die Regierungen Englands und Ungarns einen vielbeachteten Vorschlag zur Vereinfachung und Kostenreduzierung vorgelegt: Nach dem so genannten „One-Substance-One-Registration“-Modell (OSOR) brauchen Unternehmen, die dieselbe Chemikalie herstellen, nur ein einzelnes Registrierungsdossier anstelle von jeweils einer eigenen Anmeldung vorzulegen. Dadurch sollen die Registrierungskosten deutlich gesenkt werden und insbesondere die Zahl der Tierversuche gesenkt werden (DEFRA 2004).

Welche Richtung die weitere Entwicklung des Verordnungsentwurfs nehmen wird, ist gegenwärtig schwer abzuschätzen. Die Kommission unterstützt grundsätzlich den OSOR-Vorschlag. Von Seiten der Industrie- und Wirtschaftsverbände sind mehrere Vorschläge vorgelegt worden, die eine Prioritätensetzung mit Hilfe von einfachen Risikoabschätzungen zu Beginn des Verfahrens zum Ziel haben, aber auch die Reichweite von REACH auf genuine Chemikalien reduzieren wollen (UNICE 2005). Auch der VCI hat einen Vorschlag vorgelegt, der auf eine prioritätengestützte Inventarisierung und Bewertung abzielt (VCI 2004). Unklar ist bei diesen Vorschlägen allerdings wiederum die Frage, wer die Begründungslast dafür trägt, ob ein Stoff auf einer Prioritätenliste aufgenommen werden soll. Von maßgeblicher Bedeutung sind jetzt die Beratungen im Europäischen Parlament. Der Berichterstatter im Parlament, Sacconi hat trotz der intensiven Lobbytätigkeit angekündigt, nicht in größerem Maße von dem Vorschlag der Kommission abweichen zu wollen (Environment Daily 2004 vom 3.2.2005)

10     Der Entscheidungsprozess um REACH als Beispiel für venue shopping

Die politische Auseinandersetzung um die Reform des europäischen Chemikalienregimes kann als ein Beispiel für „venue shopping“ interpretiert werden: dieser Begriff ist von Baumgartner und Jones (1993) geprägt worden und bezeichnet das Bestreben politischer Akteure, die für sie vorteilhaften Austragungsorte für politische Entscheidungen zu finden. Die Austragungsorte politischer Auseinandersetzungen unterscheiden sich hinsichtlich der institutionellen Zugangschancen für Akteure und den jeweils dominierenden Akteurskoalitionen und ihren „policy beliefs“. Entsprechend suchen Akteure die Arenen, in denen sie Entscheidungen zu Gunsten ihrer Interessenlagen erwarten können.

Der Entscheidungsprozess um REACH demonstriert die Bedeutung solcher Strategien für die Entscheidungsprozesse in der Europäischen Union. In der Phase der Initiierung der Reform des Chemikalienregimes dominierte eine Koalition aus umweltorientierten Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission, in der zudem die DG Umwelt federführend zeichnete, dem Umweltausschuss des Europäischen Parlaments und der Umweltministerrat das Geschehen. Von diesen konnte mit dem Weißbuch eine Strategie entwickelt werden, die im Vergleich zum bisherigen Regime außerordentlich ambitioniert war.

Ein einzelner Mitgliedstaat wäre zu der Entwicklung einer solchen Strategie nicht in der Lage gewesen. Dies ist einerseits dem Problemfeld geschuldet. Chemikalien werden europaweit gehandelt, eine nationale Vorreiterrolle scheitert daher an den Imperativen des Binnenmarktes. Die Entwicklung der Strategie konnte im Vergleich zu der später folgenden Auseinandersetzung weitgehend ungestört erfolgen. So akzeptierte der Europäische Rat in mehreren Treffen die Vorschläge der Kommission und des Umweltrates und ermutigte die Weiterentwicklung. Auf nationaler Ebene hätte dagegen vermutlich bereits ein solches Agendasetting zu einer Einflussnahme von Industrieverbänden geführt. Beispielsweise ist der Schutz vor Gefahren aus Chemikalien in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie überhaupt nicht thematisiert. Nationale Akteure fanden mit der europäischen Ebene und der dortigen Koalition eine Formation für die Entwicklung einer anspruchsvollen Strategie.

Die Interventionen der betroffenen Interessenverbände zielten zunächst darauf, die zentralen Mitgliedstaaten mit einer jeweils bedeutenden Chemieindustrie auf die befürchteten wirtschaftlichen Auswirkungen hinzuweisen, um sie dann von Interventionen bei der Kommission und dem Europäischen Rat zu überzeugen. Das Mittel dafür waren Impact Assessment-Studien zu den erwarteten wirtschaftlichen Auswirkungen. Diese Studien bezogen sich regelmäßig auf die nationalen Auswirkungen, in Einzelfällen wurde sogar auf regionale Auswirkungen fokussiert. In Deutschland waren solche Studien insofern erfolgreich, als sie den Bundeskanzler davon überzeugt haben, gemeinsam mit dem französischen Präsidenten und dem britischen Premier zu Gunsten von Industrieinteressen zu intervenieren.

Die Industrie war zudem erfolgreich in der Verzögerung des Entscheidungsprozesses. Seit der Initiierung im Frühjahr 1998 sind immerhin 7 Jahre vergangen, ohne dass gegenwärtig absehbar wäre, wie die Reform der Chemikalienpolitik ausgestaltet wird. Mit der Neuwahl des Europäischen Parlaments, der neuen Zusammensetzung des Rates nach der EU-Erweiterung und der neuen Zusammensetzung der Kommission ist zu erwarten, dass die Verlagerung der Zuständigkeit zugunsten der Industrie- und Forschungsminister zu einer weiteren Abschwächung des Regulierungsentwurfs führt. Damit wird womöglich kurzfristigen Kostenerwägungen Rechnung getragen - mittel- und langfristig werden aber Chancen für die Industrie vergeben. Eine anspruchsvolle Umweltpolitik kann auch in dieser Branche dem Innovationsprozess neue Impulse und Richtung geben und zu Innovationen beitragen, die weltweit erfolgreich sind.

Literatur

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Kontakt

Klaus Jacob
Research Director
Forschungsstelle für Umweltpolitik
Freie Universität Berlin
Ihnestraße 22, 14195 Berlin
Tel.: +49 30 83854492
E-Mail: jacob∂zedat.fu-berlin.de