Pervasive Computing: Vorsicht ist geboten

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Pervasive Computing: Vorsicht ist geboten

[1]

von Danielle Bütschi, Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung TA-SWISS, Bern, und Andreas Köhler, Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA, St. Gallen

Ein Kugelschreiber, eine Brille, eine Jacke oder ein Staubsauger haben nichts mit einem Computer gemeinsam. Dies könnte sich dank Pervasive Computing bald ändern. Das äußerst ehrgeizige Ziel besteht darin, alle Alltagsgegenstände miteinander kommunizieren und auf ihre Umgebung und ihren Kontext reagieren zu lassen. Dieses Vorhaben mag viel versprechend klingen, doch wirft es unzählige Fragen auf. Die TA-SWISS Studie mit dem Titel „Das Vorsorgeprinzip in der Informationsgesellschaft“ befasst sich mit den Auswirkungen des Pervasive Computing auf Gesundheit und Umwelt, aber auch mit Aspekten des Datenschutzes oder der Haftpflicht, und ruft zu Vorsicht auf.

1     Ein Blick in der Zukunft

Die Informations- und Kommunikationstechnologien werden laufend weiterentwickelt. So spektakulär auch das Auftauchen und die Verbreitung des Internets war, es handelt sich dabei erst um den Anfang einer Entwicklung hin zur vernetzten Gesellschaft. Die Anzeichen dazu, dass es sich um eine weiterhin anhaltende Entwicklung handelt sind zahlreich: Prozessoren werden nach wie vor leistungsfähiger, der Gebrauch von Sensoren nimmt zu, die drahtlose Kommunikation setzt sich auf verschiedenen Ebenen durch, usw.

Das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung (TA-SWISS), dessen Auftrag es ist Entscheidungsträger/innen über die technischen Fortschritte und deren Konsequenzen zu informieren und zu beraten, will diese Entwicklungen besser verstehen. Aus diesem Grund hat TA-SWISS eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Prof. Lorenz Hilty von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA in St. Gallen (Schweiz) mit der Durchführung einer Studie beauftragt [2] . Darin sollten die Entwicklungsperspektiven der Informations- und Kommunikationstechnologien, mit speziellem Akzent auf das so genannte Pervasive Computing näher untersucht werden. Die TA-SWISS Studie sollte auch die Vorteile und Risiken solcher Entwicklungen für Gesundheit und Umwelt abschätzen und vor dem Hintergrund des Vorsorgeprinzips behandeln. Die Studie wurde Ende 2003 publiziert und ist Ausgangspunkt dieses Artikels [3] .

2     Immer kleinere, leistungsfähigere und zahlreichere Computer

Das Pervasive Computing wird unser Leben einschneidend verändern. Verschiedene mit Mikrochips ausgerüstete Gebrauchsgegenstände werden nämlich in der Lage sein, ihre Umgebung wahrzunehmen, sich daran anzupassen und miteinander zu kommunizieren. Dadurch werden sie uns bei gewissen Aufgaben unterstützen, wenn nicht sogar ersetzen. Die Ära der „intelligenten“ Gegenstände wird eingeläutet.

Das Auto sollte in dieser Entwicklung eine Vorreiterrolle spielen, denn es stellt ein geschlossenes System mit stabiler Energieversorgung dar. Schon heute werden immer mehr Fahrzeuge mit Navigationssystemen ausgerüstet. Doch die „intelligenten“ Fahrzeuge werden noch mehr können. So werden z. B. Systeme entwickelt, die den Lenkern helfen sollen, Hindernisse zu erkennen und ihre Geschwindigkeit an die Straßenverhältnisse anzupassen.

Die „intelligenten Etiketten“ kündigen ebenfalls den Siegeszug der Informatik an. Papierdünne Transponder werden wie Selbstklebeetiketten auf verschiedenen Waren befestigt werden und die Kassen in den Supermärkten völlig überflüssig machen. Stattdessen wird ein elektronisches Portal die getätigten Käufe ohne Hilfe des Personals addieren. Und das System wird den geschuldeten Betrag sogar direkt der Kundin oder dem Kunden über die Bankkarte belasten können.

Das Pervasive Computing könnte zudem den Traum des „intelligenten Hauses“ wahr werden lassen: Grosse Hoffnungen werden besonders auf Systeme zur Heizungsregulierung gesetzt, welche die Anwesenheitszeiten der Bewohnerinnen und Bewohner sowie den Kontext berücksichtigen. Außerdem werden vielfältige Gadgets entwickelt, vom automatischen Rasenmäher bis hin zu den Fenstern, die sich bei Regen selbst schließen, oder dem Kühlschrank, der in direktem Kontakt mit dem Supermarkt steht. Wer über diese Gadgets schmunzelt, sollte sich daran erinnern, wie man sich vor zehn Jahren über die Handys lustig machte…

Am offensichtlichsten sind die Vorteile des Pervasive Computing im Gesundheitsbereich. Elektronische Notizblöcke erlauben zum Beispiel, klinische Beobachtungen, die von Rettungsteams vor Ort gemacht werden, zu erfassen und via Funk den Notfalldiensten der Krankenhäuser übermitteln. Man hört auch von Systemen, die eine konstante medizinische Betreuung von Chronischkranken ermöglichen, dank Sensoren, die auf der Haut angebracht oder die implantiert sind und ständig bestimmte lebenswichtige Parameter messen. Solche individuellen Überwachungssysteme haben das Potenzial, die Daten zu verbessern, auf denen die Diagnose basiert, und das medizinische Personal über jede Verschlechterung des Gesundheitszustands des Patienten oder der Patientin zu informieren.

3     Auf dem besten Weg zum Informatiksmog?

Die Aussicht auf eine Vielzahl von „intelligenten“ Gegenständen, die in Kontakt mit ihrer Umgebung stehen und miteinander kommunizieren, wirft die Frage nach der Verbreitung der Funkwellen auf. Zwar werden die künftigen Mikrocomputer viel schwächere Wellen aussenden als die Mobilfunktelefone, aber sie werden viel zahlreicher, oft sehr nahe am Körper (oder sogar im menschlichen Körper) angebracht und dauernd in Betrieb sein.

Deshalb sollte man sich über die möglichen Auswirkungen nichtionisierender Strahlung (NIS), die von Pervasive Computing verursacht wird, Sorgen machen. Es besteht sogar die Gefahr, dass Konflikte zwischen Benutzern und Nicht-Benutzern entstehen, denn Letztere könnten der Meinung sein, wegen Dritten Nachteilen ausgesetzt zu sein, obwohl Kenntnisse über die wirklichen Gesundheitsrisiken durch nichtionisierende Strahlung fehlen. Eine solche Situation macht es erforderlich, Lösungen auszuhandeln (z. B. die Einrichtung von „nichtelektronischen“ Zonen) und genauer zu erforschen, wie die Ausstrahlungen zahlreicher intelligenter Anwendungen menschliches Gewebe beeinflussen können.

4     Neue Herausforderungen für den Umweltschutz

Die Vernetzung von intelligenten Gegenständen birgt das Potenzial, Prozesse zu beschleunigen und zu rationalisieren. Doch indem uns das Pervasive Computing erlaubt, bei Routineaufgaben Zeit zu sparen, gibt es uns mehr Zeit, um uns mit anderen (oder sogar mit den gleichen) Aktivitäten zu beschäftigen, wodurch unser Rohstoffverbrauch zunimmt. Dies bezeichnet man als „Bumerangeffekt“.

So ist zu befürchten, dass das Pervasive Computing einen großen Einfluss auf den Materialverbrauch und letztlich auf das Recycling haben wird. Das Problem besteht natürlich darin, dass es immer mehr elektronische Komponenten in Miniaturform geben wird, aber auch darin, dass die Technologie sich ständig entwickelt und die banalsten Gegenstände rasch technisch überholt sein werden. So wird ein Kühlschrank nicht mehr ersetzt werden, weil er seine Grundfunktion (die Kühlung der Lebensmittel) nicht mehr erfüllt, sondern ganz einfach, weil der integrierte Computer nicht mehr mit der neuesten Version des Informatiksystems kompatibel ist.

Das Pervasive Computing ist auch in Bezug auf den Energieverbrauch zweischneidig. Es ist natürlich voraussehbar, dass elektronische Geräte, die ihren Stromkonsum den Umständen entsprechend optimieren, Energie sparen können, aber die nötigen Netzinfrastrukturen für die Datenübertragung über lange Distanzen (wie Server und Netz-Peripheriegeräte) werden einen großen Energiebedarf generieren.

5     Privacy, Sicherheit und Haftung: Rechtliche Grauzonen

Smart Labels und andere Identifikationssysteme vermögen Gegenstände vor Diebstahl zu schützen und die Sicherheit zu erhöhen. Die gleiche Technologie kann allerdings in den Dienst eines Überwachungsstaates gestellt werden. Bewegungsprofile können mühelos erstellt werden, und es lässt sich auch verfolgen, wer mit wem welche Daten austauscht. Sollte sich Pervasive Computing mit seiner ganzen Stosskraft durchsetzen, würde ein weitgehender Verlust der Privatsphäre in Kauf genommen, wenn nicht geeignete rechtliche und technische Vorkehrungen getroffen werden.

Im Weiteren führte die Allgegenwart von Computern auch dazu, dass es immer schwieriger - ja vielleicht sogar unmöglich - würde bei immer komplexeren Systemen im Schadensfall die Ursachen zu klären. Was geschieht beispielsweise wenn ein Chirurge aufgrund eines Fehlers bei der Informationsübermittlung durch den Operationsroboter falsch angeleitet wird. Wer ist im Fehler? Das Informatikprogramm, die Maschine oder der Benutzer, der den Fehler nicht erkannt hat?

Auch sind in einer vollständig vernetzten Welt neue Formen der Computerkriminalität denkbar: Überhaupt wird eine Gesellschaft, die mehr und mehr auf drahtlose Kommunikation und digitale Datenverarbeitung setzt, um Routineabläufe im Alltag zu bewältigen, für alle Formen von Cyberkriminalität wie Computerviren oder unbefugtes Umprogrammieren anfällig.

6     Heute handeln, um morgen von den Vorteilen zu profitieren

Das Pervasive Computing ist noch im Entstehen begriffen. Um den Problemen vorzugreifen, die auf jeden Fall auftreten werden (wobei hier nur einige Beispiele genannt wurden), können bereits heute verschiedene Maßnahmen umgesetzt werden. Dadurch wird vermieden, erst dann auf die Probleme zu reagieren, wenn sie bereits da sind: Das Vorsorgeprinzip wird auf die Informationsgesellschaft angewandt.

Um eine Zunahme des Energiebedarfs zu verhindern, ist zum Beispiel die Einführung von Etiketten denkbar, auf denen der Verbrauch der elektronischen Geräte angegeben ist, die dauernd an das Stromnetz angeschlossen sein müssen. Solche Etiketten könnten auch Auskunft über die Strahlungsleistung des Produkts und die Auswirkungen der Strahlung unter normalen Verwendungsbedingungen geben, und dadurch auf die Verunsicherung in diesem Bereich reagieren. Weitere Maßnahmen sind denkbar: von der Unterstützung der Forschung über die Sensibilisierung der Öffentlichkeit oder die Schaffung von ökologischen Steueranreizen bis hin zur Entwicklung von ausgeklügelten Recycling-Systemen. Alle Akteure aus Politik und Wirtschaft sind dazu aufgerufen, heute schon zu handeln, damit die Informationsgesellschaft den Weg der nachhaltigen Entwicklung einschlägt.

Anmerkungen

[1] Dieser Artikel ist eine erweiterte Version eines Textes, der im Newsletter Infosociety, November 2003, erschien. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Infosociety Redaktion. Herausgeber: Bundesamt für Kommunikation, Biel. Internet http://www.infosociety.ch.

[2] Neben Forscher/innen der EMPA St. Gallen wirkten Fachleute aus folgenden weiteren Institutionen mit: Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Berlin, Fachhochschule Solothurn Nordwestschweiz, Olten, Communication in Science, Genf, IT'IS, ETH Zürich, Institut für Wirtschaftsethik IWE-HSG, St. Gallen.

[3] Hilty, L. et al., 2003: Das Vorsorgeprinzip in der Informationsgesellschaft: Auswirkungen des Pervasive Computing auf Gesundheit und Umwelt. Bern: TA-SWISS, TA 46/2003; 345 S. (Die Studie kann bei ta∂swtr.admin.ch oder Fax + 41 31 323 36 59 bestellt oder unter http://www.ta-swiss.ch heruntergeladen werden. Eine englischsprachige Version erscheint im Laufe des Jahres 2005).

Kontakt

Dr. Danielle Bütschi
Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung, TA-SWISS
Birkenweg 61, CH-3003 Bern
Tel.: +41 22 3480577
E-Mail: Danielle.Buetschi∂swtr.admin.ch
Internet: http://www.ta-swiss.ch