Rezensionen und Kurzvorstellungen von Büchern
A. Grunwald (Hrsg.): Technikgestaltung für eine nachhaltige Entwicklung. Von der Konzeption zur Umsetzung
ARMIN GRUNWALD (Hrsg.): Technikgestaltung für eine nachhaltige Entwicklung. Von der Konzeption zur Umsetzung. Berlin: edition sigma, 2002 (Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland, Band 4). 420 S., 22,90 Euro, ISBN 3-89404-574-4
Rezension von Achim Daschkeit, Geographisches Institut der Universität Kiel
Mit dem hier anzuzeigenden Sammelband liegt bereits die vierte Buchpublikation aus dem Projekt "Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland" der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren (HGF) vor. Zu den ersten beiden Bänden habe ich bereits ein paar Worte geschrieben (Technikfolgenabschätzung - Theorie und Praxis Nr. 1, 11. Jg., März 2002, S. 111-115). Der dritte Band ("Politik der Nachhaltigkeit", herausgegeben von Karl-Werner Brand, 2002) wird ebenfalls in dieser Ausgabe besprochen. Dieser vierte Band dokumentiert, dass das Projekt top down orientiert ist: Der erste Band behandelte das integrative Konzept, der zweite Band zeigte den Weg vom integrativen Konzept zur konkreten Defizitanalyse und Vorschläge zu deren Abbau - der vierte Band nun stellt die Umsetzung in den Mittelpunkt. Es ist dabei nicht nur das HGF-Nachhaltigkeitsprojekt, aus dem hier Ergebnisse präsentiert werden, sondern es sind ebenfalls anderweitige Beiträge enthalten, die u. a. das HGF-Programm "Nachhaltigkeit und Technik" vorbereiten. Entsprechend ist das geballte Know-how der beteiligten HGF-Zentren am Start und führt eindrucksvoll die Bandbreite der Betätigungsfelder vor. Auf gut 400 Seiten wird in 17 Beiträgen (plus Einleitung- und Überblicksbeitrag) von 36 AutorInnen, deren disziplinäre Herkunft sehr breit gestreut ist, dokumentiert, wie technische Entwicklungen (technischer Fortschritt) unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit aussehen kann. Das Buch gliedert sich in 5 Abschnitte: In den Teilen I und II ("Die Rolle des technischen Fortschritts im Wirtschaftsprozess - Positionen und Herausforderungen", "Nachhaltigkeitsbewertung von Technik - konzeptionelle und methodische Herausforderungen") geht es noch um allgemeine Fragen (als Stichworte: Perspektive der neoklassischen Ökonomie; Perspektive der ökologischen Ökonomik; Perspektive der Ingenieurwissenschaften; Innovation). In den nächsten beiden Abschnitten geht es erstens um "Wege zur Nachhaltigkeit in gesellschaftlichen Schlüsselbereichen" (Teil III), wobei zu diesen Schlüsselbereichen zu zählen sind: Energiesektor, Verkehr, Landwirtschaft sowie der Bereich elektronischer Handel. Zweitens werden in Abschnitt IV ("Technik für nachhaltige Entwicklung - Beispiele aus der Technikentwicklung") konkrete Beispiele u. a. aus den Bereichen alternative Energiegewinnung, Grundwasserreinigung, alternative Kraftstoffe, Einsatz von Biotechnologie in der Landwirtschaft gegeben. Gerade die Abschnitte III und IV erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern spiegeln das Repertoire der HGF-Zentren wider. Im letzten Abschnitt V geht es um "Perspektiven" der Technikentwicklung bzw. der Nachhaltigkeitsforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft.
Nun will ich nicht den falschen Eindruck entstehen lassen, als wenn ich der geeignete Ansprechpartner zur Beurteilung technikorientierter Ansätze sei (obwohl ja GeographInnen nachgesagt wird, die würden ja alles machen - nur nicht richtig; ich will auf diese Diskussion hier lieber nicht weiter eingehen). Die Zunft der TechniksoziologInnen oder der-/diejenigen, die im Bereich Technikfolgenforschung bzw. -beurteilung zu Hause sind, könnten hier sicherlich kompetent weiterhelfen. Dennoch kann es ja mitunter hilfreich sein, wenn "der Dritte Mann" aus externer Perspektive eine Einschätzung abgibt. Mein Fokus ist zum einen durch die geographische Brille bestimmt - einige der hier bearbeiteten Themen spielen bspw. in der ökologischen Geographie/Landschaftsökologie eine sehr prominente Rolle (siehe z. B. Schneider-Sliwa et al. 1999); zum anderen stellt sich die Frage, ob Aspekte der Integration aufscheinen, m. a. W.: Wird Technikgestaltung als direkte und konkrete Antwort auf das integrative Konzept (siehe Band 1 der Reihe) angesehen oder gibt es einen "Bruch"?
Der Herausgeber Armin Grunwald weist in seinem Einleitungs-Beitrag auf die ambivalente Position von Technik im Kontext der Nachhaltigkeitsdiskussion hin: Einerseits gilt Technik als Verursacher nicht-nachhaltiger Entwicklungen und kommt von daher für eine Umsetzung einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise wohl kaum in Betracht. Andererseits wird - gewissermaßen komplementär dazu - gerade in technischen Innovationen eine Chance zur Realisierung von Nachhaltigkeit gesehen. Daraus werden drei Ausgangshypothesen des Buches abgeleitet: (1) Im Sinne einer Chance durch Technikentwicklung müssen die Möglichkeiten technischer Innovationen intensiv ausgelotet werden; (2) um die Chancen, die ggf. in innovativer Technik liegen können, auch adäquat nutzen zu können, müssen die Rahmenbedingungen für Technikentwicklung optimiert werden; (3) es geht bei der Technikentwicklung nie nur um Technik "an sich", sondern gleichzeitig um den Kontext der Technikentwicklung, deren sozioökonomischer und -kultureller Bewertung etc. Vor diesem Hintergrund ist das Fazit des ersten Abschnittes (Teil I) interessant, denn es zeigen sich "zwei konvergente Argumentationslinien: (1) Die Rolle innovativer Technik als Mittel, zu mehr Nachhaltigkeit zu gelangen, wird einvernehmlich betont, und (2), darüber, ob Technik zur Nachhaltigkeit beiträgt, entscheidet ihre gesellschaftliche Einbettung: Technik ist nicht per se nachhaltig oder nicht nachhaltig" (S. 16 [1] ).
Was bieten die vier Beiträge des erstens Teils, in dem es generell um den technischen Fortschritt und seine Antriebsfaktoren im Wirtschaftssystem geht: Die beiden ersten Beiträge stehen ohne gegenseitigen Bezug zueinander dar - obwohl sie doch eine ähnliche Thematik aus (lediglich) zwei verschiedenen ökonomischen Perspektiven heraus behandeln. Während die Darstellung von Gernot Klepper sehr instruktiv - insbesondere für Nicht-Ökonomen - ist und auf Stärken und Schwächen der neoklassischen Ökonomie im Nachhaltigkeitskontext hinweist, ist der Ansatz der "eingebetteten Technik" von Helge Majer aus der Perspektive der ökologischen Ökonomik nicht weiterführend. In meinen Augen landet Majer am Ende seiner Ausführungen bei Lehrsätzen, die zum einen durch den "normalen Menschenverstand" nahe liegend sind, zum anderen finden sie sich mit etwas anderer Gewichtung in soziologischen Lehrbüchern - für Studenten im Grundstudium. Instruktiv sind ebenfalls die Ausführungen von Frieder Meyer-Krahmer, die sich um verschiedene Leitbilder im Kontext Nachhaltigkeit und Innovation drehen. Es werden die drei Leitbilder "Ressourcenschonung durch mehr Effizienz", "Wirtschaften in Stoffkreisläufen" und "ganzheitliche Produktpolitik und -nutzung" kurz vorgestellt und diskutiert, wobei dem Einsatz von Technik der größte Effekt in Hinblick auf Ressourcenschonung zugestanden wird (S. 83). Das an dritter Stelle genannte Leitbild ist mit den stärksten und grundsätzlichen Änderungen im Wirtschaftssystem und von daher auch mit den höchsten Risiken (aber auch Chancen) verbunden. Meyer-Krahmer unterscheidet aber hierbei zwischen revolutionären und evolutionären Strategien der Technikentwicklung und -einführung. Letztlich landet der Autor aber bei einer These, die augenscheinlich etwas wegführt von der Betrachtung von Technik im engeren Sinne: "Meine These ist also, dass der Lösungsbeitrag der Technik allein begrenzt ist und erst voll zur Wirkung kommen kann, wenn eine entsprechende Verhaltensänderung hinzukommt" (S. 91).
Im Teil II, der einzig aus dem etwas längeren Beitrag von Torsten Fleischer und Armin Grunwald besteht, geht es grundsätzlich um das Verhältnis von Nachhaltigkeitsbewertung und Technik/Technikfolgenabschätzung. In konzeptioneller Absicht werden hier eine Reihe methodischer Aspekte diskutiert. Dabei geht es nicht nur um die Frage der Ambivalenz von Technik, sondern ziemlich schnell werden Bewertungs- und prozedurale Fragen aufgeworfen, die m. E. in zentraler Weise behandelt werden müssen, z. B.: "Welches sind die Vergleichsmaßstäbe, Gewichtungsregeln und Abwägungskriterien in Situationen, in denen konkurrierende Effekte in Bezug auf Nachhaltigkeit auftreten" (S. 97). Deswegen muss der Prozess der Technikgestaltung selbst in reflexiver Form betrachtet werden (S. 98). Sodann werden einige techniksoziologische Zusammenhänge und Positionen dargelegt (S. 98-107), z. B. dass Technik und Soziales untrennbar verknüpft sind, dass die mit bestimmten Techniken verfolgten Ziele beileibe nicht immer eintreten und dass für eine umfassende Betrachtung von Technik jeweils der gesamte Lebenszyklus analysiert und bewertet werden muss. Einen relativ breiten Raum nimmt die Diskussion um verschiedene Strategieansätze in der Nachhaltigkeitsdiskussion ein: Effizienz-, Suffizienz- und Konsistenzstrategie (S. 111-118). Diese Diskussion soll hier nur insofern wiedergegeben werden, als dass im Mittelpunkt die Konsistenzstrategie steht, der trotz kritischer Diskussion ein gewisses Potenzial für weitere Aktivitäten unterstellt wird. Was aber an dieser Stelle (aber nicht nur hier, sondern im Beitrag insgesamt sowie auch teilweise in anderen Beiträgen) verwundert, ist der Rekurs auf die drei "klassischen" Nachhaltigkeitsdimensionen Ökologie, Ökonomie, Soziales. Wenn ich das integrative Konzept des HGF-Projektes (siehe hierzu die Seiten 124-132 des Beitrags) richtig verstanden habe, sollte eigentlich dieser Bezug auf die drei Nachhaltigkeitsdimensionen - mitunter kommt als vierte Dimension noch die institutionelle Dimension hinzu - nur schwerlich zu konstruieren sein. Hier bräuchte ich ein wenig Nachhilfe, um das Integrative am integrativen Konzept zu verstehen. Im Mittelpunkt des Beitrages steht die Aussage bzw. These, dass "Nachhaltigkeit (...) ein Rahmenkonzept für die Bewertung von Technik" darstellt (S. 121, Hervorheb. i. O.) sowie die daraus resultierenden methodischen Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten werden dann entlang der Erfahrungen aus der allgemeinen Technikfolgenabschätzung erläutert - Grundtenor ist: Viele in der Nachhaltigkeitsforschung bzw. der allgemein gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsdiskussion problematisierten Aspekte und Schwierigkeiten sind in den letzten 20 Jahren der Technikfolgenabschätzung schon behandelt worden, sodass ein reichhaltiger Erfahrungsschatz und Instrumentenkasten zur Verfügung steht. Trotz allem ist - und das mag verwundern - die multikriterielle Bewertung angesichts der Nachhaltigkeitsproblematik keineswegs zufrieden stellend gelöst (S. 133, 136).
Der dritte Teil des Bandes widmet sich gesellschaftlichen Schlüsselbereichen - wobei sich natürlich trefflich darüber streiten lässt, welches denn relevante gesellschaftliche Schlüsselbereiche sind. Die hier getroffene Auswahl ist "angebotsorientiert" - Arbeitsbereiche und Arbeitsschwerpunkte der HGF-Zentren. Von Jürgen-Friedrich Hake und Regina Eich wird beispielsweise der Energiesektor untersucht. Dabei stellt sich allerdings die Frage, warum die Autoren sich am Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit orientieren, wo doch "hausintern" ein integratives Konzept eigens erarbeitet wurde (siehe zum Beispiel S. 152, 154 mit entsprechenden Abbildungen). Das Drei-Säulen-Modell wird in einem weiteren Schritt auf ein Drei-Säulen-Modell der Energieversorgung übertragen.
Ein weiterer Schlüsselbereich ist die Landwirtschaft, die von Christine Rösch et al. dargestellt wird. Zunächst werden einige allgemeine Tendenzen der Landwirtschaft ausgeführt und danach in den Nachhaltigkeitskontext gestellt. Dabei fällt auf, dass sich dieser Beitrag nun am integrativen Konzept des HGF-Ansatzes orientiert (siehe Tabelle S. 211). Entsprechend geht es keineswegs nur um Umweltaspekte der Landwirtschaft, sondern entlang der verschiedenen Nachhaltigkeitsdimensionen auch um Aspekte wie "Chancengleichheit" oder "Erhalt der kulturellen Funktion der Natur". Zu den einzelnen Dimensionen werden in der tabellarischen Darstellung entsprechende Nachhaltigkeitsindikatoren angeführt und teilweise textlich erörtert. Dieser sehr klar und kompakt geschriebene Abschnitt endet mit einem Hinweis auf nationale Nachhaltigkeitsziele im Bereich Landwirtschaft (S. 216) - incl. des Hinweises auf die Schlüsselindikatoren der derzeitigen Bundesregierung bzgl. Landwirtschaft: Erhöhung des Anteils des ökologischen Landbaus auf 20 % bis zum Jahr 2010 und die Verringerung des Stickstoffüberschusses in der Gesamtbilanz von derzeit rund 117 auf 80 kg/ha in 2010. Vor diesem Hintergrund werden aktuelle bzw. künftig mögliche technische Verfahren als Beitrag für eine nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung beschrieben und bewertet. So geht es um Automatische Melksysteme (Funktionsweise, Voraussetzungen, wirtschaftliche Aspekte, gesundheitliche/soziale Aspekte, ökologische Aspekte/Tierartgerechtigkeit), deren Vor- und Nachteile beschrieben und resümierend abgewogen werden: Ein Einsatz dieser Technik sei durchaus im Sinne einer Nachhaltigen Entwicklung, würde aber in Ökobetrieben aufgrund der Ausrichtung und der Größe der Betriebe kaum eingesetzt werden, zumal Konzentrationsprozesse in der Landwirtschaft vermutlich gestärkt würden, da sich die Systeme erst bei einer bestimmten Betriebsgröße lohnen würden. Man fragt sich in der Tat, ob es der richtige Weg sei, wenn "durch den Einsatz von AMS (Automatischen Melksystemen; A.D.) besonders hohe Anforderungen an die Techniktauglichkeit und Leistungsbereitschaft der Tiere gestellt" würden (S. 223). Eine weitere Technik ist das so genannte "Precision Farming" (auch: Precision Agriculture): Grundlage hierfür sind hochauflösende Daten, die eine Berücksichtigung von Standortfaktoren auf der Ebene von Ackerflächen ("Schlägen") bzw. sogar Teilen von Ackerflächen gestatten; es werden somit Standortfaktoren in größtmöglicher Differenzierung ermittelt. Auf dieser Basis kann dann entsprechend differenziert auch der Einsatz von Betriebsmitteln erfolgen. Die Autoren selber bezeichnen diese Technik als grundlegenden Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft, bei der ökonomische und ökologische Vorteile vermutet bzw. erwartet werden. Dieser Paradigmenwechsel wird derzeit aber erst in einigen lokalen Projekten geprobt. Die Autoren schildern in angenehm nüchterner Weise Methoden und Techniken von Precision Agriculture incl. nötiger GIS-(Geografische Informationssysteme) Anwendungen (S. 227) und machen einige Angaben zur Wirtschaftlichkeit/Akzeptanz und den ökologischen Aspekten - angenommen wird ein "signifikantes ökologisches Potenzial" von Precision Agriculture (S. 230). Direkt im Anschluss erfolgt der Hinweis auf mögliche Zielkonflikte bspw. zwischen Landwirtschaft und Naturschutz. Man ist dankbar für diesen Hinweis auf die mögliche Konfliktstruktur, der bei aller Technikbegeisterung gerne "vergessen" wird (siehe dazu auch Brand 2002) und man ist wieder daran erinnert, dass sich trotz modernster Technik Konflikte nicht unbedingt ausräumen lassen. Im dritten technischen Beispiel geht es um Anwendungen überbetrieblicher Informationstechnologien in der Agrarlandschaft. Dahinter verbergen sich im Wesentlichen Vor- und Nachteile bzw. Schwierigkeiten bei der Nutzung von Geodaten wie etwa Zugänglichkeit zu Daten oder Kompatibilität von Daten - all das seit langem bekannte Hemmnisse in der Nutzung, die nach wie vor nicht ausgeräumt sind und wissenschaftliche Analysen und deren Anwendung behindern, aber: man sollte auch hier nicht der trügerischen Hoffnung erliegen, dass sich alle Probleme "wie von selbst" erledigen, sobald nur genügend Daten vorhanden sind. Die Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen in der Landwirtschaft dürfte sich kaum auf Daten- und technische Fragen reduzieren lassen. In meinen Augen ein wenig zusammenhangslos erörtern Rösch et al. dann auf den Seiten 234/235 einige Indikatoren-Modelle zur Ermittlung und Bewertung ökologischer Leistungen in der Landwirtschaft - es wird (mir) aber nicht klar, in welcher Verbindung die hier beschriebenen Indikatoren-Modelle in Verbindung mit dem HGF-Nachhaltigkeitsansatz stehen. Diese Teilthematik setzt sich fort in der Erörterung landschaftsökologischer Systemansätze zur Funktionsbewertung und Monitoring (S. 236/237): Hier können wir nun sehen, dass es sich um zumeist naturwissenschaftlich orientierte Modelle handelt und entsprechend komplexe Bewertungsmodelle nicht verfügbar sind. Die auch in diesem Kontext angeführte unzureichende Datenlage ist sicherlich nur ein Teilfaktor, wenn es um ungenügende Bewertungsverfahren für eine nachhaltige landwirtschaftliche Entwicklung geht. So schließen die Autoren gemäß ihrer Argumentation: "Die räumliche Analyse aller für die Nachhaltigkeit relevanten Funktionen (d. h. ökologische, ökonomische und soziale Funktionen) sollte die Grundlage sowohl für landschaftliche als auch landwirtschaftliche Bewertungen sein (...)" (S. 237). Diese Schlussfolgerung irritiert ein wenig: Warum landen wir jetzt wieder bei den 3 Säulen im Klammerzusatz? Was ist mit "räumlicher Analyse" gemeint? Eine räumlich differenzierte Analyse im Mikrobereich? Insgesamt legt dies eine Argumentation nach dem Motto - ich überspitze ein wenig - nahe: Gute Daten + gute Technik werden die Probleme schon richten! Das verwundert umso mehr, als die Autoren im abschließenden Kapitel eindeutig darauf hinweisen, dass die EU-Agrarpolitik doch der alles dominierende Einflussfaktor der landwirtschaftlichen Entwicklung ist.
Zwei weitere Artikel widmen sich den Schlüsselbereichen Verkehr und E-Commerce, werden hier aber nicht weiter dargestellt.
Im vierten Teil geht es um Beispiele aus der Technikentwicklung (ich hatte weiter oben schon einige Stichworte genannt). Aufschlussreich sind beispielsweise die Ausführungen zu Konzepten der Grundwasserreinigung (Kopinke et al.). Es werden keineswegs nur technische und geohydrologische Sachverhalte erörtert, die die Grundwasserreinigung im engeren Sinne betreffen, sondern immer wieder wird auch der Schlenker zu ökologischen wie ökonomischen Aspekten gemacht. Ausführlich wird auf den Ansatz des "Natürlichen Rückhalts" und des "Natürlichen Abbaus" eingegangen und dabei die Selbstreinigungskapazität von Böden und Grundwasser kritisch diskutiert (insb. S. 324-327). Demgemäß ist es erfreulich, wenn zum Ende des Beitrages hin der Forschungsbedarf nicht allein in technischer Hinsicht definiert wird, sondern gar auf die Grenzen technischer Ansätze verwiesen wird ebenso wie auf die Schwierigkeit, Erkenntnisse von Labor- auf Freilandbedingungen zu übertragen.
Ein weiter Beitrag in diesem vierten Teil knüpft in gewisser Weise an den Beitrag von Rösch et al. über Landwirtschaft an, wenn es um "Biotechnologie in der Landwirtschaft" geht (Karger et al.). Deutlich wird noch einmal, dass sich hinter jeder technischen Innovation gesellschaftliche Wertentscheidungen verbergen, die zu klären vermutlich dringender ist als technische Details zu entwickeln. "Denn die Frage, wie sicher sicher genug ist, welche Risiken eine Gesellschaft in Kauf zu nehmen bereit ist, auf welche Chancen sie setzen will, kann ebenso wie die Frage nach geeigneten Maßnahmen nur durch eine gesellschaftliche Debatte beantwortet werden" (S. 371). Ebenso wie beim zweiten Teil des Buches soll an dieser Stelle nicht weiter auf die übrigen technischen Beispiele eingegangen werden, obwohl sie alle interessanten technischen Optionen beschreiben und Stoff für lange Diskussionen bieten. Stattdessen soll noch ein Blick auf die Perspektiven des HGF-Programms geworfen werden.
Im letzten Teil V des Bandes werden Perspektiven erörtert: In allgemeiner Form von Reinhard Coenen - es geht um das "Umlenken auf nachhaltige Technologiepfade", wobei ein wenig verwirrt, dass Coenen sofort und dann konsequent von "ökologisch" nachhaltigen technologischen Entwicklungspfaden spricht. Es ist mir - ehrlich gesagt - nicht ganz klar geworden, warum auf ökologisch nachhaltige Pfade fokussiert wird. Ansonsten aber wird hier nach der Fülle von Detailbeiträgen in den Abschnitten III und IV der Bogen zu allgemeinen Bedingungen geschlagen, u. a.:
- so genannte technologische Regime versperren oft den Blick für grundsätzliche Alternativen,
- auch das - mitunter träge - unternehmerische Innovationsverhalten übt einen erheblichen Einfluss auf die Technikentwicklung aus,
- die technische Entwicklung bzw. der technische Fortschritt lässt sich anhand bestimmter Pfade beschreiben,
- technologische Regime weisen ein starkes Beharrungsvermögen auf, wenn sie stark in gesellschaftlichen Institutionen verankert sind.
Aus diesen und anderen Gründen sollte die Politik nach Auffassung von Coenen zweigleisig fahren: Zum einen das "greening" von Technologien unterstützen, zum anderen Voraussetzungen für technische Regimewechsel durch Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik schaffen. Diese beiden grundsätzlichen Alternativen werden dann in instrumenteller Hinsicht diskutiert.
Der zweite Beitrag (A. Grunwald) dieses fünften Teils beschreibt dann im Grunde, wie es im Kontext der HGF-Zentren weitergehen wird. Zwei der drei künftig bearbeiteten (bzw. schon in Bearbeitung befindlichen) Ebenen haben wir in diesem Buch bereits kennen gelernt: Erstens die Ebene der Aktivitätsfelder bzw. gesellschaftlicher Schlüsselbereiche, zweitens die Ebene der Schlüsseltechnologien (Bio- und Gentechnologie usw.); die dritte Ebene - die regionale Ebene - ist in diesem Band nicht dargestellt, dürfte aber mindestens genau so spannend werden wie die ersten beiden Ebenen (im HGF-Projekt bzw. -Programm geht es um den Ballungsraum Berlin sowie den ländlichen Raum), weil dort ggf. verschiedene Aktivitätsfelder und Schlüsseltechnologien zusammenlaufen. Gleichzeitig ist diese regionale Ebene konzeptionell wie auch empirisch nur auf den ersten Blick leicht zu erschließen: Konzeptionell, weil es nach wie vor eine nicht abgeschlossene Diskussion um "den Raum an sich" gibt (siehe z. B. Löw 2001). Auch aus jahrzehntelangen Diskussionen innerhalb der Geographie bzw. der landschaftsbezogenen Forschung ist man nicht unbedingt klüger geworden, was "den Raum" als Erklärungsfaktor für gesellschaftliche und naturräumliche Entwicklungen angeht. Die Extrempositionen Konstruktivismus ("Raum als subjektives Konstrukt - und sonst nichts") und Naturalismus ("Raum als ökosystemar begriffene Lebensgrundlage für Pflanzen, Tiere, Menschen") beschreiben nur einen extrem breiten Diskussionsraum. Ob und inwieweit raumbezogene Analysen über die Behälterfunktion von Raum (z. B.: Prozess x findet am Ort y statt) hinauskommen, bleibt oft nicht klar. Empirisch sind die Zugänge oft ebenfalls nicht einfach, weil man - so jedenfalls meine Erfahrung - auch bei der Untersuchung kleiner Raumeinheiten schnell von der Fülle von Daten "erschlagen" wird. Es bleibt abzuwarten, was die so genannten "Real World"-Modellierungen bewältigen können (S. 408).
Zugleich wird angesprochen, dass künftige Handlungsstrategien a) durch "integrierte Flexibilität" und b) durch "Robustheit" gekennzeichnet sein sollten (S. 408). Das ist sicherlich richtig - nur verbirgt sich hinter jedem dieser Begriffe wiederum eine eigene Diskussion, die eigentlich hätte dargestellt werden müssen, damit man mit diesen Schlagworten etwas anfangen kann. Am Schluss des Beitrages kommt der Herausgeber - wie sich das gehört - auf seine eingangs aufgestellten Thesen zurück; ich hatte sie am Anfang der Besprechung erwähnt und komme in meinem Fazit darauf zurück. Hier nur so viel: Wundersamer Weise bestätigen sich alle Arbeitshypothesen ...
Fazit
Bleiben wir noch einen Moment bei den Hypothesen: Es war zu Beginn der Lektüre als nicht ganz unwahrscheinlich anzusehen, dass sich im Laufe von gut 400 Seiten die Hypothesen bewahrheiten werden (einen strengen Begriff von Hypothese wollen wir an dieser Stelle - lieber - nicht bemühen). Von daher konnte der eigene Anspruch bzw. das eigene Programm in diesem Band realisiert werden. Ein aufschlussreicher "Indikator" in diesem Zusammenhang ist aus meiner Sicht, dass auch bei den technisch orientierten Beiträgen immer wieder der Hinweis auf nicht-technische Aspekte als wesentlich heraus gestellt wurde. Ich finde das - wenn ich so sagen darf - beruhigend.
Etwas kritischer hingegen sehe ich folgenden Punkt: Der HGF-Nachhaltigkeits-Ansatz (HGF-Programm "Nachhaltigkeit und Technik", HGF-Projekt "Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland") zeigt in meinen Augen ein prinzipiell dreistufiges Vorgehen: Im ersten Schritt wurde ein integratives Konzept erstellt (= top down), im dritten Schritt steht die Ebene der Technikgestaltung bzw. des technischen Fortschrittes im Mittelpunkt (= bottom up); dazwischen befindet sich eine Ebene, die uns bislang lediglich im "Klappentext" (und in verstreuten programmatischen Anmerkungen verteilt über die einzelnen Beiträge) aufscheint, wenn es heißt "Das Leitbild der Nachhaltigkeit ist gesellschaftlich weitgehend anerkannt" - wenn auch im Nachsatz relativierend eingeräumt wird: "Es ist jedoch weitgehend unklar oder umstritten, was dies im einzelnen für politische oder gesellschaftliche Weichenstellungen bedeutet". Es ist wohl kaum davon auszugehen, dass die Prämisse der weitgehenden Anerkennung des Leitbildes Nachhaltige Entwicklung zutrifft. Auch wenn sich in den letzten Jahren in Umfragen der Anteil derjenigen sukzessive erhöht, der schon mal von Nachhaltigkeit etwas gehört hat, ist es nach wie vor kein in der breiten Öffentlichkeit bekanntes - und von daher auch kein akzeptiertes - Leitbild; es fehlt also in meiner Einschätzung an diesem Zwischenschritt. Diese Tatsache muss man nicht über Gebühr strapazieren und problematisieren, wenn damit nicht ein zumindest missverständliches Mischungsverhältnis von top down-Ebene und bottom up-Ebene entstehen würde. Hier scheint aber ein zentraler Punkt zu liegen, deswegen hatte ich zu Beginn der Besprechung auf die drei Hypothesen hingewiesen, die dem Buch im Einleitungskapitel zugrunde gelegt werden. Denn an dieser Stelle liegt wohl der Kern der Sache: Aus eigenen Bestrebungen um das Thema "nachhaltige Nutzung in Küstenregionen" (Stichwort: Integriertes Küstenzonenmanagement) - so jedenfalls meine Erfahrung - ist es geläufig, dass es gerade die Anforderungen an das, was Wissenschaft und wissenschaftlich gestützte technische Entwicklungen leisten sollen, sind, die eine Beurteilung von Technik (als nachhaltig/nicht-nachhaltig) ermöglichen können. Das heißt aber zwingend, dass es Klarheit über die Inhalte und das Zustandekommen dieser gesellschaftlichen Anforderungen geben muss - in unserem Fall also über das gesellschaftliche Verständnis von Nachhaltigkeit. Dieses gesellschaftliche Verständnis wird im Sinne einer Hypothese angenommen - und mehr nicht. Man kann diesen Aspekt leichthin als "akademisch" abtun oder darauf verweisen, wie man in einem solchen Projekt denn für Deutschland einen Konsens über Nachhaltigkeit herbeiführen oder ermitteln könnte. Aus pragmatischen Gründen ist dieser Einwand berechtigt, und ich bin mir natürlich auch bewusst, dass ein Projekt, das zudem auf einige Jahre befristet ist, nicht der richtige Ort für einen deutschen Nachhaltigkeitsdiskurs sein kann; aber pragmatisches Vorgehen kann aus meiner Sicht nicht die alleinige Prämisse bzw. Legitimation für ein Projekt/ Programm "Nachhaltigkeit und Technik" sein. Der Ökonom Gernot Klepper führt das im Grunde zu Beginn seiner Ausführungen an: "Sowohl den unterschiedlichen Politikvorschlägen als auch den unterschiedlichen Diagnosen über die Nachhaltigkeit unserer Wirtschaftssysteme liegen verschiedene Weltsichten und auch verschiedene methodische Ansätze zugrunde" (S. 22). Und auch der Herausgeber A. Grunwald geht in seinem Beitrag (zusammen mit T. Fleischer) hierauf ein: "Vorstellungen darüber, was wünschbar oder akzeptabel ist, eben auch, was nachhaltig konkret bedeutet, basieren auf Wertungen. Diese Vorstellungen gilt es explizit zu machen, als Voraussetzung für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung um eine ‚wünschbare Zukunft'" (S. 137). Diesem Aspekt wird dann in der Folge nicht weiter nachgegangen.
Aus der angeführten Argumentation ziehe ich also die Schlussfolgerung, dass die hier dargestellte Technikgestaltung nur in Teilen als Integration im Kontext des Nachhaltigkeitsdiskurses fungieren kann. Auch bei einem so ambitionierten und reflektierten Vorgehen wie es die HGF-Zentren im Projekt und im Programm verfolgen, scheinen doch einige basale Aspekte auf, die zumindest einige Fragezeichen hinterlassen - Technik als Integrationsmittel ist wohl doch schwieriger als angenommen.
Anmerkung
[1] Wenn nicht explizit anders angegeben, beziehen sich Seitenzahlen immer auf das hier besprochene Buch.
Zitierte Literatur
Brand, K.-W. (Hrsg.), 2002:
Politik der Nachhaltigkeit. Voraussetzungen, Probleme, Chancen - eine kritische Diskussion. Berlin: edition sigma (Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland, Band 3)
Löw, M., 2001:
Raumsoziologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Schneider-Sliwa, R.; Schaub, D.; Gerold, G. (Hrsg.), 1999:
Angewandte Landschaftsökologie. Grundlagen und Methoden. Berlin u. a.: Springer