K.-W. Brand (Hrsg.): Politik der Nachhaltigkeit. Voraussetzungen, Probleme, Chancen - eine kritische Diskussion

Rezensionen und Kurzvorstellungen von Büchern

KARL-WERNER BRAND (Hrsg.): Politik der Nachhaltigkeit. Voraussetzungen, Probleme, Chancen - eine kritische Diskussion. Berlin: edition sigma, 2002 (Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland, Band 3). 229 S., 17,90 Euro, ISBN 3-89404

Rezension von Andreas Metzner-Szigeth, Institut für Management & Sustainability (IMSI), Münster, und Institut für Soziologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

"Politik der Nachhaltigkeit", so lautet der Titel des von Karl-Werner Brand herausgegebenen dritten Bandes der Reihe "Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland". Er präsentiert sich in demselben, an das Blau griechischer Inseln erinnernden Cover, wie schon die beiden vorherigen Bände. Eine weitere Gemeinsamkeit: auch im Titel des dritten Bandes findet sich ein Derivat des kleinen, bedeutenden Wortes Nachhaltigkeit. Zur Erinnerung: auch im Titel des ersten und zweiten Bandes, "Nachhaltige Entwicklung integrativ betrachtet" (verfasst von Jürgen Kopfmüller et al.) und "Forschungswerkstatt Nachhaltigkeit" (hrsg. von Armin Grunwald et al.) wurde zugunsten der Nachhaltigkeit auf die Zukunftsfähigkeit verzichtet. Ein Zufall? Oder die Folge einer kontinuierten Unterstellung? Nämlich der, dass Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit dasselbe bedeuten?

Gleichwohl bleibt ein markanter Unterschied: der dritte Band gibt sich ausgesprochen skeptisch. Er setzt, pointiert gesprochen, weder den (seinerseits schon verhalten formulierten) Steuerungsoptimismus des ersten Bandes fort, der nicht umsonst "Regeln" und "Indikatoren" in seinem Untertitel führt, noch den Gestaltungswillen des zweiten Bandes, der von der "Diagnose" zur "Therapie" übergehen will. Stattdessen geht es um eine "kritische Diskussion", und zwar nicht nur der von "Voraussetzungen" und "Problemen" - selbst die "Chancen" werden einer Revision unterzogen.

Die kritische Diskussion erfolgt in zwei Hälften. Der Teil A, der die Erträge einer Sondierungsstudie im BMBF-Programm "Sozial-ökologische Forschung" wiedergibt, besteht aus einer Abhandlung über "Voraussetzungen und Probleme einer Politik der Nachhaltigkeit - Eine Exploration des Forschungsfelds" von Karl-Werner Brand und Volker Fürst. Ein Vorzug dieses Beitrags besteht darin, dass er mit dem in der Nachhaltigkeitsdebatte verbreiteten (Zweck-)Optimismus bricht. Er bürstet den Diskurs sogar ‚gegen den Strich', indem er ihn provokativ unter den "Generalverdacht des Illusorischen" stellt und anhand von fünf (nachgezählt sechs) "skeptischen Fragen" mit unliebsamen Einwänden traktiert. Dazu wird ausgehend von einer ersten "skeptischen Frage" ("Wollen wir überhaupt nachhaltige Entwicklung (...) oder verfolgt jeder unter einem Etikett nur seine eigene, alte Interessenspolitik?") sukzessive vorgehend gearbeitet, um die hochgradige Voraussetzungsbeladenheit der Erfolgsunterstellung einer "Politik der Nachhaltigkeit" darzulegen.

Gefragt wird dann u. a., "ob wir überhaupt über hinreichend verlässliches Wissen verfügen (...), um zielführende Strategien nachhaltiger Entwicklung erarbeiten zu können?", und ob darüber hinaus auch "eine hinreichend mobilisierungsfähige Wissensbasis besteht, um eine nicht nur an kurzfristen Zyklen massenmedialer Aufmerksamkeit orientierte ad-hoc-Politik, sondern eine an langfristigen Zielen und an einer integrierten Problemperspektive orientierte Nachhaltigkeits-Politik betreiben zu können?". Schließlich bleibt, selbst wenn alle vorangegangenen Hürden genommen wurden, die ultimative Frage, "ob das Ziel der nachhaltigen Entwicklung (...) mit den zur Verfügung stehenden Steuerungs- und Regulierungsmöglichkeiten überhaupt erreicht werden kann?".

Weitere Schwerpunkte der Abhandlung sind die Frage nach der Notwendigkeit eines "neuen Politiktypus" und nach der "Struktur des deutschen Nachhaltigkeitsdiskurses", verbunden mit der Frage nach der "Leitbildfähigkeit des Konzepts nachhaltiger Entwicklung".

Bearbeitet werden die Fragen im Wesentlichen mit Mitteln der Steuerungstheorie und Diskursanalyse. Dabei wird mit den Mitteln differenzierungs-, steuerungs- und legitimationstheoretischer Argumente vor allem die obsolete Vorstellung des Staates als hierarchischer Spitze und zentraler Steuerungsinstanz dekonstruiert, um anschließend zu erkunden, mit welchen Schwierigkeiten sich eine zeitgemäße Politik der Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen hätte. Im Ergebnis der diskursanalytischen Ausführungen wird die nur "begrenzte Leitbildfähigkeit" der nachhaltigen Entwicklung zusammen mit ihrer noch eingeschränkteren Popularisierungsfähigkeit konstatiert. Die Fruchtbarkeit und Bindungskraft des Nachhaltigkeitsdiskurses entstehe hingegen wesentlich im Rahmen der Interaktionen zwischen kollektiven Akteuren und mehr oder minder professionalisierten (Experten-) Diskursen.

Im Teil B finden sich sieben Diskussionsbeiträge, die die angesprochenen Problemlagen und vertretenen Thesen aus der Sicht verschiedener Fachgebiete und Herangehensweisen aufrollen.

Im ersten Beitrag - "Experimentelle Politik und die Rolle der Wissenschaften in der Umsetzung von Nachhaltigkeit" - betonen Gotthard Bechmann und Armin Grunwald, dass den Herausforderungen der Nachhaltigkeit im "traditionellen Verständnis von Wissenschaft als bloß wissensbereitstellendem und Politik als bloß wissensanwendendem Teilsystem" nicht entsprochen werden könne. Sie konfrontieren Brand/Fürst mit dem Vorwurf, die Wissens- und Wissenschaftsabhängigkeit einer nachhaltigkeitsorientierten Politik würde von ihnen "nur als skeptisches Argument genutzt, um den ‚Generalverdacht des Illusorischen' zu untermauern". Dies geschehe, ohne die Möglichkeit eines wechselseitigen Steigerungs- und natürlich auch Spannungsverhältnisses einer sich intensivierenden wissenschaftlichen und politischen Befassung mit Nachhaltigkeitsproblemen und -lösungen einzuräumen. Auch unter Berücksichtigung des Verhältnisses von Wissen und Nicht-Wissen sowie von Problemen der Ungewissheit des verfügbaren Wissens bleibe ein Lernzyklus von Wissen und Entscheiden möglich, den es in Gang zu setzen gelte.

In dem zweiten Beitrag - "Bürgerschaftliches Engagement (k)ein Allheilmittel für Nachhaltigkeit?" - diskutiert Adelheid Biesecker die vielfach vertretene Annahme, dass bürgerschaftliches Engagement wie selbstverständlich zu mehr Nachhaltigkeit führe. Eine realistische Einschätzung seines Potenzials setze voraus, alle Bedingungen, unter denen es sich entfalten und wirksam werden könne, zu berücksichtigen. Aufzuarbeiten seien vor allem zwei "Leerstellen", nämlich "Ökonomie" und "Gender". Das Haupthindernis, dass der Entfaltung des Nachhaltigkeitspotenzials bürgerschaftlichen Engagement entgegenstehe, seien die von der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung geschaffenen Strukturbedingungen: die Zerteilung von Prozessen der Produktion (Erwerbsarbeit) und Reproduktion (Versorgungsarbeit), verbunden mit der Abtrennung der Versorgungsökonomie von der Marktökonomie. Um die Reihe der im Einzelnen diagnostizierten Blockaden aufzuweichen, gelte es, eine "Öffnung der Institutionen" zu betreiben, "auch der Märkte und Unternehmen". Die bürgerliche Gesellschaft sei zu einer BürgerInnen- und Zivilgesellschaft weiter zu entwickeln, mit einer ihr entsprechenden ‚zivilen' Ökonomie, die der Verbundenheit der Produktion mit der Reproduktion von Mensch und Natur wieder Rechnung trägt.

Unter dem Titel " Probleme der Transformation des Nachhaltigkeitsangebots in das Recht" setzt sich Walter Bückmann eingangs mit der von Brand/Fürst vertretenen Vermutung auseinander, dass eine zielgerichtete, koordinierte Transformation gesellschaftlicher Strukturen nicht von einer rationalen Gesamtplanung, sondern eher von stärker reflexiv strukturierten, kommunikativen Formen der ‚Leitbildsteuerung' und Netzwerkbildung erwartet werden könne. "Ob und unter welchen Bedingungen das 'funktioniert' und wie derartige Steuerungselemente in sinnvoller Weise mit den herkömmlichen Formen hierarchischer politisch-rechtlicher Regulierung verknüpft werden sollen, wird (sehr richtig) als offene Frage betrachtet". Mit der schlichten Einsicht, in ihr zeige sich eine "ungewöhnliche Überschätzung der kommunalen Selbstverwaltungsebene", wird auch die Annahme, kommunale Agenda-21 Prozesse seien paradigmatische Beispiele für mögliche Transformationspfade der Nachhaltigkeit" kritisch kommentiert. Im Sinne der Inkorporation des Nachhaltigkeitskonzepts wird abschließend für eine "systemkonforme Weiterentwicklung des Rechtssystems" plädiert. Um der dabei auftretenden Gefahr einer "Verflachung des Nachhaltigkeitsverständnisses" vorzubeugen, sei allerdings seitens der Wissenschaften eine weitere Aufbereitung und Operationalisierung geboten.

Peter-Henning Feindt befasst sich in seinem Beitrag "Politik der Nachhaltigkeit und funktionale Differenzierung" vor dem Hintergrund differenzierungs- und steuerungstheoretischer Überlegungen mit den Bedingungen der Möglichkeit einer integrativen Nachhaltigkeitspolitik. Angesichts der Tendenzen zur Abschließung und Verselbständigung sei ein "Management teilsystemischer Interdependenz" nötig. Dessen Chancen werden hinsichtlich der Steuerbarkeit teilsystemischer Wirkungszusammenhänge und der Steuerungs- und Strategiefähigkeit politischer Akteure näher diskutiert, zuletzt am Beispiel der Erarbeitung einer Nachhaltigkeitsstrategie für das Land Schleswig-Holstein.

Mit der Überschrift "Schwierigkeiten der fachübergreifenden Koordination" konstatiert Dietrich Fürst ein ‚Missverhältnis' zwischen den Anforderungen des Nachhaltigkeitskonzepts und den Verhaltenslogiken der politisch-administrativen Praxis. Hinzu trete, dass ökologische, ökonomische und soziale Belange "unterschiedlich artikulations-, organisations- und durchsetzungsfähig" seien. Möglichkeiten, um dem abzuhelfen, werden in einer "paradigmatischen Steuerung" gesehen, die auf Seiten aller beteiligten Akteure Lernprozesse in Richtung einer Redefinition ihres "wohlverstandenen Eigeninteresses" befördern könne.

Im sechsten Beitrag - "Diffusion nachhaltiger Politikmuster, transnationale Netzwerke und ‚glokale' Governance" - behandelt Kristine Kern einerseits die Formen und Charakteristika von Diffusionsprozessen nachhaltigkeitsorientierter Politik. Neben der Idee des Sustainable Development betrifft dies nationale Umweltpläne und Agenda 21-Aktivitäten. Andererseits geht es um transnationale Städtenetzwerke, die eine Form ‚glokaler' Governance jenseits des Nationalstaats darstellen. Die Leistungsfähigkeit dieser Netzwerke, die ihre Mitglieder repräsentieren und Serviceleistungen (Information, Beratung) bieten, ist von ihrer Binnensteuerung und ‚Außenpolitik' abhängig, deren Momente weiter untersucht werden.

Im letzten Beitrag - "Nachhaltige Entwicklung - Zur Notwendigkeit von Zieldiskursen" - begründet Ortwin Renn die Notwendigkeit diskursiver Verfahren mit dem Fehlen verbindlicher Bewertungsmaßstäbe. Nachhaltige Entwicklung müsse daher in ‚bottom up'-Prozessen näher bestimmt werden. Dazu seien vornehmlich von Experten betriebene Wissensdiskurse ebenso unerlässlich, wie die vornehmlich durch organisierte Gruppen getragenen Bewertungsdiskurse. Beide münden schließlich in Reflexionsdiskursen, die unter Beteiligung der vorgenannten Akteure vornehmlich auf BürgerInnen abzielen. Statt der Überforderung durch simultane Optimierung plädiert Renn im Zuge der Bewertungsdiskurse für eine sequentielle Vorgehensweise, die ausgehend von den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit zunächst Zielgrößen festlegen müsse. Erst dann seien geeignete Maßnahmen und Instrumente zu entwickeln und schließlich über alternative Maßnahmebündel nach Kriterien der Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit zu entscheiden.

Nach ihrer Lektüre könnte man versucht sein, der "Politik der Nachhaltigkeit" vorzuwerfen, Ansprüche zu erheben, deren Einlösbarkeit sie selbst negiert. Tatsächlich ist es aber einfach nur so, dass in der "Politik der Nachhaltigkeit" Fragen aufgegriffen und vertiefend diskutiert werden, für die Lösungen nach wie vor ausstehen. Ohne zu verkennen, dass es Handlungsspielräume gibt, die den Kurs eines verhaltenen Steuerungsoptimismus rechtfertigen, betrifft dies vor allem das "Problem (nicht) hinreichender Steuerungsmöglichkeiten gesellschaftlicher Entwicklungstrends", das nach wie vor - nicht nur als praktische, sondern auch als theoretische - Herausforderung begriffen werden muss.

Mein Fazit: Der Diskurs über die "Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland" tritt derzeit - unterstützt von diesem Band über die "Politik der Nachhaltigkeit" - in ein stärker reflexives Stadium ein. Und das ist auch gut so, denn der weitere Erfolg des gleichnamigen Forschungsprojekts der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren hängt davon ab, ob es sich den Herausforderungen seiner Umsetzung in der gegenwärtigen Wirklichkeit der deutschen Gesellschaft stellen mag oder nicht. Damit ist allerdings kein Plädoyer für ein resignierendes Räsonnieren des status quo verbunden. Die Zukunftsfähigkeit des Diskurs- und Forschungsprojekts verlangt vielmehr danach, vermehrt die "gegenwärtige Zukunft" dieser Gesellschaft zum Thema der Erörterung und Gegenstand der Forschung zu machen, also ihre ideell schon vollzogene Transformation in eine Informations- und Wissensgesellschaft hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitswirkungen und -potenziale kritisch zu untersuchen.