J. Barthel: Standardisierung in Innovationsprozessen - Möglichkeiten für eine entwicklungsbegleitende Koordination

Rezensionen und Kurzvorstellungen von Büchern

JOCHEN BARTHEL: Standardisierung in Innovationsprozessen - Möglichkeiten für eine entwicklungsbegleitende Koordination. München, Mering: Rainer Hampp Verlag, 2001. 194 S., 24,80 Euro, ISBN 3-87988-602-4

Rezension von Norbert Malanowski, Zukünftige Technologien Consulting des VDI-Technologiezentrums, Düsseldorf

Lange Zeit war Standardisierung retrospektiv orientiert. Sie erfolgte erst in späten Phasen von Innovationsprozessen. In der Gegenwart jedoch, so Jochen Barthel in einer aktuellen Studie, haben die Komplexität, die zeitlichen Restriktionen und die ökonomischen Risiken in Innovationsprozessen stark zugenommen. Um die damit verbundenen Risiken zu reduzieren, koordinieren Organisationen ihre Aktivitäten bereits in frühen Phasen von Innovationsprozessen. Damit sei eine neue, prospektive Form der Standardisierung notwendig geworden.

Barthel hält eine Differenzierung zwischen den Begriffen Standard und Norm grundsätzlich auch weiterhin für wichtig. Aus forschungspragmatischen Gründen hat er daran jedoch nicht festgehalten, da z. B. in der englischsprachigen Literatur der Begriff des Standards verwendet wird. Ihm scheint es angebracht, Standard als Oberbegriff für alle technischen Spezifikationen zu verwenden, die sich herausbilden oder vereinbart werden. Und weiter: "Mit dem Begriff des Standards werden somit Spezifikationen bezeichnet, die entstanden durch hierarchische Vorgaben, Anpassung oder Aushandlung, bestimmte Merkmale und Eigenschaften von technischen Systemen, Verfahren, Produkten oder Produktteilen beschreiben bzw. definieren" (S. 46).

Barthel, bis Ende des Jahres 2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Akademie für Technikfolgenabschätzung des Landes Baden-Württemberg und nun am Institut für Innovation und Management (IIM) tätig, geht es darum, die Möglichkeiten einer entwicklungsbegleitenden Standardisierung zu beleuchten. Denn: "Es bleibt weniger Zeit, inkompatible Systeme oder Komponenten nachträglich anzupassen. Vor allem bei der Entwicklung so genannter Netzwerktechniken müssen die Akteure schnell eine genügend große Zahl von Anwendern - eine so genannte kritische Masse - erreichen ... Eine frühe Koordination kann dieses Risiko mindern, indem z. B. die gegenseitige Anschlussfähigkeit der Systeme gewährleistet wird" (S. 11).

Ferner wird herausgearbeitet, dass die Standardisierung in Verbänden als "anhaltende Erfolgsgeschichte betrachtet werden kann und sich dies in absehbarer Zeit kaum grundlegend ändern wird. Die Vorteile von Verbänden im Innovationsprozess kommen in den Phasen der Definition und der Durchsetzung von Innovationen am Markt zum Tragen. In der letzteren Phase insbesondere dann, wenn Innovationen sozial eingebettet werden müssen (S. 146). Als wesentlicher Vorteil von Netzwerken wird demgegenüber angesehen, dass wechselseitige Abhängigkeiten und enge Bindungen zwischen den beteiligten Akteuren eingegangen werden. "Damit bieten sich hervorragende Möglichkeiten, Koordinationsanforderungen der sozialen Schließung, die vor allem während der Phase der Stabilisierung auftreten, durch die Vereinbarung von Standards für Kompatibilität zu erfüllen" (S. 173).

Verbandliche Standardisierung vollzieht sich - so Barthel - in Organisationen, die sich dadurch auszeichnen, dass in ihnen klare Regeln darüber bestehen, auf welche Weise Standards vereinbart werden. In aller Regel sind die Hürden für eine Mitgliedschaft in diesen Organisationen niedrig. Fast jeder Interessierte hat Zugang. Die Entscheidungen in diesen Organisationen werden im Konsens getroffen. In historischer Betrachtung haben sich Verbände dadurch etabliert, dass ihnen staatliche Macht geliehen wurde (S. 123). Umgekehrt können sich Verbände nicht ganz frei machen von staatlicher Einflussnahme, die sich jedoch meist nicht auf die Inhalte der Standards, sondern auf die Regeln der Standardisierung bezieht. Verbände sind somit Organisationen mit klaren Mitgliedschafts- und Verfahrensregeln.

Demgegenüber ergeben sich die Regeln der Standisierung in Netzwerken erst in der Konstituierung derselben. Anfangs gibt es ein loses Interesse an Koordination. Es ist zu Beginn weder klar geregelt, wer in Netzwerken aufgenommen wird noch wie über Standards verhandelt wird. Netzwerke sind keine Organisationen, sondern planvolle Konstrukte strategisch handelnder Akteure, die ihre Handlungen in Erwartung konkreter Vorteile koordinieren (S. 147). Sie zeichnen sich nicht durch die starke Formalisierung von Regeln und Mitgliedschaftsbedingungen aus, wie dies Verbände tun.

Der Fokus der Studie Barthels liegt eindeutig im Bereich einer theoretischen Konzeptionalisierung. Häufig leiden zu Büchern umgearbeitete Dissertationen an einer Theorielastigkeit, die viele Seiten füllt und den praxisorientierten Leser oft schon nach kurzer Zeit langweilen. Hier liegt der Fall anders. In der Kürze (und in der sprachlichen Klarheit) liegt die Würze. Auch wenn empirische Sachverhalte einen eher veranschaulichenden Charakter haben und nicht im Rahmen von Fallstudien dargestellt sind, büßt die Studie nicht an Nützlichkeit und Anregungen für den interessierten Praktiker ein, zumal dieser noch zusätzlich auf die nach wie vor sehr lesenswerte ausführliche empirische Studie zur entwicklungsbegleitenden Normung von Jochen Barthel und Bernd Steffensen aus dem Jahre 2000 ("Koordination im Innovationsprozess", erschienen im Nomos-Verlag) zurückgreifen kann.

Alles in allem gibt die Studie zahlreiche Anregungen für eine entwicklungsbegleitende Standardisierung. So der Hinweis: "Dabei wäre z. B. die Förderung der entwicklungsbegleitenden Vereinbarung von Standards für Kompatibilität in Verbänden nicht optimal. Erfolgversprechender sind Initiativen in Verbänden, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen und zu versuchen, Brücken zwischen verschiedenen Wegen der Standardisierung zu schlagen" (S. 174). Es bleibt zu hoffen, dass sich an dieses inspirierende Buch vertiefende empirische Studien und Diskurse anschließen, die z. B. Erfahrungen des Auslandes und auf europäischer Ebene stärker diskutieren und Antworten auf die Frage liefern, was sich in Deutschland daraus lernen lässt und welche Initiativen in Bezug auf den Standort Deutschland notwendig werden.