Tagung: New Realities - Demografischer Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft (Essen, 21. November 2002)

Tagungsberichte und Tagungsankündigungen

New Realities - Demografischer Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft

Essen, 21. November 2002

Tagungsbericht von Cornelia Daheim und Manja Wagner, Z_punkt GmbH

Am 21. November 2002 fanden sich in Essen Experten und Konzernverantwortliche von DaimlerChrysler, Siemens, Karstadt und TUI auf der Tagung "New Realities" zusammen, um gemeinsam über Konsequenzen, Chancen und Innovationen in Zusammenhang mit dem immer weiter voranschreitenden demografischem Wandel zu diskutieren. Im Mittelpunkt standen Strategien und Handlungsoptionen, mit denen insbesondere Wirtschaftsunternehmen den Konsequenzen des demografischen Wandels begegnen. Fragen im Hinblick auf die Innovationsfähigkeit einer alternden Gesellschaft, die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen sowie bezüglich der organisationsinternen Personalpolitik wurden in diesem Zusammenhang erörtert.

Gesellschaftliche Herausforderungen

In seiner Einleitung plädierte Klaus Burmeister, Geschäftsführer der Z_punkt GmbH, für die Notwendigkeit einer langfristig ausgerichteten Politikberatung, die vor allem der Früherkennung möglicher Probleme, der Folgenabschätzung politischer Entscheidungen sowie der Erarbeitung von Lösungsvorschlägen für denkbare künftige Herausforderungen dienen solle. Auf diese Weise könne Phänomenen wie der Alterung und Schrumpfung der Gesellschaft adäquat begegnet werden.

Prof. Dr. Charlotte Höhn, Direktorin des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, betonte, dass große Herausforderungen auf alle Bereiche der Gesellschaft zukämen: "Politik, Wirtschaft und Gesellschaft können und müssen sich auf die Konsequenzen der demografischen Veränderungen einstellen". Der dramatische Verlauf der bisherigen und zukünftigen Entwicklung sei seit 30 Jahren bekannt, getan werde jedoch zu wenig. Prof. Dr. Höhn veranschaulichte anhand mehrerer Varianten von Modellrechnungen, wie sich eine gleichbleibende oder auch eine erhöhte Zuwanderung auf die Zusammensetzung der Bevölkerung auswirkt. Nur bei jährlich 3,4 Millionen Einwanderern könnte die Alterung in Deutschland aufgehalten werden; Folge dessen wäre ein Anwachsen der Einwohnerzahl in Deutschland auf 300 Millionen Menschen mit einem Anteil von 80 % Zuwanderern und ihren Familien bis 2050. Die demografische Alterung ist folglich unausweichlich, auch Zuwanderung könne sie lediglich mildern. Die aus Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung erwachsenden Konsequenzen seien vielschichtig. Frau Prof. Dr. Höhn schnitt Herausforderungen an die Sozialpolitik bezüglich der sozialen Sicherungssysteme an, thematisierte Herausforderungen an die Wirtschaftspolitik hinsichtlich des Abbaus der Arbeitslosigkeit sowie der Versorgung des Arbeitsmarktes mit qualifizierten Arbeitskräften. Weiterhin zeigte sie Anforderungen an die Wirtschaft, sowohl bezüglich des Umgangs mit alternden Belegschaften, als auch in Bezug auf die Unterstützung der weiblichen Belegschaft zur Vereinbarung von Beruf und Familie auf. Ebenso könne und müsse sich der Einzelne auf neue Herausforderungen einstellen: "Lebenslanges Lernen ist eine ideale Voraussetzung für das erfolgreiche Altern".

Statements aus den Unternehmen

Die Auswirkungen für die Wirtschaft sind im Kern durch zwei Faktoren geprägt: durch ein sinkendes und alterndes Angebot an Arbeitskräften auf der einen Seite, das zu internen Veränderungen (Flexibilisierungsmaßnahmen, Altersteilzeit, Bemühungen um die Erhöhung der Frauenerwerbsquote, steigender Wettbewerb um High Potentials, Internationalisierung des Arbeitsmarkts usw.) führen wird, und auf der anderen Seite durch die veränderte Altersstruktur und veränderte Ansprüche der Kunden.

Die Vertreter der verschiedenen Branchen machten deutlich, dass die Unternehmen sich durchaus mit dem Phänomen "alternde Bevölkerung" beschäftigt haben und die neuen, aktiveren Alten (die über einen großen Teil der Kaufkraft verfügen) als neue Zielgruppe erobern.

Georg Berner vom Zentralvorstand der Siemens AG verdeutlichte: "Die Grundbedürfnisse bleiben die gleichen, wenn Menschen älter werden - aber ihre relative Bedeutung ändert sich". Ausschlaggebend ist, dass Bedürfnisse nach Sicherheit (finanziell und gesundheitlich), nach sozialer Integration und nach Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben wichtiger werden. Zum Beispiel ermögliche ein "virtuelles Rentner-Heim", im Alter länger in der eigenen Wohnung zu bleiben: IT-Komponenten für die Pflege Älterer zu Hause (Patienten-Monitoring) seien Anwendungen der Zukunft. Zudem müssten Produkte für Senioren besonders auf einfache Handhabung und Benutzerfreundlichkeit ausgerichtet sein, wie er am Beispiel eines Handys mit großen Tasten und einfacher Nutzerführung demonstrierte.

Marion Diehr von DaimlerChrysler erläuterte, dass das Auto der Zukunft für die "neuen Alten" zum Beispiel Verluste in der Reaktionsgeschwindigkeit ausgleicht, also zusätzlichen Komfort und Assistenzsysteme bietet, aber dennoch ein dynamisches Image brauche: "Silberpfeil" statt "Silbermobil". Ein Problem sei auch die "Aging Workforce" (das Altern der Belegschaften), auf deren Bedürfnisse die Personalpolitik mit neuen Programmen antworten müsse.

Der Vortrag von Hans-Werner Abraham von Karstadt verdeutlichte, inwieweit regionale Unterschiede in der Bevölkerungszusammensetzung sich schon heute im Handel bemerkbar machen. Die Entwicklung gehe dabei eindeutig in Richtung der Stärkung des Serviceansatzes. Karstadt reagiere auf den demografischen Wandel mit dem Blick auf den Kunden: schon die Ladengestaltung muss sich verändern (Sitzmöglichkeiten, kurze Wege, große Schriften usw.). Auch hier wurde unterstrichen, dass die wachsende Gruppe der Älteren nicht als Senioren angesprochen werden will, oder: Der Kunde der Zukunft ist "über 60, sieht aus wie 50, und fühlt sich wie 40".

Stephan Krings von der TUI AG betonte die Chancen, die sich für die Tourismusbranche durch demografischen Wandel ergeben, und schilderte, welche Folgen sich schon heute abzeichnen: Senioren und "Middle Ager" werden als Kunden immer wichtiger, Gesundheits- und Wellnessreisen gewinnen an Bedeutung. Die Kundenbedürfnisse veränderten sich jedoch in allen Altersstufen rasant und es müsse bedacht werden: "Die Alten von gestern sind nicht die Alten von morgen!".

Auf Auswirkungen für unternehmensinterne Strukturen wies besonders Dr. Andreas Heigl von der HypoVereinsbank hin: "Über kurz oder lang ist ein Paradigmenwechsel fällig: die Mitarbeiterbindung wird wichtiger als das Recruiting. Eine Kehrtwende vom Jugendkult zum Altenkult ist dafür nicht unbedingt nötig, aber eine rein jugendzentrierte Personalpolitik wird keine Zukunft haben." Grundlegend neue Anforderungen ergäben sich in Bezug auf die Gestaltung von und die Entwicklung neuer, flexibler Konzepte für die Alterssicherung.

Ausblick 2050

Abschließend stellte Dr. Karlheinz Steinmüller, wissenschaftlicher Direktor der Z_punkt GmbH, in einem Ausblick auf das Jahr 2050 verschiedene Szenarien vor: Der "Weg in die Katastrophe", die "zukunftsfähige Schrumpfung" oder der "neue Baby Boom" - so könnte die Zukunft aussehen. "Schon allein der Eigennutz gebietet es uns, Demografie-Vorsorge zu treffen", so Dr. Steinmüller. Eine stärkere aktive Beteiligung der Senioren in allen Lebensbereichen werde sich ergeben. Vieles, das heute selbstverständlich ist, stehe auf dem Prüfstand: die Fixierung auf ein bestimmtes Modell von Arbeit, individualistische und hedonistische Lebensstile, Renten- und Gesundheitsversorgungsmodelle, vielleicht sogar eine nur auf ständiges Wachstum hin ausgelegte Wirtschaftsstruktur. Zugleich sollte man den demografischen Wandel als Chance zur Innovation - nicht nur für technische, besonders auch für soziale Innovationen - verstehen.

Weitere Informationen

Dies sind einige zentrale Ergebnisse der Tagung "New Realities - demografischer Wandel in Wirtschaft und Unternehmen", die die Z_punkt GmbH Büro für Zukunftsgestaltung am 21.11.2002 veranstaltete. Alle Beiträge der Tagung finden Sie in einem Tagungs-Reader, den Sie von Z_punkt beziehen können. Auf unserer Homepage haben Sie weiterhin die Möglichkeit, das Z_paper "A Few Notes on Demographic Change" als pdf-file herunterzuladen
( http://www.z-punkt.de/download/z-paper06.pdf).

Z_punkt wurde 1997 von dem Politologen und Zukunftsforscher Klaus Burmeister gegründet. Heute ist Z_punkt eine GmbH mit vier Partnern und einem Team von 15 Mitarbeitern, die Unternehmen und Institutionen Orientierungs- und Zukunftswissen vermittelt.