M. Emmer, G. Vowe, J. Wolling: Bürger online. Die Entwicklung der politischen Online-Kommunikation in Deutschland

Rezensionen

Bürger Online

M. Emmer, G. Vowe, J. Wolling: Bürger online. Die Entwicklung der politischen Online-Kommunikation in Deutschland. Konstanz: UVK, 2011, 346 S., ISBN 978-3-86764-279-8, € 39,00

Rezension von Tobias Escher, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Zu Beginn des Jahrtausends spielte das Internet noch keine ernstzunehmende Rolle im politischen Betrieb der Bundesrepublik, mittlerweile ist es dort jedoch genauso fest verankert wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen. Haben sich in dieser Zeit die Mediennutzungsgewohnheiten der Bürgerinnen und Bürger und die Art und Weise wie über Politik gelesen und diskutiert, bzw. an Politik partizipiert wird, verändert? Aufgrund der vielfältigen – durchaus nicht nur positiven – Erwartungen, die an die Nutzung von Online-Technologien für politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse geknüpft werden, verwundert es, dass es bislang kaum Studien gab, in denen die Nutzung des Internets zur politischen Kommunikation untersucht wurde. Zwar herrscht kein Mangel an Studien zur Online-Nutzung allgemein – allen voran die ARD/ZDF-Online-Studie oder der N(O)NLINER-Atlas –, nur kommen Fragen zur politischen Nutzung des Netzes in diesen so gut wie gar nicht vor.

1    Zugrundeliegende Studie

Umso mehr kann man sich darüber freuen, dass Martin Emmer und Gerhard Vowe bereits vor über zehn Jahren die Idee hatten, eine Langzeitstudie im Paneldesign zu initiieren. Aufgrund der zunehmenden Internetdiffusion ließ sich für begrenzte Zeit ein quasi-experimentelles Design realisieren, mithilfe dessen Nutzer und Nicht-Nutzer unter realen Bedingungen miteinander verglichen werden konnten. Der Schwerpunkt der Untersuchung lag auf möglichen Veränderungen der politischen Kommunikation im Zusammenhang mit der zunehmenden Verbreitung des Internets sowie den Ursachen solcher Veränderungen. Im Mittelpunkt standen dabei die Bürgerinnen und Bürger und deren individuelle Entscheidung, ob und wie diese das neue Medium zur Rezeption von, zur Kommunikation über beziehungsweise zur Teilhabe an Politik nutzen. Aufgrund der Hartnäckigkeit der Autoren sowie der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft verfügen wir nun für die Jahre 2002 bis 2009 (mit Ausnahme des Jahres 2006) nicht nur über bevölkerungsrepräsentative Querschnittsbefragungsdaten von jeweils rund 1.500 Personen, sondern für einen großen Teil der Befragten auch über Paneldaten, die Längsschnittanalysen ermöglichen.

Seit rund einem Jahr liegen die Ergebnisse dieser Langzeitstudie in Buchform vor. Der Band gliedert sich in vier Teile, wobei der Schwerpunkt auf der Wiedergabe der Befunde liegt. Während im ersten Teil die Motivation des Vorhabens erläutert und das Forschungsprogramm in den größeren wissenschaftlichen Kontext eingeordnet wird, gibt der zweite Teil ausführlich die Ergebnisse der Befragung wieder. Neben einer allgemeinen Zusammenfassung der Entwicklung von traditioneller und Online-Mediennutzung orientieren sich die Autoren dabei an ihrer konzeptionellen Unterscheidung von politischer Kommunikation in Informations-, interpersonaler und Partizipationskommunikation. Der dritte Teil wendet sich den Ursachen und Wirkungen der zuvor geschilderten Befunde zu. Hier steht v. a. die Frage im Vordergrund, inwieweit die Nutzungsmöglichkeiten des Internets zu einer Mobilisierung oder einer Abkehr von politischer Kommunikation und Partizipation geführt haben. Weiterhin wird der Versuch unternommen, mithilfe der Theorie der rationalen Wahl Nutzung und Nutzungsintensität zu erklären. Den Abschluss des Buches bilden eine Zusammenfassung der Erkenntnisse sowie eine Erläuterung der daraus resultierenden Herausforderungen für die Politik sowie die weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Thema.

2    Studienergebnisse zur politischen Kommunikation

Entgegen anderslautender Befürchtungen konstatiert die Studie keinen generellen Rückgang der politischen Kommunikation. Im Gegenteil: Durch das Hinzukommen neuer, online vermittelter Kommunikationsformen erhöht sich sogar die Aktivität. Die Nutzung von Printmedien und Fernsehen zur Information über das politische Geschehen geht nur leicht zurück. Allerdings ist zu erwarten, dass sich dieser Trend in Zukunft noch verstärken wird, denn ein herausragendes Ergebnis der Studie ist, dass die jüngere Bevölkerung in sinkendem Maße von klassischen Medien Gebrauch macht. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Abkehr im eigentlichen Sinne, da sich die jüngeren Generationen diese Medien praktisch noch gar nicht angeeignet haben, sondern stattdessen von Anfang an Online-Medien zur politischen Kommunikation nutzen. Deren Bedeutung wird also mit fortschreitendem Generationenwandel weiter zunehmen. Diesen mittelfristigen Wandel der politischen Kommunikation und die daraus resultierenden neuen Kommunikationsmuster verstehen die Autoren auch als eine der großen Herausforderungen für die politischen Akteure.

Die mit dem Internet verbundenen Hoffnungen auf eine stärkere politische Mobilisierung der Bevölkerung sehen die Autoren v. a. hinsichtlich der Informationskommunikation (d. h. der Rezeption von politischen Informationen) erfüllt, da hier durch das Internet mehr Bevölkerungsgruppen politische Informationsangebote wahrnehmen beziehungsweise die Intensität der Nutzung insgesamt steigt. Da auch Online-Kontakte für Gespräche über Politik genutzt werden, ist ebenfalls ein leichter Anstieg interpersonaler politischer Kommunikation zu verzeichnen. Lässt man jedoch die eher passiven Formen politischer Kommunikation zur Rezeption von oder zum Austausch über politische Informationen außen vor, so wurden bei Formen aktiver politischer Teilhabe, wie zum Beispiel Demonstrationen, Online-Petitionen oder Mitarbeit in Organisationen, keinerlei nennenswerte Mobilisierungseffekte beobachtet. Insbesondere findet kaum eine stärkere Aktivierung bislang unterrepräsentierter Gruppen statt, infolgedessen sind bei politischer Partizipation weiterhin Personen mit höherer formaler Bildung, größerem Einkommen und männlichen Geschlechts überrepräsentiert. Als positivster Befund aus diesen Erkenntnissen bleibt damit festzuhalten, dass es nicht zu einer weiteren Abkehr von der Beschäftigung mit Politik kommt.

Weiterhin wurde der Versuch unternommen, die individuellen Nutzungsgewohnheiten politischer Kommunikation mithilfe einer Clusteranalyse zu voneinander unterscheidbaren, typischen Kommunikationsmustern zusammenzufassen. Als Ergebnis unterscheiden die Autoren die größte Gruppe der „passiven Mainstreamer“ (der rund die Hälfte der Befragten angehören) von den stets aktiven „organisierten Extrovertierten“, den „eigennützigen Interessenvertretern“, den nur offline aktiven „traditionell Engagierten“ und schließlich den „bequemen Modernen“. Die letztgenannte Gruppe, die rund 15 Prozent aller Befragten ausmacht, bildet sozusagen den Prototyp des modernen Mediennutzers, der sich vorrangig online an Aktivitäten beteiligt, die möglichst wenig Aufwand erfordern.

3    Fazit

Als Gesamturteil ist festzuhalten, dass das Buch schon allein aufgrund der Einzigartigkeit der zugrunde liegenden Studie empfehlenswert ist. Es ist die Lektüre aber auch aufgrund der Ergebnisse wert. Dabei sucht man – wie die Autoren selbst konstatieren – spektakuläre Befunde vergeblich. Stattdessen werden viele durchaus bereits bestehende Annahmen sowie existierende Befunde mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse auf eine empirisch solide Basis gestellt, die so in ihrer Breite und Tiefe bislang nicht verfügbar war. Vor allem aber ermöglicht das Design als Langzeituntersuchung, den Autoren zu zeigen, dass die Muster politischer Kommunikation von Stabilität geprägt sind und sich nur graduell verändern. Dabei erscheint die Datenbasis weitgehend unstrittig. Die Langzeitbefragung wurde von den Universitäten in Ilmenau und später Düsseldorf eigenständig realisiert, was u. a. den Aufbau eines eigenen Telefonbefragungslabors erforderte. Die Designentscheidungen spiegeln die organisatorischen und finanziellen Herausforderungen eines solchen Projekts wider, so zum Beispiel die Befragungslücke im Jahr 2006 und die Verwendung eines dynamischen Panels. Sie können den Wert der Untersuchung jedoch kaum schmälern. Auch die aus den Daten gewonnenen Schlussfolgerungen sind überzeugend dargelegt und nachvollziehbar. Einzig bei der Klassifizierung politischer Kommunikationsmuster bleiben einige Zweifel zurück, da die fünf Typen zwar über alle Befragungswellen stabil bleiben, sich die Mehrzahl der Panelbefragten allerdings kaum dauerhaft einem konkreten Typ zuordnen lässt. Wenn am Ende des Bandes noch Fragen offenbleiben, so ist dies in Anbetracht der Breite der Fragestellung und der Fülle des Materials kaum den Autoren anzulasten. Im Gegenteil: Es ist eher eine Aufforderung, sich weiter mit den Daten zu beschäftigen. Aus diesem Grund haben die Autoren die Daten der Studie auch öffentlich zugänglich gemacht. Es bleibt zu hoffen, dass diese Möglichkeit zahlreich genutzt wird.

Das Buch eignet sich insbesondere zum Nachschlagen und zur Klärung der grundsätzlichen Struktur politischer Kommunikation in Deutschland – und zwar nicht nur online, sondern auch offline. Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, dass das Buch die Bilanz eines groß angelegten Forschungsprojektes zieht. Die Autoren geben sich redlich Mühe, doch gilt es eine Vielzahl von Befunden zusammenzufassen. Daher werden über viele Kapitel Daten und Befunde in Tabellenform referiert, die mehr zum Nachschlagen als zur Lektüre einladen. Leider fallen dabei auch einige handwerkliche Fehler in der Umsetzung auf, die das mangelnde Lektorat seitens der Verlage schmerzhaft bewusst machen. Insgesamt ist das Buch aber uneingeschränkt empfehlenswert für alle, die sich einen empirisch fundierten Überblick über die Muster politischer Kommunikation und Partizipation und deren Veränderung durch das Internet verschaffen wollen. Dies leistet die Studie und dies leistet dieses Buch in hervorragender Weise.

Anmerkung

Dem Autor wurden für seine in Kürze abgeschlossene Promotion Datensätze aus der erwähnten Studie zur Verfügung gestellt. Er ist Mitglied einer Forschungsgruppe an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der auch Prof. Gerhard Vowe angehört, einer der Autoren dieses Buches.