Toxikologische Aspekte der Nanotechnologie. Versuch einer Abwägung

Schwerpunktthema - Große Aufmerksamkeit für kleine Welten - Nanotechnologie und ihre Folgen

Toxikologische Aspekte der Nanotechnologie. Versuch einer Abwägung

von Harald F. Krug, Katrin Kern, Silvia Diabaté, Forschungszentrum Karlsruhe

Die Nanotechnologie gilt allgemein als eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Mit dieser Technologie verbinden sich viele Hoffnungen, sowohl der Wirtschaft als auch der Nutzer, aber es werden auch eine Reihe von Befürchtungen bzw. Vorbehalten geäußert. Solche Vorbehalte sind nicht unwesentlich auch auf die teilweise schlechten Erfahrungen mit anderen Technologien zurückzuführen, da von ihnen neben den erhofften Vorteilen auch Risiken und Gefahren gesundheitlicher, sicherheitstechnischer oder auch gesellschaftlicher Art ausgingen. So werden die möglichen Gefahren der Nanotechnologie mittlerweile nicht nur in Science-Fiction Romanen thematisiert, sondern auch von verschiedenen Interessengruppen problematisiert. Zu Recht, lautet hier die Frage? Wirtschaftliche und wissenschaftliche Innovationen sind ohne jedes Risiko nicht realisierbar. Entscheidend sind jedoch die Kenntnis und zufrieden stellende Beherrschung der Risiken sowie eine Risiko/Nutzenabwägung, die sich an den Interessen der Gesellschaft und der Individuen orientiert. Im Zusammenhang mit der Nanotechnologie und dem Umgang mit Nanomaterialien stehen momentan vor allem mögliche gesundheitliche Risiken im Vordergrund. Ist ein solches Gefährdungspotenzial vorhanden und ist es derzeit kalkulierbar? Können die Risiken soweit aufgeklärt werden, dass diese tatsächlich von der Gesellschaft akzeptierbar sind? Im Folgenden werden der Stand der Forschung zu toxikologischen Aspekten von Nanopartikeln sowie die dazu durchgeführten neueren Arbeiten am Institut für Toxikologie und Genetik des Forschungszentrums Karlsruhe vorgestellt.

1     Wie „neu“ sind ultrafeine Partikel in der Umwelt?

Von der Möglichkeit, technisch ultrafeine Partikel herzustellen, geht nicht gleichzeitig eine völlig neue Exposition des Menschen gegenüber solchen, sehr kleinen Teilchen z. B. in der Atemluft aus. Lange bevor wir mit neuen Technologien in den Nanobereich vordringen konnten, waren wir bereits kleinsten Partikeln ausgesetzt. Denn bei jedem Waldbrand oder anderen Verbrennungsprozessen, bei jedem Vulkanausbruch und bei allen mechanischen Vorgängen werden nicht nur die sichtbaren Stäube und Russpartikel in die Atmosphäre abgegeben, sondern auch beachtliche Mengen an feinen (< 2,5 µm) und ultrafeinen (< 100 nm) Stäuben erzeugt (Abb. 1). Eine Exposition gegenüber einem Gemisch aus Grob-, Fein- und Ultrafeinstaub ist somit schon lange gegeben und auch als gesundheitlich nachteilig bekannt. An Arbeitsplätzen mit berufsbedingter Exposition treten auch häufiger entsprechende Erkrankungen auf; bei Bergleuten beispielsweise die Pneumokoniose nach Inhalation quarzhaltiger Stäube.

Abb. 1: Partikeldefinitionen und Größenbereiche verschiedener umweltrelevanter Partikel

Abb. 1: Partikeldefinitionen und Größenbereiche verschiedener umweltrelevanter Partikel

Durch hohe Staubkonzentrationen in der Umwelt in Verbindung mit anderen Luftschadstoffen wie Schwefel- und Stickoxiden sowie Kohlenmonoxid stieg immer wieder die Mortalität in der Bevölkerung stark an. Die Smogperiode in London Anfang Dezember 1952 ist dafür ein gut untersuchtes Beispiel. Dem rapiden Anstieg der Luftschadstoffe folgte mit einem Tag Verzögerung ein drastischer Anstieg der Todesfälle, die hauptsächlich durch Erkrankungen der Atemwege und des Herz-Kreislauf-Systems ausgelöst wurden. Mit einer Verzögerung von einigen Tagen wurde ein nochmaliger Anstieg der Mortalität beobachtet, hervorgerufen wahrscheinlich durch eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber Infektionen, so dass es zu vielen Tausend zusätzlichen Todesfällen in den Monaten Dezember bis Februar des folgenden Jahres kam. Ähnliche Wettersituationen hat es in der nahen Vergangenheit auch in Deutschland gegeben, wie die Inversionswetterlage zu Beginn des Jahres 2002. Ein wesentlicher Unterschied zur Situation in London 1952 besteht darin, dass der Ausstoß an Luftschadstoffen mittlerweile in den Industrienationen durch technische Minderungsmaßnahmen erheblich reduziert wurde. Dennoch war ein Anstieg des Schwebstaubes auf Werte deutlich über 100 µg/m³ während dieser Smog-Periode im Januar 2002 zu verzeichnen. Epidemiologische Studien haben ergeben, dass solche Umweltbelastungen wohl doch gesundheitlich relevant sind und eine Erhöhung des PM10-Wertes (Durchmesser < 10 µm) mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko verbunden ist (Thurston 1996). Diese Meta-Analyse zeigte, dass ein Anstieg der PM10-Konzentration um 10 µg/m³ mit einem Anstieg der Mortalität um ca. 1 % einhergeht. Akute Effekte, hervorgerufen durch erhöhte Staubkonzentrationen in der Luft, treten jedoch kaum bei gesunden, sondern insbesondere bei Personen mit schweren Herz- sowie Atemwegserkrankungen (Asthma, chronische Bronchitis), bei Kleinkindern und älteren Menschen auf.

Feine und ultrafeine Partikel in der Umgebungsluft, die nicht natürlichen Ursprungs sind, stammen meist aus

  1. technischen Verbrennungsprozessen aller Art
  2. dem Straßenverkehr (Dieselruß, Katalysatorausstoß, Abrieb von Reifen, Kupplungen und Bremsen)
  3. dem häuslichen Bereich, z. B. aus Kerzenbrand
  4. Küchentätigkeiten, wie Kochen, Braten und Grillen
  5. Zigarettenrauch.

In Deutschland ging in jüngster Zeit zwar die Gesamtbelastung der Luft durch Stäube zurück (auf die Masse bezogen), die Partikelanzahl (N/m³) nahm jedoch zu (vor allem der Anteil der ultrafeinen Partikel trägt dazu bei). Für die nachgewiesenen Partikel sind auch die Quellen bekannt: Verbrennungsprozesse und Straßenverkehr haben den größten Anteil an der Gesamtschwebstaubfraktion. Gerade die kleinsten Partikel aber zeichnen sich durch eine erheblich größere Oberfläche im Verhältnis zum Volumen und zur Masse aus. Bei gleicher Masse wird dies besonders deutlich: die Oberfläche und besonders die Anzahl der Partikel steigt enorm an, wenn die Größe reduziert wird [1]. Hieraus leiteten sich im Wesentlichen zwei Hypothesen ab: wird die Anzahl größerer Partikel erniedrigt, können die kleineren Partikel seltener durch Koagulation mit großen Partikeln beseitigt werden und sie bleiben länger stabil; Partikel werden mit abnehmender Größe immer toxischer, da ihre Oberfläche katalytisch wirksam ist und unerwünschte Reaktionen auslöst. Beide Hypothesen sind nach wie vor noch nicht stichhaltig bewiesen, obwohl es vor allem für letztere immer mehr Indizien gibt.

Alle diese Studien betreffen Umweltbelastungen durch Verbrennungs- und Verarbeitungsprozesse. Wie anfangs jedoch erwähnt, mehren sich auch Vorbehalte gegenüber den industriell genutzten Nanopartikeln. Diese werden in einer ganzen Reihe von Produkten schon seit geraumer Zeit eingesetzt, dazu gehören:

Nanopartikel sind aber auch gegenwärtig bei der Herstellung und Verarbeitung dieser Produkte.

Neben den ungewollt in die Umwelt entlassenen Partikeln bilden vor allem in der nahen Zukunft auch weitere technische Produkte eine Expositionsquelle. Folgende Fragen werden dadurch aufgeworfen: Geht mit Produkten auf Basis von Nanopartikeln eine nachweisbare Exposition für den Menschen bei Herstellung, Gebrauch oder Entsorgung einher, auf welchen Wegen erfolgt diese Exposition, wo verbleiben letztlich die Nanopartikel und ist mit diesen ein unzumutbares Risiko verbunden? Für die kleinsten Partikel in der Atemluft wurde geäußert, dass „ultrafeine Partikel (Durchmesser < 0,1µm) in ihrer Konzentration in der Atemluft eher zugenommen haben“, sowie „die Wirkungen auf Herz-Kreislauf-Systeme und auf das autonome Nervensystem möglicherweise extrem relevant für Personen mit entsprechenden Vorerkrankungen sind“ und „die Exposition gegenüber höheren Konzentrationen zu einer Verkürzung der Lebenserwartung bis zu zwei Jahren führen kann“ (Eikmann und Seitz 2002). Bei der Anwendung von Produkten, die ultrafeine Partikel enthalten, sind solche Daten bisher epidemiologisch noch nicht erfasst worden, da es kaum Hinweise für mögliche gesundheitsbeeinträchtigende Wirkungen gibt. Außerdem ist bei Produkten wie Cremes, Farben und Sonnenschutz nicht immer die Lunge betroffen, und ein Produkt, das Nanopartikel enthält oder daraus gebildet wurde, emittiert nicht automatisch wieder solche in die Umgebung. Daher lassen sich die epidemiologischen Studien zur Luftverunreinigung auch nicht ohne weiteres auf andere Formen der Exposition übertragen. Die Exposition über die Lunge durch inhalierbare Stäube ist aber sicherlich der maßgebliche Weg; er gilt für die meisten gesundheitlich relevanten Wirkungen ultrafeiner Stäube bzw. Partikel (Oberdörster 2001) und somit auch für technisch erzeugte Nanoteilchen.

Von ihrer Größe hängt ab, welche Teilchen eingeatmet werden und wo sie im Atemtrakt abgelagert werden. Aus den hierfür vorliegenden experimentellen Daten wurden für die wirkungsbezogene Messung von Staub Konventionen in der DIN ISO 7708 festgelegt (Abb. 2). Die gesamte einatembare Fraktion wird durch PM10 und die bis in die Alveolen vordringende Fraktion durch PM2,5 (Durchmesser < 2,5 µm) näherungsweise erfasst. In der Europäischen Union gilt gegenwärtig eine Richtlinie für die Luftqualität für PM10 von 50 µg/m³ (Jahresmittelwert). Die amerikanische Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) hat kürzlich mit 25 µg/m³ auch einen neuen Richtwert für PM2,5 eingeführt. Diese Richtwerte berücksichtigen allerdings nur die Massekonzentrationen des Gesamtstaubes (µg/m³) und nicht die Anzahlkonzentrationen (N/m³) der einzelnen Größenfraktionen (vgl. Anmerkung 1).

Abb. 2: Wahrscheinlichkeit für Schwebstaub unterschiedlicher Größe in verschiedene Bereich der Atemwege vorzudringen (nach DIN ISO 7708)

Abb. 2: Wahrscheinlichkeit für Schwebstaub unterschiedlicher Größe in verschiedene Bereich der Atemwege vorzudringen (nach DIN ISO 7708)

Hier nun setzen die Untersuchungen an, um die Wirkung der ultrafeinen Partikel zu erfassen und mögliche, daraus ableitbare Risiken zu beschreiben.

2     Neue Materialien - Neue Risiken

Die Verkleinerung eines Materials und seine Bearbeitung hat mittlerweile eine Grenze überschritten, nach der die bisherigen Gesetze nicht mehr uneingeschränkt zutreffen. Ein beliebiges Material verhält sich in nanoskaligen Dimensionen auf einmal ganz anders als in seiner „größeren“ Form. Diese neuen Eigenschaften machen eben den Reiz der neuen Technologie aus, wenn plötzlich elektrisch isolierende Stoffe leitend werden, oder kleine Metallcluster fluoreszieren, farbig oder durchsichtig werden. Durch die Änderung ihrer Eigenschaften wird der Entwicklung neuer Produkte Tür und Tor geöffnet und Nanopartikel werden in vielen neuen Anwendungen zu finden sein. Genauso überraschend wie die direkten Substanzeigenschaften, kann sich aber möglicherweise auch ihr Verhalten in der Umwelt oder in lebenden Organismen verändern. Und hier liegt nun eine große Herausforderung, die Erforschung nicht nur der gewünschten Effekte der neuen Materialien, sondern auch die der unerwünschten Effekte, also der möglichen Nachteile, die mit dieser Technologie verbunden sind. Noch sind wir nicht wirklich auf dem Stand von einer echten „Nanotechnologie“ zu sprechen, sondern nach wie vor handelt es sich um Nanowissenschaften, die noch dabei sind, Eigenschaften und Anwendungen zu erforschen, aber schleichend und nahezu unbemerkt hat sich die Anwendung einiger Nanoteilchen bereits in der Gesellschaft etabliert. Das sind nicht unbedingt solche Anwendungen, die unter den Begriff Nanotechnologie fallen würden, aber es führt eben bereits dazu, dass diese Nanoteilchen in die Umwelt bzw. an oder in lebende Organismen und den Menschen gelangen. Hier nun ist die Wissenschaft gefordert, rechtzeitig mögliche nachteilige Wirkungen zu untersuchen, um den negativen Effekten vorzubeugen. Natürlich müssen wir uns bewusst sein, dass es neue Technologien ohne ein damit einhergehendes Risiko nie geben wird, aber wir können etwas dafür tun, diese Risiken zum einen frühzeitig zu erkennen und zum anderen rechtzeitig durch geeignete Maßnahmen eine Minderung des Risikos herbeizuführen.

3     Gesundheitliche Aspekte

3.1     Zum Mechanismus der Lungenschädigung durch inhalierte Partikel

In unserem Atmungssystem sorgen verschiedene Schutzmechanismen dafür, dass eingeatmete Krankheitserreger und Fremdstoffe keinen Schaden anrichten können. Neben der mechanischen Ausschleusung (Husten, Niesen) spielen unspezifische und spezifische lmmunabwehrprozesse sowie Entgiftungsmechanismen eine wichtige Rolle. Zur Bekämpfung von Bakterien und Viren oder zur Beseitigung nicht-infektiöser Partikel wird lokal eine Entzündungsreaktion ausgelöst oder die vor Ort anwesenden lmmunzellen, in Lungenbläschen sind das Alveolarmakrophagen, werden aktiviert. Dabei werden neben reaktiven Sauerstoffspezies auch Proteine und Lipide freigesetzt, die als chemische Botenstoffe (Mediatoren) auf andere Zelltypen wirken. Dadurch sind z. B. die Epithelzellen, welche die Lungenbläschen auskleiden, oder die Endothelzellen, welche die in unmittelbarer Nachbarschaft liegenden Blutgefäße auskleiden, betroffen. Die einsetzende Bekämpfung der eingedrungenen Fremdkörper kann auch gesundes Gewebe in Mitleidenschaft ziehen, das durch anti-inflammatorische Prozesse geschützt bzw. wieder repariert werden muss. Die Feinregulation (Homöostase) dieses Netzwerks von Mediatoren sorgt dafür, dass der Schaden für die Lunge oder den Organismus begrenzt wird. Eine Unter- oder Überregulierung bestimmter Mediatoren würde zu größeren Schäden und damit zur Verschlimmerung von Erkrankungen führen.

Die inflammatorische Antwort nach Inhalation von feinen und ultrafeinen Partikeln wurde am Menschen sowie mit Ratten eingehend untersucht (Übersicht bei: Oberdörster 2001). Die mit der Einwanderung von Entzündungszellen verbundene Freisetzung von reaktiven Sauerstoffspezies und lysosomaler Enzyme schädigte das Lungenepithel, so dass die Fähigkeit zur Abwehr von Krankheitserregern beeinträchtigt wurde. Die im Umweltaerosol enthaltenen Metalle scheinen bei der Auslösung von Partikel-induzierten Effekten eine wichtige Rolle zu spielen, wie experimentelle und epidemiologische Versuchsansätze zeigen konnten. Als Ursache für die zytotoxische Wirkung von Partikeln werden auch Oberflächeneigenschaften und das elektrokinetische Potenzial von Partikeln diskutiert. Zu den ultrafeinen Stäuben und den Nanopartikeln fehlen solche Untersuchungen noch weitgehend.

3.2     Modellentwicklung zur mechanistischen Bestimmung der Wirkung ultrafeiner Partikel

Im Institut für Toxikologie und Genetik des Forschungszentrums Karlsruhe soll sowohl am Beispiel eines umweltrelevanten Aerosols als auch an synthetischen Modellpartikeln unterschiedlicher Größe (12 - 400 nm) mit lungenspezifischen in vitro-Tests herausgefunden werden, welche chemischen Bestandteile und welche Partikelgrößenfraktionen zur toxischen Wirkung beitragen. Als Beispiel für Umweltpartikel wurde Flugstaub aus einer industriellen Hausmüllverbrennungsanlage ausgewählt, weil der Verbrennungsprozess, ähnlich wie bei der Kohleverbrennung, gut untersucht ist und eine hohe Anzahl sehr feiner Partikel darin enthalten ist (Paur et al. 2000).

Im Allgemeinen werden für Toxizitätsstudien Zellkulturen aus der Lunge submers in flüssigen Kulturmedien, in denen die Partikel suspendiert werden, behandelt. In der Lunge kommt der Kontakt mit den inhalierten Partikeln jedoch direkt über die Gasphase zustande. Aus diesem Grund haben wir am Institut für Toxikologie und Genetik eine realitätsnähere Messmethode entwickelt. Wie in der in vivo Situation in der Lunge wird in diesem System die Exposition der Zellen an der Luft/Flüssigkeits-Grenzschicht durchgeführt. Diese Methode ist allerdings technisch sehr aufwändig, denn es muss einerseits ein definiertes Aerosol erzeugt werden, das in einer geeigneten Weise über Testzellen geleitet wird und andererseits müssen die Zellkulturen durch geeignete Trägersysteme über den Testzeitraum funktionell lebensfähig erhalten werden. Bei unserer Methode werden die Zellen auf einer porösen Membran ausgesät, die es den Zellen erlaubt, sich während der Luftexposition durch die Poren mit Flüssigkeit und Nährstoffen zu versorgen (Diabaté et al. 2004).

Nach der Exposition werden die Zellen auf ihre Vitalität und das Kulturmedium auf Mediatoren untersucht, die charakteristisch für entzündliche Veränderungen sind. Dieses in der Entwicklung befindliche Expositionssystem wird es in Zukunft ermöglichen, Vor-Ort-Messungen mit lebenden Zellen durchführen zu können, um an möglichen Quellen direkt die Einflüsse von Partikeln in der Luft nachweisen zu können. Die bisherigen Experimente nach der herkömmlichen Methode (submers-Exposition) haben zu dem Ergebnis geführt, dass ultrafeine synthetische Modell- und Flugaschepartikel bereits bei nicht zytotoxischen Konzentrationen verschiedene Parameter einer entzündlichen Reaktion, z. B. Zytokinbildung, in Lungenzellen induzieren oder verstärken (Diabaté et al. 2002).

Aus den Ergebnissen der beschriebenen Untersuchungen sollen Informationen zur Verfügung gestellt werden, mit denen die Gesundheitseffekte durch partikuläre Luftverschmutzungen aus einzelnen Quellen beurteilt werden können, um dann gezielte technische Maßnahmen zur Emissionsminderung vorzunehmen. Genauso wichtig ist die Einschätzung der Partikelemissionen, die bei der Anwendung von neuen Technologien oder beim Einsatz von neuen Brennstoffen entstehen können, damit die Entwicklungen so frühzeitig wie möglich in die richtige Richtung gelenkt oder Entscheidungen über eine ausgedehntere Anwendung getroffen werden können. Die Expositionssysteme werden helfen, Partikelbelastungen auch am Arbeitsplatz daraufhin überprüfen zu können, inwieweit ein entscheidendes Gesundheitsrisiko von ihnen ausgeht oder nicht.

3.3     Nanopartikel - Risiken (Beispiel Nanotubes)

In der Nanotechnologie sind aktuell Kohlenstoff-Nanoröhrchen für viele Entwicklungen von großem Interesse, und zwar wegen ihrer herausragenden mechanischen, elektrischen und magnetischen Eigenschaften. Es gibt einwandige Nanoröhrchen mit Durchmessern von 1 - 2 nm oder mehrwandige Nanoröhrchen mit Durchmessern von 10 - 30 nm. Beide können eine Länge von mehreren Mikrometern haben und durchaus von Zellen aufgenommen werden. Die potenziellen Gefahren in Bezug auf die Inhalation von Nanoröhrchen, z. B. bei deren Herstellung, sind unbekannt. Bei Inhalationsversuchen an Ratten wurde festgestellt, dass inhalierte Kohlenstoffpartikel beträchtliche Lungenschäden verursachen können und dass das toxische Potenzial mit kleiner werdender Partikelgröße und größer werdender Partikeloberfläche steigt. Vergleichbare Versuche mit Kohlenstoff-Nanoröhrchen sind sehr schwierig, weil sie stark agglomerieren. Bei ersten Versuchen wurden die Partikel in Flüssigkeit suspendiert und in die Atemwege von Ratten instilliert (Warheit et al. 2004). Die höchste Konzentration von 5 mg einwandiger Nanoröhrchen pro kg Körpergewicht führte zu einer Mortalität von ca. 15 % der exponierten Ratten. Die Ursache war allerdings eine Verstopfung der Hauptatemwege durch Partikel-Agglomerate und nicht die mögliche Toxizität der Partikel selbst. Bei den Überlebenden wurde eine transiente Lungenentzündung sowie die Bildung von multifokalen Granulomata beobachtet. Das Auftreten von Granulomata bei Abwesenheit anderer schädlicher Effekte scheint nicht dem normalen Paradigma zu folgen, das durch toxische Stäube wie Quarz oder Asbest entsteht. Exposition mit diesen Stäuben führt zu Zellschäden, Entzündung und Fibrose. Wegen der starken Agglomeration in Suspensionen ist es unumgänglich, diese Partikel als Aerosol in einer Inhalationsstudie oder mit einem in vitro-Test zu untersuchen. Ebenfalls für Aufregung sorgten die von E. Oberdörster in einem Vortrag präsentierten Daten zu Nanotubes und Fullerenen, die in aquatischen Systemen auf Flohkrebse wie auf Fische toxisch wirkten und dabei vor allem in den Gehirnen der Fische Probleme verursachten (Oberdörster 2004). Die hier aufgeführten Studien belegen gleichzeitig, wie wichtig es ist, keine voreiligen Schlüsse aus einzelnen Ergebnissen zu ziehen, die noch nicht von unabhängiger Seite wiederholt bzw. durch weitere Experimente bestätigt wurden. Während bei der Instillation der Nanotubes in Ratten- und Mäuselungen die Tiere eher erstickt sind, weil es zum Verschluss der oberen Bronchien kam, ist die Studie von Frau Oberdörster bisher noch nicht veröffentlicht und auch noch nicht durch andere Studien erhärtet worden. Außerdem ist es noch unklar, inwieweit die von ihr beschriebene Lipidperoxidation tatsächlich eine Schädigung des Gehirns nach sich zieht, wie in den Gazetten berichtet wird. Hier wird noch sehr viel Arbeit zu tun sein, um zu statistisch sicheren und damit auch validierten Aussagen zu kommen.

3.4     Nanopartikel - Chancen

Mit der Entwicklung neuer Materialien und der Verbesserung analytischer Systeme geht auch immer ein Aufschwung der verschiedensten Anwendungen einher. Neben einem Einsatz nanostrukturierter Materialien im technischen Bereich finden Nanoteilchen auch ihre Anwendung in Biologie und Medizin. Verschiedene Produkte sind bereits im molekularbiologischen Labor etabliert, wie z. B. die Verwendung von fluoreszierenden Nanopartikeln, so genannten Quantumdots, zur Markierung von Zellstrukturen oder magnetische Nanopartikel zum einfachen Separieren von Proteinen oder Zellorganellen. Die Quantumdots haben gegenüber herkömmlichen Fluoreszenzfarbstoffen den großen Vorteil, dass ihre Fluoreszenz nicht ausbleicht. Funktionalisierte Nanotubes aus Kohlenstoff werden schon als Biosensoren verwendet, sie können spezifisch klinisch relevante Biomoleküle detektieren. In der Medizin werden die Eigenschaften der Nanoteilchen zur Verbesserung der Pharmakotherapie genutzt. Nanopartikel können als Transportsystem für Medikamente verwendet werden und können so die Löslichkeit eines Pharmakons deutlich gegenüber der des freien Medikaments erhöhen, des weiteren sind sie imstande, Nebenwirkungen zu reduzieren oder verhindern den schnellen Abbau von Arzneimitteln. Bei Augenerkrankungen werden Partikel aus Chitosan, einem Polysaccharid, das eine gute Bioadhäsion aufweist, permeabilitätssteigernd wirkt und wenig toxisch ist, als Vehikel für Medikamente benutzt. So wird eine selektive und verlängerte Pharmakotherapie an der Mucosa des Auges ermöglicht. Auch beim Transport von Medikamenten über die Blut-Hirn Schranke können Nanopartikel von Nutzen sein. Durch Nanopartikel, die mit Polysorbat bedeckt sind, können Medikamente, wie das Antibiotikum Doxorubicin, das zur Krebstherapie verwendet wird, direkt über eine Rezeptorwechselwirkung in Endothelzellen des Gehirns und somit in die Hirnblutgefäße gelangen (Kreuter 2001). Mittlerweile gibt es viele weitere Ansätze, Nanoteilchen für die Diagnose und Therapie von Tumoren einzusetzen (Brigger et al. 2002; Roy et al. 2003; Steiniger et al. 2004). Dabei werden sogar Modelle erstellt, welche die Therapie individuell an den Patienten anpassen (Li et al. 2002). Einige Arzneimittel auf der Basis von Nanopartikeln befinden sich im Stadium der ersten klinischen Studien. Des Weiteren ist es mit Hilfe von bestimmten Silica sowie anderer Nanoteilchen möglich, Gen-Transfer durchzuführen, d. h. DNA kann, gekoppelt an solche winzigen Strukturen, stabiler und effizienter in die Zielzellen eingebracht werden. Darunter befinden sich auch Epithel- bzw. Endothelzellen als mögliche Targets, die von besonderer Bedeutung sind. Für Endothelzellen konnte gezeigt werden, dass sie Partikel in der Größe von 277 bis 372 nm gut aufnehmen können. Unsere eigenen Arbeiten machten darüber hinaus deutlich, dass kleinere Partikel mit einem Durchmesser unter 100 nm noch effektiver in die Zelle gelangen können, wobei der genaue Aufnahmemechanismus noch ungeklärt ist.

4     Resümee

Soviel Potenzial in den neuen Materialien enthalten ist, soviel Unwissenheit besteht aber auch über ihre möglichen nachteiligen Wirkungen in der Umwelt oder im Organismus. Sei es am Arbeitsplatz, bei der Herstellung, bei der technischen Anwendung oder bei der Verwendung als Medikament, immer werden diese Nanoteilchen auch „Nebenwirkungen“ haben, die genauestens gegen die Vorteile abgewogen werden müssen, bevor sie bedenkenlos zum Einsatz kommen. Allerdings hat zu den technischen Entwicklungen neuer Nanomaterialien bereits frühzeitig eine Diskussion in der Öffentlichkeit eingesetzt, die nun dazu führt, dass umfangreiche Untersuchungen möglicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen eingeleitet werden. Gerade jetzt werden die Aktivitäten sowohl von der Umwelttoxikologie, der Hygieneinstitute und auch anderer akademischer Forschungseinrichtungen verstärkt, um eventuelle Nachteile und unerwünschte Nebenwirkungen der neuen Materialien frühzeitig zu erkennen.

Anmerkung

[1] Eine Probe, die aus Teilchen von 10 nm Durchmesser besteht, weist eine 300 mal größere Oberfläche und eine ein Million mal so große Teilchenzahl auf wie eine Probe gleicher Gesamtmasse aus 1 µm großen Partikeln.

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Kontakt

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